Teil II



Vortrag 3a: Drei Fragen, drei Ebenen der Normalplanung

1.
In diesem Vortrag geht es um die Erklärung der ersten praktischen Stellung zur Welt, die Leute einnehmen können, im Verlauf ihres Bildungsprozesses, lang bevor sie (historisch, oder nachholend in einem Bildungsgang) zur MODerne oder einer MODernen Einstellung gelangen. Ich hatte gesagt, die erste Einstellung überhaupt, die Menschen zur Welt haben, dieses erste Weltverhältnis, nenne ich: „Planen und Lernen aufgrund von Normalerwartungen“, abgekürzt PLAN, oder Normalplanen, weil es gewissermassen die aller-normalste, also weitestverbreitete und am meisten normal erscheinende Form des Planens und Lernens überhaupt ist. Das heisst, sie erscheint als das Vernünftige schlechthin, und dass ganz anderes als das vernünftig, oder überhaupt das Vernünftige ist, wurde erst in einer langen historischen Erfahrung überhaupt erschlossen. Der entscheidende Punkt bei dieser Betrachtung ist, dass es sich nicht einfach um eine empirisch feststellbare oder ermittelbare Beschreibung handelt, wie nun mal Menschen so sind, sondern sie hat normativen Charakter, dh wenn Leute NICHT so schliessen würden, wenn sie (ohne weiterführende Bildungserfahrungen) NICHT so, und genau so, denken und Konsequenzen ziehen würden aus Erfahrungen, die sie machen, dann wären sie auf Dauer nicht verständlich. Über diese Randbedingung wird noch erheblich mehr zu sagen sein; es ist auch die Erklärung dafür, warum Psychologie in dem Sinn kein empirisches Fach ist, sondern eher der Philosophie angehört; und das bedeutet, es werden hier Sinnbedingungen, Bedingungen von Verstehbarkeit überhaupt, Verstehbarsein als Handeln, als vernünftig, zurechnungsfähig, PersonSein, entfaltet – diese Bedingungen sind umfangreich, man besinnt sich auf sie immer dann, wenn man etwas versteht, und sagt, SO ist es jetzt verständlich usw. (Das systematisch auszubreiten ist, so sage ich, die Aufgabe der Philosophie; aber darüber müssen wir hier nicht reden.)
Es ist in dieser Betrachtung auch sehr viel von Affekten und Gefühlen die Rede; das könnte einen darauf bringen, dass die Einstellung zur Welt, und das Handeln in und mit ihr, das ich beschreibe, in Wirklichkeit eine affektive, gefühlsmässige zur Welt ist – und das spielt auch eine grosse Rolle, aber tatsächlich ist der viel wichtigere Anteil in diesem ganzen Weltverhältnis, der tatsächlich das Lernen organisiert, eine KOGNITIVE Struktur, die ich hier beschreibe, eine Art, wie Menschen aus Erfahrungen, die sie machen, Schlüsse ziehen für ihr Verhalten, ihr Handeln, und darauf wie sie es ändern, wann sie es ändern. Die Gefühle dienen dabei als Mittel der Erkenntnisgewinnung – des Lernens und Dazulernens.
Das will jetzt genauer besprochen sein.

2.
Die zentrale Struktur dieses Denkens – die Ausgangsstruktur, mit der da gearbeitet wird – ist eine Normalpraxis, man könnte auch sagen: eine Normalität. Etwas, eine Art zu leben und seinen Alltag einzurichten, hat sich bewährt, normalerweise im Aufwachsen, da sind sich die Jugendlichen und Kinder noch unsicher, es ist ihnen aber demonstriert worden im Laufe ihres Aufwachsens, dass auf bestimmte Dinge, unter Umständen SEHR abstrakt, Verlass ist.
Worauf Verlass ist und worauf nicht, unterliegt dabei im Zweifel ihrem eigenen Urteil; es kann bald, oder später, erheblich abweichen von dem, was ihnen Ältere, Eltern, Lehrer, durchaus auch Personen, denen zunächst mal vertraut wurde, erzählen und erzählt haben.
