Teil II



Vortrag 3b: Kernselbst KS, Restunbekanntes RU, unterschiedslose Anwendung der Lernregeln auf das Regelsystem der Praxis als Quelle für „magisches Denken“

1.
Die Frage, die ich jetzt beantworten möchte, ist: wieso eigentlich sich der Schein einer Rationalität einstellen kann angesichts dieser so beschriebenen kognitiven Struktur bzw dieser Lernregel. Warum scheint sie ihren Vertretern, ihren Trägern, unüberbietbar vernünftig? Es muss etwas tatsächlich Vernünftiges darin stecken, und ich glaube, man kann das auch identifizieren.
Es sind zwei Anteile, zwei sehr fundamentale Regelgruppen, von denen jede nochmal in zwei Abteilungen zerfällt.
Die eine Regelgruppe bezieht sich auf unsern Umgang mit unserem im weitesten Sinn empfundenen oder Empfindungs-begründeten Handlungsspielraum. Also wir spüren, dass wir etwas können, dass wir etwas brauchen, das schränkt unsere Aufmerksamkeit ein, wir denken dann an nichts andres mehr, zb an Essen, wenn wir Hunger haben – und dieses Spüren insgesamt, könnte man sagen, ist die Repräsentanz unserer leiblichen Bedürfnisse. Die erste Regel im Umgang damit, die Vernunftsregel, die aber in Wirklichkeit in sehr viele Unterregeln zerfällt, wenn man so will, alles was mit unserer Lebenserfahrung zu tun hat, im Umgang mit Bedürfnissen und Gespürtem an unserem Körper – also diese Regel lautet: Dass wir uns nicht beirren lassen beim Reagieren auf Empfindungen, sondern tatsächlich gewissermassen sie zum Leitfaden nehmen für die Reproduktion unserer Leistungsfähigkeit, dh also bis zum Beweis des Gegenteils gehen wir davon aus, als einer leitenden Hypothese, dass diese Positionen unseres Körpers, diese Antriebe, Aktivitätsantriebe, Ermüdungs- und Erholungsantriebe, die wir da spüren, oder sonstige Bedürfnisse, dass die zu beachten, berücksichtigen, angemessen zu befriedigen hinreichend ist, um uns zu erhalten. Das heisst, es gibt keinen guten Grund, sie einfach für nichts zu ignorieren, ausser es gibt tatsächlich unmittelbare Gefahren, dann greifen wir schon auf Reservespielräume zurück, um diese Gefahren abzuwehren, aber ohne guten Grund jedenfalls werden wir nicht diese Empfindungen, Gefühle, Antriebe, Appetite und Aversionen, die sich in ihnen anzeigen, ignorieren; stattdessen werden wir erwarten, dass wenn wir ihnen genügen, wir auch tatsächlich unsere Handlungsspielräume, unsere Lebensfähigkeit, Vitalität selbst reproduzieren werden- im Rahmen der im Schnitt erwartbaren Lebensspanne.

2.
Es gibt einen zweiten Grundsatz, und der besagt: Die Normalität, die sich hier eingespielt hat, und die Regeln, die wir auf diese Weise entdeckt haben, also wie man sich diesen Bedürfnissen gemäss verhält – das braucht ja erst einmal einige Zeit, das ganze Aufwachsen hindurch lernt man das – seine Handlungs- und Leistungsspielräume abzuschätzen aufgrund der momentanen Verfasstheit, auch die Stimmungsschwankungen von Tag zu Tag usw – also das, was sich da als leibliche Normalität herausgebildet hat bei uns, kann gestört sein. Und das nennen wir dann normalerweise Krankheit, also wenn sich da etwas nachhaltig verändert gegenüber dem langfristig erlebten Durchschnitt, und dem, was da funktioniert hat, wenn jetzt nicht geradezu äusserliche Beschädigungen unserer Glieder, Schmerzen eintreten – aber Schmerzen sind ja bereits etwas gespürt-endogen-pathologisches. – Und dann lautet die Regel: Wenn derartiges auftritt, werden wir nach den Bedingungen suchen, unter denen es auftritt, und versuchen, sie dann auszuschalten. Seltener haben wir vielleicht auch Bedingungen, um etwas an uns leistungsfähiger zu machen, das werden wir dann vielleicht eher versuchen auch in unsere Reproduktion mit aufzunehmen, aber im allgemeinen haben wir so etwas wie ein körperliches Minimum, das zugleich ein Maximum ist, hinter das können wir zurückfallen, vorübergehend, wenn wir übermüdet sind, oder – hoffentlich nicht auf Dauer – wenn wir krank sind, und dann suchen wir eben die Krankheitsursache, und versuchen sie zu unterbinden.

