Aufklärung für Schüler

(Der nachfolgende Text ist nur ein Entwurf und wurde niemals weiter ausgearbeitet. Etliche der historischen Fehl- und Vorurteile, die er enthält, wären sonst mit einiger Sicherheit entfernt worden. Es geht hier mehr um eine Demonstration anhand von Stoff, wie eine BEGRIFFSGELEITETE Darstellung die Akzente anders setzt als eine rein am empirischen Stoff orientierte. Der Originaltext soll durch einen demnächst nachfolgend eingestellten Kommentarteil erläutert werden. Die Leitfrage ist: Wo geht die „begriffsgeleitete“ Darstellung (nannte man so etwas nicht vor kurzem noch: Geschichtsdeutung, oder Geschichts-Auffassung?) in unkritische, schlecht informierte, Stereotypen bebildernde Geschichtsideologie oder dilettantische Geschichtserzählung über? Aber ohne das – gibt es dann an der Geschichte, wie Historiker sie erforschen, überhaupt etwas zu begreifen? (Ist der Begriff des Begreifens immer nur ideologisch? Muss man die Fakten, wenn sie denn überhaupt greifbar sind, nehmen, wie sie sind (also der Kenner der Archive sie präsentiert)?) Und wenn – wie kommt man zu den passenden Begriffen? Wie unterscheidet man wichtig und unwichtig (für wen und was?)? Haben diese Begriffe Anschluss an andre – etwa soziologische, psychologische, kulturwissenschaftliche (die dann eine a-historische Abteilung haben? Oder eine zeitgenössische – in die die historischen, nach chronologischer Logik geordnet, übergehen?)

Mehr als sonst ist in dieser besonders unvollkommenen Region meines eigenen Nachdenkens daran zu erinnern, dass „Untersuchungen“ der Name sein sollte für Unentwickeltes und am Anfang Stehendes. Das hier Angeführte ist also weit entfernt davon, Gültiges behaupten zu wollen…)


 

Stichwort „AUFKLÄRUNG“

Aufklärung ist eine Epoche der europäischen „Geistesgeschichte“.
„Epoche“ bedeutet hier: Es gibt relativ klare Zeitpunkte, die Anfang und Ende markieren, und miteinander zusammenhängende Fragen, Probleme und Begriffe, die in einer bestimmten Zeit der Geschichte die meiste Aufmerksamkeit der „Gebildeten“ oder „Intellektuellen“ auf sich ziehen.
Solche „Epochen“ folgen aufeinander, weil sich oft gerade durch die erfolgreiche Bearbeitung der Probleme einer Vor-Epoche neue Probleme stellen.
(Aber: Nach dem Ende einer Epoche gibt es immer weiter massgebliche Teile der Gebildeten oder auch der weniger Gebildeten (die die Bildungsstufe der Gebildeten in ihrer Gesellschaft nachträglich einholen), die sich weiterhin mit den Themen einer bereits beendeten Epoche beschäftigen – ja teilweise sogar bereits vorhandene Antworten selbständig noch einmal finden und erfinden.
Die „offizielle“ Geistesgeschichte benennt als Epochen nur diejenigen Zeiten, in denen tatsächlich die Mehrheit der Gebildeten oder Intellektuellen sich mit den betreffenden Fragen, Problemen, Begriffen beschäftigen. Danach sind diese Begriffe entweder uninteressant und veraltet, oder zur Routine geworden und Bestandteil des Schul- und Hochschulunterrichts.)
Wie alle solche Epochen, beginnt sie in fortgeschrittenen Ländern (unter den „Gebildeten“ oder „Intellektuellen“ dieser Länder), und setzt sich von da aus in solche Länder fort, wo die gebildeten Bevölkerungsteile erst später zu den untereinander zusammenhängenden Fragen und Problemen gelangen, auf die die „massgeblichen“ Autoren dieser Epoche antworten.
„Aufklärung“ in Frankreich begann damit, dass der Literat Voltaire Ende der 1720er Jahre Bücher zweier englischer Autoren übersetzt und bekanntmacht (Voltaire war davor wegen zeitweiliger politischer Verfolgung durch die französische königliche Regierung in England im Exil gewesen.)
Diese englischen Autoren sind der Philosoph John Locke und der Physiker und Astronom Isaac Newton.
Ihre Hauptwerke sind 1688 und danach erschienen, im Zusammenhang mit der sog. „Glorious Revolution“,

In dieser „Revolution“ wurde fast ohne Gewaltanwendung der regierende englische König Jakob II. zur Flucht nach Frankreich gezwungen, und ein neuer König aus dem Fürstenhaus, das in Holland regierte (Wilhelm von Oranien), vom Parlament eingesetzt. Damit wurde in England endgültig der Übergang zu einem absolutistischen Regierungs-System nach französischem Vorbild abgewehrt, und die Machtausübung durch die Regierung durch verfassungs-artige (Grund)Gesetze und vom Parlament kontrolliert. Der König war nur noch eine Art (vom Parlament gewählter) Staatspräsident, der den von der Parlamentsmehrheit (der Regierungspartei) vorgeschlagenen Premierminister zum Regierungschef ernennt. Es bildeten sich zwei Parteien (Tories=Konservative, Whigs=“Liberale“), die jeweils Regierung und Opposition stellten. Das Recht zu wählen war vom Einkommen abhängig. Das politische System war also nicht demokratisch.
In England selbst gab es die Bezeichnung „Aufklärung“ nicht, während in Frankreich und Deutschland die Sympathisanten dieser Epochen-Bewegung sich so bezeichneten, und ein „Epochengefühl“ entwickelten (Kampf Neu gegen Alt in derselben Zeit; in England hingegen: Vor/nachh der Revolution).
Wichtige Unterschiede im Verlauf der „Geistesgeschichte“ verschiedener Länder ergeben sich daraus, wieviele Leute und aus welchen Schichten Zugang zu Bildung haben und als „Intellektuelle“ (unabhängige Schriftsteller, Privatgelehrte) leben können bzw. Bücher drucken lassen und verkaufen können. Und: Ob die Inhalte der Bücher auch ungehindert in die Öffentlichkeit gelangen, Leser darüber diskutieren können, und ob sie auch in das Bildungssystem des Landes gelangen, oder daraus sogar praktische Konsequenzen, etwa politische, gezogen werden.
Viele Massnahmen von „aufgeklärten“ Regierungen (Fürsten, Ministern und Beamten) speziell in katholischen Ländern wie Österreich, später auch Frankreich in der Frz.Revolution oder Bayern danach, holten bloss nach, was in protestantischen Ländern bereits in der Reformation oder in ihrem Gefolge stattgefunden hatte. Etwa Erklärung von Religionsfreiheit, Auflösung des Klosterbesitzes, Trennung von Staat und Kirche (zB. im Bildungssystem) u.a.
In – von West- und Mitteleuropa und den „Zentren“ der Aufklärung gesehen, noch peripherer gelegenen – Ländern wie den ost- und südeuropäischen, war „Aufklärung“ zunächst auf die „europäisch gebildete“ Hocharistokratie beschränkt. Ähnlich war es noch vor kurzem in ehemaligen Kolonialländern.
Die Zeit der Aufklärung ist das 18.Jahrhundert in Europa. (Genauer: Der Zeitraum von der englischen Glorious Revolution 1688 bis zur Französischen Revolution 1789)
vgl. Renaissance: ca. 1350-1550(-1650: Barock)
Die Zeitspanne, die man für eine solche Epoche angibt, ist meist die, in der die Bücher der „massgeblichen“ Autoren erschienen sind, auch wenn sie in den „später“ kommenden Ländern erst später massenhaft von „Gebildeten“ gelesen und verarbeitet werden.
Allen geistigen Strömungen VOR der Aufklärung ist gemeinsam, dass religiöse Fragen und Problemstellungen für sie eine zentrale Rolle spielen. Aufklärung ist die erste Epoche, in der das nicht mehr der Fall ist.
Allenfalls wird (als ein Thema neben anderen) in der Aufklärung noch ÜBER das Phänomen Religion (wordurch sie entsteht, was an ihr falsch ist) und über religiös Gläubige (warum sie glauben) nachgedacht, und zwar sowohl von gläubigen wie nichtgläubigen Autoren. Die nicht-religiösen Theorien zur Religionsentstehung sind psychologisch, soziologisch oder polemisch („Priestertrug“: Die Kirche erfindet die Religion, um Menschen einzuschüchtern und zu beherrschen. Solche Theorien waren schon in der Antike aufgestellt worden.)
Die geistesgeschichtliche Epoche vor der Aufklärung war die Renaissance, in der auch die Reformation stattfand, und als Endstadium das Barock (gleiche Inhalte wie Renaissance, aber ohne Renaissance-Optimismus, stattdessen „Melancholie“ und „Skepsis“) und der Rationalismus (Versuche in der Philosophie, traditionelle religiöse Auffassungen mit neuen Begriffen und Beweisen, im wesentlichen den von Descartes‘ Bewusstseinsphilosophie bereitgestellten,  zu begründen).
Bestimmte religiöse Strömungen, die kurz vor der Aufklärung entstanden und zur selben Zeit wie sie existieren, sind eher mit diesen vor-aufklärerischen Epochen und ihren Fragen und Problemstellungen verwandt, so die protestantischen Freikirchen (Freikirche, weil sie nur aus unabhängigen und sich selbst verwaltenden Gemeinden oder Zirkeln bestanden: Puritaner (englisch: alle Protestanten, die nicht zur anglikanischen Staatskirche gehören wollten), Baptisten (Holland/England), Pietisten (im protestantischen deutschen Sprachraum), und der Deismus (Gott hat die Welt so erschaffen, dass sie von alleine funktioniert wie ein Uhrwerk; Gott greift nicht in die Welt ein und offenbart sich auch nicht direkt; die Tatsache der Erschaffenheit der Welt kann aus ihrer „Zweckmässigkeit“ und Wohl-Eingerichtetheit erschlossen werden: Physiko-theologischer Gottesbeweis).
Umgekehrt gibt es vor-aufklärerische Strömungen und geistes- und wissenschafts-geschichtliche Entwicklungen, die die Aufklärung vorbereiten:
das Zugänglichmachen des gesamten Bestandes an griechischen und lateinischen Büchern aus der Zeit der Antike (Humanismus) und die Ausbreitung dieser Texte als regulärer Bildungsinhalt für höhere Schüler („humanistisches Gymnasium“); ergänzt durch antike Kunstwerke  (erhaltene Originale: Bauwerke, Skulpturen). Imitation und Überbietung der Antike, Entwicklung von Überlegenheitsbewusstsein gegenüber der Antike („Querelle des anciens et des Modernes“). Ein entscheidendes Hilfsmittel für die Einbeziehung nicht berufsmässig mit Denken und Begriffen beschäftigter Menschen in Diskussionen, Lese- und Schreibprozesse war der Buchdruck ab 1450.
Zum Humanismus gehört auch ein stark zunehmendes Interesse an nichtreligiösen Wissensgebieten (oft anknüpfend an antike Texte, die sich damit beschäftigten): daher
das Anwachsen historischer und geographischer Kenntnisse und Schriften (Entdeckungen; antike Historiker; Reiseberichte aus aussereuropäischen Hochzivilisationen, zB. China; „Indianer“, Naturvölker);
das Anwachsen naturwissenschaftlicher und technologischer Kenntnisse und Theorien, vor allem das kopernikanische heliozentrische Weltbild, die Kepler-Gesetze der Planetenbewegung, die Galilei-Gesetze zur Bewegung und Erdanziehung (Fall, Kugel auf schiefer Ebene, geradlinige Bewegung, Trägheit, Wurfbahnen; Jupiter-Monde), Chemie, Mineralogie, Bergwerkskunde, Metall-Bearbeitung; Anatomie des Menschen; optische (Mikroskop, Fernrohr) und feinmechanische Instrumente (Uhren), Physik der Gase, Flüssigkeiten, Temperatur/Druck.
der Aufbau eines Standes von Staatsbeamten mit juristischer Bildung, Jura als akademisches Fach, anknüpfend an die Traditionen des römischen Rechts; „Staatsräson.“ Aufbau zentralstaatlicher Verwaltung und Rechtsprechung. Völkerrecht, Westfälischer Friede als Grundlage einer europäischen Staaten-Ordnung. Wirtschaftliche Buchführung bei Kaufleuten. Internationales Kreditwesen. Rationale Haushaltsführung und Finanzverwaltung des Staats. Aktive Wirtschaftspolitik des Staates: Kontrolle der Geldausfuhr, Gewerbeansiedlung und -förderung.
Aufstieg des Bürgertums als Träger „ziviler“ (nichtstaatlicher) und „profaner“ (nicht-religiöser) bildungsabhängiger Funktionen und Berufe.
Manufaktur, Fernhandel, Kolonien, Banken, Wirtschafts- und Gewerbeaufsicht. Staatliche Ausbildungsgänge und Prüfungen für „bürgerliche“ Berufe.
Die konfessionellen Bürgerkriege zwischen Protestanten und (gegenreformatorischen) Katholiken: Religionsfreiheit, gegenseitige Toleranz, nicht-konfessionelle und nicht-religiöse Begründung für die Verfassung von Staat, Recht, Gesellschaft
Der englische Bürgerkrieg von 1642: Parlament/Republik, politische Justiz gegen König, Demokratie als Themen: politisches Konzept der Souveränität des Staates (Bodin, Hobbes)
Religiös: Anwendung wissenschaftlich-philologischer „Quellenkritik“ (Prüfung der „Echtheit“ traditioneller Behauptungen über die Entstehung historischer Schriften) auf religiöse Texte: Bibel-Übersetzung der Reformatoren mithilfe verbesserter Kenntnissen der Originalsprache (Griechisch, Hebräisch). „Historisch-kritische“ Bibel-Betrachtung. Kenntnis ausser-europäischer Glaubenssysteme.

Aufklärung war die Antwort auf die Frage, wie man Natur erforschen und erklären soll und welche politische Verfassung in Staat und Gesellschaft herrschen sollen, ohne dass man dabei auf eine bekannte und noch immer für einen selbst oder für die Gruppe, der der Antwortende angehört, noch immer gültige traditionelle religiöse Antwort zurückgreift.
Die Antwort musste dabei so ausfallen, dass sowohl Nichtgläubige als auch religiös Gläubige verschiedener Konfessionen sie akzeptieren konnten. Es musste also dabei auf Gründe und Werte zurückgegriffen werden, die allen Menschen unabhängig von ihrer religiösen Glaubensüberzeugung gemeinsam waren. Nur soweit, wie diese Gemeinsamkeit reichte, konnten dann auch „begründete“ (rechtmässige, legitime) Forderungen an „alle“ gerichtet werden (das staatliche Recht und die Gesetze anzuerkennen; die Erkentnisse der Naturwissenschaft zu akzeptieren usw.)
Das allen Menschen unabhängig von ihrer Religion Gemeinsame nennt die Aufklärung VERNUNFT. „Vernünftige“ Begründungen sind solche, die allen Menschen, unabhängig von ihrem Glauben, einleuchten müssen (man darf erwarten, dass sie ihnen einleuchten).
„Aufklärung“ ist deshalb die Konsequenz aus der Reformation.