Sie strukturieren also ihre, wenn man so will, Sozialisations- oder Anfangs-Lebenserfahrung, mit Kategorien, die sie ins weitere Erwachsenenleben mitnehmen, unter anderm gehört dazu so etwas wie ein Parameter der Verlässlichkeit oder Unzuverlässigkeit der „Welt“, Umgebung (oder bestimmter Teile von ihr), in der sie leben, als ganzes – den versuchen sie zumindest mal zu bestimmen. Auch das gehört zu einer Normalpraxis – solche Parameter zu haben; und natürlich ist die Normalpraxis erstmal ein Regelsystem – ein Regelsystem, was man tut, wenn bestimmtes der Fall ist, und man „normalerweise“ (ich kann Wort das nur immer wieder wiederholen) die Erwartung hat, dass das, was man zu tun versucht, gelingt, einen Effekt hat, nämlich den beabsichtigten. Damit ist eine Ausgangssituation für eine Anschlusshandlung geschaffen, vielleicht auch nur unter bestimmten Randbedingungen usw – aber das ist zweitrangig – es ist jedenfalls eine neue Situation, auf die man schon wieder eine Regel, eine Anschlussregel, anwenden kann, normalerweise, in einem Alltag, geht das im Kreis herum, das heisst, irgendwann ist mal die Ausgangssituation am Morgen wieder erreicht, am nächsten Tag, man steht wieder auf, wenn das und das gegeben ist (als Normalsituation, in der gewohnten Umgebung), wenns normal geht, macht man jetzt diesunddas, und diese Struktur des Kreislaufs, der Regelabfolge, die in sich selber mündet, die aber zugleich durchaus variierbar ist unter bestimmten Randbedingungen – die ist hier ganz grundlegend. Das heisst auch, dass das kleinste Element dieser Alltagspraxis, dieser Normalität, ein fester Verbund ist aus Regel und Erwartung; und die Erwartung ist normalerweise die Normalerwartung, die ich gewohnt bin, also häufig aber nicht immer die des Gelingens, also dass, was ich versuche, gelingt.
Sehr schlecht ist es natürlich, wenn mein ganzer Alltag aus lauter Versuchen besteht, die nicht gelingen, dann habe ich eine Misserfolgserwartung und bin schon sehr nahe am Deprimiertsein; aber selbst das könnte eine Extrem-Ausprägung von – dann schon fast pathologicher – Normalität sein.
Aber nochmal zurück zu dieser Elementarform der Regel, der praktischen Regel, der Handlungsregel, gekoppelt mit einer Erwartung, und zwar der des „nomalerweise Gelingens“. Eine Regel hat normalerweise die Form: „IN einer Situation des Typs S mache ich eine (unter Umständen: Versuchs-)Handlung des Typs H“, und jetzt setzt eben der Normalplaner hinzu: „…und darf dann erwarten, dass dasunddas passiert.“ Situationstyp, gekoppelt mit einem Handlungstyp, das eine ist der Regelanwendungsfall, das andre ist die Regelausführung/befolgung, aber dann hab ich eben regulär noch als Normalplaner eine Erwartung, in welchem Ausmass ich mit dem Gelingen rechnen darf, wenn ich das mache und versuche. Wobei eben normalerweise, wenn die Routinen eingeübt sind, mit dem Gelingen zu rechnen ist. Normalerweise. Es ist selten, dass es nicht gelingt, dann ist schon irgendwas komisch, anders als sonst; dann ist die Anschluss-Situation eine Anomalie, auf die ich dann aber auch mit einer problemlösenden Sonderregel reagieren kann.

3.