3.
Das waren jetzt also die beiden Regelgruppen, im Umgang mit unserer leiblichen Existenz – Leib ist immer das am Körper, was man spürt an ihm und in ihm, und natürlich auch sieht, natürlich – aber nicht das, was man weiss, also medizinisch, physiologisch usw – das ist eine Unterscheidung, die überhaupt erst eingeführt wurde, seit man eben diesen Körper als Gegenstand von Wissenschaft genauer kennenlernte, und dann den „Leib“ (so ein philosophischer Ausdruck) davon unterschieden hat. Und das darf natürlich nicht allzu weit auseinanderlaufen, das Gewusste, das Diätetische, das von der Medizin Verordnete, gegen das Gespürte, sondern wenn das allzu hart widersprechend wird – wenn das, was einem geraten wird, was man tun und beachten soll, sich ständig hinwegsetzt über die leiblichen Neigungen und Antriebe, dann wird das irgendwann mal ziemlich hart, und dadurch auch unglaubwürdig. Aber solche Entwicklungen und Ratschläge gibt es ja allenthalben, was guttut und guttäte und wie man sich einrichten sollte… und natürlich gehören dazu auch die gesamten Ratschläge, Vorschriften, Vorschläge, wie man sich tüchtig macht, wie man seine Leistungsfähigkeit optimiert unter Absehung von den Bedürfnissen – aber das geht nicht unbedingt ewig gut.

4.
Schauen wir jetzt mal kurz nach dem anderen Regelpaar – wir sprechen ja von einem Paar aus Paaren, und das zweite Paar nach dem ersten, leib-bezogenen, ist die Summe der Regeln für unseren Umgang mit dem Nichtkörper, der Welt, der Umgebung – wir haben nicht gleich ein Verhältnis zur ganzen Welt, aber eben zur Umgebung (und DIE WELT ist, was „dahinter“ liegt). Da gibt es also erstmal eine Regel, die besagt: Dass wir ohne Grund nicht erwarten, dass die Welt sich plötzlich ganz anders verhält, als sie es eine längere, lange Zeit hindurch getan hat. Das ist auch eine Normalitätserwartung, wir gehen bis auf weiteres von Konstanz aller Randbedingungen aus, soweit wir sie kennen, das gesamte Regelsystem unterstellen wir erstmal als eines, das Bestand hat, wenn es sich bewährt hat, und wir ändern es nicht einfach ohne Grund. Oder ohne Anlass. Sondern wir gehen erstmal von diesem Andauern aller bewährten Praktiken, aller Zusammenhänge, aller Randbedingungen usw aus.
Und die zweite Regel in diesem, dem welt- und umgebungs-bezogenen Regelpaar, ist dann gewissermassen die weltbezogene Lernregel: Wenn nun tatsächlich etwas Überraschendes passiert, dann suchen wir auch hier nach den Bedingungen – wir suchen nach Gründen für eine Änderung. Also da ist natürlich genau die Frage: Was war anders vorher – woran könnte es gelegen haben, dass etwas anders gekommen ist als bisher.
((Einige der der Formulierungen, die ich bis jetzt gebraucht habe, erinnern natürlich an die Umgangsweisen der Opportunisten mit ihrer Praxis (dazu gleich mehr) – also ich habe sie hier jetzt einmal Opportunisten genannt… warum das ein Ausdruck ist, der den der Normalplaner oder des Planens und Lernens mit Normalerwartungen, zurecht ersetzt, also berechtigt ist, das werden wir noch genauer sehen, aber soviel vorweg, ich habe sie für mich so genannt (die Abkürzung dafür ist OPP), weil diese Menschen ihre Lernregel entlang von erlebten äusseren Anlässen, Gelegenheiten, abändern, deshalb OPPortunisten, das heisst also nicht, dass man sich hemmungslos anpasst, sondern durchaus prinzipiengeleitet – bloss: das „Prinzip“ dabei ist zum einen die bewährte Normalität (in die manhineingewachsen ist), und zum andern Erfahrungen und Affekte im Zusammenhang mit Ereignissen, bei denen etwas anders kam als erwartet.))

