Kommentar: http://keimform.de/2017/notizen-zur-veraenderung-der-gesellschaftsform/#comment-1204758
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Zur Charakterisierung „epochaler“ Produktionsverhältnisse (etwa des letzten vor-kapitalistischen, des kapitalistischen, oder common(al)istischen) benennt man traditionell-marxistisch vorrangig die allgemeinst-möglichen Arten von Funktionen und Stellungen in der (erweiterten) gesellschaftlich-arbeitsteiligen Reproduktion, die die Klassen-Einteilung nach Einkommensquellen (wer arbeitet für wen, wer bezieht von wem sein Einkommen?) und Verfügung über Produktivvermögen begründen. (Über diese grundlegendste Gliederung hinaus kann man, insbesondere zur Charakterisierung historischer Dynamik auf kürzere Fristen, an und in den „epochalen“ Klassen weitere Unterteilungen feststellen, Übergänge und Funktionswechsel beschreiben usw). Die Charakterisierung über bestimmte Branchen*), also durch ihr Branchenprodukt charakterisierte Produzentenklassen, ist nicht geeignet zur Charakterisierung des über eine Epoche hinweg Gleichbleibenden und zwischen Epochen Wechselnden, weil, wie man an Bennis Abfolge bemerkt, die hier anführbaren Branchen bereits innerhalb der Epoche wechseln – Epochenwechsel Epochenunterschiede, Epochen-Definitionen/wesentliche Merkmale hingegen markieren die fundamentalsten aller Änderungen im Aufbau gesellschaftlich-arbeitsteiliger (Re)Produktion. Entsprechend den von Marx/Engels bemerkten Zusammenhängen geht es da immer auch um etwas „Produktivkraft“-Mässiges, die Frage ist nur: Was? In früheren Kommentaren habe ich immer wieder auf den Mangel hingewiesen, dass dem Versuch einer „fundamentalen“ Epochengliederung nach Produktionsverhältnissen das unentbehrliche Pendant auf der „Produktivkraft“-Seite (ausser im Fall des Kapitalismus) fehlt; ich meinerseits habe versucht, diese Lücke durch Benennung von „Epochenaufgaben“ zu schliessen. Dabei ergeben sich wesentliche „Unter-Epochen“ durch Teilungen dieser übergreifenden „Epochenaufgaben“ in eine „Entwicklungs-“ und eine „Expansionsphase, also (nur zur Illustration, ohne Anspruch vorgetragen) etwa:
1. Mehrprodukt-Bildung überhaupt in einer Staats- und Territorialherrschaft überhaupt (in geographisch/klimatisch privilegierten Regionen) – Expansion dieser Herrschaftsform zu einrem Grossreich mit naturräumlichen Grenzen und Verteilung des aus sämtlichen naturwüchsig privilegierten Reichtumsquellen erstellbaren Mehrprodukts über eine angemessene Logistik und vorgeschobene zivilisatorische Zentren (erstmals früh-eisenzeitlich umgesetzt von Assyrern);
2. Wiederholung dieser Mehrprodukt-Erzeugung unter Ausnutzung zu entwickelnder lokaler Reichtumsquellen auf der Gesamtfläche des vormaligen Grossreichs (das sich in einen zusammenhängenden „Kulturraum“, va. geprägt durch vorherrschende „Hochreligionen“, verwandelt hat) – Fernhandel mit Überschüssen der regionalen Agrar- und Handwerksproduktion in und zwischen Kulturräumen sowie globale Ausdehnung der lokale Reichtumsquellen erschliessenden Produktion in historisch demgegenüber zurückgebliebene Regionen;
3. „Entwicklung der Produktivkräfte“ durch „selbstzweckhafte“ technologische Naturwissenschafts-Entwicklung und daran anschliessende Produktivitäts-Steigerung national – Globalisierung d.h. Internationalisierung dieser Produktionsweise.
4. (hypothetisch-utopisch) „Beziehung von Innovation auf fundamentale Zwecke (Einzelperson (Lebensführung und Lebensentwurf im Rahmen kollektiver Reproduktion) – Natur – Wissens-Tradierung
Anm. 1: Lokal können in späteren Epochen Momente der zurückgebliebenen enthalten sein, sodass es zu Phänomenen der Ungleichzeitigkeit und zu (beschleunigten) Aufholprozessen, sowohl materiell als auch sozial, kommt. Man kann dies sehen als Bestätigung der Hypothese, dass das Durchlaufen der Stadien und der Aufbau entsprechender Produktionsverhältnisse nicht umgangen werden kann.
Anm. 2: Die Anfangs-Phasen der Folge-Epochen überschneiden sich mit und laufen her neben den Expansions-Phasen der Vor-Epochen.
Anm. 3: Der Epochenwandel ist gekennzeichnet durch eine „Krise“, in der das Scheitern der (expandierten) Vor-Epoche an Problemen, die sich im Rahmen der folgenden Epochenaufgabe stellen, offensichtlich wird.
Wenn ich die aus meiner Sicht fundamental zu lösende „Epochen-Aufgabe“ benenne, will ich damit zugleich noch nichts ausgesagt haben über die Art der dazu gehörenden Produktionsverhältnisse und/oder deren Verhältnis zu „gelingenden“ Aufgabenlösungen („erreichter Stand der Produktivkräfte“). Die Marx/Engels-Hypothese bezüglich Art und Verhältnis (in meine Begrifflichkeit übersetzt, was die „Produktivkraft-Seite“ anlangt) lautet bekanntlich: Epochale Produktionsverhältnisse sind erzwungen durch durchgehend gleichbleibende funktionale Anforderungen, die die Lösung der Epochenaufgabe an die arbeitsteilige Gesellschaftsorganisation stellt – so, dass im Epochenübergang ein Wandel oder gar Umsturz der Produktionsverhältnisse ansteht. Da Marx/Engels über Produktivkraft-Entwicklung („Aufgaben“ und „Aufgabenlösungen“) nicht allzuviel nachgedacht haben, sondern (naheliegenderweise) sich auf die (aus ihrer Sicht) vor ihnen liegenden politischen Ziele hin orientierten, ist über die ganz allgemeine Formulierung der Hypothese hinaus nicht mehr viel an Begründung vorgebracht worden, zumal das historische Wissen zu diesem Zeitpunkt eher dürftig war (das gilt auch noch für einschlägige spätere Publikationen von Engels). Als Kern der ME-Hypothese ist zu sehen die behauptete FUNKTIONALITÄT der Klassen(losigkeits)- als fundamentale Arbeitsteilungs-Verhältnisse, deren Grundlage mit der sich (uU dramatisch zugespitzt) neu stellenden nächsten Epochen-Aufgabe entfällt. – Von der ersten geschichtstheoretischen ME-Aufgabe abtrennen lässt sich ihre zweite, die Basis-Überbau-Hypothese, die in wesentlichen Hinsichten darum unbestimmt bleibt, weil sie hinsichtlich der „Funktionalität“ also notwendigen Bestimmtheit gesellschaftlicher Verhältnisse durch Anforderungen nur die Unterteilung in „unerlässslich“ (Basis, Produktionsverhältnis) und „epi-phänomenal, symptomatisch, fakultativ“ usw enthält, und eher ohne Begründung die Funktionalität auf die Klassen-Verhältnisse beschränkt. Dabei werden wesentliche weitere „gesellschaftlich“ arbeitsteilig organisiert auf der materiellen Ebene zu erbringende Leistungen, vor allem beim Aufbau einer epochalen Produktionsweise, unterschlagen: etwa die Frage, welche Gruppen wodurch als Pioniere für den Aufbau der nächsten Produktionsweise infragekommen, und wie diese Pionier-Leistungen in die „reife“ Produktionsweise einmünden (welche Leistungen für einen solchen „Reife-Zustand“ erbracht sein müssen).