Also das ist die Basisform des Elements einer Praxis, und da ist sehr entscheidend, dass ich praktisch mit einem Inventar an Situationen rechne, noch dazu einer Situationsabfolge, die in sich selber mündet, eine Reproduktion, reproduktive Abfolge von Schritten, die sich wiederholen. Diese Abfolge ist natürlich das Pendant zu meinem Aktivitätszyklus – Tag und Nacht, das ist mal so das Allererste, an das das anknüpft, natürlich gibt es auch noch grössere Zyklen, in denen etwas gelingt und auch gelingen muss, weil dann irgendwann in der Natur irgendwas passiert, also etwa der Jahreszeitenzyklus usw. Ich muss also unter Umständen rechtzeitig mit meinem Handeln an einem Ort sein, muss dorthin gekommen sein, mit den nötigen Werkzeugen und Mitteln, Kenntnissen… muss vorbereitet sein und Vorbereitungen getroffen haben, um dort etwas anzubauen oder zu ernten, um etwas zu gewinnen, zu verhindern oder sonstwas der Art. Und da kann es natürlich in allen möglichen Ausgangs-Situationen sein, dass ich konfrontiert bin mit einer Überraschung; mit der kann ich aber auch gerechnet haben, und in beiden Fällen tritt dann unter Umständen eine Prioritätenregel ein: Wenn DAS (etwas von derundder Art) passiert – alles stehen und liegen lassen, und etwas ganz andres tun!, zB wenns brennt – oder auch etwas glückliches passiert, dann kann, oder muss ich sogar, meinen Alltag unterbrechen und muss mich dem zuwenden – für all das mögen Sonderregeln existieren in einer bewährten Normalparxis.
Nun ist es nicht so, dass Leute nicht darauf eingestellt wären, dass ihre Praxis vielleicht noch nicht ganz optimal ist – sie sind vielmehr durchaus lernbereit und keineswegs eingesperrt in diese Reproduktionspraxis, diese Routine. Sondern sie machen Erfahrungen, in denen sie positiv oder negativ überrascht werden: Es kommt anders als erwartet – als man bis dahin erwarten durfte (oder musste); und die Art und Weise, wie sie jetzt reagieren, ist in der Tat sehr stark gefühlsbetont, also es hängt jetzt sehr stark ab vom Ausmass der positiven oder negativen Überraschtheit, der Positivität und Negativität, der Beeinträchtigtheit durch das Negative, der Chanceneröffnung durch das Positive, wie ich jetzt tatsächlich unter Umständen meine Praxis ändere und darauf eingehe.

4.
Das erklärt das starke Hervortreten von Affekten als Handlungs-leitend, als Lern-anleitend, in dieser Normalpraxis, sodass man also fast annimmt, das ist eine anthropologische Konstante. – Aber das dabei viel näher Liegende wird selten in Betracht gezogen, dass nämlich im Grunde genommen diese Regel die Aufmerksamkeit bestimmt, auf das, was überhaupt für Handlungs-relevant erklärt wird: Handlungsrelevant ist alles, was irgendwie vom Regelapparat der Routinepraxis erfasst ist an Situationen, und einen Unterschied macht (in dieser Praxis, für diese Praxis, weil zu subsumieren unter einen ihrer Regelanwendungsfälle – am gehörigen Ort, der gehörigen Zeit und im Rahmen der zweckmässigen Abfolge der Schritte im Routine Alltag.)
Die Routinepraxis mitsamt ihrer Artikulation in Einzelhandlungen, Einzelregeln, die einen Unterschied machen, ist gewissermassen das Kategoriiensystem, mit dem diese Leute überhaupt ihre Welt in Betracht ziehen und betrachten. Und es ist extrem wichtig, sich klarzumachen, dass es ganz eigene Anstrengungen erfordert, um darüber hinaus zu kommen. Also dass es eigener Motive, eigener Anstrengungen bedarf, um etwa sich Gedanken zu machen über die eigene Handlungsfähigkeit als etwas übergreifendes, oder über Situationen, die sich da draussen abspielen, wenn wir nicht eingreifen, und die trotzdem für uns von Interesse sein könnten. Denn wenn das nicht zur Normalpraxis gehört hat, würde es vorerst nicht beachtet: Die Normalpraxis steht unter einer Generalregel-für-alle-(bislang überhaupt, bis auf weiteres, in Betracht gezogenen)Fälle, die da lautet: „Bis auf weiteres (unter allen Umständen) geh davon aus, dass du alles für deine Reproduktion, dein Überleben Relevantes bereits kennst. Es sei denn…“

5.