5.
Was geschieht mit diesen beiden Regelpaaren, dem selbst- bzw leib-bezogenen, (ich hab den Ausdruck „Leib“, der Körper, soweit er gespürt und absichtlich bewegt wird, übrigens durch den Kunstausdruck „Kernselbst“, KS, ersetzt), und dem auf die Welt Bezogenen, soweit sie bekannt ist als auch soweit sie unbekannt ist im Zusammenhang mit „Praxis“?
Der Punkt ist, dass in dieser Praxis die Anwendungsgebiete der beiden Regelpaare – einmal das Leibliche, der Umgang mit dem Leib, dem gespürten Bedürfnis, Handlungsspielraum seinen Reproduktionsbedingungen, und der Umgang mit der bekannten wie auch vielleicht unbekannten Natur (Umgebung und Welt dahinter) – strikt zusammengefügt sind.
Die PRAXIS ist ja ein mit unserm Leib Arbeiten in der bekannten Umgebung – eine Regel nach der andern wird abgearbeitet – so wie ich es am Anfang beschrieben habe, im Kreis herum, Reproduktion, entlang bekannter äusserer Randbbedingungen – ich mache was, dann hab ich ein Resultat, wie erwartet, hoffentlich… das knüpft an daran, dass ich an die nächste Aufgabe gehe und/oder mit dem Resultat weiterarbeite, wenn ich da so eine in längere Arbeitsschritte zerlegte Operation habe – in jedem Fall muss ich mich ja an meine Aktivitätszyklen halten – die müssen angepasst sein zB an die äusseren Tag-Nacht-Zyklen, die Jahreszeiten usw. Bin ich überrascht, bin ich darauf vorbereitet, dass etwas passieren kann, habe ich unter Umständen Anzeichen, dass etwas Praxis-Relevantes passieren kann, habe ich ein Wissen um Verteilungen von Gelegenheiten (ich weiss, in welchem Gebiet bestimmte Sachen herumliegen, Pflanzen wachsen, Beutetiere sich aufhalten usw… ich rede jetzt mal von Jägern und Sammlern, das lässt sich natürlich ausdehnen auf alle Stufen der Geschichte…) Auf jeden Fall muss ich oder wir mit meinen, unseren leiblichen Fähigkeiten zur rechten Zeit am rechten Ort sein (eventuell arbeitsteilig) und dort das Zweckmässige tun, und das sorgfältig eingeteilt entsprechend den Budgets, die die zweite Stufe ausgemacht haben, und vor allem Dingen, wenn es sich um Überraschungen handelt, brauche ich auch noch eine Vorgabe, wie lang ich eigentlich noch was versuche, wie optimistsich oder pessimistisch ich auf verschiedenen Gebieten bin usw
Das hatten wir alles schon im ersten Vortrag geklärt, zumindest angesprochen, und jetzt stellen wir also, wie eben schon gesagt, fest: Der Gegenstand des ersten Regelpaars, Umgang mit dem Kernselbst, und der des zweiten, Umgang mit dem Bekannten und vor allem dem Restunbekannten – diese beiden „Gegenstände“ sind untrennbar in dieser Praxis zusammengefügt – es ist ja deswegen eine Praxis, es ist kein blosser Leib oder Regelinventar des Umgangs mit Handlungsspielräumen, egal wo ich sie mit hinnehme – sondern es ist eben ein Entwurf, der sich aber bewährt hat darin, mich in einer Umgebung, in der ich lebe, mit andern zusammen, zu reproduzieren.

6.
