zum (Agrar)Kapitalismus

0. Lektüre: (fett=gelesen)
The Brenner Debate, ed Aston/Philpin, Cambridge University Press 1985
(enthält die Aufsätze von Brenner: den Startaufsatz von 1976:
Agrarian Class Structure and Evonomic Development in Pre-Industrial Europe, und:
The Agrarian Roots of European Capitalism, Antwort auf die Kritiker im Buch.
Der Stand hier ist der der frühen 80er Jahre.

Peasants into farmers? ed Hoppenbrouwers/van Zanden, Brepols, Turnhout (Belgien), 2001
Langer Aufsatz von Brenner am Ende („The Low Countries in the Transition to Capitalism“, p.275-338) mit seiner Darstellung der Verhältnisse in den südl. (Flandern, Brabant) und nördl. Niederlanden, mit Erwiderungen auf Kritiken von Kennern der flandrischen und holländischen Verhältnisse (die davor zu Wort kommen).

1993 hat Brenner seine Deutung des englischen Civil War 1642 gegeben, mit relativ akribischen Untersuchungen dazu, welche Gruppen unter den Londoner Händlern existierten (diese Rekonstruktion ist der Hauptteil des Buches), und warum welche von ihnen Parlament bzw Monarchie unterstützte (und wo warum die Landlords=Grundbesitzer standen): Merchants and Revolution, theoretischer Ertrag der Untersuchung steht im Postscript.

Die Originalbücher von Ellen Meiksins Wood sind auf Deutsch erschienen:
Der Ursprung des Kapitalismus Hamburg 2015
Das Imperium des Kapitals Hamburg 2016 (Enthält auch kurze Zusammenfassungen zu andern „Typen“ von Imperien (England, Niederlande).
beide: Laika Theorie Verlag Hamburg.
Es gibt von ihr ein weiteres Werk zum frühneuzeitlichen Staat Anfang der 90er. das ihre Gesamterklärung des Übergangs zum Kap. vervollständigt:
The Pristine Culture of Capitalism.: A Historical Essay on Old Regimes and Modern States. London 1991

Larry Patriquin, Agrarian Capitalism und Poor Relief in England 1500-1860. Rethinking the origins of the Welfare State. Palgrave Macmillan – Houndmills, Basingstoke/New York 2007
Die historischen Überblicke incl über Brenner Debatte sind besser als alle andern, allerdings auch wieder etwas kursorisch in Details. Dennoch sehr zu empfehlen.

Spencer Dimmock, The Origin of Capitalism in England, 1400-1600, Brill (Leiden, Boston) 2014
Brenner Debatte weitergeführt, ausführliche Widerlegungen von Kritikern plus eigene Darstellungen. im 2.Teil eine Detailstudie für dengenannten  Zeitraum einer Region in Kent (nicht gelesen).

Nicht auf Brenner orientierte Monographien:
Mark Overton: Agricultural Revolution in England. Cambridge University Press 1996 Sehr dicht, viel statistische Belege. „Standardwerk“.
Rosemary Hopcroft: Regions, Institutions, And Agrarian Change in European History. The Michigan University Press, Ann Arbor 1999 Introduction. Conclusion p.230ff
Eine institutions-ökonomische (iSv Douglas North) Vergleichsstudie für die gesamten massgeblichen Agrarregionen (D-GB-F-B-NL-S) bzgl. des Zshgs von regionalen Institutionen und Produktivitäts-Fortschritt.
Jane Whittle ed, Landlords and Peasants in Britain, 1440-1660. Tawneys „Agrarian Problem“ Revisited. The Boydell Press, Woodbridge 2013. hier:
Introduction, Conclusion von Whittle. Sehr gut auch 12. David Ormrod: Agrarian Capitalism and Merchant Capitalism: Tawney, Dobb, Brenner and Beyond
Bericht zum allgemeinen Stand der Forschung im Licht der Brenner-Debatte. Tawney’s „The Agrarian Problem in the Sixteenth Century“ (1912/Nachdruck New York 1967) ist der Klassiker schlechthin auf dem Gebiet der Agrar-Wirtschaftsgeschichte incl. der Behauptung, die Agrar-Revolution habe im 16.Jh stattgefunden), dazu auch s.u. Ende Punkt A.6. Tawney scheint auf den ersten Blick auch wesentlich der Darstellung bei Kuczynski (Gesellschaften im Untergang, 1984) zugrundezuliegen.
Craig Muldrew, Food Energy and the Creation of Industriousness. Work and Material Culture in Agrarian England 1550-1780 (Cambridge University Press 2011)
gute Zusammenfassung „Conclusion“ p.319ff

ergänzend:
John Richards, The Unending Frontier: an Environmental History of The Early Modern World 2003
Richard Hoffmann, An Environmental History of Medieval Europe Cambridge University Press 2014
((für die europäische Antike: J. Donald Hughes, Pan’s Travail: Environmental Problems of the Ancient Greeks and Romans (1994) ))
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A. Zum Gesamteindruck vor und nach dieser Lektüre
1 Die erste Feststellung, von der alles andre seinen Ausgang nimmt, ist: Wir haben es mit einer Art Fraktalstruktur zu tun; jedesmal, wenn man irgendwo genauer draufschaut, entdeckt man Analyse-Ebenen, die ebensoviel Stoff-Umfang und Reflexions-Anforderungen aufweisen wie die nächsthöhere Ebene, von der ausgehend man fokussieren wollte; die Anforderungen potenzieren sich quasi jedesmal.
Daraus ergibt sich so etwas wie eine Unschärfe-Relation, die für die Gesamtbetrachtung durchaus relevant ist: Je mehr ZUSAMMENHÄNGE in Betracht gezogen werden, desto grösser ist die Anfälligkeit für Bestreitbarkeit der Thesen aus Sicht der nächsttieferen Ebene. Das KÖNNTE auf lange Sicht behebbar sein, wenn wieder und wieder und wieder hin und her gegangen würde, und das Bild auf den obersten Ebenen immer mehr verfeinert würde. Man kann sich das freilich nur vorstellen, wenn die Arbeitsweisen der Historiker sich radikal in Richtung Interdisziplinarität und Inter-Regionalität ändern würden. Und… wenn der Gesamtaufwand auch nur für DIESES Feld der Gesamt-Geschichts-Forschung massiv ausgeweitet würde. Es gibt aber noch so viele solcher Felder…
MaW Die Aufgabe ist unlösbar.
((Auch dieses mein Referat und darauf beruhende Überlegungen sind auf einer „Überblicks“-Ebene angesiedelt, die ich nur betreten kann, weil ich mir aufgrund meiner Lektüre ein „Bild“ gemacht habe; die „Belege“ für das Behauptete bestehen in Beispielen, die zu verlängern wären, aber das Ausmass ihrer Verlängerbarkeit oder Repräsentativität bereits ist nicht mehr darstellbar.))

2 Die „Marxisten“ bereits haben eine Fülle an Theorien und Deutungen (mitsamt zu diskutierenden Belegen) produziert; das zeigen die Referate von Dimmock. Hopcroft steht für den „bürgerlichen“ institutionen-historischen Ansatz der 90er; Whittle trägt die Ergebnisse „exemplarischer“ Regionalstudien in England, meist jeweils ca 100-200 Jahres-Zeiträume überdeckend, zusammen (insgesamt ist, wenn Ausgangspunkte im Hochmittelalter einerseits, und das 19.Jh andererseits berücksichtigt werden, ein Zeitraum von 1200-1900 zu betrachten; und das ist, wie sich im Detail immer wieder zeigt, keinesfalls übertrieben).
Overton (oder Ormrod, in Whittle) führt in Diagrammen übersichtlich statistische Ergebnisse zusammen, die in mühsamen Detailstudien über relevante Grössen (Bevölkerung, Flächengrössen, Anteile der Pachtformen an der bearbeiteten Gesamtfläche, aufgeschlüsselt nach Counties, Marktpreise für Agrargüter, Löhne, Pachten) für all die Jahrhunderte, erschlossen wurden. Eine unglaubliche Masse an Arbeit steckt darin; aber zugleich ist bekannt, dass es sich oft genug nur um die regionalen Entwicklungen handelt, die Global-Statistik etwa für Gesamt-England kann oft nur geschätzt werden.
Zugleich erfährt man: Es gibt eine ganze riesige Abteilung der Agrargeschichte, die den ironischen Titel „Ploughs and Cows“ trägt; dort werden die agrarTECHNISCHEN Aspekte der Entwicklung betrachtet.
Die können die Untersucher der Sozialgeschichte nur ihrerseits als Laien rezipieren. (Dass es hier zu eklatanten Divergenzen kommen kann, zeigt Overton in einer Nebenbemerkung seiner Einleitung: Der einzige neue Autor (nach Tawney, der dasselbe behauptete), der die wesentlichen Schritte der „Agrarrevolution“ im 16.Jh stattfinden sieht, ist Eric Kerridge; Overton merkt an, dass dieser Sichtweise die überwältigende Mehrheit der andern Forscher (mit gutem Grund; er belegt das in Details) widerspricht. Aber Kerridge ist der Autor, von dem Brenner (wie in Belegstellen deutlich wird) seine Urteile über die verfrühte Agrarrevolution bezogen hat.)
Die Geschichte der Rechtsformen, Flächengrössen, deren Auswirkungen auf die Produktivtiät, Abhängigkeit von Märkten und Marktpreisen, Stadtentwicklung, Ex- und Importe, dazu die der Ereignisgeschichte (Kriege, Besteuerung infolge solcher), das Armenrecht (der Wohlfahrtsstaat), die Sozialgeschichte einzelner Schichten, Technikgeschichte, Geschichte einzelner Produkt-Sorten/Industrien/Standorte, Verkehrsbeziehungen – alles greift ineinander – unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der „Wirtschaftsgeschichte“ allein; aber für JEDE der genannten Disziplinen ist beinah jede andere eine „Nachbardisziplin“, auf deren vielfältig verworrenen und widersprüchlichen, uU auch unvollständigen Ergebnisse man ohne Prüfung zurückgreifen muss, um die Rückwirkungen auf die eigenen Themen halbwegs dingfest machen zu können.