Und wenn jetzt Überraschungen eintreten, dann tritt eine zweite Regel ein, die Abwandlungen der Normalregel oder dieses Normalregelapparats nahelegt oder geradezu vorschreibt, und dabei überhaupt erst offenlegt, in welchen Hinsichten dieser Apparat abwandelbar ist. Die gedankliche Anstrengung, diese kategoriale Unterteilung in Hinsichten ihrer Abwandelbarkeit der eigenen Praxis sich zu erarbeiten, ist schon eine enorme Leistung für solche Normalplaner. Normalerweise bleiben nämlich die Selbstverständlichkeiten „stumm“, mit denen sie arbeiten im Rahmen ihrer Normalität, als übergreifende, etwa ihre Erwartungen, wie man Energien, den Handlungspielraum aufzuteilen hat, oder womit man überhaupt rechnen kann. All das bleibt absolut im Rahmen des für sie Selbstverständlichen, sodass bis zu ersten Erfahrungen des Anderskommens-als-erwartet es überhaupt kein Motiv gibt, sich über Alternativen Gedanken zu machen, geschweige denn, allgemein darüber nachzudenken: Begriffe auszubilden, sich zu fragen, wie weit kann das gehen, womit könnte ich denn überhaupt rechnen? Die Gliederung findet normalerweise in Überraschungssituationen statt, die heftig eingreifend sind; normalerweise nimmt solch eine Situation die Form an: Es findet etwas Ein- oder Erstmaliges statt, worauf ich nicht vorbereitet bin – das kann häufig negativer Art sein, ein Unfall, etwas misslingt, was bis dahin ganz selbstverständlich gelungen ist – seltener kann es auch eine positive Überraschung sein, eine Chance eröffnet sich – die Chance, etwas zu können, etwas zu bekommen, für die ich aber meine Praxis umstellen müsste, und darauf bin ich nicht gefasst, sodass ich mich fragen muss, ob ich mich trotzdem darauf einlasse. Solcher Art also sind normalerweise die (negativen wie positiven) Herausforderungen, an denen diese Normalplaner ins Grübeln kommen. Normalerweise sind es in 90, 95% oder noch häufiger die Unfälle, die negativen Ereignisse, und die Art und Weise, wie sie jetzt fragen, sagt etwas aus über die Art, wie sie überhaupt ihre Praxis denken, – also wie ihr Regelsystem untergliedert ist – jeder, dem ich das jetzt hier vortrage, wird vermutlich solche Fälle aus dem eigenen Leben oder spätestens aus dem von andern kennen, in denen diese Fragen auftauchen – etwa wenn Leute nach einem Unfall (das ist das häufigste), sich bestimmte Grübelfragen stellen. Die drei typischen Grübelfragen lauten so:

6. Zwecke, oder: Knowhow – die Routinepraxis und die Reihen der Möglichkeiten ihrer Abwandlung
Erstens: Was war anders? Etwas MUSS doch anders gewesen sein als sonst? So wird gefragt; und da fragt jemand nach einer bislang nicht erfassten, im Regelsystem nicht berücksichtigten praktischen Rand-Bedingungs- oder Situationsklasse, die ein verändertes Handeln nachgelegt hätte – und mit der er bisher nicht als relevanter Umgebungsbedingung gerechnet hat. Also fragt er sich, was war anders, worauf hätte ich achten müssen? das könnte also tatsächlich eine veränderte Regel sein, wenn sowas eintritt, muss ich unter Umständen reagieren (vielleicht aber auch nicht), ich muss unter Umständen etwas tun, um jetzt und eventuell künftig mit dem veränderten Sachverhalt fertigzuwerden (aber rechne ich damit, dass er sich wiederholt? oder SO wiederholt? odert Sachverhalte „dieser Art“ sich wiederholen?). Es könnte aber auch sein, dass ich nichts tun kann, und trotzdem nicht einfach meine Praxis fortsetzen kann, sondern ich muss es als Warnzeichen einordnen – als Anzeichen, dass ich ausweichen muss, etwas meiden muss, dass etwas in den Voraussetzungen meiner Praxis sich geändert hat, dass ein Zyklus zuende ist, dass etwas in der Aussenwelt sich ändert, es könnte berechenbar sein oder auch unberechenbar – dh es sind Anschlussfragen fällig: Hab ich sowas von der Art schon