Die „Reformation“ war eigentlich eine Bewegung von Gläubigen dagegen, dass der christliche Glaube für zuvieles zuständig sein sollte, das mit ihm garnichts zu tun hatte: Welterklärung und Wissenschaft, Begründung von Herrschaft, Staat, Recht, Kultur, Werten der Gemeinschaft.
Das Christentum war in einer Umgebung (dem römischen Reich) entstanden, wo all diese Aufgaben von ihm nicht gelöst werden mussten – weil sie schon gelöst waren. Allerdings in einer für die Christen anstösstigen Weise: etwa in Gestalt des Kaiserkultes. Der römische Staat musste, angesichts der weiten Verbreitung religiöser Einstellungen, für seine Herrschaftsform und Gesetze eine religiöse Begründung finden, die für ALLE religiösen Bekenntnisse Geltung hatte. Die Gemeinsamkeit war die „Vielgötterei“ (Polytheismus) fast aller ausser-christlichen Religionen im römischen Reich. Das Christentum verkörperte eine für die religiösen Bedürfnisse der Bevölkerung fortgeschrittenere und attraktivere Glaubensform, und breitete sich darum aus. Allerdings verhielt es sich zunächst ausdrücklich unpolitisch und staatsfern, eben „rein religiös“. Dafür, dass es einen und NUR einen „christlichen Glauben“ gab, war der Ausschluss zahlloser „Sekten“ inkaufgenommen worden. Dabei wurden die theologischen Diskussionen um die einzelnen Streitpunkte über Jahrhunderte mit grosser Sorgfalt, aber auch Einsatz der Kontrahenten und mit grosser Erbitterung geführt. Die endgültigen Entscheidungen, wenn sie das Ergebnis solcher Erörterungen waren, waren oft gut begründete und durchdachte Kompromisse. In der unfassbar langen Reihe von theologischen Diskussionen und dem Wissen um die oft extrem subtilen Argumente, die hinter den Entscheidungen für einzelne Sätze des Glaubensbekenntnisses standen, formte sich das Selbstbewusstsein der Kirche als einer Autorität neben der Bibel – dass es nach so langer Zeit immer noch nur EINE Kirche gab, in einem so grossen Territorium, und tatsächlich die Mehrheit an ihr festhielt, musste im Rückblick angesichts der Unlösbarkeit vieler Streitfragen auf den ersten Blick als ein Wunder erschien. Für religiöse Menschen war die Überzeugung nicht abwegig, dass hier etwas Übermenschliches, das unmittelbare Eingreifen Gottes, spürbar und sichtbar war.
Die immer komplexeren Debatten um theologische Subtilitäten und das zermürbende Ringen um die Bewahrung der Einheit (und die Suche nach der ricvhtigen Antwort auf die aufgeworfenen Fragen) war dabei der Preis, den die christliche Kirche zahlte, zunächst, um die komplexe Botschaft ihres Stifters zu entschlüsseln (wie komplex, lässt sich abschätzen, wenn man sich einschlägige theologische Debatten bis heute um Begriffe wie „Reich Gottes“, „Menschensohn“, „der Messias“, „Gesetz“ und andere anschaut). Inwieweit bereits in diese Botschaft hellenistische Elemente eingewirkt waren, ist hier nicht zu beurteilen. Solche Elemente kamen aber unweigerlich ins Spiel, als die Christen versuchten, auf Augenhöhe mit der intellektuellen Kultur ihrer Zeit zu gelangen. Vorher schien sie einer der zahllosen orientalischen „synkretistischen“ Kulte zu sein, die um „Marktanteile“ bei ungebildeten und Frauen konkurrierten; aus älteren orientalischen Vorstufen neu gebildete Religionen, die Elemente anderer solcher Religionen aufnahmen und den religiösen Bedürfnissen der Reichsbewohner angepasst waren. Durch diesen Versuch unterschieden sich die Christen von ihren Konkurrenten. Zwar hatte bereits die jüdische Mission diesem westlich-griechisch-römischen Vorurteil gegenüber östlichen Kulturen widersprochen, etwa durch die Übersetzung der jüdischen Bibel ins Griechische. Umgekehrt hatte sich die platonisch-aristotelische und stoische Philosophie, also die explizit religiös ausgerichtete Richtung des hellenistischen Denkens, längst auf monotheistische Positionen orientiert. Die christliche Apologetik (Verteidigung gegen Kritik von seiten der Nichtchristen) hatte zu zeigen, dass der christliche Glaube mit den entwickeltsten Stufen der zeitgenössischen religiösen Philosophie verträglich war, dass sich seine Aussagen in deren Terminologie übersetzen liessen, und dass er letztlich eine Konkretisierung, gewissermassen die Präzisierung und Erweiterung in die Wirklichkeit hinein dessen war, was diese Philosophie glaubte als vernunftgemäss über Gott und sein Verhältnis zur Welt beweisen zu können. Die Aussagen über die Dreifaltigkeit und die komplexe Deutung des Ausdrucks „Menschwerdung Gottes“ verdanken sich diesem Dialog der christlichen Theologen mit den fortgeschrittensten Versionen des griechisch-sprachigen religiösen Denkens. Damit waren dann aber auch Anschlussmöglichkeiten für weitere Anteile dieses Denkens geschaffen, die später durch Übersetzung der westlichen Kirche wieder zugänglich wurden und die Ausgestaltung der Theologie zur Welt-Erklärung ermöglichten. Gleichzeitig war der Glaube, spätestens mit diesem Schritt, nicht mehr unmittelbar jedem vermittelbar, sondern eine Sache von theologischen Spezialisten geworden – deren Verhältnis zum Rest der Gläubigen durch Autorität legitimiert, und durch (Sprach)Regelsysteme und Übersetzungsleistungen in „Predigten“ vermittelt werden musste.
Als dann, trotz des Verfolgungsdrucks unter den letzten Kaisern vor Konstantin, eine relativ grosse Minderheit in der Bevölkerung bis hin zur Elite und zuletzt dem Kaiser selber christlich geworden war, musste diese gemeinsame Religion auch Grundlage der Legitimation der Herrscher, ihrer jeweiligen Machtausübung, von Gesetzen bis hin zu politischen Beschlüssen und der Moral der staatstragenden Schichten werden. Automatisch wurde der grösste Teil der Bevölkerung zur Konversiion gebracht – die Kirche war nun Volkskirche, und in all ihre Massnahmen kamen, zusätzlich zum Problem der Wahrung der Einheit (von Glaube und Kirche), korrekten Interpretation des Glaubens, Abstimmung mit der Bildung der Zeit, und Vermittlung zwischen theologischen und religiösen Eliten bzw. „Virtuosen“ (deren Glaubenseifer mit Alltag unvereinbar war) und der Masse der normalen Gläubigen, noch hinzu die Probleme der Verwaltung einer Massenorganisation, durch die schiere Grösse der Gemeinschaft, und die ständige Möglichkeit konfligierender Interessen der anderen, und meist mit grösserer Macht ausgestatteten Massen-„Organisation“, nämlich dem spätantiken und frühmittelalterlichen Staat und seinen führenden Schichten.
Dazu kam dann im Frühmittelalter und frühen Hochmittelalter (ca. 600-1100), dass in Westeuropa bis ins Mittelalter hinein nur die Amtsträger de Kirche über hinreichend gebildete Personen verfügte, die man in der Staatsverwaltung einsetzen konnte (und die zugleich kein Eigeninteresse gegenüber dem König hatten, wie die hohen Adeligen). Deshalb gab es Tendenzen bei den Königen, die Kirche und den Glauben für staatliche und politische Zwecke zu benutzen. Dagegen hat sich die Kirche immer wieder gewehrt. Nicht zuletzt, indem sie der immer stärkeren Königsmacht eine eigene Kirchenmacht versuchte entgegenzusetzen, und das Religiöse und den Glauben vor Übergriffen des Staates und der Politik zu schützen versuchte.
(Das Umgekehrte war auch der Fall, etwa in den Kreuzzügen, oder in der Inquisition, wo die Ketzer der STAATLICHEN Gerichtsbarkeit übergeben wurden, und die Kirche nur den Tatbestand aufklärte.) Da die Kirche keine politische Macht ausüben wollte, war sie dem Staat und der politischen Macht von Königen letztlich nicht gewachsen, und musste sich für staatliche Zwecke vereinnahmen lassen, um wenigstens den Kernbestand an Glaubensaussagen und Bibel-Deutung vor politischer Einflussnahme zu schützen.

Das Resultat war, dass die Kirche im Spätmittelalter eine Staatskirche und Stütze der Königs-, also Staatsmacht wurde – bis hin zur offenen Wahl „eigener“ nationaler (französischer Avignon-)Päpste (Grosses Schisma ab 1306), und der Komplizenschaft bei Staatsverbrechen der Könige (Katharerfeldzug, Templerorden-Auflösung, Auflösung politisch nicht mehr erwünschter Ehen von Königen usw., Ketzer-Anklagen gegen politisch unerwünschte Personen). Schliesslich versuchten die Päpste in Italien am Ende, selbst Territorialherren und Könige zu werden, und Glaubensüberzeugungen für ihren Machtaufbau zu manipulieren (Ablasshandel als Finanzquelle).
Der Glaube wurde aus Sicht vieler Gläubiger dadurch aber immer stärker verzerrt und „unreligiöser“ – gerade durch das verzweifelte Bemühen, in der Konkurrenz mit der wachsenden Staatsmacht mithalten zu können und den Glauben zu schützen. Die Kirche war durch Komplizenschaft mit politischen Interessen völlig diskreditiert. Die reformierten Christen waren der Meinung, dass weder die Glaubensüberzeugungen noch die Kirchenorganisation diesem Machtanspruch genügen müssen oder können. Deshalb ordneten sie sich dem Staat wieder unter, solange er ihnen die private Ausübung ihres Glaubens erlaubte und sich in Religionsfragen nicht einmischte. Religion und Glaube wurden Privatsache; zugleich fingen sie an, sich in immer mehr Konfessionen und Einzelgruppen aufzuspalten. Eine einheitliche „christliche“ und damit gläubige Begründung von Überzeugungen in Staat und Wissenschaft war damit nicht mehr möglich.
Doch die Kirche hatte sich nicht nur Verfügungsgewalt und Deutungshoheit hinsichtlich der innerweltlichen Wert- und Sinn-Vorstellungen der mittelalterlichen Gesellschaft erkämpft. Ihre Theologie wollte darüberhinaus statt Bibeldeutung eine die ganze Welt erklärende Wissenschaft sein, und traute sich diese Leistung auch zu, spätestens seit Bekanntwerden des gesamten philosophischen Werkes von Aristoteles und der arabischen und muslimischen Philosophen, die im Anschluss an ihn Formen einer monotheistischen, und natürlich isalmisch geprägten Welt-Wissenschaft entworfen hatten. Dem wollten die ehrgeizigsten „wissenschaftlichen“ Theologen der abendländischen krichlich-scholastischen Universitäten etwas Gleichrangiges oder besser noch, Überlegenes entgegenstellen. Die Arbeit an einer solchen Wissenschaft, in der der Inhalt des katholischen Glaubens, abgesehen davon, dass er geglaubt wurde, ZUSÄTZLICH auch noch als für jeden Menschen vernünftig BEWIESEN wurde, erreichte ihren Gipfel und Abschluss in der zweiten Hälfte des 13.Jahrhunderts in den grossen Werken von Thomas von Aquin, die „Summen“ genannt wurden. Obwohl diese philosophischen Werke auch unter Theologen und Philosophen ihrer Zeit umstritten waren, wurden sie nicht allzu lange Zeit später von den Politikern in der Kirche zu DER Philosophie und Wissenschaft erhoben, die der Ausbildung aller Amtsträger der Kirche zugrundezulegen sei. Zugleich beanspruchte die Kirche damit, dass ihr Glaube auch wissenschaftlichen Ansprüchen genüge, und allen Einwänden anderer Theorien, oder auch aus der Erfahrung standhalten, oder besser gesagt: als ihnen überlegen erwiesen werden könnte.
Die Kirche war somit eine unentbehrliche Stütze des Staates, und wurde von ihm geschützt; sie hatte Macht über Werte und Regelsysteme, nach denen alle unterhalb der politischen und rechtlichen Ebene, also Einzelne, Paare, Familien, und ganze Berufs-Stände, ihr privates und gemeinschaftliches Leben ausrichteten.  Wichtigstes Machtmittel war dabei die Möglichkeit, Menschen aus der Kirche und vom Gottesdienst auszuschliessen, und ihnen im Namen Gottes, als dessen Stellvertretung auf Erden die Papstkirche handelte, die Erlösung von ewigem Tod oder Hölle, die ansonsten unweigerlich drohten, zu verweigern. Dazu hatte die Kirche die Wissenschaft ihrer Zeit mehr oder weniger in den Bestand der von ihr vertretenen Überzeugungen eingefügt.
Aber selbst das reichte noch nicht.
Denn zu all dem liess sie auch noch die drei Grundlagen ihrer Macht, Legitimationsquelle der Staatsmacht zu sein, gleichzeitig Seelsorgemacht über die private Lebensführung und noch Wissensmacht, zusammenspielen: Wissenschaftliche Gegner wurden persönlich mit Hölle und Verdammnis bedroht, und politisch verfemt; wer an theologischen Legitimationen zweifelte, schien sich gegen die Vernunft der gesamten Welteinrichtung aufzulehnen und bedrohte als Ketzer die staatliche Ordnung; und wer in seiner privaten Lebensführung und Moral von den kirchlich verordneten Werten abwich oder gar eigene Meinungen äusserte, war damit zugleich zum Verbrecher und zum Verrückten gestempelt.
Aber dieser Vorstellung von Kirche als einer totalitären Machtballung stellten sich, und zwar mit sehr religiösen und aus christlichen Glaubensüberzeugungen erwachsenden Einwänden, gleichzeitig (nach 1150) zunehmend mehr Menschen in und ausserhalb des Klerus, der Orden und der Laien entgegen. Vor allem Angehörige des neuen städtischen, an Armutsidealen orientierten Ordens der Franziskaner nahmen, als Theologen und Philosophen, den Kampf gegen die päpstliche Machtkirche auf. Zentrales Anliegen war dabei, den Glauben aus seiner Anbindung an „Eliten“, sei es politischen, sei es die Wissenschaft, wieder zu lösen und ihm seine Stellung als JENSEITS der Vernunft (wenn auch nicht ihr widersprechend) zurückzugeben. Umgekehrt bedeutete das freilich auch die Wiederloslösung der Wissenschaft, vor allem der Naturphilosophie, vom Glauben: Es waren franziskanische Philosophen, wie Wilhelm von Occam, Buridan und Nikolaus von Oresme, die im 14. und 15.Jahrhundert erste Schritte in Richtung einer nicht-metaphyischen Logik, Aufwertung des innerweltlichen Erfahrungswissens und wissenschaftlichen Erklärungen von Naturphänomenen jenseits aller Theologie taten.
Der Franziskaner Marsilius von Padua begründete theologisch und philosophisch, dass Beherrschte gegen unrechtmässige Herrscher revoltieren und sie absetzen dürfen.
Er zusammen mit Wilhelm von Occam unterstützten den deutschen König Ludwig der Bayer in einer scharfen Auseinandersetzung mit dem Papst in den ersten Jahrzehnten des 14.Jahrhunderts.
Gegen die Auflösung des Glaubens in eine Begriffs-Wissenschaft wandten sich auf ihre Weise die sogenannten Mystiker, die versuchten, durch Konzentration und Ausschaltung aller realitätsbezogenen Erlebnisse und Antriebe in ihrem Inneren einen Freiraum zu schaffen, in dem sie empfänglich wurden für Botschaften von oder gar Erlebnisse und Begegnungen mit „jenseitigen“ Personen – Verstorbenen, Engeln, Heiligen, Maria, Jesus, dem Heiligen Geist und Gott. Und das unter Umgehung des riesigen Vertretungs- und Vermittlungsapparates, als der die Kirche sich zwischen die einfachen Gläubigen und den geglaubten Jenseits-Mächten aufgebaut hatte.
Stattdessen wurde der Glaube hier wieder etwas ganz Individuelles, bei dem die Einzelperson und ihre Fähigkeiten alles für den Glauben wichtige selber mitbrachte.