3 Die formulierten Thesen hängen extrem stark von terminologischen Regelungen ab, die keineswegs kanonisch fixiert sind, so dass Autorinnen verschiedner Disziplinen darauf einheitlich zugreifen oder in einen Dialog treten könnten. Es gibt zB mindestens fünf Begriffe (besser: Gruppen von Begriffen) von landwirtschaftlicher Produktivität bzw Indikatoren für deren „Steigerung“, die auseinanderzuhalten sind:
a. die Ertragsteigerung pro Gesamtfläche durch Erweiterung der überhaupt genutzten (und nutzbaren) Fläche;
b. die Ertragssteigerung pro Fläche und Zeit durch Intensivierung des Anbaus zB Verkürzung von Brachezeiten, Anbau von Zwischenfrüchten;
c. Ertragssteigerungen pro Fläche und Zeit durch das gewählte Anbausystem, zB Sortenwahl. Bodenamelioration, Pferde statt Ochsen als Zugtiere usw;
a-c. Indirektes Mass für absolute Ertragssteigerung ist die Erwirtschaftung von exportierbaren Überschüssen (Probleme mit der Ermittluing dieser Grösse s.u.)
d. allgemeine Kostensenkungen bei gleichem Ertrag, etwa durch optimale Betriebsgrössen (Skalenvorteile) sowie technische Geräte zur Steigerung der Faktor-Effizienz;
e. speziell Steigerungen der Arbeitsproduktivität und Einsparung von Arbeitskräften (deren Freisetzung und Beschäftigung in andern Wirtschaftszweigen).
(Es kann zu paradoxen Formulierungen kommen, wenn dies nicht auseinandergehalten wird; zB gibt es massive Ertragssteigerungen durch Bodenamelioration, die vermehrten Arbeitseinsatz pro Fläche bedeuten; die Flächen-Produktivität steigt, die Arbeits-Produktivität pro Fläche sinkt dabei. So zB die globale Tendenz in der „hochproduktiven“ flandrischen klein-bäuerlichen Landwirtschaft des Spätmittelalters).
Ähnliches gilt für die Terminologien bei Rechtsformen sowie die damit implizierten Status-Zuschreibungen der jeweiligen Rechte-Inhaber (gentry und landlords als ihrerseits Pächter und Inhaber von „customary tenures“, die Prozesse gegen „ihre“ landlords austragen); oder Anbausysteme („in jedem Dorf ein anderes“: Anpassung an lokale Besonderheiten); Wechsel der Anbausysteme (zB „produktiverer“ Anbau mit Klee und Futterrüben als Zwischenfrüchten entfaltet seine Wirkung eher auf den leichten Böden im Nordosten, die vorher gegenüber den Kalk-Lehmböden des Südens und Südostens benachteiligt waren).

4 Im engeren Sinn bereits theoretischer Natur sind Annahmen über Kausal-Zusammenhänge, die einzelne leichter bestimmbare Grössen und ihre Entwicklung heranziehen als indirekte Indikatoren für schwer feststellbare Bewegungen der diese Grössen beeinflussenden Faktoren. Das herausragende Beispiel hierfür ist die Verwendung der Entwicklung der Gesamt- und des Verhältnisses Land/Stadtbevölkerung als Indikator für „landwirtschaftliche Produktivität“ (undifferenziert nach a-e). Derartige Argumentationsfiguren findet man zB bei Wood. Die Bevölkerungsentwicklung in England wird aber verfälscht durch die Auswanderung; die Landbevölkerung ist über weite Strecken nicht identisch mit Agrarproduzenten (bis weit ins 19.Jh hinein waren „Fabriken“ eine Ausnahme; „Industrie“, etwa Textilindustrie, war lange Zeit ländliche Hausindustrie, organisiert im Verlagssystem. Die in Frankreich auf dem Land verbleibende „Reservebevölkerung“ (die Männer werden da zB für die Armee rekrutiert) ist nicht unbedingt NÖTIG für die Feldarbeit, ihre Zahl sagt also nichts über die tatsächliche Arbeitsproduktivität. Das Agrarprodukt in Frankreich muss etwa unter Ludwig XIV. eine extrem aufwendige Kriegführung ermöglicht haben, die Steuerleistung der frz. Bauern ist enorm. Dennoch werden diese Daten oft – wie etwa von Wood – NICHT als Indikator der „Produktivtiät“ der frz. Landwirtschaft herangezogen, von der es heisst: Fachleute hätten sie für im 18.Jh gleich hoch wie die englische gehalten, das könne aber nicht stimmen, weil der Anteil der englischen Stadtbevölkerung mit 40% (nur überboten von Holland mit 45%) soviel höher gewesen sei als auf dem Kontinent (F: 20%, D: 10%; auch in D speziell die Hausindustrie nicht zu vernachlässigen.). – Zur Produktivität der traditionellen frz. „bornierten“ Landwirtschaft, also der agrartechnischen Seite, eine Beurteilung des „grand old man“ der frz Agrarwissenschaft, André Voisin (Erforscher der Umtriebsweidesysteme): Traditionelle Weide-Methoden waren ausgeklügelt und lokalen Verhältnissen in beinah unüberbietbarer Weise optimal angepasst.).
Dazu kommt als weiteres Beispiel: Verhältnis Land/Stadtbevölkerung ist nicht immer und ohne weiteres gleichzusetzen mit „gut ernährter Stadtbevölkerung“ (Näheres dazu nur zu ermitteln über Anteile der Bezieher von Armenhilfe oder derer, die durch die Maschen des Versorgungssystems fielen – soweit es eines gab. Sterberate der Stadtbevölkerung grundsätzlich extrem.).
Abschätzung der Produktivität über die Höhe der „Malthus Decke“ (ceiling, check), ab der Hunger auftritt (auch bei guten Ernten) ist ein weiteres globales Datum zur Abschätzung landwirtschaftlicher Produktivität. Overton gibt diesen Wert in E als traditionell bei 5.5 Millionen liegend an, der wurde zuverlässig erst ab Mitte 18.Jh überschritten. (Aber Achtung: wie Craig Muldrew zeigt, war die Ernährungslage von Landarbeitern in der Zeit unmittelbar danach (1760er Jahre ff.) unerwartet gut (Kalorien und Zusammensetzung der Ernährung); Qualität nimmt dann in früh-industriellen Zeiten (ab 1800) dramatisch ab: Die Leute leben zwar, aber nicht mehr so lange, sind krankheitsanfälliger; Kartoffeln auf kleinen Gartengrundstücken angebaut oft einzige Nahrungsquelle (vgl Irland great famine 1848ff) usw). So anhaltender Abstieg zu Fehl- und Mangelernährung anhaltend bis zum 1.Weltkrieg!)

5 Grundsätzlich ist zu bemerken, dass so gut wie keines der beteiligten Konzepte bzw der „Conclusions“, soweit sie globale Aussagen machen, auf die tatsächlich zu erwägenden Einflussfaktoren in ihrer Gesamtheit zurückgreifen – die beobachteten Zusammenhänge sind somit IMMER nur solche zwischen zwei oder drei Parametern; speziell gilt das für die grossen vergleichenden Untersuchungen, die grosszügige ceteris paribus-Annahmen machen – „bei ansonsten „gleichen“ Ausgangsbedingungen sind die frz. Klaassenverhältnisse nach der Pest der einzige entscheidende Unterschied zu den englischen, die Unterschiede erklären sich dementsprechend daraus.“ – das war eine der meist-bestrittenen Thesen in Brenners Startaufsatz. Tatsächlich fand Brenner – allerdings 25 Jahre später – einen erheblich besseren Vergleichsansatz, und das war die beispiellos markt-orientierte Landwirtschaft eines Teils von Holland im 16.17.Jh sowie die ihrerseits beispiellos ertragreiche flandrische Landwirtschaft des späten Mittelalters (von der die meisten Methoden der späteren englischen Agrarrevolution stammten, dazu gleich mehr). DIESER Vergleich hatte nicht die Fragestellung: Warum kam es in England zum Agrarkapitalismus, und in Frankreich nicht? – darum, weil genau DIESE Entwicklung (und unter wiederum ganz andern Voraussetzungen als in England, die Brenner dementsprechend auch von den Kollegen um die Ohren gehauen worden waren) in beiden Teilen der Niederlande auch absolviert worden war: In Flandern/Brabant ebenso wie in Holland gab es Agrarkapitalismus, jedesmal unter ganz andern Voraussetzungen entstanden (die Gemeinsamkeiten aller drei – europäischen – Fälle (ob es wirklich die einzigen waren, bleibt zu erörtern) sind dann wiederum von Interesse. Die Frage war dann, warum dort auf dieser Grundlage kein Übergang in eine Industrialisierung stattgefunden hat. Brenner fand darauf sogar eine Antwort – eine triviale: Die englische Variante des Agrarkap. ging nicht einher mit einer Import-Abhängigkeit beim Getreide, erstreckte sich also auf ALLE Güter (aber das galt für Flandern auch); und eine weniger triviale: Die englische städtische (Gemeinsamkeit mit Holland) wie vor allem die ländliche (Gemeinsamkeit mit Flandern) Konsumgüter-INDUSTRIE produzierte für den heimischen Markt, und zwar den der breiten Bevölkerung – also nicht NUR Luxusgüter, womöglich für europaweiten Export. DAS war das Alleinstellungsmerkmal des englischen Kapitalismus bereits VOR Beginn der Industriellen Revolution. Belegbeispiel: Im 15.16.Jh. betrug der WERT des exportierten Gesamtprodukts von in Textilien verarbeiteter Schafwolle das ca 1,5fache des in England selbst abgesetzten. Dennoch wurde die weit überwiegende MASSE der englischen Schafwolle im nationalen Rahmen abgesetzt, Grund: Die Exportgüter waren teure Luxuswaren, wohingegen die für den einhemischen Markt (womöglich fertigungs-nahe, regional) produzierten Woll-Textilien billig waren und für die Bevölkerungsmasse erschwinglich. (Interessante aber für mich nicht beantwortbare Fragestellung: was beeinflusste den Woll-Preis mehr? Englische Wollpreise stiegen bis ca 1650, das war ein „Markt“-Motiv für die Wahl der Wirtschaftsweise (Getreide vs Schafweide) – zumindest der marktorientierten Betriebe; davon hing wesentlich auch der Getreidepreis ab: Weide konkurrierte mit Getreideanbaufläche. In der 2.Hälfte 17.Jh. steigen die Getreidepreise zunächst wg des 2.“Malthus-Checks“ (Bevölkerungsanstieg) ca 1660, dann „entspannt“ sich das Verhältnis Getreideangebot/Nachfrage (Getreideanbaufläche wächst), auch wenn die Preise zunächst hoch bleiben: Eines der wenigen Beispiele, die nun wiederum Wood heranzieht, um die grossartige Produktivität der bereits „kapitalistischen“ Landwirtschaft Englands zu belegen, ist die Tatsache, dass Ende des 17:Jh England „sogar“ Getreide exportiert, also Überschuss hat. Was sie nicht bedenkt: Export kann mit Hunger einhergehen, wenn die vorhandene Nachfrage von Hungernden nicht zahlungsfähig ist (dramatisch so: Irlands Bevölkerung hungert, Landlords bestehen auf Pachtzahlungen und transportieren das Getreide aus dem Land ab für den Auslandsmarkt und zur Einhaltung von Lieferkontrakten). Derartiges gibt es in England aber nicht wg des zu dieser Zeit halbwegs funktionierenden Wohlfahrtsstaates (Patriquin) (Altes Armengesetz). Die Exporte sind vielmehr staatlich subventioniert und haben den beabsichtigten Effekt, eine (ständig über den Bedarf hinausgehende, also höher geschobene) nationale Ernährungsreserve zu bilden. Von all dem weiss Wood nichts. Kein Wunder, dass die eigentlichen Forscher bzgl Produktivität, dafür steht Overton, solche spektakulären „Erfolge“ für das 17.Jh. nicht zu berichten wissen – der Anstieg der Getreideproduktion verdankt sich wesentlich der Ausweitung des Anteils der Anbaufläche an der Gesamtfläche UND der Ausweitung dieser Gesamtfläche um Ödland (das aus bestimmten Gründen nach seiner Kultivierung erstmal ertragreicher ist). Soviel zum Thema „Indikatoren“, wenn man die Zusammenhänge nicht kennt… Ohne die hat es natürlich keinen Sinn, „Belege“ in Form von Masszahlen bei einzelnen Autoren zu nennen (wo auch gefragt werden kann, wie verlässlich die sind: Ob Schätzungen, Hochrechnungen aus Einzelregionen, mit zulässigen oder doch eher windigen Prämissen…).