erlebt (der argwöhnische Blick zurück…) – gehört es einer Klasse von Situationen an, die jetzt spätestens in den Blick rückt, und eben eine Klasse von Überraschungen liefert, auf die ich künftig reagieren muss, wenn sie eintreten. Könnte da ein Zyklus sein, könnte es sein, dass ich eine Verteilungsgesetzmässigkeit beachten muss? Und auch da frag ich mich: Wo fange ich an, in der Vergangenheit zu suchen, wo ist was Ähnliches gewesen? und ich kann dann natürlich eine Gesetzmässigkeit (Regularität), eine Regel daraus destillieren, wie ich damit umgehen muss, und wer jetzt soweit mitgedacht hat, erkennt natürlich schon, dass das sofort in Aberglauben münden KANN (aber nicht MUSS) – nicht wahr, da können realistisch-rationale (aus unserer „aufgeklärten“ Sicht), es können materialistische Klassen gebildet werden, aber die Ereignisse können genauso gut „grob empirisch“ gruppiert werden: „Ah das ist dasselbe wie damals, da ist es auch schon pasiert, ich muss künftig einfach sehr vorsichtig sein, wenn… schwarze Katzen meinen Weg kreuzen.“

7. Ziele, oder: Die richtige Aufteilung der Ressourcen
Zweitens. Die zweite Art Art von Fragen, die gestellt werden, ist: Was hab ich falsch gemacht? – Hier ist jetzt nicht so sehr die Frage der Fehlreaktion auf eine Situation, das betrifft ja den praktischen Regelapparat – sondern hier ist gemeint: Wo habe ich meine Handlungsspielräume falsch verteilt – habe ich zuviel oder zu wenig in einem Bereich meiner Gesamtpraxis an Energie verbraucht – muss ich da künftig auf etwas mehr Mühe verwenden, aufmerksamer sein – unter Umständen VIEL aufmerksamer – VIEL sorgfältiger etwas behandeln – oder hab ich etwa einer andern Sache zuviel Aufmerksamkeit geschenkt? – Es ist also die Frage nach der Verteilung, eventuell der Neuverteilung von Handlungsspielräumen; und da geht es unter anderm auch um die Frage, ob es lohnt, etwas, das noch nicht ganz sicher ist, weiter zu versuchen, oder ob man einen solchen Versuch besser aufgeben sollte. Das klingt wieder rational – aber es ist hier vom Grad der Beeindrucktheit durch das jeweilige Ereignis, positiv, negativ, abhängig gemacht, wie ich künftig meine Praxis aufstelle. Also: „ich habe einen Fehler gemacht“, heisst hier: Ja – ich muss viel mehr Sorgfalt auf dasunddas verwenden, nein – ich brauch auf das garnicht mehr zu achten, das kann man lassen (womöglich beides gekoppelt, also eine Umschichtung der Ressourcen…). Diese Handlungsökonomie, die meine Reproduktions-Routine auch auszeichnet (denn ich muss ja die Gesamtheit meiner Kräfte und Ressourcen verteilen auf die Mittel, die ich für bestimmte einzelne Problemlösungen einsetze, darum eben auch ein Stück weit ökonomisches Denken hier) – die ist es, was korrigiert wird: Durch den Grad meiner Beeindrucktheit angesichts des überraschend eingetretenen Ereignisses muss ich meine Ökonomie neu justieren – und dann kann ich die Neuverteilung auch hier aufspalten, und die Regeln nach Bedingungen unterschiedlich fassen, also: Wenn dasunddas der Fall ist, muss ich mehr Aufmerksamkeit auf das lenken – das könnte also eine praktisch-ökonomische Regel sein, keine praktisch-technische Regel, sondern eine ökonomische; die sich aber dennoch von Aussensituationen abhängig macht, von Fällen. Oder aber global und unbedingt: „Ich muss künftig IMMER meine Aufmerksamkeit und Kräfte neu verteilen und VIEL mehr für dasunddas tun“, oder auch: „ich darf weniger, ich habs falsch angesetzt und viel zu viel investiert in etwas, das diesen Aufwand nicht lohnt“. (Überlegungen, wieviel ZU VERSUCHEN wie lange lohnt, sei es, um etwas Neues zu probieren, sei es, um ein unerwartet gescheitertes Projekt oder Routine wiederzubeleben – diese Überlegungen sind eine wichtige Unterabteilung in diesem „Spielraum-Verteilungskomplex“.)