Der Punkt dabei ist, dass ich in der Tat, wenn ich in eine solche Umgebung hineinwachse, ja garnicht diese Abstraktionsleistung erbringe, einfach mal meine leiblichen Fähigkeiten, Bedürfnisse usw getrennt von den Verlaufsformen meiner aktuellen reproduktiven Praxis zu betrachten – also entlang der Fragestellung: Was könnte denn in ganz anderen Umgebungen mein Gebrauch von diesen Handlungsspielräumen sein – wie könnte man Leistungsgrenzen ausloten usw – selbst wenn mir das passiert – selbst wenn ich auf solche Kenntnisse zurückgreife, weil eben tatsächlich meine Lebenserfahrung, meine Erfahrung mit meinem Körper schon sehr weit gediehen ist, dann hab ich das nicht alles zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits ausgelotet. Es ist vielmehr so, dass (unter OPP vorgegebenen Normalerwartungen) jede solche Überlegung sofort die Form einer Frage nach dem Budget (2.Stufe der ganzen Planung) im Zusammenhang mit etwaigen Überraschungen annimmt, wo sich diese Frage immer konkret stellt, so nämlich: Soll ich jetzt diesen Versuch etwas zu tun, der bis jetzt gelungen ist, fortführen – oder stattdessen einen womöglich deutlich besseren, der (die andere Art der Überraschung) sich überraschend anbietet, und, wenn ich die unerwartet sich bietende Chance nutzen will: soll ich diesen Versuch der einen (Routinepraxis funktioniert nicht mehr: Reparatur, Finden einer Ersatzfunktion) oder anderen Art (Chance bietet sich, aber sie zu nutzen und auszuloten ist aufwendig) jetzt gleich machen – was vernachlässige ich dafür (vgl den Begriff „Opportunitätskosten“) – so sind natürlich alle Fragestellungen auf der Stelle praktisch, und nicht erst nur mal abstrakt leiblich, leib-bezogen. Und auf der andern Seite mache ich mir als OPPortunist, Normalplaner, natürlich auch nicht ständig Gedanken darüber, wie die Welt denn so beschaffen ist um mich herum, wenn ich nicht eingreife – das ganz besonders nicht, sondern immer höchstens unter dem Gesichtspunkt was mich betrifft – was, das demnächst vielleicht passieren könnte, stellt vielleicht ein Risiko, eine Gefahr für diese meine Reproduktion dar? – könnte es sich so verhalten wie befürchtet, wenn ich nicht eingreife? Wenn ich das gewähren lasse – was passiert denn dann, und muss ich dann irgendwie Vorsorge treffen? Alle andern Vorgänge in der Welt hingegen sind da allenfalls mal kurz von Interesse, wecken Neugier, ich schaue mal drauf, ich schau es mir an, wenn ich Zeit habe, aber normalerweise habe ich nicht viel Zeit, wenn ich eine (normalplanerische) Praxis zu bewältigen habe (in der immer was zu versäumen ist), und es ist ja auch meistens nicht wirklich relevant – es ist mal ganz interessant, man kann es zur Kenntnis nehmen, aber das war es dann auch.

7.
Und deswegen habe ich auch im allgemeinen keine Vorstellung in einer solchen praktischen Lebensform (LebensWELT sagt man ja sogar), was für Kategorien von Bedingungen ich eigentlich suchen soll, oder in welchen Richtungen ich solche Bedingungen suchen soll, wenn da plötzlich etwas anders kommt als erwartet. Über Kategorien – über Zusammenhänge – über Ursachen an sich hab ich mir da kaum je Gedanken gemacht – immer nur praktisch, auf der Suche nach Problemlösungen für meine Routinepraktiken und -zwecke; also es kann schon sein, dass ich einen gewissen Wissenshorizont habe, den bringe ich einfach mit, auch durch die vormals erzwungenen Abwandlungen meiner Praxis, die auch zu ihr gehören – die hat ja immer auch eine gewisse Schwankungsbriete vorgesehen in den relevanten Ereignissen, die können so oder anders ausfallen, und auch in meinen Reaktionsformen darauf im bezug auf irgendwelche Vollzüge – die Ernte kann so oder anders ausfallen, die Art, wie man einen Baum fällt oder sowas kann so oder anders ausfallen, es gibt also immer eine gewisse Breite an Variationen, und das ergibt auch einen gewissen Fundus an Wissen davon und darüber, was so alles an Praxisvarianten vorkommen kann – aber ich werde natürlich trotzdem überrascht – das kann schon vorkommen. Und dann bin ich natürlich verlegen um die Bedingungen, um die es geht. Ich kann also jetzt eine Überraschung deuten, und überhaupt die ganze Praxis deuten als gewissermassen ein erweitertes leibliches System.

8.