6 Es ist ein bisschen wie immer mit wissenschaftlichen Sensationen oder zumindest umstrittenen und bestreitbaren Thesen: Sie enthalten – natürlich – einen korrekten Kern; aber der für sich ist nicht so beeindruckend. Und dann kommen die schrillen Überhöhungen; die sich aber bei näherer Betrachtung erweisen als Geflecht von rhetorischen Übertreibungen (zB Früh-Datierungen der GESAMT-Entwickung zu den Zeiten, in denen die ersten Schritte/Phasen/Vorkommnisse eines lang sich hinziehenden Verlaufs stattfanden), ausgelassenen Einflussgrössen, bestreibaren Prämissen und Interpretationen (va ceteris-paribus-Behauptungen in Vergleichen), terminologischen Unschärfen („Produktivität gesteigert“) und schliesslich schlichten Fehlinformationen. Ein weites Feld für die Debatte (und eine Qual bei der Lektüre, etwa im Sammelband Brenner-Debate; eine studentische Rezensentin des Sammelbandes im Portal „good read“ (Laien-Rezensionen wissenschaftlicher Bücher) brachte es auf den Punkt: als würden Taube aufeinander einbrüllen. Es war ihre Weise, die sichtlichen Inkongruenzen, man könnte sagen: die Inkommensurabilität der in Betracht gezogenen und zu Thesen zusammengekitteten (wohlwollend: verdichteten) (Teil)Zusammenhänge der beteiligten Autoren auf den Begriff zu bringen. (Ein Beispiel dafür ist Coopers („In Search of Agrarian Capitalism“, p.138-191 des Brenner debate Sammelbandes) mit unendlicher Mühe erstellter Nach-Vollzug (auf Basis der ihm ca 1983 in der Literatur verfügbaren Kenntnisse) des Brenner-Vergleichs zwischen England und Frankreich (Brenner ging darauf glaube ich in einer oder zwei Anmerkungen, mehr nicht, ein). Im Verlauf kommt er zu einer Schlusspointe, die eigentlich durchaus vergleichbar spektakulär (wenn auch historisch nicht so weitreichend) ist wie Brenners These: Mit „Land“ hätten Investoren aus der Stadt (von denen es ab dem 15.Jh reichlich gab; incl. wohlhabende „tenants“, die die „entry fines“ zum Beginn der oft langfristigen customary tenures erlegen konnten, und öfter an „Smallholders“ unter-verpachteten) kaum je Geld verdienen können – die vergleichsweise geringen kommerziellen Profite auf dem Land seien aufzuwiegen gegen immaterielle Werte für „bürgerliche“ und gentry/landlord-Investoren: Landbesitz (dessen Ausdehnung) für Prestige und „authority“; am andern Ende der Leiter (hier wieder wie in Frankreich): Festhalten am Landbesitz bis runter zum kleinen Kartoffel-Cottage-Gärtchen, um Selbstversorger bleiben zu können (darum Bereitschaft, dafür überhöhte Pachten zahlen: Also nicht „steigende Produktivität“ als Grund für hohe Pachten!). Bei den „evictions“, dem „Vertreiben“ bedürftiger Pächter vom Land, kommt heraus, dass es oft nur „die Letzten eines Dorfes“ waren, die auf DIESE Weise (mit illegalen Methoden; es gab im Tudor age staatlichen Schutz gg enclosure-Folgen) zur Aufgabe gezwungen wurden, davor waren viele freiwillig weg, oder gegen Prämien usw. (Das Motiv in der frühen enclosure-Hochphase, also 1480-1520/50, war: Arbeitslöhne waren infolge Pest-Bevölkerungsrückgang (Folgen setzten in England angeblich verzögert ein) extrem hoch; Landlords, die aus ihren Domänen (ca ein Drittel der Gesamtfläche) Geld schlagen wollten, gingen angesichts florierender Wollindustrie zu Schafweide über (das ist der von Marx erwähnte Fall). Immerhin war bereits 1550 45% der (überhaupt genutzten) Gesamtfläche „enclosed“, also zu Privatbesitz erklärt, und damit (vorübergehend) der openfield- (eine kollektive Bewirtschaftungsform) und Commons- (eine Form der Berechtigung) Nutzung tendenziell entzogen; das konnte dann auch wieder (zumindest was openfield-Teilnahme anlangt) rückgängig gemacht werden, bzw späterer Übergang zu Getreideanbau auf der zuvor enclosed Schafweide (pasture) sagt wiederum nichts über das Pacht-Regime: Auf lange Zeit hinaus waren „Markt-Pachten“ garnicht zu erzielen, und „Wucher“-Pachten gerade für Kleinpächter beruhten eben auch darauf, dass die an ihrer ländlichen Lebensform (incl Nebenjobs in der Heimindustrie) festhielten. Die Zusammenhänge zwischen enclosure, Bewirtschaftungsform, Rechten, Pachten, Betriebsgrössen, Kapitaleinsatz, Sozialstruktur, und daraus resultierender (oder eben ausbleibender) Produktivitäts-Steigerung (differenziert nach a-e) sind… KOMPLEX. Da passt nun Jane Whittles Resumé am Ende ihres Sammelbandes „Tawney revisited“, ich gebe mal den beinah gesamten letzten Absatz wieder:
„The emphasis on the blurred boundaries between different social groups and the slow rate of change over time might lead us to ask, as Tawney suggests: „What is the upshot of all? What are the main landmarks that stand out from the bewildering variety of scenery?“ Tawney attempted to argue simultaneously that change was gradual, but that an ‚agrarian revolution‘ took place in the sixteenth century. Having ditched any notion of a sixteenth-century agrarian revolution (denn das ist das derzeitige Urteil der Fachwelt!), what is left? The new history of rural Britain that is being written is perhaps less concerned with explaining the rise of capitalism or the causes of industrialisation. Instead, it focuses more on explaining how people negotiated the changes, economic, legal and political, that did take place. These changes both offered opportunities (!) and threatened livelihoods: they were not just economic trends, but the lived experience of millions of people.“
((Die College-Studenten bei goodread brachten diesen ernüchternden Befund im Zshg mit ihrer kollektiven Besprechung des Brenner Debate Sammelbandes („ein problematisches Buch zu einem wichtigen Thema“) ironisch so auf den Punkt: „Das Resultat ist, alles hat alles verursacht.“))

7 Tawney, Whittle, und ihre Leser, die Studenten: Wir alle, die direkt (als Quellen-Auswerter) und indirekt (als Beschreiber von Verläufen, als theoretische Deuter) auf das Material schauen, sind konfrontiert mit der „bewildering variety of scenery“. Dabei sehen wir über die Jahrzehnte, in denen die Forschung die speziell in England offenbar reichlich verfügbaren Quellen zusammenträgt, eine wachsende Fülle an Erklärungen, die zunächst einander auszuschliessen versuchen, und um die Position DER Erklärung DES Übergangs zum Kapitalismus oder der Entstehung DER Industrialisierung (oder DER Agrarrevolution) konkurrieren. Die Kette der so bereits besetzten Theorien wird dann von den später hinzukommenden Geschichtstheoretikern Position für Position abgearbeitet – am Ende, nach Aufdeckung der Unzulänglichkeiten der andern Verlaufsdeutungen, steht dann die eigne Erklärung – wie, etwa, bei Brenner; oder der Institutionen-Ökonomin Hopcroft. Aber schon die Studenten, in ihren schriftlichen Diskussionen über die Brenner debate, wundern sich, wieso es eigentlich nie in Betracht gezogen wird, dass ALLE bislang untersuchten Momente relevant sein könnten und zusammenwirken: Die Rolle der Städte (Urbanisierung), speziell der Handelsstädte, der städtischen und ländlichen Gewerbe/Manufakturen, der Austausch- und Ausbeutungsbeziehungen – europäisch und schliesslich im entstehenden „Weltsystem“; der vor-industriellen („Malthus-Checks“) und industriellen demographischen Zyklen; der bekannten und der eingesetzten Technologien, etwa in der Landwirtschaft, und der dadurch erzwungenen und/oder ermöglichten Lebensweisen; der Weltbilder; der Sozial- und Klassenstrukturen, ihrer Dynamik und Verwandlungen; die Entwicklung der staatlichen Institutionen; die der sonstigen materiellen Randbedingungen (Geographie; kleine Eiszeit, Seuchenzüge, Missernten usw); und die Dynamik des allgemeinen Geschichtsverlaufs, der Kriege, Entdeckungen, Erfindungen. Dimmock in SEINER Erörterung der (va marxianischen) Gegner von Brenner weist diesen „integrierenden“ Ansatz nachhaltig zurück. Tatsächlich hat er erstmal recht: Es KANN sein, dass es eine/zwei Haupt-Dynamiken gibt, die für sich und wesentlich DIE Ursache sind für eine beobachtbare und uns wesentlich erscheinende geschichtliche Bewegung; der Satz ist nicht aus prinzipiellen Erwägungen heraus zurückzuweisen: dass DER Kapitalismus infolge der Ausbildung des englischen Agrarkapitalismus entstanden ist; zumindest: dass er ERST infolgedessen entstanden ist. (Eine andre Frage ist: Ob Kapitalismus anders nicht entstehen kann/konnte, und sich, einmal, eben SO, entstanden, dann ohne weitere Zutat, „ausbreitete“ – oder ob es eine polyzentrische und mit andern Verläufen erklärbare Entstehung gibt, deren regionale Resultate schliesslich in einem kapitalistischen Weltsystem zusammenfliessen. Ob aber die Angabe DER Ursachen DES Kapitalismus IN England zugleich der Schlüssel für alle, alle massgeblichen Phänomene, zumindest alle „gesellschaftlichen“ ist (als „herrschende Elementarform“) – das ist wieder nicht einfach apriori zu entscheiden. Denn es könnte auch eine Mehr-Strängigkeit der Kulturentwicklung geben, derart dass das System der (Klassen)Organisation (Koordination) von arbeitsteiliger Produktion und Aneignung sowie ihrer politischen Verfasstheit und Verwaltung nicht einfach aus einem Guss ist, sondern diese Stränge mehr oder weniger prekär, einander hinderlich oder befördernd, zusammenwirken und -arbeiten. Und was ist überhaupt „ein“ Strang – was soll die übergreifende Gemeinsamkeit, der Entfaltungszusammenhang sein, der verschiedene Einzelstationen zu einem „Sinn machenden“ und „verstehbaren“, „erklärbaren“ Verlauf verknüpft – in den dann wieder andere solche Stränge, Bedingungen setzend, einschränkend, beschleunigend, hindernd MIT eingreifen (ohne doch für sich ausschlaggebend zu sein)?
Verknüpfung, Fördern, hemmen, Bedingen findet obendrein statt in der „lived experience of millions of people“: Im Leben jedes Einzelnen muss sich da was fügen; aber auch zwischen ihnen, und das eine zum andern (die Millionen Einzelleben) sich zusammenfinden mit denen, zu denen sie in („inter- und transpersonalen“) Beziehungen stehen). Was WIR sehen, kann den Beteiligten bewusst sein, oder gar ihren Absichten entsprechen – Bewusstsein und Absichten können aber auch weit von dem abweichen, was WIR zu sehen glauben: Die Akteure wissen nicht, was sie tun (aber sie tun es); WIR hingegen wissen es. Wirklich?