8. Pläne, oder: Das Gesamtbudget (an Möglichkeiten); Optimismus und Pessimismus
Drittens. Das Dritte ist: dass ich mich frage: Wie hätte ich denn mit SOWAS je rechnen sollen? Also das ist die Frage nach dem Raum des Möglichen, in dem ich mich überhaupt bewege – aber wieder unter rein affektiven Gesichtspunkten. Also wieso hätte ich mit sowas rechnen sollen, das musste ich doch bisher nicht!? – ich durfte Fälle dieser Art ignorieren, ich war legitimiert, mit derartigem nicht rechnen zu müssen, und jetzt muss ich also doch? Verrückterweise können es auch „unverhofft“ eintretende glückliche Ereignisse und Entwicklungen sein, die einen so sehr bestürzen unter diesem normalplanerischen Gesichtspunkt, darum, weil man eigentlich eine Chance hätte wahrnehmen können, schon die ganze Zeit, und sie nicht gesehen und wahrgenommen hat. Also auch das stellt die generellen, die Rahmen-Maximen des Überhaupt-Rechnens mit etwas infrage, also des praktischen Erwägens von Möglichkeiten, auf die man sich einstellt, und des Raums an Situationen, für die man überhaupt eine Reaktion vorsieht (um das Beste daraus zu machen; aber nicht mehr)… Diese Global-Maximen also sind es, die hier korrigiert werden. Und das sind Maximen, die garnicht mehr irgendeine der beiden andern Dimensionen betreffen, nicht das, was ich überhaupt tun im Sinn von konkret bewirken KANN (das System der unmittelbar praktischen Regeln, meines Know how – im Rahmen meiner Routinepraxis), oder das, was ich im Rahmen eines gegebenen Ressourcenbudgets/apparats wie verteile auf meine Gesamtaufgaben, die ich überhaupt als solche erkenne und anerkenne. Sondern hier frage ich mich: Was überhaupt mir passieren kann – wie schlimm es für mich überhaupt kommen kann, und worauf ich mich da einstellen muss – aber auch, wie gut. Denn ich kann ja immer auch zu wenig tun für mich, ich kann ja immer überrascht werden durch die Einsicht, dass ich eigentlich hätte viel mehr ausrichten können, oder bekommen/erzielen können für mich, wenn ich nur mich mehr angestrengt hätte, und nicht so früh aufgegeben hätte. Und darum ist, nochmal, auch das Überraschtwerden durch glückliche Entwicklungen, die sich herausstellen als schon die ganze Zeit möglich, bestürzend für Normalplaner – weil sie grundsätzlich auf dieser Rahmen-Ebene der Schätzung des „überhaupt Lohnenden“ ein Versäumnisrisiko für sich sehen, und auf garkeinen Fall etwas, womit sie eigentlich rechnen sollten, verpassen wollen.
Dieser Raum dessen, womit ich rechnen kann (muss, soll…), wird also hier angesichts „bestürzender“, auch bestürzend besser als erwartet ausfallender, Erfahrungen neu justiert. Also ich kann entweder nicht mit mehr erechnen, muss den Raum enger machen, aber auch: ich hab zuviel Angst gehabt, ich kann ruhig riskanter vorgehen: oder sogar: ich muss mit viel besseren Möglichkeiten künftig rechnen, ich kann viel mehr für mich erreichen, oder umgekehrt: mit viel weniger. Das alles zielt auf Vorgaben für das Gesamtbudget, mit dem ich überhaupt arbeite, das ich dann auf der zweiten Ebene aufteile (also der Entscheidungsebene darunter, wo ich jeweils meine Budgets einteile und mich frage „was hab ich falsch gemacht?“, wenn ich überrascht werde, wo ich also den global und überhaupt lohnend einsetzbar erscheinenden Handlungsspielraum ökonomisch auf meine (ihrerseits lohnend erscheinenden) Aufgaben verteile, die ich sehe. oder was ich (noch eine Entscheidungs-Ebene tiefer) wie lange noch ausprobiere, wenn etwas nicht gelingt.)