Zur Definition der Träger der Pionierleistung mache ich einen Vorschlag: Es müssen Gruppen sein, die zur Wissensverarbeitung eine (passend) epochal neue Stellung einnehmen; solche Gruppen müssen zahlenmässig hinreichend gross sein, um die kulturellen Vorarbeiten gleichzeitig in Angriff nehmen zu können, die zur Erarbeitung des „Reife“-Zustands nötig sind. In der Definition von kulturellen „Reife“-Kriterien wird der ME-Hypothese von der ausschliesslichen Funktionalität der Klassenverhältnisse widersprochen, und dort dem Überbau zugerechnete Momente der „Reife“ der Basis, also der Produktionsweise, als unentbehrliche Momente zugerechnet. Die Blindheit von ME gegenüber diesen Elementen ist ihrerseits als historisches Faktum erklärungsbedürftig.
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PS: Die „massgeblichen“ Produktionsbereiche, die Benni anführt, sind nach meiner Einschätzung Kandidaten für eine über die sich-mit-sich-reproduzierende Arbeit hinausgehende (aber sie und alle vorhergehenden Stufen weiterhin einschliessende) Erweiterung der Wert-definierenden Ressourcen-Basis. 3faches Kriterium für Zugehörigkeit zu dieser Güterklasse ist das erwähnte „sich mit sich Reproduzieren“, darüberhinaus aber das „sich aus eignen Mitteln produktiver Machen“, und das „für jede weitergehende Verwendung über die bestehende Reproduktion hinaus unentbehrlich Sein“.
Genau das sind nämlich die Eigenschaften, die bis ca 1860 (vor Einführung der Schwerindustrie in den Bereich der „sich miteinander sich reproduzierenden Güter“) die damals vorherrschende „abstrakte“ Arbeit (gemessen in Zeit ihrer Verausgabung unter Durchschnittsbedingungen ihrer Produktivität, als Teil der zur Gesamtreproduktion nötigen Arbeit) zur Wert-bestimmenden gemacht hat. Mehr dazu demnächst in der „nicht-öffentlichen Fortsetzung des franziska-Blogs“.
DIE DREI EBENEN:
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1.Ebene: Epochen-Produktionsweisen
Das Marx/Engels’sche Paar Prod.kräfte/Prod.verhältnis ist das übergreifend Gemeinsame aller Epochen.
Darum, nebenbei, wurde es als Präzisierung der Kategorie „geschichtliche Entwicklung“ auch als erstes gedacht (von den beiden).
Man findet den Satz vom Sein, das das Bewusstsein bestimmt, darin in gewissem Sinn präzisiert.
Eine vorsichtige weitere Konkretisierung habe ich vorgeschlagen, nämlich die materielle Entwicklung (die Prod.kraft-Seite) in Termen wie „fundamentale“ oder „epochale“ Aufgabe (einfach zu definieren, schwer zu machen) zu analysieren.
Dann ergibt sich zwanglos auch eine Artikulation, Gliederung der Gesamtentwicklung in „notwendige“ Grossepochen, und ich nehme es als Bestätigung, dass sie den unmittelbar ansprechenden üblichen Grosseinteilungen entspricht.
Den Einwand, dass das Schema ein euro-zentrisches sein könnte, nehme ich sehr ernst; aber das, was dann – ebenfalls sehr „Anschauungs-nah“ angebracht wird, um den Einwand zu belegen, nämlich dass sich das Diskontinuierliche der (west-, mittel-, süd-) europäischen Geschichte anderswo so nicht wiederfinden lässt, ist kein Widerspruch: Die „antiken“ und „mittelalterlichen“ Aufgaben und Aufgabenlösungen können längere Zeit nebeneinander herlaufen. Weder impliziert die Kategorie „Epochenaufgabe“ Diskontinuität oder schliesst strikt „Nebeneinander“ (schon garnicht geographisch) aus; noch impliziert sie „Gross- oder Kleinräumigkeit“ als notwendiges Epochen-Merkmal; letzteres ist wahrscheinlich ein „physiognomisches (Epochen)Merkmal“ (das antike GROSS-Reich; die feudale KLEIN-Teiligkeit), aber kein bestimmendes (definitorisches oder aus der Definition abgeleitetes).
Man muss in der empirischen Anwendung auch vorsichtig sein und die europäische Chronologie nicht zum Masstab für die Beurteilung aussereuropäischer Verläufe machen, während hier noch Antike war, ist in Indien womöglich schon etwas „Mittelalterliches“ zu sehen (das buddhistische Ashoka-Reich); in China hinkt die Entwicklung manchmal (etwas) hinterher und manchmal scheint sie vorauszulaufen.