8 Einer der wichtigsten Verzerrungsfaktoren in historischen Betrachtungen klingt in Whittles Formulierung „lived experience“ an: GESELLSCHAFTLICHE Entwicklungen sind – zeitgleich, „synchron“ – für die Zeitgenossen nur wahrnehmbar, wenn aufmerksamkeits-erregende Aspekte (das müssen nicht die „eigentlichen“ sein) „gehäuft“ vorkommen (das war in der 1.Hälfte des 16.Jh der Fall mit „enclosures“; sie waren aber auch wiederum nicht SO aufsehenerregend, dass sie etwa in „Ketts Rebellion“ mehr dargestellt hätten als eine in einer längeren Liste von Beschwerden.). Wie aber erst, wenn diachrone Verläufe sollen „erfahren“ werden können? Natürlich: Wenn sie einschneidend sind, und eine längere „Vorgeschichte“ (die man dann aber kennen muss) „darauf“ zuläuft – dann werden sie auch „erfahren“. Aber fast immer verteilt sich die Erfahrung eines „Bruchs“ auf zwei oder drei aufeinander folgende Generationen: Die einen erleben Verlust, die andern… finden sich in einer „Normalität wieder, die allenfalls kontrastiert mit einer andersgearteten Vergangenheit – WENN denn die Erinnerung daran aufrechterhalten wird; was selten der Fall ist. Erinnerungen werden nicht deutungsunabhängig abgespeichert, sodass sie einer nachträglichen Neu-Einordnung leicht zugänglich sind: Der Charakter des neuen Besitzers eines Manor mag für Betroffene viel eindrücklicher gewesen sein als die Tatsache, dass da jemand „markt-orientiert“ operieren muss, um ein standesgemässes (steht er in der Hinsicht unter Zwängen?) Einkommen zu erzielen. – Zum Problem der Organisation transpersonaler hinzu kommt also die Organisation trans-biographischer Beziehungen (und die kann man dann gern mit den „meta-personalen“ in bennis Terminologie identifizieren). Problem: Weil „lived experience“ der Ort der Ver- und Bearbeitung JEDEN Wissensdatums ist, das über diese beiden Beziehungsweisen von einzelnen erworben werden kann (aktiv, interessiert; oder passiv, durch Widerfahren/Erleben). Die Frage ist dann, wie aus einer derart begrenzten Perspektive (Verarbeitungskapazität) sich je soll ein „Sich den gesellschaftlichen Zusammenhangs Unterordnen“, oder gar ein Machen von Geschichte, ein Planen des Fortschritts, ergeben können – noch dazu ein kollektives und zwangfrei im Konsens entworfenes und abgesprochenes.
In all der „bewildering variety of scenery“ von früheren Entwicklungen, zulaufend auf früher bereits wahrnehmbare (heute vergangene) „Ereignisse“, gibt es aber einen Fixpunkt, auf den alles zuläuft, nämlich UNSERE (jeweilige) Gegenwart, vorläufiger Endpunkt aller (bisherigen) Entwicklung. Hier und jetzt ist es, dass wir gelernt haben wollen und Konsequenzen ziehen aus dem, was uns berichtet vorliegt: vergangene „Ereignisse“, Sachverhalte/Zustände, auslösbare Dispositionen, vergangene Gegenwarten also, auf die in vergleichbarer Weise vieles zulief (andres auch, sie nicht tangierend, neben ihnen her).
All das wirft die Frage auf, wie eigentlich „korrekte“ Erklärungen historischer Verhältnisse und Verläufe überhaupt aussehen, und ob es dazu Verbindliches zu sagen gibt – solches, das dann eben auch verbindliche Bewertungen vorhandener Erklärungen zulässt – indem deren Geltungs-Anspruch bestätigt oder mit guten Gründen zurückgewiesen wird.
Nicht zuletzt ist es die Frage, wie die Geschichte, die unglaublich detailreiche, und zugleich unglaublich lückenhaft überlieferte, in UNSERE „lived experience“ passt. Ist da überhaupt Platz für soviel Vergangenheit?
Dieser Frage möchte ich mich jetzt zuwenden.

B. Bemerkungen zur Geschichtstheorie
(eine frühere Version dieses Textes wurde an Annette geschickt)
1 Es geht also nun um die spezifisch unterschiedlichen Anforderungen, denen sich die Geschichtswissenschaft in ihrer Gesamtheit ieS zu stellen hat, gerade auch vonseiten der an ihr aus guten Gründen interessierten Laien, also uns. Nach der einen Seite soll sie ermitteln, was sich überhaupt mit welchem (Un)Gewissheitsgrad wissen lässt, das ist das Kleinklein der Quellen- und Spurensucher. Nach der andern Seite aber soll sie historische Abteilung der Sozial- und Kulturwissenschaften sein, und ERKLÄRUNGEN liefern, Aussagen darüber, was als wie zu Verstehendes wo warum (bedingt) (nicht) notwendig bzw. (nicht) möglich war. Erklärungsbedürftig am Handeln der vor uns Lebenden und seinen Bedingungen ist für uns vieles, darum weil wir es auf Anhieb nicht verstehen (schon das wie; aber eben auch nicht das warum); genau für solches über unsern Horizont hinausgehendes Verständnis sind meist neue theoretische Begriffe nötig (im besten Fall sind es die geklärten und verstandenen Begriffe und Prinzipien/Regeln, mit denen die Akteure selbst ihr Handeln begründet haben – zusammen mit dem Verständnis dafür, was daran mangelhaft war, warum der Mangel vorübergehend un- odre schwer vermeidlich, aber eben auch (und unter welchen Bedinguuggen) überwindbar war).
Diese Begriffe sind speziell für Transformationstheorien darum so lehrreich (wenn auch niemals hinreichend), weil sie horizont-übergreifend gebildet sind: Aktuelle Entwicklungslinien werden nach rückwärts verlängert, und heben sich so oft erst zur begrifflichen Klarheit heraus. Die Frage nach dem rechtfertigenden Grund der Abgrenzung der Gegenwart als „Epoche“ ist eigentlich die nach dem, was diese „unsre“ Zeit wesentlich ausmacht; die nach dem letzten Epochenübergang fragt banalerweise vor allem danach, was hinzukommen musste, derart dass „wir“ uns von dem, was davor („feudal“?) wesentlich war, unterscheiden.
Die Dreifachbedeutung des Aufhebens lässt sich so Übergang für Übergang nach „rückwärts“ anwenden: Bruch, Kontinuität und „Höherentwickung“ verbinden sich da jedesmal auf eine, womöglich epochenspezifisch einzigartige Weise.

2 Die grosse Schwierigkeit in allen Erklärungen von HANDELN (warum es stattfand) ist: dass es zweierlei Domänen von (bedingt)(un)möglich bzw (nicht) notwendig aufweist.
– Die eine ist die der engen und weiten Handlungsspielräume. „Enge“ des Spielraums hat dabei drei Dimensionen:
a. Erzwingung einer Handlung oder Unterlassung durch glaubwürdig drohende und im Rahmen gegebner Mittel und Päne nicht abwendbarer Konsequenzen im gegenteiligen Fall,
b. die Handlung (hier präzise: erfolgreiche Realisierung eines Ziels) hängt von genauer Beachtung zahlloser Bedingungen und Erfüllung von Anforderungen ab;
c. weder a noch b, aber das überhaupt zu tun Mögliche ist auf extrem wenige Alternativen eingeschränkt.
Freiheit und Weite des Spielraums hat dem entsprechend drei Ausprägungen: Ausmass der Erzwungenheit – der Gestaltungsfreiheit – der Vielfalt der auszuproboerenden Entwufs-Möglichkeiten.
– Die zweite Domäne ist die der Sinn- oder „Verstehbarkeits“-Anforderungen, und auch die haben eine starke Bedingtheits-Komponente: Ansonsten Unverständliches ist unter DIESEN Umständen erklärlich.
Eine starke sozialwissenschaftliche Theorie hift uns Bedingtheiten der ersten Art zu registrieren ud einzuordnen, also Enge und Weite von Handlungsmöglichkeiten von Akteuren.
Die allgemeinen Verstehbarkeits-Anforderungen hingegen werden von Sozialwissenschaftlern (speziell den Historikern unter ihnen) nicht qua Fach-Expertise bearbeitet. Da es hier um Handeln, auch Zusammenhandeln („Interagieren“) von Einzelpersonen, unter Umständen Massen von ihnen (womöglich noch über Generationenfolgen von solchen hinweg) geht, streiten sich hier diverse Abteilungen der theoretischen Anthropologie (Theorie der Psychologie/Ökonomie/Soziologie/Rechts+Politik/Sprach/Kulturwissenschaft) um das Verhältnis ihrer Gegenstände; entschieden werden solche Debatten, wenn überhaupt je, nur unter Zuhilfenahme philosophischer Überlegungen zu KATEGORIEN und ihren Zusammenhängen.