Das also ist die ganz entscheidende Frage, die auf der zweiten, mittleren Ebene bzw hier auf der dritten höchsten Ebene zu beantworten ist: Womit rechne ich überhaupt? Womit auch gleich die Antwort gegeben wird auf die Frage: Was ist das Budget für Versuche – dafür, wie lange ich überhaupt etwas herauszufinden versuche, wenn es gescheitert ist, oder wie lange ich versuche eine Chance zu verfolgen wenn sie sich abzeichnet; das sind alles Entscheidungen, die auf der mittleren, ökonomischen, und der höchsten Ebene, der des Gesamtbudgets, getroffen werden.

9.
Es ist nun so, dass ich alle Regeln nach Bedingungen weiter ausdiffenzieren, verzweigen kann – auf allen drei Ebenen, also der praktisch-technischen, der ökonomischen, und der des fundamentalen Horizonts, in dem ich überhaupt mit etwas rechne, günstig oder ungünstig für mich. Ich kann also überall sagen: unter denundden Bedingungen kann etwas besser für mich laufen – unter jenen aber schlechter, zumindest muss ich mit Risiken rechnen, wenn ich in jene Situation komme. Oder aber, ich kann es global über alle Situationen formulieren für mich; also so: das Schicksal, das mich erwartet, ist soundso, damit rechne ich – ich rechne global in allen Situationen die mich noch betreffen können, mit demunddem, oder ich bereite mich auf dasunddas vor, und da muss ich meine Kräfte bündeln, und kann dann anderes nicht machen, ich bin pessimistisch, optimistisch, oder eines von beidem unter bestimmten Bedingungen, so, oder so – und all diese praktischen Regeln gehen eben mit der Erwartung einher, dass da bestimmtes rauskommt, und zwar natürlich mindestens mal, dass meine Normalität sich JETZT, in dieser neuen Version, bewähren wird, dass mein Regelapparat JETZT hinreicht. Das ist gewissermassen die grundsätzliche Erwartung schlechthin, die man als Normalplaner hat, und deswegen heisst das ironischerweise nicht nur Planen und Lernen aufgrund von Normalerwartungen, sondern im Grunde genommen müsste es heissen: Planen und Lernen aufgrund der Normalerwartung schlechthin, dass ab JETZT, spätestens wenn ich das jetzt berücksichtige, alles wesentliche erfasst ist, ich alle wesentlichen Situationen erfasst habe, es sei denn… ich habe noch ein Element von Unsicherheit in meiner Normalität, sowas ist natürlich auch möglich – das ist aber dann sehr genau abgezirkelt, dass ich weiss (erwarte), wo ich da noch wirklich vorsichtig sein muss und mit allem möglichen rechnen muss – allerdings darf es nicht überbordend werden, sonst habe ich überhaupt keine Normalität mehr, und mit sowas kommen Normalplaner nunmal garnicht zurecht – kognitiv nicht, denn dann wissen sie nicht, was sie tun sollen – ihr ganzer kognitiver Apparat ist dann abgeschaltet, und das ist dann die Situation, in der sie verzweifeln, also nicht mehr weiterwissen. Wenn die gesamte Normalpraxis ihnen aus der Hand geschlagen ist, dann sind sie praktisch wieder wie Kinder, und müssen irgendeine neue Normalpraxis angeboten bekommen, dieser Verlust ist also eine Katastrophe und geschieht ja normalerweise auch in einer Katastrophe, und es wäre in gewissem Sinn sogar eine Katastrophe, wenn sie im Lotto gewinnen, damit kommen sie uU auch nicht zurecht, ihre Routine ist darauf nicht eingestellt, sie wissen dann oft zunächst nicht weiter, brauchen Hilfe von aussen, wo Leute ihnen langsam eine Routine bauen, in die sie hinweinwachsen können. Das ist uU das Schicksal von indigenen Bevölkerungen gewesen, die überrumpelt und überwältigt worden sind, und, soweit sie nicht gleich umgebracht wurden, in Reservate abgeschoben wurden, und da einfach nicht weiterwussten, weil ihre Normalität so komplett beschädigt war, dass keinerlei Maxime, keinerlei Änderung noch irgendeinen Übergang in eine „ab jetzt gültige Normalität“ erlaubt hätte. Also eine, wo man zB einen Übergang, einen Absturz dieser Art einplant.