Und das erklärt, warum die Gefühle eine so grosse Rolle spielen bei dem ganzen, die mich nämlich darüber informieren, in welchem Ausmass dieser erweiterte Leib jetzt gerade eben im guten oder schlechten auf eine unvorhergesehene Möglichkeit stösst, eine Einschränkung oder eine bisher nicht genutzte Erweiterung seiner Möglichkeiten – wobei „Einschränkung“ das normalere ist – er ist gewissermassen von einer Krankheit befallen, er zeigt aber ev auch eine solche Erweiterung an, ich bin euphorisch – und ich übertrage jetzt also die auf das Kernselbst bezogenen Denkformen, Kategorien, automatisch erst einmal auf die Praxis, in die mein Körper, meine verspürten leiblichen Fähigkeiten, Dispositionen, eingebettet sind – die Praxis, mit der sie verschmolzen sind und aus der sie nicht herauszuheben sind. Und als Invariante, die mit eigenen Gesetzen ausgestattet in jede beliebige Umgebung mitzunehmen wären – denn mit vielen Umgebungen habe ich noch nicht zu tun gehabt – ich bin unerfahren, oder sogar borniert. Und sei es auch darum, weil meine Normalität noch so reichhaltig, divers, ausdifferenziert ist – ich bin auf sie eingeschworen, und deswegen, so sage ich, wenn das andre das Kernselbst war, dann nenne ich diese Praxis das Erweiterte Selbst – dh ich behandle es bzw sie wie einen Körper, einen erweiterten Leib, den ich ebenso reproduziere wie den, in jeder Situation aktiven Körper, den ich spüre – die Praxis als ein Erweitertes Selbst, dessen Zustand, dessen Leistungsbereitschaft und Zustände insgesamt ich spüre, und so, dass ich vernünftigerweise diese gespürten Zustände meiner Praxis als Indikatoren dafür nehme, was eigentlich mich und es, das Erweiterte Selbst, meine Praxis, reproduziert und intakt, gesund, leistungsfähig erhält.

9.
Aber ich habe ja auch noch das andere Regelpaar, und das wende ich in genau derselben Weise an – ich werde überrascht, und ich habe Bedingungen, die anders sind – das war schon auf der ersten Stufe des Planens die Frage: Was war denn anders – es ist aber genauso natürlich bei der zweiten und dritten Stufe, immer die Frage, angesichts dessen, was sich ereignet – das ist die Situation, auf die ich reagiere mit einer uU Regeländerung – uU einer Regel der Regeländerung – wenn etwas derartiges eintritt, dann muss ich zB meine Budgets neu verteilen, Ebene 2, oder die dritte Ebene war: Wenn dasunddas der Fall ist (bzw da es der Fall war), muss ich meine Erwartungen insgesamt hochschrauben, oder herunterschrauben, und das uU auf bestimmte Bedingungen eingeschränkt, oder aber generell, dauerhaft, immer. Das sind alles Umgangsformen mit bedingenden, Änderungen der Ausgangspraxis unter bestimmten Bedingungen nahelegenden Situationen und Erfahrungsverläufen. Also ich habe die Überraschungen einerseits in Gestalt des Gefühls, das mir eine Einschränkujg oder Erweiterung meiner Spielräume andeutet, oder einer Anomalie, die quasi Störungscharakter hat – die zeigt, dass meine Normalität gestört ist, und ich sie anhalten lassen muss (?), oder sie in einer gewissen Weise neu justieren muss – einer Weise, die dann gewissermassen das Anomalie-anzeigende Gefühl zum Verschwinden bringt. ODER.. ich habe eine Konstanz-Erwartung, die überrascht wird, die darauf verweist, dass sich hier mein Regelapparat aufspalten muss, je nachdem, ob eine Anwendungssituation der bisherigen Art vorliegt (die durch irgendetwas charakterisiert ist), und Situationen der neuen Art, die jetzt erstmals aufgertreten ist, und die kann ich auch ganz unterschiedlich behandeln, je nachdem wie das eingeordnet wird, ob ich es zB für eine URSACHE dessen halte, was überraschend anders war als sonst, dann könnte ich je nachdem versuchen es zu unterbinden (wenn es unangenehm), oder aber herbeizuführen (wenn günstig), und solche Überlegungen sind dann schon Quellen für magisches Denken, nebenbei. Oder – weil es immer darum geht, dass man Bedingungen für Praxis-Erfolg oder -Misserfolg schafft – Praxis wird da immerzu nicht gesehen als Sich-Betätigen