3 Erklären (auch jemandem die eignen Beweggründe) ist eigentlich Nachvollzug des Entscheidens und der massgeblichen Gründe (die meisten davon wohl eher implizit).
Wir sind insofern nicht nur Selbst-Erklärer, Psychologen unserer selbst (eine nicht unwichtige psychologische Theorie reflektiert dies: die Attributionstheorie von Kelly); sondern ebenso Mikro- und MakroSoziologen, und mit der nötigen Bildung Geschichtstheoretiker und eben sogar Philosophen. Und wir stellen uns kritisch oder zustimmend zu den einschlägigen Erklärungen der andern, was uns und sie betrifft. Mit andern Worten, wir alle reden über uns alle und erklären uns einander wechselseitig. Und… nicht nur „uns“; sondern damit ganz wesentlich auch unsere Einschätzungen, Hypothesen, Relevanz-Gesichtspunkte (Begriffssysteme), Werte, Vorstellungen davon, was rational ist und was nicht (sondern verrückt, unverständlich, nicht nachvollziehbar usw).

Dieser Begriff „rational“ (worin es besteht) als das für uns selbst unhintergehbare Maximum an Anerkennenswürdig-Gültigem (dessen Explikation wir uns freilich erarbeiten müssen) bestimmt auch unser Verhältnis zu historischen Handlungen; nicht nur, wenn wir sie vollkommen verständlich weil „unter gegebnen Bedingungen richtig (korrekt aus den gegebnen Gründen erschlossen/ durch sie begründet)“ finden, sondern gerade auch, wenn wir es besser wissen als die Akteure selbst (und das nicht erst im nachhinein, sondern eben auch dann, wenn wir uns auf den Standpunkt IHRER Erfahrung und IHRES Begriffshorizonts. also ihrer Handlungsspielräume, stellen): Wir können ihnen Fehl-Entscheidungen, Unaufmerksamkeit, Affekt-Beeinträchtigtheit usw zuschreiben.
Wir können es auch noch in anderer Hinsicht besser wissen: Die geschriebene Geschichte der historischen Berichterstatter ist nicht das letzte Wort; und das nicht nur bei reiner Quellenkritik (die schon einiges aufklären hilft, traditionelles Hilfsfach, wenn nicht gar im weiteren Sinn Haupt-Betätigungsfeld der KleinKlein-Historiker…). Sondern wir können ihre objektiven Handlungsspielräume womöglich durch unsre Wissenschaft (und hinterlassene Spuren) bisweilen besser bestimmen, als sie es selbst konnten.

4 Mit diesen Grenz-Theoriebildungen, nämlich:
– der gewussten objektiven Situation und überhaupt bestehenden Handlungsmöglichkeiten einerseits,
– der „objektiven“ (dh aus unserer Sicht intersubjektiv verbindlichen) Sinn-Anforderungen“, die etwas erfüllen muss, um überhaupt noch als Entscheiden und Handeln verstehbar zu sein (und sei es auch als affektiv, pathologisch usw eingeschränkt) andererseits,
ist ein RAUM an Erklärungs-Möglichkeiten eröffnet, den wir zunächst mit den Spuren (soweit zugänglich) der subjektiven Situation von Akteuren zu füllen suchen; wir können dann Erklärungen, mit diesen subjektiven Spuren kombinieren mit unserm Wissen (oder Mutmassungen) um objektive Randbedingungen. Oder aber wir können immer bedingtere aber sinnvolle „Anwendungen“, ausgehend von den allgemeinen Sinn-Anforderungen, konstruieren für bestimmte Typen historischer Situationen: Das sind die allgemeinen „geschichtsphilosophischen“ Verlaufsmuster, uU eingeschränkt auf bestimmte objektive Randbedingungsverläufe (das können vor allem auch objektive menschengemachte Situationen sein, etwa demografische Bewegungen, Zerstörungen, Umweltkatatsrophen und dergleichen). Eine starke Erklärung ist eine, wo die bekannten empirisch ermittelten historischen objektiven und subjektiven Situationen als Realisierungen bestimmter „theoretisch (aus den allgemeinen Sinn- also Handlungs-Bestimmungen) abgeleiteter“ Verlaufsmuster gedeutet werden können: Das ist dann die ERKLÄRUNG der Situation bzw des aus ihr Resultierenden, oder das Verständnis: das Handeln der Akteure wird verstanden. (Das ganze kann natürlich auch hypothetisch konstruiert werden, dann hat die Erklärung hypothetische Geltung: Wenn es tatsächlich SO gewesen sein sollte, dann wäre es aus denundden Gründen verständlich…)

5 Diesem Maximum von Verständnis gegenüber treten Theorien, deren Verwurzelung in jeder der beiden „Grenz-Domänen“ des überhaupt möglichen historischen Wissens schwächer ausgeprägt ist. Dabei können sie aber relative Geltung beanspruchen:
– Zum einen, wenn sie sich nahe an belegbaren Quellen (wenn auch wenig reflektiert, oder „naiv“, ad hoc, ohne Rückbesinnung auf theoretische Anforderungen an Erklärbarkeit, gedeuteten) bewegen: erzählende Geschichtsdarstellung;
– ODER aber, wenn sie als „Illustrationen“ von oder „Belege für“ erwartbare(n) Verlaufsmuster(n) auftreten, von denen letztlich aufgrund der Plausibilität und des scheinbaren Passens des unterstellten Musters auch erwartet wird, dass es „so auch tatsächlich gewesen ist“ (was aber im Detail dann immer auch erst wirklich nachzuweisen ist): interpretierende Darstellung von Geschichte/geschichtlichen Gegenständen als realisierungen eines vorab erwartbaren Musters.
In der wissenschaftlichen Literatur sind BEIDE Versionen nicht gerade selten vertreten; ihre relativen Defizite werden aber noch überboten durch ein weiteres Genre, das sich die Meriten der „starken“ (empirisch UND begrifflich validen) Erklärung anmasst bzw durch Tricks vortäuscht: das ist die „ideologische“ Form der Geschichtsschreibung und Geschichtstheorie, die eine vorgefasste und aus welchen Gründen immer gefällige Idee versucht für ein historisches Faktum auszugeben: Belegt wird es mit passenden Daten (ohne Erwähnung des Entgegenstehenden), und „erklärt“ mit den gefälligen Konstrukten, deren Anwendbarkeit und Relevanz sich an den Belegen erweisen soll.
In dieser, sehr häufig anzutreffenden Theoriegestalt geht es nun aber auch nicht um das Verstehen objektiver Handlungsspielräume (vor allem deren Einengung), oder subjektive solche (verstehbare Mängel), oder gar die Kombination aus beidem (zB Aussagen über wg subjektiver Ausfälle nicht genutzte objektive Möglichkeiten: schwer nachzuweisen! ausser „ex post“, wenn sie dann eben doch genutzt wurden: man fragt, woran es lag, dass das vorher versäumt wurde),
Stattdessen geht es diesen Theorien normalerweise um „Kritik“; und da genügt der Aufweis eines Handlungsmusters, bei dem fehlerhaft, defizient zustandegekommene Motive oder gar objektive Hindernisse, die dabei eine Rolle spielten, garnicht begriffen werden müssen: Die in den Masstäben der Kritiker enthaltenen Verurteilungen sollen, was immer es sonst auch für Motive geben mag, den Ausschlag geben für die Unterlassung des Kritisierten. Verstehen ist also garnicht nötig, nur Einsicht in die Verwerflichkeit, und die sprechen die Kritiker ja gerade aus – allein schon durch die Beschreibung des verwerflichen Geschehens, das so für sich selber sprechen soll.

6 Das eigentlich schlimme im bezug auf das historische Theoriebilden, Geschichts-Verstehen mit seiner Hilfe (also Theorie-Anwenden) ist, dass diese Art moralisch, kritisch, ideologisch motivierte Reflexion exakt den Platz besetzt (der ansonsten frei wäre und allen historisch Arbeitenden als ihr gemeinsames „Zielgebiet“ vor Auigen stünde), der durch das sorgfältige Einander-Entgegenarbeiten von historischen Empirikern (das Hin-und-Her zwischen Quellen/Spuren-aufarbeitendem KleinKlein und Übersichtsdarstellunegn, s.A1 oben) und Theoretikern (das Hin-und-Her zwischen philosophischen „Letzbegründungen“ und der Ausbildung von Sinn-Grenz-Kategorien in deren Rahmen sich halten muss, was überhaupt soll verstehbar sein) erst nach langen Vorarbeiten, wenn überhaupt, erreicht wird. Was durch die Existenz von anders motivierten historischen Arbeiten, die vermeintlich so relativ mühelos gelingen, aus meiner Warte verhindert wird, ist das Zustandekommen einer kategorial begründeten Vorstellung davon, was Erklären und Verstehen im Zusammenhang mit historischen Gegenständen eigentlich heisst.
Das Unbehagen von Leuten mit authentischem Interesse an Verstehen wird insofern abgelenkt, als sie vielleicht auf Anhieb die Defizite der „motivierten“ historischen Arbeiten bemerken, nämlich als Mängel nach der Tatsachenseite oder nach der der Kategorien, und sich in Abgrenzung gegen die „Ideologen“ zu einer einseitigen Bevorzugung eines der beiden Bestandteile verleiten lassen, obwohl sie doch zusammengehören. Es hilft dann beispielsweise wenig, sich auf und an Empirie orientieren zu wollen; die Daten (wenn denn korrekt erhoben; was schwer genug ist, soweit welche überliefert sind, was ja oft nur sehr lückenhaft und/oder punktuell der Fall ist) sprechen nämlich meist nicht für sich; und eine blosse „Verallgemeinerung“ ist oft nur die Vervielfachung der naiven Ausgangsurteile von unmittelbaren Datenauswertern (das ist oft die Schwäche derer, die mit den Quellen arbeiten. Mal abgesehen davon, dass es in der Geschichtswissenschaft mit der Interdisziplinarität auch nicht soweit her ist – nicht so, wie man es sich wünschen würde; was ja, wenn flächendeckend umgesetzt, auch einen monströsen Aufwand bedeuten würde: Archäo/Paläobotanik, Paläoklimatologie, Rekonstruktion der materiellen Kulturund ihrer vielfältigen Beeinträchtigungen (Seuchen, Missernten usw) usw).
Umgekehrt scheint mir der Zweifel an vormals unterstellten begrifflichen Hypothesen eher Anlass, die so entstandene Lücke mit verbesserten Begriffen zu füllen; man kommt da nun mal von einem anderen Ende her, und arbeitet auf die Empirie zu; Empirie allein (so sehr sie einem thematisch auch Anregungen liefern und beim Begriffebilden, also Fragenstellen (Fragen sind Begriffsanwendungen) auf die Sprünge helfen kann) kann diese Seite nicht ersetzen.
Die sehr dezidierten Thesen des „Politischen Marxismus“ hinsichtlich des (Agrar)Kapitalismus als Ursprungsform des Kapitalismus sind ein Beispiel für „belegendes“ Vorgehen mit Blick auf eine theoretisch schlecht fundierte politische Doktrin. Davon soll jetzt die Rede sein.