Daneben entstand vor allem in den Städten eine religiöse Bewegung der Laien, die sich von der Bindung an die von der Kirche und ihren Glaubensvorstellungen gestalteten Riten und Praktiken löste und eigene individuelle, aber auch gemeinschaftliche Ausdrucksformen für ihr persönliches Verhältnis zu Gott suchte. Das verband sich mit sehr wirksamen und umfangreichen karitativen Dienstleistungen, die dann auch zu neuen Formen des Gemeinschaftslebens führten – etwa dem (getrennten) Zusammenleben unverheirateter Frauen und Männer, den Beghinen, die Arme und Kranke, finanziert aus Spenden, versorgten, und daneben ein intensives religiöses Leben führten, ausserhalb der Kontrolle durch kirchliche Instanzen, ausser vielleicht dem Priester ihrer Gemeinde. Die Menschen, die diese Bewegung trugen, machten nicht noch einmal den Fehler früherer solcher Bewegungen, die sich als neuer Orden organisierten und damit sich der ständigen Beaufsichtigung und Kontrolle durch die Amtskirche unterwarfen. Als Laien waren sie kein Teil einer kirchlich beaufsichtigten Organisation – und natürlich konnte die Kirche gegen solche intensivierte private Frömmigkeit und Nächstenliebe nichts einwenden. Dennoch oder grade darum entzog diese wachsende Bewegung religiös unkontrollierter und unkontrollierbarer Privatfrömmigkeit ihr einen wichtigen Teil ihrer Kontrollmacht – und genau das war von denen, die sich so verhielten, auch beabsichtigt.
Schliesslich gab es auch noch offene und heimliche Versuche, der Kirche den Gehorsam aufzukündigen – etwa die Kontroverse über die Armut (nicht nur an Reichtümern, auch an Macht, politischer, wissenschaftlich-autoritativer und „geistlicher“ (Verfügung über die „Heilsgüter“ Erlösung, Sündenvergebung etc) der Kirche, die radikale Franziskaner (Sprituale, Fratizellen) in Norditalien und in der Provence anzettelten, oder die „Sekte“ der Waldenser, die nicht viel mehr taten als ein paar Jahrhunderte später zahllose Anhänger von Freikirchen – sie lasen die Bibel, vor allem die Evangelien, im Original und zogen direkt Konsequenzen aus dem, was sie dort an Anweisungen bekamen: Lösten ihre Vermögen auf und verschenkten es an Arme, predigten in der Volkssprache, was sie gelesen hatten und aufgrund dessen selbst glaubten. Der Erfolg dieser von Lyon ausgehenden Bewegung war erstaunlich – die dazu gehörende Organisation breitete sich über fast das ganze kontinentale katholische Europa aus.
Das alles waren freilich Entwürfe einer machtfernen Privat-Organisation des Glaubens – in den Formen, in der die Kirche selbst in den ersten drei bis vier Jahrhunderten ihrer Geschichte existiert hatte – bevor sie sich den viel weiterführenden Aufgaben einer Weltbild-bestimmenden Theorie, einer staatliche Herrschaft legitimierenden Doktrin, und (als Volkskirche) einer die Lebensformen von riesigen Massen von Menschen in weit auseinanderliegenden Territorien regulierenden und stabil gestaltenden kulturellen Autorität stellen musste (und das mit dem immer gleichen Corpus an Offenbarungen, dem immer gleichen Inventar an religiösen Ideen, als Basis). Sich ins Privatreligiöse zurückziehen hiess, dass der Glaube sich diesen Aufgaben schlicht verweigerte.
Es gab weitere Bewegungen, die herausfordernde Alternativen zur Papstkirche darstellten, und die ihr auf ihren eigenen Gebieten versuchten Konkurrenz zu machen.
Die „Alternativ-Kirchen“ dieser Art verbanden sich mit Mächten, nämlich Herrschern, die auf politischem Gebiet die noch nicht sicher etablierten Monarchien von deren „Peripherie“ her ähnlich herausforderten wie die jeweilige Sektenkirche die päpstliche Monarchie. Das wichtigste Beispiel für solch ein Bündnis der Herausforderer der hochmittelalterlichen Zentralmacht waren die Katharer (von denen sich das Wort Ketzer herleitet), im Bündnis mit dem occitantisch sprechenden, kulturell fortgeschrittenen südfranzösischen Territorium, das von einer Fürsten-Koalition unter Führung des Grafen Raymond von Toulouse beherrscht wurde.
Die herausgeforderten Mächte, Papst und französischer König, entfesselten, als Reaktion, nicht nur den einzigen Kreuzzug gegen ein christliches Land, sondern schlugen den Widerstand mit Massakern an den Bevölkerungen ganzer Städte nieder. Der Krieg dauerte 20 Jahre, die Occitanier gaben am Ende aus Erschöpfung auf.
Während die Waldenser eine sehr „evangelische“ und reformations-ähnliche Version des Christentums vertraten, waren die Katharer tatsächlich eine von der orthodoxen Tradition weit abweichende Sekte, die (soweit man darüber weiss), offenkundig gnostische (das Christentum mit ursprünglich aus dem persischen Zoroastrismus stammenden Glaubensvorstellungen vermischenden) Untergrund-Strömungen wiederbelebt hatten, die im Mittelmeerraum in Form von Geheimsekten (Bogumilen in Griechenland) überlebt hatten. Damit waren sie natürlich aus Sicht auch kirchen-kritischer Christen suspekt, denn die Verwerfung der gnostischen Option, den christlichen Glauben zu erweitern, war eine sehr frühe Entscheidung in der Geschichte des Christentums (im 3.-4.Jahrhundert)gewesen, lang bevor die Entwicklung zur Staatskirche begann.

Die nächsten beiden Versuche dieser Art waren unmittelbare Vorläufer der Reformation Martin Luthers: als erstes die Volks-Bewegung der Lollarden, die John Wyclif bis 1380 in Nordengland anstiess – immerhin so mächtig, dass man ihn nicht verhaften konnte, aber auch nicht stark genug, um nicht zusammenzubrechen, als das staatliche Interesse an den kirchenkritischen Vorstössen des Reformators sich wegen der sozialrevolutionären Konsequenzen schlagartig ins Gegenteil verkehrte; und, knapp eine Generation später, und anknüpfend an die Wyclif-Reformation, die von tschechischen Studenten aus Oxford persönlich nach Prag getragen worden war, die Hussiten, an denen deutlich wurde, dass dem Reformator eine starke Mehrheit der Gesellschaft, aus nicht nur einem Stand, beipflichten musste und sich seine Sache zueigen machen musste. Als 50 Jahre vor Luther die Hussitische Reformation diese Art des Rückhalts verlor, fiel sie aufs Waldenser-Niveau, in Gestalt der Böhmischen Brüder, zurück – wobei die waldensische Tradition sich als sehr lebendig erwies – Bischöfe der Böhmischen Brüder wurden von Waldenser-Bischöfen „geweiht“.
Luther stellte dann bei Gelegenheit der Disputation mit Eck fest, dass Hus immerhin 100 Jahre zuvor seine gesamte reformatorische Theologie vorweggenommen hatte (der seinerseits sehr ausgiebige Anleihen bei Wyclif gemacht hatte). Das Gelingen von Reformation hing also weder von der theologischen Argumentation ab, noch von der Überzeugungskraft der evangelischen Glaubens- und Lebensformen für eine gläubige Bevölkerung, oder deren Empfänglichkeit für sie. Entscheidend war (wie sich in England oder eben Sachsen und anderen früh reformierten Ländern zeigte), ob die höheren Stände bis hin zu den Fürsten Motive hatten, die Bewegung zu unterstützen, also umgekehrt, sich aus politischen Motiven gegen die Papstkirche wandten (die in vielen Hinsichten ein Fremdkörper im früh-neuzeitlichen Staat war: Mit Sonderrechten des Klerus, riesigen Kirchengütern, und den Transfer-Zahlungen nach Rom, die im Mass zum Ärgernis wurden, wie bei den lokalen Fürsten wie in Rom in gleicher Weise der Geldbedarf und damit der Interessengegensatz wuchs.) Wie abhängig die Reformations-Bewegung auf Dauer von der Zustimmung des Staats war, lässt sich an den Erfolgen der Gegenreformation in ursprünglich fast flächendeckend reformierten Gebieten erkennen, wie Polen, Bayern und Österreich – für die Gegenreformation, verstanden als kirchliche Initiative, gilt umgekehrt natürlich dasselbe.
Diese faktische Abhängigkeit des Glaubens ganzer Bevölkerungen von den Entscheidungen ihrer politischen Herrschaft beweist, einmal mehr, in welchem Umfang die Eigengesetzlichkeit von Religions- und Glaubensentwicklung im Widerspruch stand zu ihrer Indienstnahme für Methoden der Machtausübung. Wie sich im „Investiturstreit“ zeigte, konnten die Kirchenführer den weltlichen nur entgegentreten, wenn sie ihrerseits massiv zu politischen Strategien und Machtmitteln griffen. Es waren die spätantiken römischen Kaiser gewesen, die die Kirche, deren Missionare zu diesem Zeitpunkt geschätzte 10% ihrer Untertanen für sich gewonnen hatte, nicht mehr ignorieren konnten oder wollten, und sie erst verfolgten und bekämpften, später privilegierten und zur Staatskirche ausbauten. Das war die eine Seite: Die Kirche musste sich irgendwie zur politischen, zur Staatsmacht stellen; sie war definitv keine Randerscheinung, sondern ein Machtfaktor, ob sie wollte oder nicht. Ihre Weisungen an die Gläubigen hatten politische Wirkungen, ihre Zustimmung hatte unmittelbar legitimierende Kraft. Die andere Seite war, dass die Kirche nun den Glauben der Masse der Bevölkerung bestimmte und lenkte. Sich taufen zu lassen, war keine WAHL-Entscheidung mehr. Hier gab es, nicht anders als von seiten des Staats, ein massives Bedürfnis aus der Bevölkerung, das an die Kirche herangetragen wurde, nämlich ihre Glaubensaussagen und moralischen Forderungen mit dem Lebensstil der Bevölkerung in Einklang zu bringen. Was hätte es für Konsequenzen gehabt, wenn sich die Kirche diesen beiden Instanzen, Staat und Gesellschaft, verweigert hätte? Sie wäre völlig diskreditiert gewesen, und man hätte sich nach einem anderen Glauben umgesehen: die spätantike Gesellschaft verlangte nach einem anspruchsvollen, alle Stände verbindenden Glauben.