an Dingen und Sachverhalten und Dispositionen, die auch für sich bestehen und auch ohne mich funktionieren, sondern es ist immer mein Tun, im Verbund mit den Dingen, das erfolgreich ist oder misserfolgsanfällig – das ist das, was mich dabei interessiert – die Bedingungen für Erfolg oder Misserfolg werden nicht in der Sache (oder der Art meines Einwirkens auf sie oder des Arbeitens mit ihnen) gesucht, sondern eben in irgendwelchen Bedingungen für Erfolg oder Misserfolg, die ich soeben erfahren habe – das war anders als vorher, das muss ich unterbinden oder das muss ich fördern. – Oder, das Neue wird interpretiert als ein (bislang übersehenes, in diesem Zusammenhang verkanntes) ANZEICHEN (einer bestimmten Art), es hat also keine unmittelbare Wirkverbindung (zum Schaden oder Nutzen, führt ihn nicht herbei, künfigt ihn aber rechtzeitig an…). Oder es gibt einen ZYKLUS, usw hier steht also die gesamte ontologische Kategorienreihe zur Auswahl an Einflüssen oder Sachverhalten, auf die ich noch sinnvoll reagieren kann in Gestalt einer Regel. Es gibt also möglicherweise Erfolgs- und Misserfolgs-Zyklen oder (Miss)Erfolgs-Dispositions-Verteilungen (HÄUFUNGEN an bestimmten Orten, Regionen usw). Das absolute Minimum, auf das ich noch mit einer Regel(änderung) reagieren kann, ist dann, dass ich sage, es kann etwas vorkommen – ich muss generell mit Fällen, einem Fall dieser Art rechnen, dass er mich betrifft, und ich muss emotional affektiv darauf vorbereitet sein, auch wenn es sehr selten der Fall ist – das erweitert oder verengt meine Gesamterwartung. – Das betraf ja die dritte Stufe, meine generelle Erwartungshaltung.

10.
Nochmal zurück zur Überlegung, dass die gesamte Erfahrung zentriert ist, sich aufbaut um diese Kategorie der Praxis und ihrer Teilepisoden herum. Man sieht ja, es gibt die Konstanz-Erwartung der auf Bekanntes und Restunbekanntes bezogenen Regelgruppe – das war die eine der beiden „ersten“Regeln (nämlich die auf Welt bezogene) – und es gibt gewissermassen als Parallele dazu auch die erste Regel des Kernselbst-bezogenen Regelpaars – und das war die, die meine normalen Gefühle als bis auf weiteres handlungsleitend anzusehende behandelten. Diese beiden „Konstanz“-Regeln, zusammen, begleiten quasi die Vollzüge meiner eingeübten gelernten Reproduktionspraxis ständig, als rationale Maximen, oder praktisches Regelsystem; wie auch immer sie aufgespalten sein mögen, in verschiedene Vollzüge, je nachdem welche Varianten darin auftreten, ich hab womöglich auch schon früher etwas daran verbessert, und habe gelernt, in dem einen Fall so, in anderen Fällen anders zu handeln – aber ich hab auf jeden Fall einen solchen Bestand an Normalgefühlen-wie-erwartet, das ist deswegen auch so wichtig, aber auch die Verläufe, Verhaltensweise der Objekte und ihres Verbunds in der Welt, und beide Konstanzerwartungen haben sich immer schon bewährt. Ich kann da auch übrigens solche Stufungen einführen wie: es ist NICHT bewährt – meine gut bewährte Praxis ist umgeben mit einem Saum an mehr oder weniger erst noch ungewissen, nicht so ganz sicheren und erst noch zu prüfenden Handlungen – aber das ist normalerweise natürlich nicht das, was im Zentrum meiner Reproduktion steht, da verlasse ich mich mal lieber nicht drauf – es sei denn, ich habe eine irgendwie übergreifende Regel, dass ich mich gerade darauf stürze, weil das besonders erfolgreich ist – aber genau so etwas muss sich dann eben irgendwie, bei mir, bei andern, die ich zu Vorbildern wähle, sich darin bewährt haben, aber normalerweise ist das, worauf ich mich wirklich stütze, das, was sich bewährt hat, mein zentraler Regelapparat, und damit auch das, was sich wirklich bewährt haben sollte. Wenn sie nichts mehr Bewährtes haben und in völlig Ungewissem stehen, dann endet auch das Lernen dieser Leute, zumindest das aktive Lernen, also das Formulieren von Versuchen, die sie machen könnten. Sonst sind sie wirklich am Ende und wissen nicht weiter – das war ja die Behauptung über sie.