C. Die Position des „Politischen Marxismus“: Agrar-Kapitalismus als Urform von Kapitalismus und bürgerlicher Gesellschaft überhaupt

1 Dem „Politischen Marxismus“ sollte zunächst zugute gehalten werden, dass er gegen ein sich selbst marxistisch nennendes Paradigma an-argumentiert, für dessen rücksichtslose Durchführung gegen alle Fakten speziell Dimmock einiges sehr bestürzende Anschauungsmaterial liefert, das unter dem Titel Produktivkraft-Determinismus verbucht werden kann (dazu gehört, nebenbei, die (Fehl)Deutung des Englischen Bürgerkriegs als „bürgerliche Revolution“). Diese Errungenschaft verblasst leider, wenn sich herausstellt, dass eben dieser Politische Marxismus genau denselben Mangel aufweist; es ist der Mangel der Vereinseitigung (wie sich herausstellt, ist sich speziell Dimmock dieser Kritik sogar sehr bewusst, er nennt diesen Einwand „Pluralismus“).
Grob gesagt, geht die theoretische Bewegung so: Ausgehend von einem Modell, das seiner Betrachtung schlicht „Fortschritt“ im Kampf mit hindernden und zerstörerischen Natur-Gewalten, dazu zählen dann auch „Rückschrittlichkeit“, Krieg, „Armut“, Malthus’sche Bevölkerungsüberschüsse, unterlegt, käme als nächste Stufe eine in der sowohl marxistischen wie liberalen (Wirtschafts)Geschichtstheorie, die eine Parallel-Bewegung im, diesen Fortschritt organisierenden, verwaltenden, steuernden, sozialen „Überbau“ vorsieht, wobei die wesentliche Dynamik eine von fortschritts-hemmenden zu fortschritts-begünstigenden Vergesellschaftungsformen darstellt, und beide Entwicklungsdimensionen sich dann auch noch wechselseitig positiv oder negativ rück-koppeln, also ko-evolvieren. Die nächste Stufe ist dann die der ua. Politischen Marxisten, die plötzlich in der nicht-technischen Entwicklungsdimension Momente entdecken, die den GESAMTEN Entwicklungsprozess dominieren und am Ende, so die entwickeltste Form dieses Theorietyps, konstituieren: Klassen- und Feudalstaats-Strukturen bestimmen die Produktion, die im Kern Ausbeutung ist; die zentrale Qualität für die Bestimmung einer Vergesellschaftung sei daher die Art und Weise, wie das Mehrprodukt „extrahiert“ (und die Mehrarbeit der unmittelbaren Produzenten erzwungen) wird – mit „ausserökonomischer Gewalt“, oder aber „kapitalistisch“ – letzteres wird gleichgesetzt mit einer im wesentlichen „ökonomischen“ Weise dieser Extraktion.
Es ist garkeine weitere Begründung nötig, sondern wird einfach als unmittelbar aus der konstitutoven Rolle der Klassenverhältnisse erschlossen unterstellt, dass „Produktivitätswachstum“ und überhaupt Gestaltung der Produktion von den „Extractoren“ zur Steigerung ihrer Einkommen (also Profite, des Mehrprodukts) erzwungen wird; gegenüber den „traditionellen“ Marxisten ist somit das Verhältnis umgekehrt.
Und: Die Dynamik, die den Übergang von einer Extraktionsweise zur nächsten bewirkt, ist keine geplante, gemachte, sondern unbeabsichtigte Folge von Zuständen und Verhältnissen, in denen die jeweiligen Extractoren (besondert nur durch ihren je engeren Zusammenhang in einem „national“ definierten politischen Raum) nichts anderes tun, als ihrer „Bestimmung“ zu genügen und ihr Klasseninteresse, möglichst optimal, zu verfolgen – im Rahmen vorgefundener „Kräfteverhältnisse“. Irgendwo fängt das alles, nämlich die Betrachtung, an – mit „Ausgangsbedingungen“; es darf vermutet werden, dass deren Zustandekommen (abgesehen von Natur-Einwirkungen, die zufällig einmal auch die „Bedingungen“ einschlägig verändern) sich – rückwärts gehend – genau derselben Betätigung von Extraktoren-Interessen verdankt, wie der historisch nachgezeichnete Vorwärts-Verlauf.

2 Das Erstaunliche ist, dass die Pol.Marxisten ihre Kategorie einführen nicht als Ergänzunug zu den von ihnen für die Erklärung nicht hinreichend befundenen Momenten „zunehmende Waren/Marktförmigkeit, Marktabhängigkeit“ von immer mehr Güter- und Produktsorten, Standorten und Produzenten, sowie „demographische („Malthusianische“) Expansions- und Krisenzyklen“ (1.MalthusKrise frühes 14.Jh, 2.Krise ca 1660; 3.Krise um 1800). Ebensowenig halten sie Betrachtungen der Binnengliederung vor allem in den Nicht-Extraktoren-Gruppen der Bevölkerung für massgeblich – und das, obwohl Brenner als auch Dimmock als wesentliches Merkmal von Brenners Theorie im Vergleich zu andern (marxistischen) hervorheben, dass die Beziehungen innerhalb der beteiligten zwei feudalen Hauptklassen untersucht werden. Untersuchtg werden bezeichnenderweise nur ihre Inter- und Transaktionsformen (also ihre „Beziehungsformen“); nicht aber die Stellung wichtiger Gruppen in der sich wandelnden materiellen ReProduktion der englischen Gesellschaft – die Theorie betrachtet immerhin einen Zeitraum von grob 700 Jahren (1200-1900), und macht Aussagen über die Rückwirkungen auf den materiellen ReProduktionsprozess (Erklärung von „Agrarevolution(en“). – Auf diese Weise aber werden die Wandlungsprozesse im ReProduktionsaufbau nicht erwogen, die durch Marktplatz/Stadtgründung, Geld- als Ersatz für Naturalwirtschaft, Nebenerwerbs-Lohnarbeit auf dem Land, London als Zentralort und Grossstadt, Fernhandel, Kolonien, Welthandel, Edelmetalleinfuhr usw repräsentiert sind – oder das Resultat der Wechselwirkungen dieser Teilprozesse mit den mittel- und langfristigen Bevölkerungszahlen und -verteilungen:

3 Die allgemeinen Zusammenhänge auf der Ebene der materiellen ReProduktion sind so einfach, dass sie aus dem Stand heraus herzuleiten sind; wichtig dabei sind allerdings die Unterscheidungen, die in A.3 a-e gemacht wurden. – Grundlage aller Fortschritte über einen frühmittelalterlichen „Feudal“-zustand hinaus ist die Erwirtschaftung von Mehrerträgen jenseits des für Subsistenz der Nahrungsmittelproduzenten Nötigen Das „Mehr“ wird dabei bestritten aus Reserven an Arbeitszeit und -mitteln (Pfluggespanne, Saatgut usw), die in der relevanten Saison (mögliche Saat- und Erntetermine) überhaupt mobilisiert werden können, sowie aus denjenigen an verfügbarer Nutzfläche und der (nach Vorbereitung, zB Drainage ua nutzbar zu machenden) Areale der Gesamtfläche (physisch; oder definiert durch Rechtstitel).
(„Mehrproduktion“ ist immer eine Kategorie, die ein solches Reserven-Potential voraussetzt, mit einem Reproduktions-Minimum (Saatgut- und Arbeitskrafterhaltung) und einem Maximum (alle überhaupt nur verfügbare Fläche, Arbeitskraft, Arbeitsmittel eingesetzt; jenseits davon beginnt Mangel und Fehlernährung usw).
Produzenten von Spezialkulturen (Färbe-, Textilpflanzen; Wolle, Tierzucht), Handwerker, Tagelöhner und Heimindustriearbeiter, Hilfskräfte für Spitzen-Arbeitsbedarf, Stadtbewohner bauen oft zumindest einen Teil ihrer Nahrungsmittel selbst an (sie selbst oder Familienmitglieder).
Viel Potential verbindet sich mit der Verschlechterung der Ernährungsqualität: Craig Muldrew zeigt, wie sich der vor-industriell unerwartet gute Ernährungszustand speziell der Landarbeiter (später auch der Industriearbeiter) ab 1800 kontinuierlich bis ins 20.Jh. hinein verschlechtert – ausgerechnet zur Zeit der „eigentlichen“ Agrarrevolution (bei Marx als Thema die Lebensmittel-Betrugs-Fälle aus Kostensenkungsmotiven in den Industriestädten). .
Die EXTENSIVE Steigerung der Erträge und damit des Potentials für nicht in der Landwirtschaft verausgabte Arbeitskraft (ernährt durch agrarisches Mehrprodukt) hat ihre Grenze an der überhaupt mit traditionellen Methoden irgend für Erzeugung benötigter (!) Nahrungsmittel nutzbaren Fläche (also va Getreide; man kann potentielle Ackerflächen als Weide nutzen, das Umgekehrte gilt sehr oft nicht – nicht ohne Intensiv-Kulturmassnahmen: Beispiel Norfolk); genau das ist dann die Grenze für eine Malthus-Krise wie in der 1.Hälfte des 14.Jh. Die mit diesem Maximum an Flächennutzung ernährbare Bevölkerung Englands (ohne Wales) betrug 5.5 Millionen, jenseits davon trat Hunger und Fehlernährung auf. Umgekehrt heisst das: Bei geringerer Bevölkerungszahl und Flächennutzung werden Erträge vorrangig über Ausweitung der Anbaufläche erreicht. Es besteht zunächst kein Bedarf nach INTENSIV-Methoden der Flächenertragssteigerung, die dann aber vor-(agrar)industriell zugleich arbeitsintensiv sind.
Man kann die Mitwirkung von landwirtschaftlichen Nebenerwerbs-Arbeitskräften bei ihrer eigenen Versorgung und in Spitzenbedrafszeiten (als Hilfskräfte) als eine Form von Skalenertragssteigerung ansehen: Diese Arbeitskräfte werden „sowieso“ ernährt, können ihre Arbeitskraft aber für höhere Erträge zur Verfügung stellen. Was, nebenbei, bedeutet, dass sie auf dem Land wohnen bleiben.
Die Industrie, als Heim-Textilindustrie im Verlagssystem, beginnt im englischen Spätmittelalter (15.Jh) auf dem Land; und da bleibt sie noch lange angesiedelt bis ins 19.Jh hinein.
Die „Stadtbevölkerung“ überhaupt zu definieren, ist nicht einfach, denn die Personen, die definitiv NICHT einen Teil ihrer Nahrungsmittel anbauen, sind auch in kleinen Städten und kleinsten „Marktflecken“ anzutreffen; ebenso aber gärtnernde Tagelöhner mit Kuh usw die auf der Commons-Weide mit durchgefüttert wird, oder diejenigen, die auf kleinsten Stücken Kartoffeln anbauen (ab da, als es sie gab) – wo auch immer: Schrebergärtner avant la lettre.