Ein Ausgangspunkt erst der Reformation, und dann der Aufklärung, war das Scheitern der Kirche an ihrem tausend Jahre lang mit ungeheurer Anstrengung verfolgten Anspruch, Welterklärung und Begründung von politischen und moralischen Werten, Entscheidungen bis hin zu Lebensstilen leisten zu können. Später kam hinzu der Rückzug der reformierten Teile der Kirche von diesem Anspruch – als Folge dieses sichtbaren Scheiterns; beides hinterliess für die Zeitgenossen unerträgliche „Begründungs“-Lücken auf verschiedensten Gebieten. Die Renaissance war der Versuch gewesen, die Lücke mit vorchristlichen und/oder  nicht-christlichen (aber mit Christentum vereinbaren) religiösen und religionsartigen Gedankensystemen („Hermetismus“, Neuplatonismus) aus der Zeit der Entstehung des Christentums zu füllen; teilweise waren diese Systeme in antiker Zeit sogar Konkurrenten des christlichen Glaubens gewesen. Aber auch diese Systeme enttäuschten, und versagten an dem mittlerweile stark gestiegenen Anspruch an eine religiöse Welterklärung; dann widersprachen auch ihre Vertreter einander nicht anders als die christlichen Konfessionen, sodass sich keines dieser Systeme durchsetzte. Dazu kam, dass Religion selbst vielen Gläubigen unter den Gebildeten immer fragwürdiger erschien, und religiöses Denken und christliche Glaubensüberzeugungen immer mehr Zweifeln ausgesetzt waren: Die Zahl der Deisten und Atheisten bzw. „Materialisten“, der „Freigeister“, nahm in gebildeten Schichten immer mehr zu. – Scheitern, Rückzug, Verlust des Glaubens machten die Lücke immer grösser.
Speziell bewirkte die Annahme des heliozentrischen Weltbildes und die empirisch bestätigten Kepler-Gesetze der Planetenbewegung (Planeten vollführen keine Kreis-, sondern eine Elllipsenbewegung), dass die bis dahin gültige physikalische Theorie zur Natur- und Welterklärung, nämlich die des Aristoteles (mit Theorien Platons als Ergänzung), völlig aufgegeben werden musste, und man in der Physik von vorne anfangen musste. Aristoteles hatte eine Art „Auftriebsmodell“ von Bewegung gegeben, wonach Körper sich (in moderner Sprache) ihrer Dichte entsprechend anordnen, Schweres strebt demnach in den Mittelpunkt, darum herum ordnet sich Leichteres an. Darum war die Frage, ob „wir“ uns im Mittelpunkt befinden, für eine aristotelisch ansetzende Physik extrem wichtig. Umgekehrt war die Frage kaum zu beantworten, warum wir von einer um die Sonne und noch dazu um sich selbst kreisenden Erde nicht durch Zentrifugalkraft wegfliegen.
(Anm. Für alle Gebildeten galt bereits in der Antike, dass die Erde eine KUGEL ist. Das heliozentrische Weltbild mit der Sonne im Mittelpunkt war als Hypothese bereits 200 vor Chr. entworfen worden. Antike Astronomen berechneten den Abstand Erde-Sonne zu etwa 2/3 des korrekten Wertes. Das geozentrische Weltbild wurde vor allem lange Zeit als das empirisch besser bestätigte akzeptiert. Die Theorie „Erde als Scheibe“ hat weder in noch ausserhalb der Kirche irgendjemand unter Gebildeten der letzten 2500 Jahre in Europa und dem Nahen Osten vertreten.)
Erst die Physik von Isaac Newton (nach wesentlichen Beiträgen von Galilei, Kepler, Descartes und vielen andern), die zu ihrer Formulierung die Erfindung der Differential und Integralrechung erforderte, füllte diese Lücke – erst ab dann gab es eine Naturwissenschaft, die alles erklärte, was Aristoteles zuvor erklärt hatte, aber noch sehr viel mehr, etwa durch die „Optik“ die bis dahin völlig rätselhafte Natur des Lichts – und die mit den empirischen Befunden ab dann vollständig übereinstimmte.


Die katholische Kirche hatte für ihre Mitglieder und in den Territorien, wo ihr von den Regierungen noch Macht und Einfluss eingeräumt wurde, ihren mittelalterlichen Anspruch auf allgemeingültige Welterklärung und Begründung von Moral und Politik aufrechterhalten.
Für sie war es wichtig, dass Religion eine massgebliche Rolle bei der wissenschaftlichen Welterklärung spielte, die Welterklärung nicht ohne Glaubenssätze auskam – andernfalls, so fürchteten die Kirchenvertreter, würde die Glaubwürdigkeit des Glaubens erschüttert.
Überall, wo keine Reformation stattgefunden hatte, wurden „aufgeklärte“ Intellektuelle mit den aus ihrer Sicht mehr als überholten Ansprüchen der Kirche (die von der Mehrheit der „zurückgebliebenen“ und darum „aufklärungsbedürftigen“ Bevölkerung unterstützt wurden) konfrontiert. Dazu war die Kirche ideologische Hauptstütze der absolutistischen monarchischen Regierungen – der „Anciens Regimes“. Die „Aufklärer“ mussten also gegen (alte) Kirche und (absolutistische) Königsmacht teilweise die Ergebnisse der Reformation, teilweise die Ergebnisse der englischen Revolution nachholend durchsetzen.
Die meisten organisierten sich dafür halb-konspirativ als „Freimaurer“, und versuchten, sich gegenseitig Stellungen in staatlichen Behörden und Ministerien oder Einfluss auf Fürsten oder Thronfolger zu verschaffen, um eine „Revolution von oben“ ohne Beteiligung der Bevölkerung in Gang zu setzen – also eine solche, wie es die Glorious Revolution in England gewesen war. Solche „Revolutionen von oben“ fanden dann zwischen 1750 und 1815 in zahllosen katholischen und konservativ-lutherischen Ländern statt, vor allem Österreich (josephinische Reformen) und Bayern (Graf Mongelas). Nach Inhalt und Vorgehensweise kann auch die erste girondistische Phase der Revolution in Frankreich zu diesem Typ von Revolution gezählt werden.


Ausser der Vernunft, die allen Menschen gemeinsam ist, hielten die Autoren der Aufklärung ein zweites Element für entscheidend: die ERFAHRUNG. Sie erklärt, warum Menschen unterschiedlich sind, aber durch Austausch ihrer Erfahrung auch ihre Unterschiede überwinden können.
Sie entwickelten eine eigene Philosophie, die die Stelle der traditionellen religiösen Philosophie einnehmen und sie von dort verdrängen sollte: den EMPIRISMUS. Die empiristischen Philosophen nennen ihre Werke immer „Abhandlung/Untersuchung über den menschlichen Verstand“, damit ist die allgemeine Menschen-Vernunft (human understanding) oder der gesunde, normale Menschenverstand (common sense) gemeint, der das jeweilige individuelle Erfahrungsmaterial ordnet.
Eine der wichtigsten Tätigkeiten der gesamten Aufklärungsepoche ist daher das Zusammentragen, Übersichtlich- und Öffentlich-Zugänglich-Machen (in der Umgangssprache, statt der Gelehrtensprache Latein, oder der Bildungssprache Französisch, dort, wo es Fremdsprache war) des vorhandenen Erfahrungswissens, das (oftmals geheimgehalten) in den Spezialdisziplinen der Handwerke oder privaten aristokratischen und Kloster-Bibliotheken oder historischen Archiven verwahrt war. Das grösste Projekt dieser Art ist die französische Enzyklopädie, daneben entstehen zahllose Überblicks-Darstellungen und Sichtungen von Wissensbeständen, etwa Universal- und National-Geschichts-Darstellungen. Für wissenschaftliche und literarische oder politische Debatten werden Zeitschriften gegründet, daneben entstehen gedruckte Nachrichten-Blätter mit „Korrespondenten“-Berichten aus europäischen Hauptstädten: Zeitungen. Orte der Diskussion sind das Kaffee- oder Weinhaus, der Salon, die „Lese-Gesellschaft“ und andere Bildungs- und kultur-orientierte bürgerliche Vereinigungen, oder auch die Freimaurer-Gemeinde.
Damit hatte das neuzeitliche „Veröffentlichungs-Wesen“ eine neue Stufe erreicht, nach der Übersetzung der Bibel in die Volkssprachen (durch die Reformatoren) und der Edition im Druck des gesdamten Bestandes an klassischer Literatur durch humanistische und nachhumanistische Philologen.
Zunächst muss das Erfahrungswissen aber persönlich erarbeitet, erworben und verarbeitet weren; das geschieht im Bewusstsein (Verstand, intellect, mind) jedes Einzelnen, das Denken ist erst einmal individuell und PRIVAT.
Darüber ergibt sich das Problem, wie die Einzel-Individuen zu einer Gemeinschaft, oder einem Staat werden können: Moral-Begründung; Gesellschaftsvertrag.

Da es jenseits der ohnehin allen gemeinsamen Vernunft und der gemeinsam zu machenden Erfahrung keine weitere Instanz für verbindliche Aussagen oder Forderungen gibt, muss alles, was nicht aus Vernunft und Erfahrung folgt, als nur subjektiv und nicht allgemeingültig wechselseitig TOLERIERT werden. In die Sphäre der allgemein zu akzeptierenden Überzeugungen (Wissenschaft) und Forderungen (Staat, Recht) darf dieses Subjektive nicht eindringen.
Der Staat und sein Handeln ebenso wie die Wissenschaft muss von allen solchen Grundsätzen und Zielen, die nicht allen Bürgern aus Vernunft einleuchten, freigehalten werden, daher: Trennung von Religion oder Weltanschauung und Staat. Trennung von Glaube und Wissenschaft, Trennung von religiös begründeten Normen der Lebensführung und moralischen Grundlagen des Rechts (bis heute aktuell, vgl. Debatten über Abtreibung, Homosexualität ua.) 
Eine extrem wichtige Konsequenz, die aus den europäischen Bürgerkriegen zu ziehen war, lautete: Die grundlegendste Aufgabe des Staats ist die Verhinderung des Bürgerkriegs, und überhaupt von Gewalt zwischen Bürgern. Genau darum und dafür darf der Staat die Unterstützung seiner Brüger verlangen, und von ihnen Gehorsam verlangen. Alle Herrschaftsausübung durch den Staat muss immer mit diesem Grundsatz vereinbar sein, das heisst, der Staat darf nicht eine, wenn auch mächtigste Partei unter allen sein, und auch nicht seine Macht aus Koalitionen mit Parteien beziehen. Er darf es nicht dahin kommen lassen, dass Minderheiten aus der Gesellschaft gedrängt und zur Verzweiflung und zum Terrorismus getrieben werden: Minderheitenrechte. Er muss den möglichen und tatsächlichen Parteien und Interessen unter seinen Bürgern neutral und ausgleichend gegenübertreten. Ausserdem muss er sich, angesichts seiner Machtfülle, in der konkreten Ausübung seiner Macht ständig daran messen lassen, ob die einzelne Massnahme tatsächlich den Gründen für das Dasein des Staats, also dem Staatszweck, entspricht. Die Staatsmacht darf nicht willkürlich ausgeübt werden. Bürgerrechte (Habeas corpus-Akte: Schutz vor willkürlicher Verhaftung u.a.) schützen den Einzelbürger vor Willkür der Behörden. Gesetzgebung, unmittelbares Regieren und Verwalten (zB- die Tätigkeit der Polizei), sowie die Überprüfung von Gesetzgebung und Regierungstätigkeit an den übergreifenden Staatszwecken sollten nicht von denselben Leuten ausgeübt werden: Gewaltenteilung (Montesquieu).

Eine ähnlich wichtige Konsequenz ergab sich aus der langen Vorgeschichte der Gravitationstheorie von Newton. Allein um die Kepler-Gesetze möglich zu machen, waren jahrzehntelange sorgfältigste Himmels-Beobachtungen (des dänische Astronomen Tycho Brahe) und deren Dokumentation erforderlich gewesen. Mit den Mitteln der Privat-Korrespondenz und zufällig verfügbaren Privatvermögen oder Gaben aus der Privatschatulle von Fürsten und reichen Privatleuten zur Finanzierung von Experimenten war die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern nicht mehr zu bewältigen. In der alten scholastischen Universität hatte die neue Wissenschaft aber keinen Platz. Daher wurden Akademien gegründet, um zentrale Publikationsmöglichkeiten zu schaffen und systematisch Kontakte herzustellen, Stipendien zu vergeben und auf viele Weisen die Wissenschaft und Wissenschaftler zu fördern.
Die neuen Naturwissenschaftler hatten unterschiedlichste natur-philosophische und religiöse Privat-Meinungen, teilweise klassisch metaphysische (wenn auch nicht mehr aristotelische), deistische oder auch klassisch konfessionell begründete gläubig-religiöse. Dennoch mussten sie bei der Erklärung ihrer Beobachtungen zusammenarbeiten, um sie in ein immer präziseres Weltbild und Hypothesensystem einfügen zu können. Die allen gemeinsame Basis, unabhängig von allen Unterschieden, war das KORPUSKULAR-System: Alle Körper bestehen aus winzigen „Teilchen“. Deren Eigenschaften dürfen nicht einfach aus den wahrnehmbaren Eigenschaften erschlossen werden (also: die Teilchen sind zB. nicht sicher „gefärbt“). Rückschlüsse aus dem für uns Wahrnehmbaren dürfen nur gezogen werden auf: Masse, Zahl, Volumen, Ort, Bewegungszustand der Teilchen. Damit war das als anti-metaphysisch und „gottlos“ geltende Naturmodell der Epikureer und „Atomisten“ zur offiziellen Leithypothese erhoben, mit der ALLE Naturwissensschaftler, unabhängig von ihrer religiösen Überzeugung, arbeiteten. Damit war auch die Basis für die Entwicklung der Chemie gelegt, die am Ende des Jahrhunderts zu ersten fundamentalen Aussagen über die Verbrennung (Oxidation) gelangte.


In vielen Hinsichten war die empiristische Philosophie nichts andres als eine vernichtende Kritik der alten religiösen Philosophien („Metaphysik“). Sie wollte garkeine neue Metaphysik an die Stelle der alten setzen. In einer Hinsicht aber machte der Empirismus eine Entdeckung (oder sprach aus, was sich in der Erfahrung der nicht-philosophierenden anderen „Aufgeklärten“ abspielte): In der Privat-Erfahrung fanden sich nicht nur die „Erkenntnis“-Funktionen Wahrnehmen-Erinnern-Vorstellen, die mit dem Verstand zusammenarbeiteten. Sondern auch: GEFÜHLE. Während das rein Erkenntnis-bezogene Material ohne weiteres mit dem Verstand zusammenarbeitete, schienen die unleugbar im Bewusstsein vorfindlichen Gefühle dem Verstand wenigstens teilweise zu widersprechen, oder aber auf Bedürfnisse zu verweisen, über die der aufgeklärte Verstand wenig bis nichts zu sagen hatte, und die er aus eigener Kraft erst einmal nicht einschätzen konnte.
Die moralischen Gefühle (das „Wohlwollen“, benevolence) begründeten, beispielsweise, warum Menschen verschiedenen Glaubens und Weltanschauung in einem Staat sich nicht immerzu nur tolerierten und verstandes-gemäss wechselseitig aushielten, sondern womöglich gemeinsam etwas füreinander und miteinander tun könnten, oder mehr Rücksicht aufeinander nehmen würden, als vom Verstand geboten war.
Diese Denkrichtung der Aufklärung (schottische Moralphilosophie) entwickelte sich weiter zum Denken der liberalen und freien Marktwirtschaft: Sie ergänzte das rein negative Sich-Tolerieren und von Übergriffen ins Eigentum des Nebenmenschen Absehen durch ein positives Programm des Miteinanders von Menschen in der sich entwickelnden modern-arbeitsteiligen Gesellschaft.

Dazu kam: Aufgeklärte Menschen waren die Erben eines Ernüchterungsprozesses, der in der Geschichte so noch nie vorgekommen war. Die Welt, die der Glaube sich ausgemalt hatte, war verschwunden (der Soziologe Max Weber hat es so ausgedrückt: sie war ENTZAUBERT). Alles, was man früher oder später von Gott, oder göttlichen Kräften hätte erwarten dürfen, musste man nun selber machen. Die Geschichte hatte so lang gedauert, soviel Kraft war investiert worden – für nichts. Die Wissenschaft stand mehr oder weniger wieder am Anfang, nachdem sie zwischenzeitlich so ungeheuer reif und fortgeschritten zu sein schien, Resultat der erfolgreichen  Arbeit von Jahrtausenden Menschheitsgeschichte. Das GEFÜHL der Geborgenheit in der Welt und in der Gemeinschaft der von Gott eingerichteten Stände war verschwunden. Diese Lücken waren durch die Marktwirtschaft und den allgemeinen Austausch, das Konsumieren-Dürfen der Produkte und Errungenschaften der Andern durch Kaufen und Verkaufen, nicht zu schliessen.