Dergleichen ist normalerweise nicht bewältigbar mit diesem kognitiven Apparat.

10.
Die Abfolge aus Lernanlässen für Normalplaner mündet regelmässig in eine neue Normalität, in ein neues Regelsysten, das im allgemeinen differenzierter ist (mehr Regel-Verzweigungen aufweist für je unterschiedlich gelagerte Anwendungsfälle bzw Randbedingungen), als das vorhergehende. Normalplaner können dabei sehr wohl registrieren, dass sie ihre Erwartungen erst in die eine Richtung und dann wieder in die andere Richtung ändern mussten – und das heisst, sie müssen unter Umständen eine (Verzweigungs-)Regel finden, wann, unter Bedingungen welcher Art sie pessimistischer, und wann optimistischer sein sollen als zuvor. Aber im allgemeinen ist ihr Anspruch oder sogar Ehrgeiz, aus solchen bestürzenden Ereignissen zu lernen, im Sinne einer Differenzierung ihres Regelapparats, die diesen den Sachverhalten immer besser anpasst, mit denen überhaupt zu rechnen ist, und die überhaupt „erwartbar reproduktiv (dh für ihre Normalität) relevant“ sind.
Wenn diese Operation gelingen soll, und nicht stattdessen in wachsende Ungewissheit, Ratlosigkeit hineinführen soll, was man überhaupt tun soll, und damit das ganze aus Sicht des Normalplaners als erfolgreiches Dazulernen und Feinanpassen an die Normalitäts-relevanten Umgebungsbedingungen verstanden werden kann, muss dies seine Grunderwartung sein: Dass das Resultat jedes erfolgreich absolvierten Lernvorgangs immer aufs neue lautet: ABER JETZT! aber jetzt habe ich die Welt im Griff – jetzt hab ich gelernt – ich hab meine Lebenserfahrung erweitert! – Und das ist übrigens auch ein Bestandteil dieser Regeln, überhaupt aller normalplanerischen „Lernerfahrungen“ – spätestens JETZT weiss ich bescheid – und es ist nicht etwa so, dass die Normalität, mit der man gestartet ist, damit kritisiert wird, sondern eigenartigerweise wird das immer so beschrieben, dass man sagt: das Bewährte VOR dem einschneidenden Lernereignis war schon relativ gut und relativ nah am Optimum, aber jetzt ist es endgültig optimiert. Das eigenartigste überhaupt ist aber, dass Normalplaner hier kaum je vorausschauen, kaum je sagen, kann das sich nicht wiederholen? sondern dass sie tatsächlich diesen Satz: ABER JETZT ist es optimal, ernst meinen. Das heisst: Ab jetzt hat sichs endgültig bewährt, jetzt hat sich eine Praxis eingestellt, oder eine allgemeine Regel, wie die Welt beschaffen, die kann auch deutlich pessimistischer siein als bisher, aber DIE stimmt jetzt – ich habe die Konsequenz aus dem gezogen, was jemandem, mir, passieren kann, womit ich vorher nicht gerechnet habe – ab jetzt berücksichtige ich das aber – und deswegen bin ich jetzt berechtigt, meine Erwartungen ab jetzt als die ausschlaggebenden und hinreichenden anzusehen, mit ihnen zu arbeiten, mich auf sie zu verlassen, und ich muss jetzt nicht mit allem möglichen andern rechnen, sondern ich hab diese grundlegende Erwartung JETZT tatsächlich eingegrenzt, und unter die angemessenen Bedingungen für die eine oder andre Variante gesetzt – und so mache ich jetzt weiter. Es ist nicht so, dass Normalplaner in solchen Situationen grundsätzlich nicht damit rechnen, dass sich für sie nichts mehr ändert; nur ist es ihre neue Hypothese, ihr neues Hypthesen System, mit dem sie die Welt testen, sie halten es für sinnvoll, sich jetzt nicht auf irgendetwas einstellen zu müssen, sich nicht umsehen zu müssen, was es denn noch alles gibt, sondern halten sich für berechtigt (und das ist ein ganz wichtiger Punkt!) anzunehmen, dass ihr Regelsystem vollständig ist. Und dass sie bis auf weiteres kein Versäumnis riskieren, wenn sie sich an dieses Regelsystem halten.