Die Rede von den Aufgaben-Lösungen bedeutet auch eine Loslösung von einer zu banalen Auffassung des „materialen“ Pols des Konzept-Paares: Produktivkräfte sind nicht einfach das technisch Gekonnte, Technik-Entwicklung; die rückt so prominent als das eigentliche Thema (etwa als Geschichte der Erfindungen und Entdeckungen) erst in der Moderne ins Zentrum der Aufmerksamkeit, Produktivkräfte in antiken Gesellsschaften bezieht umgekehrt natürlich ihre Technologien ein, aber die zweck-bezogenen Aufgabenlösungen: wie sie ihre Logistik anlegen, Grenzen ziehen usw, oft auch die Militär-„Technologie“, stehen dann doch im Vordergrund. Entdeckungen, die nicht für die massgeblichen Epochen-Zwecke nutzbar sind, bleiben unverwertet (zB Herons „Dampfmaschine“). Und das liegt nicht am Produktionsverhältnis (der grundsätzliche Fehler in der Needham-Fragestellung bzgl. der chinesischen Geschichte: Diese Geschichte ist hinter der europäischen vermutlich nur ca. 100-200 Jahre zurück, und folgt mit verblüffender Präzision einem sehr vergleichbaren Entwicklungspfad, was um so signifikanter ist, als die ersten Kulturkontakte erst recht spät (Jesuiten am Kaiserhof, 1.Hälfte 17.Jh) stattfanden.) Die Technologien der klimatisch/geographisch privilegierten Zonen („Getreidekammern“) lassen sich auch garnicht in andere Zonen mitnehmen (Bewässerungskulturen); genau das begründet ja die mittelalterlich/feudale Aufgabenstellung: erreiche dasselbe Zivilsationsniveau in den naturwüchsig weniger privilegierten Zonen, dehne Siedlungsstrukturen in diese Zonen hinein aus, auch wenn sie erstmal dafür nicht geeignet erscheinen usw. Das was Marx über die Entdeckung der Gebrauchswerte sagt, ist eigentlich vor allem eine mittelalterliche Aktiivität (schon da einhergehend mit einer Flut von Erfindungen und Entdeckungen). Modern fällt das auseinander, da entdeckt man Effekte und technische Kontroll-Formen, für die man erst die Anwendung (dann, immer noch) finden muss.
2.Ebene: Mentalitäten
Wie grobschlächtig das Begriffspaar und das Marx/Engels-Theorem bzgl Entwicklung und der Wechselwirkung von Prod.kraft- und Prod-verhältnis ist, lässt sich schon daran erkennen, dass das genaue Verhältnis von Sein und Bewusstsein anschliessend nie genau bestimmt wurde.
Man kann sagen, dass es DIESE Stelle ist, wo meine Theorie-Vorschläge, und zwar ausdrücklich mit dem Anspruch, materialistisch zu sein, ins Spiel kommen: Materialistisch insofern, als sie das Marx/EngelsTheorem (in der Deutung oder Lesart, die ich der Prod.kraft-Entwicklung gebe, also Aufgabe/Lösung) strikt als begrifflichen Rahmen voraussetzt, und dafür eine Präzisierung liefern will.
Diese Präzisierung setzt ein mit dem Begriff LERNEN (verstanden als Inbegriff aller verbundenen Praktiken des Umgangs mit Wissen, Unwissen, Wissenserwerb (geplantem wie unfreiwlligem), Risiko und Chance, Hypothese und Experiment, Tradierung, Wissens(arbeits)teilung), und erklärt ihn für den dynamischen Kern jeder Produktivkraft-Entwicklung, alles nicht unmittelbar in ihm Enthaltene aber als „materielle Voraussetzung“.
Das ist so zu verstehen, dass gewissermassen Lernen der höchste materielle Zweck ist, den historische Bevölkerungen sich setzen können, und dem all ihre anderen produktiven Leistungen zuarbeiten. Man kann auch eine Wertung darin sehen: Aller Fortschritt in der Geschichte ist einer des Lernens.
Das schliesst ein, dass es lange Zeiträume geben kann, in denen Lernfortschritte konsolidiert werden müssen, es ist ja nicht immer so wie in der Moderne gewesen, dass ununterbrochen Innovation sein muss, selbst diese moderne Innovations-Obsession hat etwas von rasendem Stillstand, Ausarbeitung, und eben: Konsolidierung (die Anwendung und Ausarbeitungn der Wissenschaft) zum Inhalt.
An dieser Stelle könnte ich ein Referat meiner Theorie geben, ich belasse es aber mit ein paar hingeworfenen Thesen oder Theoremen:
1. Das Lernen spielt sich auf der Ebene von Individuen ab, selbst wo es inter-individuelle Hilfsmittel einsetzt, wie Medien, Aufzeichnung/Konservierung, „Spuren“ (ein Gerät, das man findet oder gesehen hat, kann nachgebaut werden; eine Zuchtpflanze kann mitgenommen und anderswo eingesetzt werden, selbst wenn ihre Züchter nicht mehr dasind usw): Das „gesellschaftlich“ oder medial konservierte Wissen kann individuell angeeignet werden, um in Praktiken „angewandt“ und „weiterentwickelt“ zu werden.
2. Weil das so ist, kann die allgemeine mentale Lern- und Bildungsgeschichte das Fassungsvermögen von Individuen nie übersteigen, sie ist daran als Schranke gebunden (immer noch Konsequenz des ersten Satzes); sie umfasst daher Stufen, die in individuellen Lebensläufen einzuholen und eventuell historisch zu überbieten sind. Aller Fortschritt ist einer in der genaueren Bestimmung dessen, was rationales Lernen, Wissenserwerben ausmacht, und damit letztlich: worin sinnvolles Handeln überhaupt besteht.
3. Kaum haben wir das gesagt, wird ein weiterer Zug des Sprechens über Praxis deutlich: Praxis und Praktiken haben IMMER einen Bezug zu UNSEREM Urteil und Wissens-Stand; dieser Bezug wird ungefähr umschrieben mit dem Begriff: VERSTEHEN; wir subsumieren die Handlungen und Regelsysteme der Andern, auch vor unserer Zeit Lebender, unter unseren Begriff von Sinn, Vernünftigkeit, Sinn-machendem Handeln (auch als unseren Standards gegenüber (verständlicherweise) zurückgeblieben, „aufzuklären“ usw).
Die Beschreibung von Handlungen und ihren Gründen im Rahmen bestehender Erfahrung einer Person oder Gruppe auf der Ebene, auf der man mit diesen Personen im unmittelbaren Gespräch (2.grammatische Person: du/ihr) prinzipiell im Moment des Gesprächs Einigkeit herstellen kann, sind PSYCHOLOGISCHE oder MENTALE Zuschreibungen; diejenigen Beschreibungen, in denen man sinnvoll (im Moment der Rede) nur ÜBER die andern sprechen kann, und worin man ihnen (aufholbar gedachte) Defizite zuschreibt, sollen (mit einem Kunstausdruck) METAMENTALE Zuschreibungen heissen.