Verloren war auch die Lebensstile grosser Gruppen regulierende und weitreichende Gemeinsamkeiten der Lebensführung (Feiertage, rituelle Bewältigung von Lebenseinschnitten usw.) begründende normierende Kraft des religiösen Glaubens. Die vielen „verschieden Dienkenden“ („Dissidenten“) bildeten immer kleinere Gruppen und Milieus, das Leben der Gesellschaft als ganzer und was sie verband, fand in öffentlichen Ereignissen oder gemeinsam gefeierten Ritualen nicht mehr statt. (Daher die Versuche von aufgeklärten Politikern, an vor-aufklärerische öffentliche religiöse Rituale anzuknüpfen und republikanische Symbole, Feiertage, Zeremonien, Umzüge (Paraden!) zu erfinden, bei denen die in möglichst grosser Zahl teilnehmende Bürgerschaft sich selbst als Gemeinschaft erleben konnte, wie zuvor die Gläubigen.)
Und selbst diese Verluste (die viele spürten, die in ihrem eigenen Leben den Verlust des „Kinderglaubens“ durchmachten) war nicht alles. Ununterbrochen stiegen die Anforderungen, denen Menschen in ihrem sich spezialisierenden Gewerbe, in neuen Berufen, Ausbildungsgängen, Wissenschaften, beim Umgang mit neuen technologischen Chancen und Risiken, genügen mussten; und nicht weniger diejenigen, die ihnen beim Umgang miteinander, als Kaufleute und Inhaber komplexer Rechte und Pflichten, in einer sich ständig wandelnden Umgebung, abverlangt wurden. Die Askese und Selbstdisziplinierung, die früher nur religiöse Ausnahmemenschen als Ausdruck ihrer religiösen Glaubensüberzeugungen auf sich nahmen, war im Leben bürgerlicher Menschen unerlässlich zur Bewältigung der Alltagsanforderungen.
Ihr eigener Körper nicht weniger als die sie umgebende Natur war aus Sicht der Wissenschaft nur ein von Naturgesetzen bestimmter Korpuskelhaufen, den man zur Steigerung von technischer Effizienz auf allen Gebieten beherrschen und kontrollieren lernen musste, damit er störungsfrei funktionierte, wie beabsichtigt.
Auf diese vielfältigen Entfremdungs-Gefühle fanden die Autoren der Aufklärung keine wirkliche Antwort.

Alles, was der aufgeklärte Verstand erfolgreich verworfen hatte, und was aus der neu entstehenden modernen städtischen Zivilisation ausgegrenzt war, wurde zum unerreichten Sehnsuchtsthema für die Gefühlsbedürfnisse. Im Kunstgenuss (zeitgenössische wie Kunstwerke der Vergangenheit), auf Reisen (auch literarischen oder dramatischen) in zurückgebliebene, historische oder exotische (Kultur)Landschaften, und in der als Sehnsuchtsort kunstvoll zurechtgemachten („landscape gardening“) Naturenklave, dem englischen Park oder Garten, durften die aufgeklärten Verstandesmenschen sich nach getaner Tages- oder Wochenarbeit kontrolliert in ausser- und vormoderne Gefühls-Zustände (zurück)versetzen. Der Sinn für das „Ästhetische“ in Kunst und Realität, das „Malerische“ (picturesque, „pittoresk“), und die generelle Empfänglichkeit dafür (sensibility) und das Achten auf Ausgewogenheit im Gefühlshaushalt bei der Alltagsgestaltung, wurden bürgerliche Tugenden. Das Versprechen nicht nur der deutschen Klassik lautete, dass man so den bürgerlich-aufgeklärten Alltag als (fast ausschliesslich männlicher) Bürokrat, Wissenschaftler, Techniker, Industrieller, Kaufmann (und bald schon auch: angestrengt um sein Werk ringender „Künstler“) usw. würde aushalten können.
Sofern der belastete, vereinseitigte und selbst-entfremdete (männliche) Gefühls-Haushalt damit nicht zu stabilisieren war, bot die Kultur der Zeit ein weiteres wichtiges Ersatzmittel an: die Frau, und die (bürgerliche) Familie. Im bürgerlichen Frauenideal kam, wie in den Idealbildern vormoderner, „einfacher“ oder „edler wilder“ Menschen, noch einmal zur Einheit, was im Leben des aufgeklärten Mannes abgetrennt und in je andere, arbeitsteilig zu bearbeitende Kultursphären gebannt war: zweckfreie und nicht berechnend eingesetzte Neugier und unverbrauchter, darum „geistreicher“ Verstandesgebrauch (darauf beruhender „Charme“), sich schonen und auf sich achten (Schönheit, Anmut), Mitgefühl („naive“ Zuwendung zu andern und Fürsorge für sie) und „intuitives“, nicht-wissenschaftliches, einfühlsames Verständnis im Umgang mit sich und andern. Der Preis, den die als Geliebte und Ehefrau „verehrte“ bürgerliche Frau für diese schöne „ursprünglich menschliche“ Einheit in ihrer Persönlichkeit und Lebensführung zu zahlen hatte, bestand in kompletter Entmündigung und Ausschluss von allem, was im Leben moderner Männer Geltung hatte. (Reproduktionsarbeit, Kindererziehung und Haushaltsführung, war in bürgerlichen Häusern Aufgabe des Dienstpersonals.)
Ähnlich kindlich-unmännliche Idealgestalten und Gegenbilder zum Alltag des aufgeklärten männlichen Bürgers waren: das Kind, das einfache „unverdorbene“ (Land)Volk, der edle Wilde („Naturmensch“), oder aber Menschen in Ausnahmezuständen (in denen der Verstand abgeschaltet war): im (Drogen)Rausch, „Passionen“, Perversionen, Psychosen, oder religiös-mystischer Ekstase – die sich, als regelmässige kleine oder grössere Entgleisung, in vielfältig ausgelebten heimlichen (bislang nur „aristokratischen“) „Lastern“, versteckt in Nischen des bürgerlichen Alltags, ausleben liessen – vom Bordellbesuch oder Opiumrauchen, der heimlichen Geliebten, bis hin zum quasi weltanschaulich-perversen Wiederein- oder Übertritt zum mittelalterlichen katholischen Glauben.
Tatsächlich waren die emotionalen und sozialen Kosten der Aufklärung und aufgeklärter Herrschaftsausübung („aufgeklärter Absolutismus“: Modernisierungsdiktatur) für eine zweite Generation von nicht mehr nur Vernunft-, sondern auch Gefühls-orientierten Aufklärern sowohl unübersehbar als auch unerträglich: Jenseits der Versuche, in der privaten Lebensführung einen Ausgleich zu schaffen (was nur für Vermögende erschwinglich war), waren sie nicht nur an einer massenhaften Verbreitung der neuen Erkenntnisse, einer „Demokratisierung“ der Aufklärung in jeder Hinsicht interessiert (nicht nur Vernunft, sondern vor allem auch Gefühle und Gefühlsbedeutungen verbinden Menschen als solche, über alle Standesgrenzen hinweg). Sie forderten obendrein, die Aufklärung dürfe bei den bisherigen Resultaten nicht haltmachen, sondern müsse radikalere Eingriffe in die traditionellen Formen der Lebensführung und politischen Organisation erwägen.
Die Kritik der Religion und ihrer Folgen für Lebensstile und Lebenseinrichtungen wurde verallgemeinert zur ZIVILISATIONSKRITIK. Und diese Kritik richtete sich zunehmend auch gegen die durch bisherige, „unvollständige“ Aufklärung entstandenen Lebens- und Gesellschaftsformen. Die Kritik sah darin mehr Kontinuität als Bruch mit der Vergangenheit. Die Autoren der ersten Aufklärungswelle, Locke, Newton, Voltaire, ebenso die der mehr konservativ-, nämlich fortschritts- „optimistischen“ Enzyklopädie (d’Alembert, Condorcet) wurden ab Mitte des 18.Jahrhunderts plötzlich selbst von einer noch radikaleren Kritik attackiert, etwa derjenigen von Jean-Jacques ROUSSEAU, dem späteren Diderot, Materialisten wie LaMettrie oder dem Baron d’Holbach, oder radikalen Demokraten wie Thomas Paine.
Der bisherige Einspruch des Gefühls gegen die aufgeklärten Verstandesresultate wurde hier gewissermassen rationalisiert, und als Ausdruck unterdrückter – weil den mittlerweile „herrschenden“ Aufklärern und ihren Machtinteressen unerwünschter – Themen „entlarvt“: Die bisherige gemässigte Aufklärung stand auf einmal in einer Reihe mit den vor-aufgeklärten religiösen Volks-Betrügern und politischen Lügnern und „Ideologen“.
Das theoretisch-wissenschaftlich Ungeklärte, das in dieser Bewegung zur Sprache kam, war die von der neuzeitlichen Physik bis dahin völlig vernachlässigte lebendige Natur jenseits der Physik – und die Stellung des Menschen und seines Organismus darin. Tatsächlich verwiesen die vielfältigen Ersatzdrogen und Sehnsüchte der aufgeklärten Verstandesmenschen darauf, dass sie ihre eigene Natur nicht weniger als die umgebende massiv vernachlüssigten und ignorierten – zwischen beidem schien sogar ein unmittelbarer Zusammenhang zu bestehen, das beide Themen vereinigende Gegenmotto lautete: RETOUR A LA NATURE, Zurück zur Natur! Natur war hier Gegenbegriff zur verfeinerten städtischen und höfischen Zivilisation, der sich die neuen aufgeklärten bürgerlichen Schichten geöffnet hatten, mit ihren standesbewussten Abgrenzungen (zwischen alten und neuen Eliten), dem berechnenden, heuchlerischen und selbst-verleugnenden Umgang aller mit allen, und der allgemeinen Konkurrenz um Macht, Einfluss, Ansehen, Einkommensquellen. Dem standen gegenüber: das naturnahe Leben auf dem Land, wo man mit einfachen und gut eingeführten traditionellen Techniken (allenfalls von wenigen Handwerken dezentral gefertigt) für den eignen Lebensunterhalt arbeitete, die Solidarität der traditionellen Dorfgemeinschaft, wo jeder jeder lebenslang kannte, und die alle einbeziehenden Modelle der Beschlussfassung, der Selbstverwaltung, und Selbstverteidigung in Milizen, etwa der Schweizer „republikanischen“ Kantone (Rousseau betonte immer wieder seine Herkunft aus Genf), die man lückenlos zu vormodernen, aussereuropäischen „edlen Wilden“ und antiken, ja sogar biblischen Vorbildern verlängern konnte. Das „verfeinerte“ und natur-fern ungesunde Stadtleben mit seinen „Ausschweifungen“, die unnatürliche Selbst-Disziplinierung unter der Herrschaft des aufgeklärten Verstandes, von Kindesbeinen eingetrichtert, die Ungleichheit der Stände und der auf Grosstechnik und Arbeitsteilung und Ausbeutung beruhende Reichtum: All dies passte auf einmal zusammen. Dass die ersten Aufklärer sich dieser Einsicht verschlossen hatten, hatte aus Sicht der neuen Aufklärer einen Grund, nämlich ihr Interesse am Erhalt bestehender Machtstrukturen – nicht anders als die von ihnen so heftig zuvor kritisierten Priester und Kirchenleute. Die Aufklärung sollte, als Erwachsenen- und Kinder-Pädagogik, ins Volk getragen werden, das, mit seinen noch ursprünglich-menschlichen, also unverbildeten Emotionen und Motiven dafür empfänglich sein würde, und sich gegen die Ausbeuter in den Palästen aller Art, Schlössern, Städten, Fürsten-Höfen auflehnen würde. Wie die Wissenschaft mit ihrem Korpuskel-Modell angeknüpft hatte an die antiken Atomisten, so knüpften jetzt die radikalen Aufklärer an die radikaldemokratischen Verfassungsmodelle und deren Verklärung bei monarchie- und zivilisations-kritischen antiken Autoren wie den Stoikern (in deren Grundsatz „gemäss der Natur leben!“ man sich wiedererkannte) und Tacitus an.
Dabei wurde besonders die GLEICHHEIT der ursprünglichen und „natürlichen“ Gefühle (Bedürfnisse, Emotionen) aller Menschen, und FOLGLICH ihre Gleichheit unter moralischen Gesichtspunkten – jenseits aller Ständeunterschiede – betont – also auch ihre grundlegende politische GleichBERECHTIGTHEIT . Diese Gleichheit galt nicht nur für die Gleichbehandlung aller Menschen durch den Staat, was auf universelle „Menschenrechte“ gegenüber Übergriffen von Regierungen hinauslief, und nicht nur für das allgemeine, freie Wahlrecht für Repräsentativorgane, zu dem (one man, one vote) jeder (Frauen und Farbige bzw. wurden nicht immer erwähnt) in gleicher Weise Zugang haben sollte; sondern vor allem auch als Beschränkung der Eigentumsordnung: Eigentum begründete keine Privilegien vor dem Gesetz. Oder, noch weitergehend: Wo das Eigentum selbst wie ein gewaltiges Privileg erschien (Grossgrundbesitz, übermässiger Reichtum), sollte die Eigentumsordnung korrigiert, die einseitigen Vermögensvorteile rückgängig gemacht werden. An dieser Stelle gingen die Forderungen der rechtsstaatlichen und politischen Demokratie konsequenterweise in die soziale und sozialistische über.
Für jeden dieser Übergänge sollte es später in der Französischen Revolution eine Fraktion und ein Stadium geben, die und das über den gemässigten „englischen“ konstitutionellen Ansatz hinausging, den in Frankreich die Girondisten (und in Deutschland die meisten Parteigänger der Revolution) vertraten. Jakobiner vertraten das demokratische Ideal (etwa wie in der US-Verfassung), und schwärmten von einer Gesellschaft von freien Kleinbauern, die in Milizarmeen kämpften, radikalere Jakobiner vertraten bereits das sozialistische Prinzip von Enteignungen der grossen Vermögen für sozialstaatlicher Umverteilung, atheistisch-kommunistische Hebertisten verlangten Verstaatlichungen, bis hin zum radikalsten Konzept, das allerdings keinen Erfolg mehr hatte: der kommunistischen Verschwörung von Baboeuf 1796, die die völlige Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und demokratische Organisation der Produktion durch die Produzenten forderte.
Aber die historisch unmittelbar nachhaltigste Umsetzung politischer Konzepte dieser Aufklärungswelle war der Aufstand der britischen Kolonien in Nordamerika, und die Grundsätze, nach denen sie ihre Verfassung gestalteten. Sklaven, Indianer und Frauen blieben von Politik und der Gesamtheit der Menschenrechte faktisch ausgeschlossen. Aus historischen Gründen gab es dort keine reiche und umfangreiche Klasse von früh-industriellen Unternehmern, Beamten, Grosshändlern, die sich mit der Aristokratie die Macht teilen konnte – nur Grossgrundbesitzer, nämlich Plantagenbesitzer, wie Thomas Jefferson, die ihre Erträge mit Sklaven erwirtschafteten; aber ohne dabei anderen Siedlern Land zu nehmen – davon war genug da. Das Demokratische ergab sich ganz von selbst, die Armee der Aufständischen bestand von vornherein statt aus gekauften Söldnern, wie die meisten Fürsten- und Monarchen-Armeen der Zeit, aus bewaffneten Stadtbürgern und Bauern, die ihre Waffen selbst bezahlten und von den politischen Zielen der Erhebung überzeugt sein mussten. Demokratie in den USA bedeutete, von der Art ihrer Entstehung her: Misstrauen gegen den immer monarchisch gedachten Zentralstaat (den sie, in Gestalt eines starken Präsidenten-Monarchen, dessen Macht dann wieder mit vielen checks und balances neutralisiert werden muss, eigens installierten; anders war „Regierung“ für sie nicht denkbar.) Es bedeutete erst recht: Misstrauen der bäuerlichen Kleineigentümer gegen jede Form von „sozialistischen“  Übergriffen welcher Instanz auch immer auf ihr Eigentum. Das Recht dieser Kleineigentüner auf Bewaffnung, um zur Not der Regierung erneut den Krieg erklären zu können, gehört bis heute  zum Grund-Bestand an politischen Werten einer Mehrheit von amerikanische Bürgern, die in dieser Tradition denken.
Aus den Gefühlen, als wesentlicher Abteilung des Bewusstseins-Inneren eines jeden Einzelnen, hatten, nach dem bisher Gesagten, somit bereits zwei politische Strömungen ihre Berechtigung (Legitimität) abgeleitet:
Aus den Wohlwollens- und Mitleids-Antrieben und -Empfindungen war die liberale Markt-Befürwortung (Adam Smith, sein Hauptwerk erschien 1776: Der Reichtum der Nationen und seine Ursachen) hervorgegangen, die sich, je länger desto mehr, als eigenständiges politisches Alternativkonzept zum blossen parlamentarisch-konstitutionellen, religiös toleranten, Bürgerrechte gegen Willkür-Übergriffe seiner Beamten wahrenden, aber vorhandene Besitzstände (auch der Aristokraten und Grundbesitzer) schützenden Staat der Glorious Revolution verstand.