4 Wir haben also eine säkulare Bewegung, die wir als solche identifizieren können vor allem durch das, worauf sie zuläuft; derart dass wir Vorgänge in der Vergangenheit als „Vorstufen, Stadien eines Prozesses, Einzelschritte, die sich zu einem Ganzen addieren“ identifizieren können, was so für die wenigsten, wenn überhaupt welche unter den Zeitgenossen, erkennbar war; und das selbst dann, wenn sich die Vorwärts-Bewegung phasenweise beschleunigte und/oder mit dem Zeitgeist vereinbaren, ja sogar aus ihm ableiten liess: Improvement als Wert und Selbstzweck. – Was an der Entwicklungs-Dimension Produktivitäts-Fortschritt zu bemerken ist, lässt sich ebenso bei anderen Emtwicklungsdimensionen, als Elementen einer Brenner/Wood-artigen „Erklärung“ der historischen Entwicklung, feststellen:
Etwa der Wandlung der Pachtformen; wo ursprünglich, im (früh/hoch)mittelalterlichen Zustand, eine und nur eine Sozial-Statusform existierte, sehen wir mit der Zeit sich überlagernde Positionen und Verhältnisse, die ein und dieselbe Person einnehmen kann:
(1) Sie ist Pächter in einer traditions-gebundenen=customary tenure-Stelle,
(2) sie hat das Interesse, die Vorteile des „customary“-Status zu erhalten,
(3) prozessiert womöglich unter Ausnutzung entsprechender (tenant-freundlicher) Rechte gegen Änderungen,
(4) gehört zur gentry oder ist selbst anderswo Gutsbesitzer.
Mit (1) war zuvor (2)-(4) als „Klassenposition“ festgeschrieben (es war klar, dass solche Pächter nicht prozessieren konnten, und Widerstand eher als Dorfgemeinschaft leisteten).
Soziale Eindeutigkeit fasert hier gewissermassen auf, „differenziert sich“; aber aus dieser heterogenen Vielfalt von auf verschiedenste Weise nutzbaren, mit diversen Lebensentwürfen vereinbaren Ausgangslagen und Verläufen können wieder neue Eindeutigkeiten entstehen, indem sich in einer Art Senke, begründet durch verschiedenste Entwicklungen und über welche Zwischenstufen auch immer, diejenigen finden, die am Ende keine Subsistenzmittel haben und auch keine Produktionsmittel.
Was zur zweiten Reihe dieser Art führt, nämlich der des Ausmasses an Zwang („ausser-ökonomische Gewalt“) als Triebkraft einer biographien-übergreifenden Entwicklung – und des Ausmasses an hinreichender Akzeptanz/Legitimation dafür:
Wenn wir wissen, dass bei enclosures nach Jahrzehnten es die „Letzten“ eines Dorfes sind, die gehen – und erst die dann mit Gewalt – dann wissen wir auch, dass alle andern irgendwie anders weggegangen sind.
Bei Patriquin lesen wir, dass die geographische Mobilität bereits im 16.Jh enorm war, die meisten Personen nicht am Ort ihrer Geburt verstarben, und das aus ganz unterschiedlichen Gründen (bei Frauen oft Heirat).
Wir erfahren in einer langen Liste (aus Originalquellen zitiert bei Overton), wie vielfältig im mittleren 16.Jh. die Neben- oder eben auch Haupt-Erwerbs-Tätigkeiten von registrierten Pächtern also landwirtschaftlich Tätigen waren. Daran bemerkt man vor allem einen hohen Grad an Arbeitsteilung, der mit landwirtschaftlicher (Neben)Tätigkeit vereinbar war – für sich, aber auch für andre oder MIT andern.
Und: Es mag eine breite Übergangszone von Natural- zum Geld-Tausch gegeben haben, auf dem Land, und Bewohnern aller Siedlungsformen. So wie Overton auch die interessante Information berethält, dass sich die Landbewohner massenhaft wechselseitig Geld geliehen (und zurückgezahlt) haben.
Das heisst, in einem Leben oder zwei (zwei aufeinander folgende Generationen) war es möglich, sofern entsprechende Optionen sich öffneten, das Schwergewicht in der Wahl der Einkommensquelle von landwirtschaftlicher Tätigkeit zu einer anderen Erwerbsquelle zu verlagern, mit und ohne Einkommens-Änderungen, und dabei unliebsamen Entwicklungen auszuweichen und/oder Chancen zu nutzen.

5 Diese subtilen „Drift“-Phänomene und Kumulierung unzähliger Einzelschicksale und -Entscheidungen kennen wir nun aber vor allem vom „neo-smithianische Merkantilisierungsmodell“. Was ist an ihm falsch?
Die Entwicklung, die da mit sich ausbreitender Markt-, Waren- und Geld-förmiger „Organisation“ von arbeitsteiligen Beziehungen erklärt wird, hat Voraussetzungen, die das Modlel und die zugehörige Gesellschaftstheorie, oder gleich: das zugehörige VergesellschaftungsKONZEPT oder -IDEAL das liberal-bürgerliche, systematisch ausblendet. Eine dieser Voraussetzungen ist, dass die Chancen, aus Markt-Teilnahme Nutzen für sich zu ziehen, höchst ungleich verteilt sind – einschliesslich der Chancen, diese Verteilung durch geschicktes, markt-konformes Verhalten und Leistungsbereitschaft zu eignen Gunsten zu ändern. Eine weitere Voraussetzung bilden jene „harten“ Randbedingungen für jedes Angebots- und Nachfrage-Verhältnis, die den „Ausgleich“ zwischen beiden in unrealistische Preis-Regionen verschieben bzw solche, wo Reaktionen unelastisch werden, maW solche, die „Märkte“ als Regulierungs-Instrument für Verteilung untauglich machen; und dafür steht beispielhaft das neo-malthusianische „demografische“ Modell
Demografie ist exemplarisch gleich in zwei Hinsichten der genannten Art: erstens, weil es in der „Wachstums“-Phase einen Fall kumulierender, womöglich selbst-verstärkender, für sich genommen aber „unschädlicher“ Einzel-Entscheidungen, noch dazu in der „Privatsphäre“ bietet, die aber gravierende soziale Folgen hat; und zweitens, weil es im Katastrophen-Fall die Unfähigkeit der Märkte zur angemessenen Reaktion auf relativ schnelle strukturelle Änderungen vor Augen führt, sowohl im Verhältnis von Anbietern und Nachfragern, als auch solchen Änderungen, die dauerhaft von der Wahrnehmung von Erwerbschancen ausschliessen. Tatsächlich liefern diese beiden Formen von „Marktversagen“ die abstrakten Formeln für die Aufgaben des Markt-Rahmen-setzenden, Markt-regukierenden, Markt-substituierenden bürgerlichen Staates:
Ordnungs-konstituierende und -durchsetzende Rechtsformen, und:
ReProduktion jenseits der Beiträge von Markt-vermittelten Verknüpfungen von arbeitsteiligen und gegenseitig abhängigen Einzelproduktionen sicherstellen: Daseinsfürsorge.
In der Zurückweisung der ungehemmt verlaufenden demografischen Entwickung als massgeblichen Einflussfaktoren durch die Politischen Marxisten offenbart sich somit ein bestimmtes Verhältnis zur bestimmenden Rolle des (feudalen Stände- und bürgerlichen Rechts)Staats. Und dazu gibt es ein Pendant in ihrer Zurückweisung des Merkantilisierungsmodells, denn darin zeigt sich ebenfalls eine theoretische Eigentümlichkeit, hier mit Bezug auf ein an sich wesentliches Moment der sich ausbreitenden Marktförmigkeit von Beziehungen, das dieser vorausgeht und zugrundeliegt: zunehmende Arbeitsteilung.
Während die Ausblendung von Arbeitsteilung gewissermassen still stattfindet, ist die Rolle des Staates durch eine eigenartige Alternativ-Formulierung charakterisiert, nämlich als FEUDAL, was sich mit der Extraktion des Mehrproduktes verbindet und durch das Kriterium definiert wird, dass „ausser-ökonomische Gewalt“ angewendet wird. Dies so eingetriebene Mehrprodukt dient dann zu nichts anderm als dazu, die klassen-typischen Zwecke der Feudalherren zu befriedigen, und das ist Prunk und Grosszügigkeit gegenüber den eigenen Gefolgsleuten, sowie kriegerische Konkurrenz mit andern Feudalherren um claims.
Ein vor-bürgerlicher Staat ist entweder quasi ein gemeinsamer Ausschuss der Feudalklasse, der ihre Organisation strafft, der König nur der Inhaber der prekären Spitzenstellung n der Feudalhierarchie, oder aber eine zur territorialen Extraktions-Organsiation alternative Weise des Extrahierens, nämlich als Absoluter Staat, die diversen Abgaben heissen dann nur Steuern, sonst ändert sich nichts.
Beide Alternativen aber sind nichts andres als organisierte Raub- und Mordmaschinen; eine bewaffnete Minderheit der Bevölkerung terrorisiert die grosse Mehrheit, und das wars dann auch schon mit feudaler Staatlichkeit.

6

„Marktabhängigkeit“

warum sind diese entwicklungen dennoch GERICHTET, warum sind es DRIFTEN?