Anm 1: Weder psychologisch/mental noch metamental kann man über sich selbst reden. Die gesamte cartesianische (idealistisch-metaphysische) Tradition krankt an diesem Fehler. (Zb „ich weiss, dass…“ ist bestenfalls eine beteuernde, keine „einen sinnvollen Unterschied, sinnvoll verneinbar, machende“ Äusserung; nicht so wie bei der Zuschreibung in der dritten Person: X weiss (nicht), dass…; ein Satz, den man sinnvoll nicht in gleicher Weise der Person selbst gegenüber äussern kann: Du weisst nicht, dass… (und das wird auch so bleiben? nein – wenn ich es , ist es ja schon geändert…)
Besonders verrückt sind die („ernst gemeinten“) Äusserungen von Agitatoren nach dem Muster der MG/gsp: „Du willst nicht sehen, dass…“. (unterstellend: zu einer Erkenntnis entschliesst man sich, ausschliesslich… nebenbei, das glauben sie bei Hegel gelesen zu haben…)
Anm 2: Wir können nie mehr verstehen, als wir in unserer eigenen Bildungsgeschichte an Begriffen, Differenzierungen, „Präzisierungen“ erarbeitet haben. Trivial: Wir können das, worauf ANDRE aufmerksam sind, nur in Betracht ziehen, wenn wir es selber (in dem Moment) auch sind.
„Nicht bedenken“, nicht bedacht haben, keiner Aufmerksamkeit für wert befinden, ist daher die wichtigste „metamentale Defizit-Kategorie“ überhaupt; der Kern des Kerns des Fortschritts, der die Lern-Geschichte ist, besteht daher im immer differenzierteren Bilden von Begriffen, bis hin zum („selbst-reflexiven“) Begriff des eigenen Lernens und seiner Prinzipien (und der Formen des Zurückgebliebenseins der andern dahinter). Das schliesst vor allem ein eine Einsicht darein, warum etwas Aufmerksamkeit verdient, und wie man zu dieser Einsicht kommt: Vermittlung von Fortgeschrittenheit.
Es gibt, sage ich, bisher nur 3 oberste Lernregeln, Sinnbegriffe, Optimalhypothesen, Rationalitäts-Vorstellungen, Fundamental-Motive der Begriffsbildung (alles Namen für ein und dasselbe):
vor-religiös, vor langer Zeit war dieser Standpunkt einmal sogar kultur-bildend (Magie und Aberglaube; bei „Naturvölkern“; in historischen Subkulturen); er ist zugleich der Aller-normalste in allen bisherigen Gesellschaften aller Zeiten, nämlich der erste, den alle einnehmen, wenn nicht besondere Bildungsanstrengungen unternommen werden, ihnen den Fortschritt darüberhinaus zu vermitteln. Die Kurzform für diese Mentalität bei mir ist: Opp (für OPPortunistisch, ein Ausdruck der zu erklären wäre).
religiös: Grundlage für beinah alle „Theorie“-Bildung ausserhalb der Naturwissenschaft, also für beinah alle nicht-technischen Bildungsinhalte (REL);
modern: Grundlage der Naturwissenschaft und MODernen Technik-Entwicklung (eigentlich dasselbe)(beides als Selbstzweck), aber leider nicht mehr (MOD).
Es zeichnet sich ein nach-moderner 4.Standpunkt ab; über den ist hier noch nicht viel zu sagen.
Entscheidende Zutat: Die Standpunkte („Mentalitäten“) werden nicht „pur“ eingenommen, sondern ihre kulturell bereits etablierten Inhalte werden (da es sich um Ausdifferenzierungen des vorhergehenden handelt, ist das möglich) in einem diesen Inhalten unangemessenen (nämlich nicht so weit fortgeschritten, wie er selber ist) Rahmen angeeignet: Die Unangemessenheit sorgt für „innere Widersprüche“, der Weg zur „angemessenen“ Aneignung ist „gebahnt“; leider ist der authentisch-historische Weg der Pioniere von diesen nie mit überliefert worden, wie also der Weg zum „korrekten Rahmen“ („wirklicher RELigiosität im Vergleich zu nur OPPortunistischer“) verläuft, muss immer wieder neu in individuellen Bildungsgängen entdeckt werden. Eine Katatsorphe, die unter anderm erklärt, warum Epochen-Programme Zeit brauchen für ihre Umsetzung.
Wetere Zutat: „Kultur“ ist keineswegs positiv zu verstehen, es ist nämlich die Summe der „Aneignungen“ im unpassend-zurückgebliebenen Rahmen, dazu gehört bei Menschen, die auf OPP-Grundlagen (oft sehr differenziert, mit viel Wissensmaterial) operieren, AUTORITÄRER (berechnender) Umgang mit Bildungsinhalten.
Kultur beruht wesentlich auf solch autoritärer, Vermittler wie Adressaten verbindender Vermittlung, Verbreitung, und Herstellung sozialer Konformität.
Je unautoritärer, desto unkonformistischer, aber auch asozialer.
Die OPP begründeten Standpunkte haben eine eigene Entwicklungsreihe, die POLITISIERUNG, in der auch das OPP Weltverhältnis reift und rationaler wird.
(Diesen politischen Standpunkten entsprechen ebensolche aufseiten der auf REL und MOD Grundlagen Denkenden, die aber wegen der Seltenheit der so eingenommenen Positionen bisher nicht sehr beachtet wurden; sie sind auch bei näherer Betrachtung fast alle UNHALTBAR; sie SCHEITERN.)