Diese Bewegung war nur darum (noch) nicht demokratisch, weil sie sich gegen jede Form von Beschränkung der Gesellschaft durch eine Staatsmacht, und sei es auch eine demokratisch gewählte, wehrte; stattdessen, so dachten diese frühen Markt-Liberalen, würde die Überlegenheit einer arbeitsteilig ihre Produkte auf dem Markt austauschenden Gesellschaft von Käufern und Verkäufern ihrer eigenen Produkte schnell von selbst deutlich werden, wenn nur die Hindernisse von seiten der Staatsmacht beseitigt wären.
Die zweite politische Strömung war diejenige, die die Gleichheit der Gefühle und wesentlichen Antriebe bei allen Menschen (demokratisch) zur Forderung nach politischer, oder noch weitergehend (sozialistisch), ökonomischer und sozialer Gleichheit machte. Da nur diese Strömung sich auf einen Staat und seine Regierung bezog, wurde sie als Strömung in die Entwicklungsgeschichte der politischen Ideen aufgenommen. Richtungen aufgeklärten Denkens, die den Staat für schädlich oder überflüssig hielten, wurden in der traditionellen Geschichte der politischen Ideen ignoriert. Das gilt nicht nur für die staats-kritische Konzeption einer radikalen Marktwirtschaft, einer Gesellschaft von Warenproduzenten (wo noch die Eigentumsverteilung auf Dauer sich durch die Erfolge am Markt immer wieder neu und zum Besten der grossen Mehrheit der Bevölkerung, aber zu niemandes Schaden gestalten würde); sondern auch für die jetzt zu nennende DRITTE nicht-staatliche, und dennoch auf eine Regelung des Zusammenlebens von Menschen in einer Gesellschaft orientierte Denk-Richtung.
Denn: Eine noch radikalere Vorstellung als die von der absoluten Gleichberechtigtheit aller (männlichen, weissen) Bürger, was Rechte, Pflichten, ja sogar Verfügung über Eigentum anging, schloss sich an die Behauptung, dass die Gefühlsreaktionen aller Menschen von Natur aus gleich seien, an: Demnach konnte man die Gefühle von Menschen, unabhängig von ihren sonstigen Überzeugungen, heranziehen, um ihnen die Interessen Anderer, und deren Bedeutung für die Betroffenen, nahezubringen und eben NACHFÜHLBAR zu machen (und umgekehrt, ebenso den Anderen auch die eignen Interessen): Aus unserem gemeinsamen Sich-Einfühlen in die Gefühls-Konsequenzen, die eine Entscheidung in deine oder meine Interessen-Richtung haben würde, würde sich automatisch (hier griff wieder das grundlegende Mitleids- und Solidaritäts-Konzept) Übereinstimmung über das gemeinsam von uns zu Realisierende herstellen.
– Diese Behauptung: „Alle Menschen sind von Natur aus gut, uneigennützig, sozial und verständigungsorientiert eingestellt, haben Mitleid mit Schwachen und Leidenden usw.“, eine Behauptung darüber, wie Menschen „eigentlich“ sind und was VON NATUR AUS zwischen ihnen stattfinden würde, wenn sie unverbildet und ungehindert sich entfalten und miteinander in Kontakt treten dürften, traf bekanntlich in den meisten zeitgenössischen Menschen-Gruppen und Gesellschaften nicht zu. Sie musste daher auf der Stelle ergänzt werden durch die Benennung möglicher Hindernisse, Störungen, Verzerrungen, die diese natürlichen und bei Kindern und edlen Natur- oder auch einfachen Landmenschen mehr oder weniger noch anzutreffenden Reaktionsweisen beschädigten oder nicht zum Zuge kommen liessen.
In dieser Denkweise tauchen wichtige Elemente der andern beiden Gefühls-basierten Doktrinen in neuem Zusammenhang auf:
Mit der Theorie des benevolence/Wohlwollens-basierten liberalen Marktdenkens teilt diese neue Konzeption, dass sie ihren Forderungen ein Menschenbild, eine Anthropologie („Der Mensch ist (von Natur aus) soundso.“) zugrundelegt, und theoretische Erklärungen wie praktische Konsequenzen vor allem zur Frage liefert, was das Menschsein der Menschen stört, verzerrt, verkehrt, und darum (als ein Hindernis und Störquelle) beseitigt werden muss. (Das ist dann Inhalt einer politischen Forderung).
Aber die Wohlwollens-Anthropologie sagt bloss: Hinreichend viele Menschen in der Gesellschaft sind so; die jetzt besprochene „Einfühlungs-Anthropologie“ hingegen behauptet das So-Sein von ALLEN Menschen ohne Unterschied – es sei denn, schädliche Einflüsse hätten auf sie gewirkt. Auch das demokratische und sozialistische Menschenbild macht eine Behauptung über ALLE Menschen (ihre Gefühle, Wertmasstäbe, Wert-Empfindugen usw. sind von Natur aus gleich), leitet aber daraus nur eine Forderung nach gleicher Behandlung durch die Staatsmacht ab, bzw. nach gleichem Zugang zu ihrer Ausübung. Die Einfühlungs-Moral will aber von Macht- und Mehrheitswahl-Verhältnissen nichts wissen,stattdessen setzt sie auf die unmittelbare Begegnung und Verständigung von Mensch zu Mensch. Die Antwort, wie Entscheidungen für Gesellschaften von der Grösse zeitgenössischer Staaten auf dieser Basis getroffen werden können, bleibt diese Denkweise meist schuldig; manche ihrer Anhänger sind konsequent und plädieren für Rückzüge in kleine Gruppen, wo solche persönlichen Begegnungen möglich sind; auf weitergehende Vergesellschaftung müsse eben zur Not verzichtet werden.
Diese dritte Strömung könnte als ein auf Einfühlungsmoral beruhender EMPATHISCHER ANARCHISMUS bezeichnet werden.
Alle drei aus einer „Gefühls-Anthropologie“ abgeleiteten politischen Doktrinen: radikaler Markt-Liberalismus, radikal-demokratisch/sozialistisches Denken, Empathischer Anarchismus, treten als Kritiker des von der ursprünglichen Aufklärung begründeten konstitutionell-monarchischen und parlamentarischen Rechtsstaats mit Zensuswahlrecht und Eigentumsgarantie auf. Sie sehen ihn als faktisches Hindernis für die Entfaltung gesunder und der Natur des Menschen gemässer Vergesellschaftung, bzw. als nicht-legitimes Gegenstück zu einer wahren, den wirklich legitimen, nämlich Gleichheits-orientierten Volkswillen umsetzenden politischen Zustand.
(Die Behauptung darüber, dass das Volk der Gleichen die Vorstellungen dieser Gleichheits-orientierten Volksfreunde tatsächlich teilt, ergab sich leider nicht aus den Prämissen, mit denen die Forderung nach Gleichbehandlung als berechtigt nachgewiesen (legitimiert) wurde. Tatsächlich waren mehr oder weniger radikale Demokraten oder gar Sozialisten in den meisten „aufgeklärten“ Territorien erst einmal für lange Zeit in der Minderheit.)
So, wie aus dem Markt-Liberalismus die Wissenschaft Ökonomie hervorging, und aus der demokratischen und sozialistischen Denkweise die Institutionen von demokratischem Rechtsstaat und Wohlfahrts- oder Sozialstaat, so gingen aus dem „Einfühlungs-“ Menschenbild Theorien und Praktiken von lang anhaltender Wirkung hervor: Psychologie, Pädagogik, Psychotherapie, ausserdem die empfindsame Literatur als Schule der Wahrnehmung subtiler eigener wie fremder Gefühle, und der differenzierten Verständigung darüber.


Aber die Konzentration aller Aufklärer, spätestens der zweiten Generation, auf das, was Gleichheit zwischen Menschen begründen konnte, machte eine Antwort auf die Frage um so dringlicher: Was denn nun verantwortlich sei für die auffälligen Unterschiede zwischen Menschen und vor allem, Menschengruppen und ihren so auffällig unterschiedlichen Kulturen?
Der Verstand und die „natürlichen“ Gefühle nicht; die sollten gleich sein bei allen. Technisches Wissen und Erfahrung waren unterschiedlich, liessen sich aber, im Gegensatz zu kulturellen Einstellungen, viel leichter übermitteln und teilen.
Bei gleicher Verstandes- und Gefühls-Verarbeitung aller Menschen konnten Unterschiede zwischen ihnen sich nur aus den Inhalten von Erfahrung herleiten; allerdings keinen Erfahrungen, die unmittelbar in technische Werkzeuge und Verfahren sich umsetzen liess (diese „materielle“ (technische) Kultur war, wie gesagt, im Gegensatz zur gesamten sonstigen Kultur, leicht zu vermitteln und bei Bedarf zu übernehmen.)
Die Antworten, die Autoren der Aufklärung hierzu vorschlugen, waren im grossen ganzen dürftig: Sie versuchten sich an Ableitungen aus Klima, vorherrschender Produktionsweise (nomadisch, bäuerlich usw.), oder anderen Einwirkungen von Naturfaktoren und der unmittelbaren Reaktion der betroffenen Menschen darauf. Die ungeheuerliche Vielfalt von Mythen, Weltanschauungen, Bildwelten, Lebensstilen, sozialen Praktiken, Werten verschiedener menschlicher Gssellschaften und Gruppen war damit nicht einmal im Ansatz erklärt. Noch weniger hatten Aufklärungs-Autoren beizutragen zu einer Theorie der Kultur-ENTWICKLUNG, also Geschichte. Die spielte sich ja nicht im Leben eines einzelnen ab, sondern eher im „Leben“ von Gruppen, die länger existierten als ihre einzelnen Mitglieder, und wo Konsequenzen auf lange Frist aus Erfahrungen gezogen wurden, die nicht dem Erleben einzelner Menschen, die sich darüber austauschten, entsprangen, sondern der verarbeiteten und tradierten „Geschichte“ von Generationen. Eine solche in der Zeit durch das Erleben ihrer Einzelmitglieder sich wandelnde Gruppe von Menschen nennt man, mit einem Ausdruck, der in der Aufklärung nicht im Mittelpunkt des Interesses stand, wenn er denn überhaupt schon gebildet war: GESELLSCHAFT.