11.
Also nochmal zurück, die Kategorie der Nromalität speist sich ganz wesentlich aus einem Bestand, einem Inventar an Normalgefühlen, die so wie bekannt auftreten, und ablaufen, da gehören auch die Zyklen dazu, Aktivitäts- und Ruhezyklen usw, und auf der anderen Seite eben das Gelingen von Praktiken, im Umgang mit den Gegenständen meiner Reproduktion, Früchten, was weiss ich, Acker Weide Feld Haus, ansonsten Werkzeuge – alles das sind Dinge, deren Eigenschaften ich kenne, mit denen ich arbeite, die ich ausnutze, und das alles hat sich bewährt, und es ist vielleicht abgewandelt worden, aber in jedem Fall ist das der Bestand dessen, was Normalität ausmacht, und die Rationalität dieser Normalitätskategorie ist bewährt durch die beiden Regelgrundsätze, die tatsächlich IMMER rational sind und immer zutreffen und richtig sind. Sodass ich also sicher nie ohne guten Grund und auch dann nur vorübergehend, meine Antriebe ignoriere zugunsten irgendeines vermeintlichen Wissens, oder von anlasslosen Ängsten, Hoffnungen, die aus der Luft gegriffen sind. Und der Vollzug meines Normallebens, meines Alltags, unter den normalen Bedingungen, den normalen Gefühlen, die mein Leben ausmachen, der mich zuversichtlich sein lässt, erwarten lässt, dass ich da auch weiterlebe, wenn nicht etwas ungewöhnliches auftritt – zumindest in der bekannten erwartbaren Lebenszeit, das gehört natürlich dazu, ist aber hier jetzt auch garnicht so wichtig. Und andererseits die Konstanzerwartungen im bezug auf die Sachen und Sachverhalte, um die es mir geht.
Und da kommt also nun die Überraschung dazwischen, und die hat diese zwei Seiten, dass sie sich eben anzeigt durch einen Affekt – ein Gefühl, das nicht das normale ist – genau genommen könnte die Überraschung mich ja auch kalt lassen, es könnte ja irgendwas sein, das passiert, aber zu den vielen, vielen Dingen gehört, die ich einfach ignoriere, achselzuckend wende ich mich wieder meiner Arbeit zu – es geht mich nichts an. ODER aber… es erschreckt, fasziniert mich.. ich bin davon gefesselt, gehe darauf zu usw – mit mehr als Neugier, ich bin betroffen, die Überraschung ÄNDERT etwas Relevantes und lässt mich nicht gleichgültig – das ist eben das Gefühl des überraschend Besseren oder Schlechteren, als erwartet – des zumindest möglicherweise solchen – und danach richte ich mich einerseits – das ist das Ausnahmegefühl (meine Praxis ist quasi krank – oder erweist sich im Rückblick als möglicherweise unnötig behindert…) – und nach der andern Seite habe ich auch in irgendeiner Weise die Erwartung, dass ein derart aus dem Rahmen fallendes eine Bedingung haben muss – das ist die rationale Seite – etwas ist anders als sonst – ist eine rationale Reaktion darauf – dumm nur ist, dass es immer schon eine Kombination aus Affekt und Sachverhalt ist, und nicht der Sachverhalt selbst – also das trenne ich einfach nicht – sondern ich wende auf das erweiterte Selbst Prinzipien an, die einerseits so durchgehend gerechtfertigt sind nur im Umgang mit dem Kernselbst – das ich aber dann sorgfältig aus diesem Zusammenhang begrifflich, gedanklich, „analytisch“ herausgelöst haben muss – sodass ich diese Erfahrung ausdrücklich als eine mit meinem Körper auch als solche behandle und erinnere und abspeichere – ODER… es dreht sich, ebenso ausdrücklich, um Sachverhalte (Dispositionen, Zyklen, Verteilungen usw von Sachen, Materialien, Verläufen, und ihren Eigenschaften). Aber dass der Ausnahmefall, auch er, immer schon aufgefasst wird als Abwandlung der normalpraktische Zusammenführung aus (Normal, Gesund)Affekt und Sachverhalt(wie-immer, der hier irgendwie womöglich ganz neutral ist und an sich nichts zu bedeuten hat von der Sache her) – das zeichnet eben diesen kategorialen Fehlgriff der Normalplaner aus: Sie wenden unterschiedslos die beiden Regelpaare auf Praxis-Inhalte an, die eigentlich erstmal analytisch aufgetrennt werden müssten, in den Sachverhaltsanteil, und den personalen Anteil.