 

Anhang: aus einer Mail an A.S. (geschrieben vor Brenner-Lektüre und Abfassung des Haupttextes)
Lass mich noch etwas sagen zum Thema „Feudalismus“. Dass „er“ sich so „komplex“ darstellt, hat vielleicht einen ganz einfachen Grund: Die Bezeichnung ist zu umfassend; es handelt sich uU um verschiedene Epochen, oder, wenn man es unbedingt so will: mehrere Epochen einer in einer ganz bestimmten Hinsicht einheitlich/übergreifenden „Formation“. Dies Übergreifend-Gemeinsame würde ich in etwa darin sehen, dass in diesen mittelalterlich-frühneuzeitlich, in jedem Falle vor-modernen Epochen der antike Versuch lange aufgegeben war, „Wachstum“ (oder Fortschritt; in welchem Sinn, den das damals auch immer haben konnte) zu erzielen auf Basis der Ausbeutung des Mehrprodukts privilegierter Naturräume, stattdessen die antik nur über Verbindungslinien und Stützpunkte (Städte, Land-Villen) „opportunistisch“ zugänglich gemachte Fläche wirtschaftlich komplett zu erschliessen.
Dass da ab 1100 die Städte prominent hinzukamen, macht aus meiner Sicht einen entscheidenden Unterschied, denn die Arbeitsteilung auf dem Land, die zur Versorgung der Städte nötig war, und die Gewerbe mit Nah- und Fernhandel, die den Grund für die Existenz der Städte waren, mussten ja erstmal aufgebaut und entwickelt werden. (Es ergab sich ebenso die Notwendigkeit, für die politische Organisation eigene Institutionen mit Ausbildungen und Rollen der Funktionsträger (Juristen, Finanzverwalter usw) aufzubauen, und sich dabei nicht einfach auf die Kirchenorgansiation zu stützen.Ab 1400 kam dann der Fernhandel dazu, und die Notwendigkeiten und Chancen für die frühneuzeitlichen Staaten, die sich daraus ergaben; wir sind dann schon in dem ua von Brenner-Wood bearbeiteten zeitlichen Feld – dem des „Übergangs“ vom… von was zu was? Ich denke, diese ganze Übergangsdebatte (die eben gerade NICHT sich um einen klaren Begriff der Vorepoche bemüht hat, sondern wesentliche Charakteristika als quasi akzessorische Attribute eines immer und grundsätzlich „feudalistischen“ Substrats behandelt: Sie ist eigentlich nur eine etwas umständliche Weise, sich, über einen andern Zugang, nämlich die Frage der Entstehung, um den Kapitalismus-Begriff Klarheit zu verschaffen. Im Kern ist dann etwa die Beliebthei tvon Brenner/Wood bei keimform-Autoren damit zu erklären, dass speziell Wood das zugespitzte Versprechen enthält: Es ist alles Sache der Eigentumsform – ändern wir sie, und dann sind wir den Kap. los. Was man so vor allem loswird, ist die Warnung der Marx/Engelsschen Histomat-Basis-Behauptung, dass Produktionsverhältnisse mit einem Stand der Produktivkräfte verwoben sind, dazu in Widerspruch geraten können usw aber eben auch nicht einfach nach Wunsch und Plan geändert werden. Ich denke, dass die ganze Wood-Botschaft darauf hinausläuft, diese These ignorieren zu dürfen; entlang genau dem Schluss, den jetzt Christian vorführt: Ziehen wir vom Kap. das ab, was unschönes hinzukam (etwa die fiktiven Waren Polanyis) – und kriegen irgendwas ähnliches wie einen Markt zurück. Ich will das nicht weiter vertiefen, weil ich nicht weiss, ob Wood grad in dein Interessen-Spektrum passt. Aber bei ihr gibt es SEHR viele Formeln (va die „Kap NUR UNTER GANZ BESONDEREN Umständen entstanden“, so eine Art historischer Unglücksfall, der sich dann epidemisch ausgebreitet hat*), aber eigentlich entbehrlich ist; womit wir wieder bei den Modal-Ausdrücken wären, in dem Fall dem „nicht Notwendigen“, dem Kontingenten mit weitreichenden Folgen, das dann aber am Ende eliminierbar ist.)
*) (Woods Beweise wiederum DAFÜR im „Imperium des Kapitals“ sind mehr als dürftig; sie vergisst eigenartigerweise in all ihren Analysen das städtische Gewerbe, und dessen Stellung in der gesamten Produktion; und ihre Auffassungen vom französischen Staat und ihre Formel von der Einheit von Wirtschaft und Politik dort (höchst fragwürdig) sind hanebüchen)
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Falls es dich interessiert, füge ich (kursiv; du kannst es also leicht überspringen) den text ein, den Christian unter seinem Wood-Artikel von 2014 nicht mehr freigeben wollte (vllt auch technisches Versehen, ist mir egal, so wichtig ist mir nicht, dass da steht):
Wood ist, so wie wir hier, politische Theoretikerin – nicht Historikerin.
Historisches ist für Wood wie uns nur von Interesse, insofern es als Bestätigung von kategorialen Hypothesen (Relevanz-Aussagen) und solchen über objektiv oder subjektiv (nicht)notwendig bzw. (nicht)möglich erscheint.
Die steilste These von Wood ist die: „NUR in England, NUR durch ausser-ökonomische Gewalt forcierte Marktabhängigkeit“ konnte der (Ausbeutungs)Kapitalismus entstehen. Dabei wirft sie andern vor, dies Element des Zwangs zur Marktteilnahme übersehen zu haben, zurecht. Nur, dass sie den Fehler andersherum macht: dass nämlich, vielleicht nicht gerade enteignete Landbewohner im England vor und nach 1800, aber zB Auswanderer in die USA, Marktteilnahme auch als Chance sehen konnten (und deswegen zB ganz bewusst in die Stadt gingen).
Während im, sagen wir: Grossmutterland des Kapitalismus die Leute massenhaft pauperisiert wurden (war das wiederum notwendig? oder Ergebnis der Tatsache, dass die Grossgrundbesitzer den Staat für ihre Klassenzwecke gekapert hatten?), wurden ihnen in dessen Mutterland massenhaft homesteads zugewiesen. Nun ja… auf Kosten ANDERER enteigneter Landbewohner. (So wie in England: Die Forcierer, die Landeigentümer, wollten vor allem ihr Einkommen vermehren. Um die Existenz, wie bei den Forcierten, gings bei denen nicht…)

Woods „Origin“-Buch erzählt ja nur den Beginn der Geschichte, der weitere Fortgang steht dann zB im „Imperium des Kapitals“. Die USA kommen dort nur sehr am Rande vor; interessant ist die Einordung ihres (Nachkriegs-) „Imperiums“ als „das erste wirklich ökonomische (natürlich nicht ohne eine grosse Menge ausserökonomischer Macht an ihrer Seite.. …)“ auf den letzten Seiten (147.ff) des Buchs.
In „Pristine Culture of capitalism…“ und Aufsätzen steht, was sie zum Staat zu sagen hat. Da könnte sich uU ein Schwachpunkt ihrer Theorie zeigen…

Ich glaube nicht, dass sich die These „nur so, und so nur in England, und ab da nur wegen England“ halten lässt. – Soviel lässt sich sagen: Als der Ausbeutungs-Kapitalismus seine Hochphase hatte (sagen wir: 1750-1850) – da zeichnete sich der Aufschwung durch Technologie (beachtlich, wie Wood den wegwischt („bescheidene Veränderungen“ S.164*) ), weil er nicht in ihr Bild von „NUR die Eigentumsverhältnisse…“ passt) bereits ab; auch der durch AGRARTECHNOLOGIE. Optimisten konnten glauben, dass Malthus widerlegt werden würde, und die Massen-Armut nur eine Durchgangsphase war. Einer davon hiess Karl Marx.

*) bescheiden waren eher die Veränderungen der „Produktivität“ vor der eigentlichen Agrarrevolution im 18.Jh, als man mit INTENSIV-Landwirtschaft begann. Die Produktivität, die Wood meint, ist extensiver Art: die vorhandene Fläche wird komplett genutzt, und nutzbar, urbar gemacht – ua durch Drainierungstechniken. Wood nennt nicht eine einzige Innovation aus England vor dem 18.Jr – wozu auch; Ausdehnung der kultivierten Fläche reichte ja aus. Aber das ist nicht, was man unter Agrarrevolution versteht. Ebenfalls vernachlässigt Wood die profit-orientierte Umwidmung von ertragarmem Kulturland in Schafweide;, und die Konkurrenz zwischen relativem Niveau der Getreide- und der Wollpreise (bis 1650 steigende Wollpreise).
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Wenn man sie von ihren zugespitzten NURs und den „FOLGE NICHT URSACHE“-Formeln befreit (die beinah immer, in dieser entweder-oder-Manier, falsch werden), dann ist Woods These korrekt. Für England und den englischen Kapitalismus, der schliesslich in die englische industrielle Revolution mündete. Aber auch NUR da. Und auch NUR für den Kapitalismus vor der Industriellen Revolution.

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Wood bietet so gut wie keine empirischen Belege (nur Thesen), und selbst da leistet sie sich, Zeichen ihrer Gleichgültigkeit nach der Seite, die These steht eben auch so fest, bemerkenswerte Patzer; der schlimmste und offensichtlichste steht auf S.152-154: Produktivität im Sinne von Ertrag pro Arbeitskraft sei in England früh sehr hoch gewesen (höher als in Frankreich zur selben Zeit= im 18.Jh; wie die eigentlichen Fachleute behaupten); Beweis: der höhere Anteil der Stadtbevölkerung in England (40%; nur übertroffen von den Niederlanden mit 45%). Aber dann kommts: Die Stadtbewohner in London waren, im Gegensatz zu denen in Holland (was waren sie in Paris zu der Zeit?), Paupers, Hungerleider; die wurden garnicht richtig ernährt! Beweis soll es trotzdem sein: Zuhause, im englsichen Süden und Südosten, wurden sie nicht mehr gebraucht. Während sie in Frankreich vielleicht als mithelfende Familienangehörige nicht NOTWENDIG waren, aber mit durchgefüttert wurden – und dann gleich die Produktivitäts-Statistik zuugunsten Frankreichs verfälschten. So nachlässig geht Wood mit Empirie um – soweit überhaupt welche vorkommt. (Dazu kommt, dass viele Thesen ihren sensationellen Charakter („schon im 16.Jh….“ „…fing die Entwicklung an…“) verlieren, wenn mal Daten und Belege genannt werden. Aber gut. Es geht um Theorie…)

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W ist Politologin und hat offensichtlich bei vielen Autoren der Brenner Debate mit Korrektur gelesen.
Sie versucht, die Theorie zu dem Ganzen zu geben.
Die Beweisabsicht, zu zeigen dass Kap. NUR in England entstehen konnte (und sonst garnicht zustandegekommen wäre), gelingt nicht im Ansatz, weil bereits der Teil scheitert in „Imperium“, wo sie zeigen will, dass England allen andern den Kap aufgezwungen hätte. Das zeigt sie mE definitiv nicht.