Dieses Wort und dieser Begriff KONNTEN ihre spätere Bedeutung allererst bekommen, als für Zeitgenossen die Kategorie des sozialen und kulturellen Wandels und die Frage danach, wer oder was denn der Träger dieses Wandels sei (wenn es nicht der Einzelne und seine innere und äussere Erfahrung, sein Leben und Erleben war), unmittelbar sich ins Zentrum der Aufmerksamkeit drängte: Indem solche sozialen Wandlungsprozesse, nicht zuletzt durch die Aufklärung angestossen, derart beschleunigt abliefen, dass sie im Leben des Einzelnen anschaulich wahrnehmbar wurden. Die Trägerin dieses Wandels bekam erst angesichts dieser überwältigenden Anschauung ihren Namen: Gesellschaft.
Sozialer Wandel konnte die Klassen oder Schichten einer Gesellschaft unterschiedlich stark umwälzen, die Gesellschaft konnte sich in Zeiten beschleunigten Wandels mit sehr unterschiedlicher Marschgeschwindigkeit in Richtung Fortschritt bewegen. Damit kam die wichtigste Unter-Gliederung der „Gesellschaft“, die Klasse, in Gestalt der zurückgebliebenen und fortschrittlichen, ja zum Fortschritt drängenden, erstmals in den Blick; nicht mehr als gottgewollter religiöser und von der Herrschaft stabilisierter ererbter und scheinbar naturhafter STAND, sondern als Gruppe von durch gleichartige Rollen im politischen und ökonomischen System ausgezeichneter Menschen, mit somit auch oft gleichgerichteten (von ihnen selbst möglicherweise falsch eingeschätzten) Interessen, die gleichförmig historisch eigengesetzlich, oft ohne bewusste Entscheidung der Angehörigen dieser Klasse ablaufenden Umwälzungsprozessen ausgesetzt sein konnte (ein „Stand“ hingegen war ausdrücklich konzipiert als etwas, das sich eben nicht ändern brauchte und darum auch nicht ändern sollte, konnte oder je ändern würde.)
Die reale GESCHICHTE und GESELLSCHAFT (nicht deren ideale Konstruktion, wie die „Geschichte des Niedergangs der Menschen durch den Prozess der Zivilisierung“ etwa bei Rousseau) sind Kategorien, die dem aufgeklärten Denken des 18.Jahrhunderts fernliegen. Die Erfahrung, die durch den allgemeinen Menschenverstand verarbeitet und durch allen Menschen gemeinsame Gefühlsregungen bewertet und in Handlungen umgesetzt werden – sie sind nicht die, die die Tradition einer Gesellschaft ausmachen, sondern gehören dem Einzelmenschen und seinem Bewusstsein an. Darüber hinausgehende Lernprozesse haben die produktiven Autoren der eigentlichen Aufklärungszeit nicht zur Kenntnis genommen.
Ihre Kulturtheorien gingen aus von Lebensläufen Einzelner, in denen sie als Kinder, also Menschen im Natur- und Rohzustand, in der immer gleichen Weise wie ihre Eltern, und die andern Zeitgenossen und Vorfahren ihrer Gruppe, denselben NATÜRLICHEN Umgebungseindrücken ausgesetzt sind, die ihren „Charakter“ demjenigen ihrer Vorfahren und Zeitgenossen ähnlich zurechtformen würden, und alle so Aufgewachsenen mit einer natürlichen Ähnlichkeit zu einem „Volk“ (Stamm usw.) prägen würden. Geistig-seelische Bewusstseins-Prägungen und physiologische Abwandlungen der biologischen Menschennatur im Organismus der so durch die Umgebung Beeinflussten im Verlauf des Aufwachsens wurden dabei nicht wesentlich unterschieden; auch körperliche Vererbbarkeit erworbener, gewissermassen leiblich erworbener und „eingeprägter“ Erfahrungen der Vorfahren wurde, was dem Stand des biologischen Wissens der Zeit entsprach, zur Erklärung von „Menschenrassen“ und/oder Familien- und Einzelpersönlichkeiten, speziell auch „abweichenden“, herangezogen. Die Individuen-Bezogenheit des empiristischen Denkens war hier konsequent: Eher unterstellte es leiblich vererbbare und speicherbare individuelle Érfahrung, als kulturelle Tradierung und gesellschaftliches Lernen.


Zur Aufklärung als Epoche gehören auch die Reaktionen bei jenen Teilen der Gebildeten, im weiteren Sinn auch der Bevölkerung, die sich ihren Gedanken nicht anschliessen wollten, und stattdessen älteren überkommenen Einstellungen und Glaubenssystemen anhingen. Das Neue für die Anhänger der Tradition war, dass sie ihre Position in Konflikten und Gegensätzen oder Rangskalen wie „mehr oder weniger zurückgeblieben bzw. fortgeschritten“ bestimmen mussten – also mit Bewertungen und Begriffen, die in ihrem eigenen Denken eigentlich garnicht vorkamen. Sich auf diese Selbst-Einordnung und mithin auf ein (Streit-)Gespräch mit den Aufklärern einlassen, hiess für diese „Konservativen“ (die sie nun auf einmal waren), sich selbst der Aufklärung öffnen und ihr die Definitionsmacht auch noch über die Art des Konflikts mit ihr zuzugestehen: „Konservative“ und „Reaktionäre“ begannen nun auch, über die Natur des (individuellen) Menschen zu schreiben, und ihre meist religiösen Auffassungen in eine weltliche, um die religiöse Dimension verkürzte Begrifflichkeit zu übersetzen – religiöse Formen des Begründens waren im Dialog mit Aufgeklärten nicht mehr anerkannt. In dieser Verstümmelung und Verkürzung von religiösem Denken, das nicht zuletzt bei der übergrossen Mehrheit der „Aufgeklärten“ in vielfältiger Form und sehr lebendig weiterwirkte, wurde deutlich, dass Aufklärung keineswegs die Religion oder den Glauben angegriffen oder gar als falsch erwiesen hatte, wie sich manche Atheisten einreden wollten. Sie hatte nur religiöse Rede- und Begründungs- oder Legitimationsformen aus der öffentlichen Diskussion über Wert-Entscheidungen in Politik, Moral und Wissenschaft ausgeschlossen. Indem sie sich diesem Ausschluss beugten, und ihre religiösen Überzeugungen in weltliche übersetzten, vollzogen die neuen „Konservativen“ diesen Ausschluss mit. Nur die katholische Kirche verweigerte diese Übersetzungsleistung, und schloss sich als Folge aus dem öffentlichen Dialog für die nächsten zwei Jahrhunderte mit strenger Konsequenz selber aus.
Konservative Theoretiker (wie Edmund Burke) hatten keine allzugrosse begriffliche Anstrengung zu unternehmen, um ihre Überzeugungen vorzutragen – sie mussten nur einfach an allen Stellen das Gegenteil behaupten, wo die Aufklärer vor allem der zweiten Generation ihrer christlichen oder religiösen Überzeugung widersprachen: Nein, die MENSCHLICHE Vernunft ist nicht aller möglichen und nötigen Erkenntnis fähig, vielmehr schwach und unvollkommen, und bedarf sehr der Unterstützung durch „Höheres“, das seine Überlegenheit über die Einsicht des Einzelmenschen seit langem unter Beweis gestellt hat: Traditionelle Institutionen und Autoritäten (die Monarchie, der Staat, das überkommende Recht und die traditionellen Lebensformen einschliesslich der Sozialordnung, die von Generation zu Generation weitergegeben wird, und wo man in seine soziale Position hineingeboren wird: Ständeordnung). Und, nein, der menschliche WILLE ist auch nicht gut, sondern vielfältig verführbar durch gefährliche Reize und illusionäre Wünsche – wie unmündige Kinder bedarf er darum der Lenkung, Beschränkung und Formung (das Bild selbst bereits widersprach dem aufgeklärten Erziehungskonzept, das freie Entfaltung und Förderung des angeboren GUTEN Willens von Kindern vorsah) durch Instanzen, die aus langer historischer Erfahrung um die Gefahren wissen, die aus dem freien Gewährenlassen von Trieben und Wünschen entstehen. So wie der Einzelne, ist auch die Gesellschaft höchst anfällig für Zerfall und Übergang ins Chaos, die Überlegenheit der „zivilisierenden“ Kräfte über die des Chaos ist nie endgültig gesichert; diese grundsätzlich pessimistische Einstellung verdankte sich der Art, wie die Konservativen den Einbruch der Aufklärung selber erfahren hatten. Die letzte und nicht mehr zu überbietende Bestätigung dieser ihrer Erwartung war der innere und äussere europäische Bürgerkrieg und Terror mit hunderttausenden Toten, in den die Französische Revolution (wie jede mutwillige Zerstörung stabilisierender traditioneller Institutionen) aus Sicht ihrer konservativen Kritiker notwendig übergehen musste.
In dieser Erwartung schlug sich einmal mehr die speziell eigene protestantische und englische historische Erfahrung mit Aufstandsbewegungen (dem 80-jährigen Krieg der protestantischen Partei mit den gegen-reformatorischen Mächten) nieder, die vom Staat als wichtigste und erste Aufgabe die Vermeidung solcher Konflikte um jeden Preis forderte.

„Reaktionäre“ gab es aber keineswegs nur in den alten herrschenden Klassen und im Klerus; das „gute Volk“ schlug sich in vielen Fällen auf deren Seite, und bekämpfte die aufgeklärte Partei, die doch in seinem Namen zu sprechen vorgab, mit äusserster Erbitterung und genau jener fanatischen Entschlossenheit, die die Revolutionäre doch eigentlich für die demokratische und soziale Volksmacht und den Volksstaat in der levee en masse entfesseln wollten. In Vendee, Dauphinee, Bretagne und ähnlich in Tirol und Spanien wurden die Kämpfer der Aufklärung zu ihrer Bestürzung mit der Tatsache konfrontiert, dass gerade das „einfache“ Volk sich seiner Aufklärung und Ermächtigung zum Souverän auch verweigern, und sich lieber von den alten Betrüger- und Aussauger-Kräften beherrschen lassen wollte.


Das spezifisch aufgeklärte Denken wurde durch die Erfahrung der Französischen Revolution (deren Verlauf massgeblich durch Forderungen und Überzeugungen der Aufklärer der zweiten Generation (va. Rousseaus) bestimmt wurde) und die sich daran anschliessenden Kriege auf seine eigenen Mängel aufmerksam. Die knapp 30 Jahre nach 1789 waren gefüllt mit einer zuvor so nie erlebten BESCHLEUNIGUNG und Umwälzung von weit mehr als politischen und Herrschaftssystemen. Die beiden schon genannten Kategorien, die dem aufgeklärten Denken bis dahin fremd geblieben waren, waren in der Anschauung der Zeitgenossen unmittelbar zu besichtigen: GESELLSCHAFT, ihre Klassen und Schichten, und die Tatsache der Ungleichzeitigkeit des Stands ihrer „Fortgeschrittenheit“ – die in der Gegenwart fortdauernde (erst recht in die Vergangenheit zu verlängernde, von dort her zu verstehende) GESCHICHTE.
Vor allem auch das Beharrungsvermögen der eigentlich von der Kritik überwundenen Standpunkte kam in den Horizont dieser Kritik. Die theoretische und praktische Konsequenz aus dieser Erfahrung zu ziehen, beanspruchte die Arbeit vieler Jahrzehnte, sie mündete politisch in die Konzepte der marxistischen Linken,  theoretisch und wissenschaftlich in die Zuwendung zu Sprachlichkeit, Einzel-Sprache und Nation, den politischen und sonstigen historischen Untersuchungen, und Soziologie, später Sozial- und Kulturanthropologie als akademischen Fächern. (Auf die Entstehung von Volkswirtschaftslehre, Psychologie und Pädagogik als Wissenschaften aus den zugehörigen philosophischen Theorien des 18.Jahrhunderts wurde bereits hingewiesen.)

Man kann durchaus die Frage aufwerfen, ob die Aufklärung als Epoche tatsächlich beendet ist – und WODURCH sie beendet wurde. Dafür ist es vielleicht sinnvoll, sie in dieser Hinsicht mit der Vorepoche, der Renaissance, und deren zeitlichem Verlauf zu vergleichen.
Dabei müssen zwei in der Geistesgeschichte häufig geäusserte Meinungen korrigiert werden.
Erstens: Anders, als es oft dargestellt wird, gehören Reformation und Renaissance nicht nur zeitlich zusammen, sondern darum, weil es in dieser Epoche generell um eine Suche nach neuen religiösen Orientierungen ging – das ist, was diese beiden Begriffe verbindet.
Und zweitens: Die an die Renaissance anschliessende Barock-Epoche kommt nicht (wie es die Einordnung als eigenständige Epoche verlangen würde) nach einem Bruch – sie ist eher die krisenhafte Spätphase der Renaissance-Epoche. Die eigentlich neuen Themen, eben die der Aufklärung, entfalten sich dann ca. 50 Jahre lang neben und in dem fortdauernden „barocken“ Krisen-Zeitalter. (Nicht anders war es mit dem Renaissance-Humanismus bestellt: Er entwickelte sich in der andauernden Krisen- und Spätphase der Vorepoche – des Hochmittelalters; wann dieses „Spätmittelalter“ endgültig endete, ist schwer anzugeben; die Frage wäre auch falsch gestellt, denn die müsste lauten: WANN endete es WO? in manchen Regionen und (katholischen) Milieus mag es in manchen Hinsichten bis weit ins 20.Jahrhundert angedauert haben.)
So wie es eine Hochphase der Aufklärung in der 2.Hälfte des 18.Jahrhunderts gab, so eine der Renaissance in der Zeit von 1450 bis 1500 (angestossen durch die Ankunft des griechischen Patriarchen und seiner griechisch-sprachigen Bibliothek in Florenz nach seiner Flucht aus dem von Osmanen eroberten Konstantinopel 1453, und die sich daran anschliessende Tätigkeit des Sammelns, philologischen Bearbeitens, Herausgebens und Übersetzens im Druck der bis dahin nur im Osten bekannten antiken griechischen Texte). Das Hauptland der Renaissance, Italien, war am Ende der Phase durch seine politische Schwäche Ziel von Invasionen ausländischer Staaten (va. Frankreich und Spanien/Habsburg= Kaiser Karl V.)), die auf italienischem Boden um die Herrschaft über diese Territorien  kämpften. Die zur Renaissance gehörende Umwälzung fand in den Territorien statt, die an dieser Auseinandersetzung der bis dahin massgeblichen süd- und westeuropäischen Kulturnationen (Italien, Spanien, Frankreich) nicht beteiligt waren. Nicht anders als im Fall der Aufklärung (dort war es England), wandten sich die Ursprungsländer der historischen Bewegung spätestens zum Zeitpunkt der „Revolution“ gegen sie, und nahmen einen „gemässigteren“ Standpunkt ein. Die Weltanschauungs-Bürgerkriege zogen sich dann in beiden Fällen über viele Jahrzehnte hin, und mündeten in historische Katastrophen (wie dem 80/30jährigen Krieg, oder dem 1. und 2. Weltkrieg und den Krisen, Umstürzen und Bürgerkriegen der Zeit dazwischen). In beiden Fällen endete der Aufschwung der Anfangsphase in Ermüdung, Erschöpfung, Resignation und Pessimismus, ohne dass sich die massgeblichen Fragestellungen und Themen der Epoche gewandelt hätten: Den an ihrer Zeit verzweifelnden Zeitgenossen fiel gegen die allseits sichtbaren Krisensymptome einfach kein Heilmittel mehr ein – keines im Horizont der Epochen-Denk- und Praxisformen. Einen anderen hatten sie aber nicht, und suchten ihn auch noch nicht. Sie versanken in Depression (die „Melancholie“ als „Zeitkrankheit“ der Gebildeten in der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts).
Die Vorlaufzeiten für den die Epochen prägenden „ersten“ Umsturz, Reformation im einen, Revolution im andern Fall, waren etwa gleich lang, nämlich ca. 100 Jahre. Die Reformationstheologie war weitgehend um 1400 von dem Schotten Wiclif ab 1360-80, später von dem Tschechen („Böhmen“) Jan Hus vollkommen ausgebildet, Luther wunderte sich später bei Gelegenheit einer öffentlichen Disputation mit der päpstlichen Seite, dass seine eigene Theologie fast vollständig im Werk von Hus vorweggenommen war. Dieselben Vorlaufzeiten ergeben sich auch für die Französische Revolution. Gleiches gilt für die nachfolgende Konfliktphase: Im Fall der Renaissance-Epoche mag sie mit dem Westfälischen Frieden und dem Spanisch-französischen Friedensschluss (Pyrenäenfriede1653) ihren Abschluss gefunden haben (die konfessionellen Konflikte gingen auf niedrigerem Niveau weiter, etwa: Aufhebung des Toleranzedikts von Nantes Heinrichs IV. durch Ludwig XIV. 1685 und die nachfolgende Massen-Zwangsauswanderung von Hugenotten (französische Protestanten); Ausweisung der Salzburger Protestanten usw. – man könnte von einem andauernden Kalten Krieg zwischen Reformation und Gegenreformation sprechen.). Ähnliches lässt sich von den europäischen Auseinandersetzungen bis hin zum Ende des Kalten Kriegs 1985-89 sagen.
Auch hier gibt es eine Spätphase, die sich selbst „Moderne“ nennt; auch hier dauert etwas über sein Ende hinaus an, auch hier entwickelt sich womöglich die Substanz der Folgeperiode in und neben der fortdauernden Krisenphase der älteren.
Die Themen des europäischen 19.Jahrhunderts sind dieselben wie die der Aufklärungsepoche – tatsächlich gibt es keinen Epochen-Namen, den man als „nächsten“ ans Ende der Aufkärung anschliessen könnte. Alle geistigen Strömungen im Europa des 19.Jahrhunderts knüpfen wesentlich an Ideen und Ausgangspunkte an, die in der eigentlichen produktiven Aufklärungsphase angelegt waren.
Die beiden neuen Begriffe Geschichte und Gesellschaft, die hinzukommen, sorgen nur für Vertiefung und Vervollständigung der Denkansätze aus dem 18. Jahrhundert. So wie in der Renaissance die Künste und Weltkenntnisse, einschliesslich der historischen Texte, einerseits, und die religiösen Glaubenssysteme andererseits sich entfalteten, dazu neue Formen des staatlichen (vollendet im früh-neuzeitlichen Zentralstaat, in seiner Maximalform: Absolutismus) und religiösen Lebens und der Gemeinschaftsbildung (Kirchenorganisation), mit den Konflikten um die Rolle der Religion und Kirche in der Öffentlichkeit, so in der Modernisierungsphase im Anschluss an die Aufklärung Wissenschaften und Technologien einerseits, Geistes- und Gesellschaftswissenschaften andererseits; beides praktisch umgesetzt in der Industrialisierung in kapitalistischen Formen, mit dem nachfolgenden Gegensatz der so entwickelten Bevölkerungen zu ihren gemässigten und radikalen marxistischen linken Gegnern. All das ist in der Aufklärung angelegt, die fundamentalen Kategorien, in denen bis heute Politik und Wissenschaft gedacht werden, sind die in dieser Zeit (1688-1789) gebildeten.