12.
Und das kann soweit gehen, wie es mal als sehr archaische Gefühlswelt beschrieben wurde im Zusammenhang mit homerischen Helden und Epen, dass nämlich der (Ausnahme)Affekt etwas anzeigt über die Welt, da ist in der Welt an sich erstmal nichts anders, aber etwas kommt über den Menschen, der das empfindet, und dann IST die Welt eben anders gefärbt und auf einmal ist alles anders und er kann sich von diesem Affekt nicht befreien, sondern der befällt gewissermassen seine Praxis, es ist ein Affekt, der etwas über seine Praxis anzeigt – man könnte das jetzt auch zb auf bestimmte psychische Erkrankungen ausdehnen, Depression zb, oder Paranoia (Färbung als bedrohlich), und auch diese aus unserer Sicht Erkrankungen (dem Kernselbst zugehörig!) färben ja gewissermassen die gesamte Welt, nur eben nicht die Welt, sondern die (erlebte, durchlebte) Praxis (das Erweiterte Selbst). Dass Normalplaner so denken, ist eigentlich letztlich die Voraussetzung für alle Besonderheiten ihres Lernens, also vor allen Dingen dass sie in der Abteilung „Praktische Voraussetzungen waren anders , und sind affektiv bedeutsam gewesen“ – wirklich eine Riesen-Ontologie bzw -Heuristik anwenden von möglicherweise relevanten Misserfolgserfolgs-Anzeigen, etwa in Form von abergläubisch gedeuteten Ereignissen einer Art, die darauf hinweisen: Man muss etwas meiden, oder es unterbinden (weil von ihnen Einfluss ausgeht in Richtung Misserfolg), oder dagegen irgendwelche Abwehr-Mittel aufbieten, die hilfreich sind und schützen (oder aber es auf andre lenken, als Schadzauber…), oder man muss Mittel finden, die eignen Erfolg oder aber Misserfolg von Feinden verbürgen in einer bestimmten Hinsicht, Zauber, Gegenzauber – eine ganze Technologie des Herbeiführens von Erfolgsträchtigkeit, des Wahrscheinlichermachens von Erfolgen im bezug auf bestimmte gewünschte Resultate, ein Jagdzauber, ein Liebeszauber, ein Kriegszauber usw – also das sind alles absolut logische und rationale Massnahmen in der Praxis von Normalplanern – die unterliegt einer Regel-Modifikation, die sich an Affekten orientiert im Zusammenhang mit unerwarteten Ereignissen, die man zur Not sucht oder unterstellt – wenn sie daran entlang gewissermassen ihr Lernen neu einrichten.

13.
Um das noch besser zu begreifen, müsste man jetzt mal schauen, wie eigentlich die tatsächliche Rationalität verfährt mit dem Problem der Praxis und des Sortierens nach den beiden Gegenstandsbereichen praktisch relevanten Parametern. Das würde ich dann gerne als nächstes besprechen – kombiniert mit der Frage: Wie kommt man eigentlich dazu als Normalplaner, in diese andere Form der Rationalität hinübergleiten, dorthin zu reifen, dazuzulernen – wie findet dieses „Lernen anders zu lernen“ statt? Meine Ankündigung ist jetzt also bereits: Das geschieht über lange historische Epochen hinweg – es ist absolut nicht naheliegend, dass man in diese andere Form hinübergleitet – das ist dann das, was ich das experimentell-religiöse nenne – und das andre ist: wie wirkt sich eigentlich diese Einstellung auf die Verhältnisse zu andern aus – wie sehen eigentlich die Vergesellschaftungskonzepte aus, die zu dieser Art Weltverhältnis, zu dieser Art Lernen dazugehören? Und das würde ich dann in den nächsten ein oder zwei Vorträgen, 3c und 3d, auch noch besprechen, denn in 3 gehört alles zusammen, das bezieht sich alles auf diesen „Normalplanungs“-Modus.