Anm. Eine extrem unvollkommene Fassung der Politisierungs-Standpunktreihe ist von Kohlberg vorgelegt worden. Bezeichnenderweise lässt sie einen historisch entscheidenen Standpunkt aus, den staatsbürgerlichen (davor: Gewalt/Vertrags-´Standpunkt; der Staatsbürger- kann auch als „Interesse“-Standpunkt bezeichnet werden, ihm folgt der Gerechtigkeits- und als letzter der „empathische Vermittlungs-Standpunkt“.). – Die politisierten Verhältnisse sind allgemein die Verhältnisse zu den Welt-Verhaltnissen anderer (den Vorschlägen, Forderungen, Projekten,schliesslich auch Erwartungen für sich und andere, die sie bei gegebnem Erfahrungsstand ausbilden). Darin kommt das über mentale und metamentale Verhältnisse Gesagte zur Anwendung. Von besonderem Interesse ist, wie „Zuückgebliebene“ sich zu den Inhalten „Fortgeschrittener“ stellen, wie sie deren für sie unverständliche Vorschläge usw begreifen und sich dazu stellen (meistens höchst desinteressiert) – unter welchen Umständen eine „unangemessene“, „bloss kulturelle“ Aneignung stattfindet („scheinbarer Erfolg“ der fortgeschrittenen Position. allgemeine Christianisierung zB, in Wahrheit Aneignung genuin RELigiöser in magisch-abergläubischen Rahmen-Regelsystemen des Umgangs mit Welt, Erfahrung, Lernen usw)
Zentrales Theorem dieser Stufe: Die Aufgaben einer Epoche können nur angegangen bzw gelöst werden, wenn genügend Träger einer den Anforderungen der Epochen-Aufgabe gewachsenen Mentalität (etwa: REL für das Mittelalter) vorhanden sind und regelmässig durch die Epoche hindurch reproduziert werden. Diese (materiell aufwendige! vgl.: Bildungsinstitutionen, Freistellung von Leuten dafür usw) Reproduktion von Mentalitäten auf Epochen-angemessen hohem Niveau ist zentraler Bestandteil jedes gesellschaftlich.kulturellen Epochen-„Seins“ (eine Moderne ohne Wissenschaftler und Technikentwickler ist undenkbar, ein Mittelalter ohne RELigiöse „Virtuose“ (Max Weber) ist unmöglich, eine Antike ohne Menschen mit „Staatsräson“ oder mindestens Vertrags-Standpunkten lässt sich nicht aufrechterhalten).
Wichtiger Zusatz. Der zentrale Mangel in den Einsichten von Marx/Engels in historische Prozess besteht aus meiner Sicht in ihrem mangelhaften Verständnis für die MATERIELLE Errungenschaft, die ein genuin RELigiöses Weltverhältnis darstellt: Zwar gibt es da den „Glauben“ und die Schranke, die er jeder weiträumigen Erfahrungsverarbeitung setzt (nebenbei hat sie die Entdeckungsreisen der frühen Neuzeit nicht verhindert, ebenso wenig die Entwicklung von Naturwissenschaft, oder waren die Puritaner der „Royal Society“ etwa alles heimliche Atheisten?). Aber diese (verkehrt gebildete) „Optimalhypothese“ erlaubt in der irdischen Praxis eine grundsätzlich EXPERIMENTELLE Einstellung („in Gottes Hand sein“) und die („traditions-bildungsfähige“) Konzentration auf lokale Entwicklungsaufgaben. Was ich meine, wird vielleicht deutlicher, wenn man zB die Rolle der Klöster und der irischen Mission (ähnlich: buddhistisch im chinesischen Frühmittelalter) für die zivilisatorische Erschliessung der Fläche in der ehemaligen römischen Provinz in Betracht zieht. Was für einen Zuwachs an Rationalität im Umgang mit Lern- und anderen materiellen Aufgaben das bedeutet, wird erst deutlich im Vergleich mit dem vor-RELigiösen, dem OPPortunistischen oder „Normal“-Verhalten zu Welt, Lernen, Wissen. Eine Ahnung davon vermittelt derzeit dieser Text: https://selbstbestimmung-als-aufgabe.de/normalitaet-oder-die-begruendung-durchs-hinreichend-bewaehrte/so-again-what-is-the-mistake-of-the-normal-planning-mode-of-learning/ derzeit leider nur in Englisch verfügbar, Übersetzung demnächst). Die Langfassung (ihrerseits noch mit Mängeln, die zT im engl.Text behoben wurden) ist der Menü-Punkt: „Normalität usw“, in dem sich dieser „draft/Entwurf für ein Kapitel 8i“ befindet.
3.Ebene: Kultur-Stränge
Mit diesem Theorem ist der Übergang zum dritten Moment der materialistischen Geschichtstheorie markiert; das durch das Frantisek Graus’sche „Strang/Bündel“-Konzept näher charakterisiert wird, und die ARBEITSTEILUNG im Rahmen von PRODUKTIONSVERHÄLTNISSEN anspricht, aber in ständigem Bezug zum Inhalt der zu leistenden Arbeiten – denn die Leute müssen ja auf der materiellen Ebene zusammen-arbeiten, ihre Tätigkeiten müssen sinnvoll ineinander greifen und sich verzahnen, damit ihnen die Arbeitsteilung überhaupt gelingt.
Genau das ist in den Anfangsphasen (der „Ausbildung von Keimformen“) von Epochen noch nicht der Fall, und es begründet die Belastung, die sich aus einer Pionier-Stellung ergibt: Aller Anfang ist schwer, weil es viele Anfänge sind, die sich anfangs nicht entgegenkommen, die nicht zusammenarbeiten, keine Synergien entwickeln. Umgekehrt, das Kompakte einer Kultur, also auch das, was ihr den Halt oder gar die (erdrückende) Wucht einer unhintergehbaren Normalität, Dauerhaftigkeit, Sinnhaftigkeit und Vernünftigkeit für die in ihr Lebenden verleiht, ist genau dieses Zueinander-Passen vieler oder gar aller Lebenssphären, die Möglichkeit der konstanten Arbeitsteilung, Ausdifferenzierung von nebeneinander „lebbaren“ Wert- und Leistungsdimensionen, die die Festlegung von ganzen Lebensläufen, Lebensentwürfen Einzelner auf (nur) eine solche (Kultur)Sphäre, als Beruf, Stand usw erzwingen.
Im Begriff „Kultur“ ist das Gebilde gefasst, das sich aus einer prekären, aber mittelfristig stabil erscheinenden und von hinreichend vielen Teilen einer Bevölkerung geteilten Aufgabe und der Strategie zu ihrer Lösung (1.Ebene) ergibt, wie auch immer sich die Stellung der eigentlichen Inhaltsträger zu den nur unangemessen diesen Inhalt Aneignenden im einzelnen ist, und wie sie das Projekt in sinnvoll miteinander verknüpfte Unterprojekte (die Stränge) unterteilen, die dann als in einzelnen Lebensläufen (von Gruppen mit gleicher Tätigkeit, Qualifikation usw) bewältigbar erscheinen.