Das vielleicht grösste Missverständnis in der historischen Betrachtung der Aufklärung, also des Ursprungs der Denkweisen und grundlegenden Einstellungen unserer Zeit, besteht darin zu glauben, sie habe eine Kritik oder auch nur eine Erklärung des religiösen Glaubens geliefert. Die meisten der Autoren, die herkömmlich als Aufklärer bezeichnet werden, waren tief religiös im Sinne der einen oder anderen Glaubensrichtung.
(Das sollte sich später fortsetzen, etwa in der stark an esoterische Konzepte erinnernden Glaubenslehre der Materialistischen Dialektik des späten Engels, oder von materialistischen Eiferern von Haeckel bis Dawkins, die ihre Attacken auf andere Konfessionen regelmässig verbinden mit eigenen Entwürfen, die die Materie mit personalen Zügen ausstatten, wie nur je in einem pantheistischen System.)
Dass es bis heute keine solche Kritik oder Erklärung des Religiösen gibt, hat einen tieferen Grund: Unsere Epoche, die seit ihrem Beginn in der Aufklärung soviel vom Menschen spricht, hat keinen wirklichen Begriff von ihm, als „vernünftigem“, „zurechnungsfähigem“, oder „Person“ usw.
Das einzige, was sie (auf der Grundlage des Empirismus) bis heute zu sagen weiss, ist, dass „der Mensch“ in sich selbst zu schauen hat, so wie auch in die Natur, und registrieren soll, was er dort „erlebt“: Als würde er nicht im Richten seiner Aufmerksamkeit ununterbrochen mit Gründen HANDELN – und als stiessen ihm die „Ereignisse“ seines Inneren einfach zu – ohne sein Zutun.
Genauso redete die Vorepoche von der Welt, und meinte die von Gottes Willen und Handeln durchdrungene Wirklichkeit.
Tatsächlich ist das Bewusstsein oder die Person des modernen Empirismus nichts anderes als diese Welt, nur dass sie gewissermassen aus dem Bewusstsein Gottes in das der irdische Einzelperson versetzt ist; wobei ihr einige Maximal-Ausprägungen von göttlichen ALL-Fähigkeiten (wie Allmacht, Allwissen, Allweisheit) abhanden gekommen sind. Der Rest ist derselbe: Das Innenleben ist eine Welt für sich, eine Innenwelt, von der man auch nicht recht weiss, wodurch sie sich eigentlich von der äusseren unterscheidet – der (Einzel)Mensch hat ja nur diese, „Seine“.
Obwohl die Moderne das Versäumnis der eigentlichen Aufklärung nachgeholt hat und sich mit Nachdruck der Geschichte (als empirischem Stoff und Material) zugewendet hat, kann sie das ihr fremde Vormoderne, nämlich den Glauben, nicht verstehen; um so weniger kann sich ihr Geschichte als Ganze erschliessen. Und so wie die wechselnden besonderen historischen Situationen sich ihrem Verständnis entziehen, so das, was Menschen durch all diese Situationen denn verbindet: was das gemeinsame, letztlich biologisch verankerte Personsein all der vergangenen und gegenwärtigen Menschen ausmacht. Die Antworten auf diese Frage haben sich nicht wesentlich verbessert seit den ersten Versuchen der späten Aufklärer zu einer Anthropologie der Unterschiede zwischen Menschen, die in verschiedenen Räumen zu verschiedenen Zeiten leben.
Das schlimmste Versäumnis der Moderne als Epoche, die mit der Aufklärung begann und sich seither so krisenhaft weiter entwickelt hat, deutet sich hier nur an: Dass nicht nur die biologische Gemeinsamkeit aller Menschen unbestimmt bleibt, sondern die damit gegebene Verwurzelung in der Natur, als Fundament unserer Selbst-Erhaltungsarbeit (Reproduktion), und die Stellung, die wir der Natur gegenüber darum einnehmen sollten, soweit sie uns unbekannt ist. Natur ist für die Moderne (und das gilt auch noch für das, was an uns Menschen „Natur“ zu sein scheint – wieviel das ist, und was ihr gegenübertritt, bleibt völlig unbestimmt) das, was die moderne „Naturwissenschaft“ untersucht – jene, die in der Zeit Newtons mit dem Korpuskular-Modell der Elemente ihren Anfang nahm.
Lange Zeit war die sehr bewegliche Grenze zwischen der „atomar“ oder aus Teilchen (Korpuskeln) aufgebauten Natur, der toten, mechanischen, und der lebendigen, zugleich die Verteidigungslinie religiöser Glaubenssysteme, die sich – ähnlich wie früher die aristotelischen Sphären jenseits der des Mondes – einen Weltbestandteil sichern wollten, der nur mit ihren Kategorien zu erklären war. Der Standpunkt, der dies an biologischen Kategorien, dem Organischen, Lebenden, dem Leben selbst zu behaupten versuchte, war der VITALISMUS, er wurde durch die ersten Resultate der Biochemie (Harnstoff-Synthese durch Wöhler 1828) widerlegt, so wie die nächste und wichtigste Verteidigungslinie der Glaubensvertreter durch die Evolutionslehre von Charles Darwin und die moderne Genetik durchbrochen wurde. Es bleiben seither „das Bewusstsein“ und „der freie Wille“ als nicht auf Materie (als Gegenstand der Naturwissenschaft) reduzierbare innerweltliche Phänomene – an dieser Grenze arbeitet sich die Neurophysiologie mit ihren neuerdings verfügbaren Bild-gebenden Verfahren und den Blicken ins Gehirn, die sie angeblich eröffnen, ab. Auch diese Frontlinie wird grundsätzlich von denselben religiösen und „anti-religiös-materialistischen“ Begriffen bestimmt, die durch Aufklärung und Moderne hindurch den unentschiedenen Konflikt um die Berechtigung religiöser Anteile an der Welterklärung bestimmten. Die religiösen Weltmodelle scheinen dabei die einzigen Alternativen zur Naturwissenschaft: angesichts der andauernden Auseinandersetzung dieser Wissenschaft mit den älteren ud überholten Systemen der Welterklärung wird ihr eigener Mangel vollständig übersehen: Dass nämlich die Kategorie des ELEMENTS das einzige ist, was diese empiristisch orientierte Wissenschaft sich selbst an „notwendig in der Welt zu Erwartendem und darum auch zu Suchenden“ vorgegeben hat. Alles andere ist nur Zusammensetzung aus Elementarem und wird als solche und nur als solche erklärt – empiristische Naturwissenschaft kennt von vorneherein ausser Elementen nur noch Komplexe, und welche Formen die annehmen können, muss durch Beobachtung und Experiment gefunden werden: Alles ist möglich (und was davon wirklich vorkommt, nicht vorhersehbar). Wir als Teil dieser Natur gedacht, sind dann nichts weiter als ein sehr komplexer Komplex; wir können uns anschauen, wie andre solche Komplexe, dann wissen wir, wie wir sind. Allerdings könnten wir anders sein wollen als wir sind und uns ändern (unser Handeln, beispielsweise) – spätestens, wenn wir einen guten Grund dafür haben. Was uns als guter Grund gilt, kann nicht wieder gefunden werden durch Uns-Anschauen; denn guter Grund ist nur, was wir als solchen (mit Gründen? mit vernünftigen Prinzipien?) ANERKENNEN. Dem Faktum des Anerkennens (wenn es stattgefunden hat) kann aber nichts mehr vorausgehen, das „Beobachtend“ ist – die Anerkennung ist unsere TAT, die das Faktum (das nachträglich nicht beobachtet werden kann) in die Welt bringt.
Und – wiederum faktisch – geschieht dies Anerkennen nicht regellos, sondern (wie sich andeutete) nach Prinzipien, die ihre GUTEN GRÜNDE haben. Dass etwas so wie es ist, nicht bleibt, weil an ihm ein Mangel ist, zumindest aber besser gemacht werden kann, spätestens, wenn es dafür (erfahrene) Anzeichen gibt, ist nun nicht nur das Wesen dessen, was man LERNEN im allgemeinen nennt; sondern auch jenen Lernens, das die Naturwissenschaft selbst EVOLUTION genannt hat. Evolution, also das, was nach übereinstimmender Meinung der Naturwissenschaftler uns hervorgebracht hat (aus Elementen und einfachen Komplexen), ist freilich voll von „guten Gründen“ – die ERKLÄREN, warum etwas zunächst rein Zufälliges bestehen bleibt und sich erhält. Mag sein, dass auch noch andres sich erhalten hätte, wäre es anstelle des tatsächlich Vorkommenden entstanden; aber Beliebiges erhält sich eben nicht selbst. Und weil nicht ALLES sich selbst erhält, kann das, was sich über lange Zeit entweder erhalten oder noch weiterentwickelt hat, NICHT beliebig sein. Hier wäre ein wichtiger Einwand gegen den empiristischen Ansatz der Naturwissenschaft, und genauer noch, der empiristischen Betrachtung der BELEBTEN und entwickelten, nämlich lebenden Natur im allgemeinen, und UNS im speziellen: Es ist hier eben grade nicht alles möglich, nicht einmal ist alles möglich gewesen. Die Frage, was notwendig so wie es ist, sein muss, um überhaupt zu sein, könnte ein Ansatz sein, um über das bisherige moderne Denken hinauszukommen (nämlich in genauere Denkformen hineinzukommen); ohne in Religion zurückzufallen. Denn die hat sich die Frage, was notwendig so sein muss und was zufällig, noch weniger gestellt als Aufklärung und Moderne.
Genau darum, weil die Moderne und ihre naturwissenschaftlich vorbereitete Technologie kein Verhältnis zu etwas in der Natur hat, das NOTWENDIG so, wie es ist, sein muss, um überhaupt zu sein (denn, empiristisch gesprochen, könnte ES ja auch ganz anders sein; oder ganz andres sein) – und, weil selbst wir, aus ihrer Sicht, nichts in uns haben, was nicht anders oder genauso gut nicht sein könnte (und das ohne dass wir aufhören wir zu sein, in den Hinsichten, die uns (warum?) wichtig sind.. (könnten sie auch anders sein?)) – darum hat die Moderne auch kein Verhältnis zu der Möglichkeit, dass es in der Natur für uns, so wie wir NOTWENDIG sind, NOTWENDIG Wichtiges und Beachtenswertes gibt; noch weniger hat sie ein Verhältnis dazu, dass wir mit unserer Technologie, so wie wir notwendig sind, dies für uns Notwendige nicht (noch einmal) erschaffen oder wiederherstellen können, wenn es zerstört ist.
Die Moderne tut vielmehr so, als müssten, aber könnten wir auch die Natur, nämlich das Leben auf der Erde, erst noch herstellen; als gäbe es noch keine und keins. Am Ende müssen wir, aus moderner Sicht, auch uns selbst noch herstellen. Gibt es uns denn noch nicht? Und wenn wir uns herstellen oder in andere umbauen: In was für welche? Und dass wir das wollen… können wir das nicht auch wieder ändern an uns? Oder gibt es dagegen gute Gründe? Aber warum sind, so wie wir funktionieren, DIESE die „guten“ unbd ausschlaggebenden Gründe, und nicht ganz andere? Könnten wir uns nicht in solche umbauen, für die es so wäre – dass diese ganz andern Gründe für SIE „gute“ wären? Wenn wir es dann nicht tun, obwohl wir es könnten – liegt es daran, dass wir ZUFÄLLIG (und keineswegs NOTWENDIG) so SIND? Aber auch GANZ ANDERS sein könnten.. (ohne aufzuhören, zu sein, was wir im Kern sind: Personen, vernünftig, zurechnungsfähig)?