Die Verzahnungsstelle ist durch zwei bzw drei Kategorien bezeichnet:
„Mentalität“ ist die unumstritten „gültige“ („herrschende“) Fassung, die die Epochenaufgabe von seiten der angemessen fortgeschrittenen Träger und ihrer (wie unangemessen immer sie sich diesen Inhalt angeeignet haben mag) Gefolgschaft erhält, sie definiert das Normensystem, im Kern das System des Umgangs mit (Nicht)Wissen, das Lernen in dieser Kultur: etwa, welchen Idealen entsprechend man als „Christ“ sein Leben in gleich welchem Stand (Kleriker, Bauer, Ritter…) einzurichten hat. .
„Individualität“ ist die Summe an biographien-übergreifenden Projekten, die im Rahmen dieser geteilten Mentalität, bei gegebnem Erfahungsstand, als relevante Lösungen oder Lösungsversuche verstanden und verfolgt werden. Hierzu gehört eine Vorstellung, was man „diachron“ für tradierbar und tradierenswert sowie an Rollen für reproduzierbar und reproduzierenswert hält, und auch, welche vergangenen Projekte man als Vorleistungen für dies selbst verfolgte ansieht.
In diese Individualtiät fügen sich die Lebensentwürfe, im Rahmen der „geltenden“ arbeitsteiligen Organisation der Unter- oder „Strang“-Projekte ein (die Summe dieser über einen biographischen Lebensentwurfs-Horizont, auf den man sich etwa beim Erwachsenwerden für sein Leben ausrichtet, also für die absehbare Dauer der eigenen „Generation“ von einem selbst wie den andern „Zeit- und Generationsgenossen“ verfolgten Projekte nenne ich: ihre (aktuelle) Lebensform.)
Unterhalb dieser Ebene ergeben sich aus den Lebensentwürfen sich ergebende (und insofern erzwungene) Anpassungsleistungen der „Persönlichkeit“, also der Lebenseinrichtung von Tag zu Tag, der Fähigkeiten und Bedürfnisse, vor allem auch kompensatorischer (an andern ausgelebter, ausgeblendeter, unentwickelter) Bedürfnisse; diese langfristige Ausrichtung der Einzelperson auf die Anforderungen ihres Lebensentwurfs nenne ich die IDENTITÄT.
Auf dieser Ebene, aber auch auf der des Lebensentwurfs, spielen wichtige Anteile der „Nebenwidersprüche“: männlich/weiblich; Kopf/Hand; städtisch/ländlich; zentral/peripher… es gibt weitere historische Vorläufer, die heute ihre Bedeutung eingebüsst haben, wie: fromm/weltlich; Krieger/Nichtkrieger; eventuell auch Elemente von Klassenunterschieden (der Bourdieu’sche Habitus): Geschmacksunterschiede von Belang. Darum, weil hier Ziel-Konflikte einer sehr speziellen Art zu lösen sind und die „Konflikt“-Freiheit zu erreichen eine entscheidende Aufgabe, wurde hier bewusst die Bezeichnung (die ansonsten heute inflationär gebraucht wird) beibehalten: Identität ist die subjektiv gelungene konfliktfreie Lebenseinrichtung („Selbstideal“: was und wie man „sein“ will. Mehr zu diesem Begriff unterm Menü-Punkt „Identität, Individualität, gender“ des Hauptmenüs oben links).
Zentrales Theorem (und wichtig für die „Keimform“-Überlegungen): Ein Epochen-Übergäng beginnt „vielsträngig“, auch wenn die Pioniere uU durch ein und dieselbe (fortgeschrittene) Mentalität verbunden sind (und sich dabei als deren Träger (an)erkennen oder nicht, sich der Gemeinsamkeit bewusst sind oder nicht, sich entsprechend organisieren usw).
Die Anfänge erscheinen im Licht der Werte und Ziele der Vor-Epoche abwegig, wenn nicht verrückt. (Genauer: Im Licht des WELTVERHÄLTNISSES der Vor-Epoche, also nicht nur des Produktionsverhältnisses.) – Es wird aus heutiger Sicht wenig nachvollzogen, WIE abseitig die Experimente (soweit nicht ganz unmittelbar verwertbar: Fernrohr, militärisch) der ersten Naturwissenschaftler auf grosse Teile der Zeitgenossen (vor allem der unteren Schichten) wirken mussten – das gehörte dann doch eher in den Bereich höfischer Unterhaltung und ins fürstliche Kuriositäten-Kabinett…)
Darum ist die Frage, wer eigentlich Träger dieser Pionier-Entwicklungen (gewesen) ist und warum, von Belang.
Zentrales Theorem: In einer Pionier-Situation sind Lebensentwurf und Individualität nicht vorgegeben, sondern werden mühsam entworfen und konstruiert; die „Sinn“-Definition (auf Mentalitäts-Ebene, selbst wenn sie eingenommen wird) ist extrem schwer auf diese Praxis-Ebenen hinunter zu übertragen.
Zentrales Theorem: Die Bemühungen von Pionieren laufen NEBEN und IN den historisch ausgereiften Kultur-Lebensformen und -entwürfen ihrer Zeitgenossen ab. Es gibt kaum Verbindungen (kein Wunder, wenn man das Ausmass an Distanz ihrer zeitgenössischen Umgebung zu den Unternehmungen der Pioniere (Spinner, Aussenseiter, Sekte usw) in Betracht zieht).
Zentrales Theorem: Eine Epoche hört nicht einfach auf, und stösst nicht bündig an die nächste. Sie lebt, nachdem sie „die Macht“ oder mit Gramsci gesagt, die kulturelle Hegemonie verloren hat, in mächtigen Subkulturen weiter, und bildet ein Reservat für „Regressionen“ und „Zurückgebliebenheiten“ auf allen Ebenen der Praxis-Begründung, für Einzelpersonen, Gruppen, Schichten, „zurückgebliebene“ Regionen usw.
Zentrales Theorem: Die Erfüllung einer Epochenaufgabe und das Scheitern an genau der daraus sich ergebenden nächsten (Ebene 1!) zeigt sich in einem Zerrüttungsprozess; unzulängliche oder ausblebende Lösungen belasten die Gesellschaft, innere Komplexität durch das ereichte Kulturniveau macht sie unflexibel, die belasteten Kulturstränge versuchen, die nicht gelingenden Aufgabenanteile einander zuzuschieben, „Eliten“ werden aus immer ahnungsloseren, „provinzielleren“ und abgeschottet sich selbst reproduzierenden Bevölkerungsteilen rekrutiert. Die „Stränge“ verlieren wieder ihre Synergien, arbeiten womöglich immer mehr gegeneinander. Zugleich lähmt der angesichts der Reife der Gesellschaft unerklärliche Misserfolg die Zuversicht, die Anfälligkeit gegenüber ansonsten leicht zu bewältigenden Beschädigungen wächst, die Problemlösungen werden aufgeschoben und machen sich nach längerer Leugnung explosiv bemerkbar, zugleich driften immer grössere Teile der Bevölkerung in Zweifel und Verweigerung ab; die verbliebenen konformistischen Bevölkerungsteile (Minderheiten) verschanzen sich in ihren Positionen, werden aggressiv gegen die Abweichler, regredieren (auch politisch)… (vgl. die „7 Thesen“ weiter oben im Menü).
Zentrales Theorem: Krise und Pioniertätigkeit laufen nebeneinander, die Krise behindert den Neuaufbau, der Nauaufbau braucht lange, bis er zum Faktor der Krisenbewältigung wird (die 5 keimform-Schritte gehören hierher).Die ersten historischen Durchbrüche, Gründungen, bahnbrechenden Entdeckungen und Errungenschaften liegen im Schnitt 100-150-200 Jahre vor dem allgemein erkennbaren „Aufschwung“ eines Kultur-Strangs, und das ist ja nur einer, der erst mit andern zu einem „Bündel“ (nach F.Graus) zusammentreten muss, bevor alles zu einem einheitlichen Epochen-Strang verwoben ist. Meist beginnt dann schon wieder die Krise…
- 35 franziska (25.11.2017, 17:23 Uhr)
Zur begrifflich-theoretischen Einordnung möchte ich den Kommentaren folgendes hinzufügen:
1. WENN wir tatsächlich etwas von der Art einer „Formation“, „Epoche“, „Produktionsweise“, „dominantes Produktionsverhältnis“ vor dem „kapitalistischen“ suchen, dann sollten wir uns um genauere Begriffsbestimmungen bemühen: „Feudalismus“ – was ist das, und lässt sich das irgendwie halbwegs belegen in der Zeit vor, sagen wir, den Frühphasen der industriellen Revolution? – Es geht vielleicht nicht so sehr um die zeitliche An- und Zuordnung zu Jahreszahlen, sondern zunächst viel zentraler um die begriffliche Bestimmung der massgeblichen materiellen Grundlagen, der zugehörigen Arbeitsteilungs- und Klassen/Herrschafts-Formen…
2. Ist es begrifflich nötig und möglich, dass solche Formationen zeitlich bündig aneinander stossen, oder gibt es ein womöglich sehr breites Übergangsfeld (wie es doch auch die Fünfschritt-Theorie postuliert, soweit ich sie verstehe)? Und gilt vergleichbares nicht sogar noch lange Zeit für weniger fortgeschrittene Territorien, wenn sie der weltgeschichtliche Fortschrittsprozess erreicht, und dort womöglich mehrere Transformationen beinah zeitgleich ablaufen? Dh die Tranformation breitet sich wellenförmig im Raum aus von den weitestentwickelten Zentren in die Peripherie, wo in unterschiedlichen Regionen mit unterschiedlichen Entwicklungs-Tempi auf die hereinkommende Welle aus Chancen und Zwängen reagiert wird.
3. Wenn man nun über ein Land spricht, und die wichtigsten, die „entscheidenden“ Änderungen sucht, sollte man sich verständigen über die ungefähren Zeiträume, über die man spricht. Agrarrevolution und die Sache mit den Pächtern findet mE im 18.Jh statt, enclosures hingegen sind viel älter und haben sich die ganze Zeit hindurch erhalten (s. dazu den englischen Wikipedia-Artikel); die extremen Terrorgesetze gegen Bettelei und das Hineinpressen der Paupers in Arbeitsverhältnisse ist ebenfalls viel früher angesiedelt (Manufakturen gehören mE zur Vor-kapitalistischen Formation X, die kein Feudalismus ist und noch keinen Namen hat.)
4. Die „Synchronisierung“ einer ganzen Bevölkerung zu einer „national“ definierten „Gesellschaft“ ist vielleicht ihrerseits ein neueres historisches Phänomen, dessen Ausgeprägtheit in verschiedenen Gemeinwesen zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich war. (Ähnliches gilt für die Frage, worin eigentlich „Entwicklung der Produktivkräfte“ besteht: Im beständigen Erfinden neuer Technologien? Oder gibts da noch andre Dimensionen (selbst wenn es einen beständigen Fluss an Erfindungen und deren schnelle Verbreitung zB im Hoch- und Spätmittelalter gibt?)
5. Angesichts dessen ist immer die Frage, was eigentlich WIRKLICH die Kategorien sind, in denen der übergreifende Prozess sich abspielt. Ob also Sätze wie „es gibt immer (!) eine Vielfalt von Produktionsweisen nebeneinander, oder neben einer herrschenden“ auf dieser Ebene des zeit-übergreifend Gültigen liegt, oder ob es sich seinerseits um eine (mehrere, aber nicht alle) Epochen übergreifende Erscheinung handelt; und selbst wenn, wäre die zweite Frage, wie sich solche Vielfalt erklärt – ist sie das letzte Wort, oder ein Übergangszustand, etwa wegen des Nebeneinanders von sich entwickelnder, herrschender, regional „zurückgebliebener“ oder „überholter“ Produktionsweise.
Anm. „Entwicklung“ könnte ja auch bedeuten, dass „archaischere“ Gesellschafts-Merkmale zunehmend verschwinden – die Klassen beispielsweise; oder die Dominanz der Landwirtschaft; oder die entscheidende Rolle der je bewohnten Naturräume usw. Marx/Engels haben genau die Notwendigkeit eines Verschwindens der genannten Vielfalt oder des Nebeneinanders von „Produktionsweisen“ behauptet…
6. Zur Gleichsetzung von Kapitalismus mit „universell gewordener Warenproduktion“ ist anzumerken: dass dazu ja die Produktivkräfte durch Innovationen enorm entwickelt sein mussten; ich hatte mal in erster Näherung die 60er Jahre in den westlichen Industrieländern als den Zeitraum genannt, in dem die Gleichsetzung anfängt wirklich gültig zu werden.
7. Marx/Engels haben das „Formations“-Thema nicht nur extrem stark auf (aus meiner Sicht zT äusserst dubiose, zB „Sklavenhaltung“) Epochen- „Produktionsverhältnisse“ zugespitzt (und die „materielle“ Grundlage dafür eigentlich garnicht in ihrer historischen Dynamik für erörternswert gehalten); sondern sie haben auch sehr stark gedacht in Termen von „Revolutions-artigen“ Transformationen. All die Komplikationen, die hier andeutungsweise von Annette und andern eingebracht werden, waren nicht im Focus „marxistischer“ Autoren.
8. Und dahinter taucht ein viel weiter gehender Mangel auf. Selbst die bürgerliche Geschichtswissenschaft versteht sich heute als Abteilung der Sozialwissenschaft – unter dem Titel „Beschreibung und Erklärung des historischen Wandels“ von Gesellschaften. Wenn man nun auch die marxistischen Theorien darauf hin einordnet, muss man sagen: Die generellen Grobheiten der gesamten „Gesellschaftsauffassung“ (die allgemeinen Kategorien) der marxistischen Tradition übertragen sich konsequenterweise auch auf ihre Betrachtung der geschichtliche Dimension von „Gesellschaft“. Die Geschichtstheorie kann ja nicht kategorial differenzierter sein als die allgemeine Gesellschaftstheorie. Und da sage ich: Es ist ein grosser Unterschied, ob man „Gesellschaftliches“ als System, oder als (kollektive, wie mangelhaft immer koordinierte) Praxis beschreibt. Welche Muster an Veränderungsdynamik also immer man als die den „kategorial“ allem möglichen Verstehen zugrundezulegenden behauptet – man muss sie aus solchen fundamentaleren Kategorien von menschlicher Vergesellschaftung ableiten. Es ist also implizit eine Anfrage an die Befürworter der hier jeweils genannten Konzepte (Fünfschritt, historischer Materialismus) zu sagen, aus welchem übergreifenden Begriff von Gesellschaft und/oder deren Veränderung sie diese Kategorien als notwendige gewinnen.
Anm. An diesem Punkt (System vs Praxis als Grundbegriff) sehe ich die fundamentalste aller inner-radikallinken Theorie-Kontroversen angesiedelt.
9. Das ganze ist keine rein intellektuelle Angelegenheit. Die Theorien von Marx/Engels und ihrer Nachfolger wurden AUCH präsentiert mit der ungeheuren Zuversicht, einen Schlüssel zum Verständnis gefunden zu haben, der zugleich EINFACH ist: Der Kommun/Commonismus ist einfach, du kannst ihn begreifen. Nebenbei galt das auch für die Hoffnung, die Selbstverwaltung der „freien Produzenten-Assoziation“ sei einfach, transparent, ohne Komplikationen und Aufwand machbar.
Wenn das nun alles nicht stimmt… und wenn „Verstehen“ oder auch „Verwalten“ nur geleistet werden kann von „Experten“… dann fragt sich, ob nicht irgendwann die Grundidee verlorengeht.
Deswegen, unter anderm, ist das alles so aufgeladen.
10. Aber selbst wenn man diesen Bezug ignoriert, sprengen die hier aufkommenden Debatten den vorgegebenen Rahmen. Ich sage einmal mehr, dass ich nicht weiss, wie man hier damit umgehen könnte; mit grosser Wahrscheinlichkeit kann man es nicht. Dabei… wäre ein Platz für (nicht-chaotische) inner-radikallinke Verständigung das erste Beispiel für ein gelingendes „Common“.
- franziska (27.11.2017, 11:14 Uhr)
Es bleibt aber die Frage, ob man durch die Untersuchung historischer
Vorgänge sich eines allgemeinen Übergangsmusters versichern kann (oder sich
vorführt, dass ein eher kategorial hergeleitetes solches Muster wie der
Fünfschritt dann doch irgendwie empirisch relevant ist). ODER, ob man
durch Analysen des Ist-Zustands weiter kommt (womöglich NUR so), und von da aus auf zu erwartende und/oder wünschenswerte und/oder strategisch sinnvolle Übergangsformen schliesst.
Eine Anschlussfrage wäre: Ob zwischen diesen beiden Ansätzen durch irgendein „schlagendes“ Argument entschieden werden kann. Etwa von der Art: Dass die bisherigen Übergänge zeigen, und genaue Überlegung*) es als unvermeidlich erweist, dass jeder Übergang anders sein muss. Oder, dass die genaue Analyse des bestehenden Zustands*) seine absolute Besonderheit, seine Unvergleichglichkeit mit allem früheren nachweist.*) Eine solche Überlegung oder Analyse könnte etwa darauf aufbauen, dass Geschichte allgemein ein Differenzierungsprozess (von kollektiven Praktiken und Mentalitäten) ist; und dass die in den einzelnen historischen Grossepochen jeweils hinzugekommenen Gross-Kategorien die vorangegangenen konkretisieren, wie zB (als Entwurf):
Mehrprodukt überhaupt/Staat (Herrschaft, Klasse),
Mehrprodukt in der Fläche: Logistik/ (zunächst vor allem durch Hochreligion definierter) Kulturraum, Stützpunkt-Gründungen
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flächendeckend lokal erzeugtes Mehrprodukt („Gewerbe-Landschaften“: lokale Arbeitsteilung)/ politisch-ökonomische Raumteilung ,
stabile überregionale Binnen-Arbeitsteilung/ „Nation“ als Ausgriff in den „Kulturraum“ (Anschluss ans+Überbietung des antiken Kulturniveaus)
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alle Grenzen überschreitender Fernhandel mit Natur- und Gewerbeprodukten/ Konkurrenz von Nationen+Koloniebildung: Einsatz politischer (Staats)Gewalt zur Erzielung von Handelsvorteilen (Privilegien, Monopole)
„Weltsystem“-Bildung mit „internationaler Arbeitsteilung“/ Empire(s)+ Imperialismus
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Produktivkraft-Entwicklung/
nationaler Kapitalismus+bürgerlicher Staat als Grundlage für die
Stellung in der „geo-strategischen“ imperialistischen Konkurrenz bzw. Weltordnung
Globalisierung: (versuchte) stabile globale Arbeitsteilung/ (Welt-Staat(ensystem))
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…Die Linie——- deutet jeweils eine (krisenhafte) Epochengrenze an; die Zweiteilung innerhalb jeder Epoche (Produktionsweise) ergibt sich aus der grundsätzlich postulierten Zwei-Phasigkeit: Konsolidierung, Herausbildung der Epochen-Produktionsweise, anschliessend Ausschöpfen der damit gegebnen Expansionschancen (vor allem, aber nicht nur räumlicher Art).