Teil 1: Grundbegriffe

IDENTITÄT
(Fragment)

(1-3 vorläufig gestrichen)
4 Innerhalb der Regeln, nach denen Leute Entscheidungen (Vorhaben, Vorschläge, Forderungen) aus gegebner Erfahrung ableiten (sie mögen die „Präferenzen“ dieser Leute heissen), lassen sich zwei unterschiedliche Gruppen oder Mengen ausmachen:
Die erste Gruppe oder Menge besteht aus (höchsten, letzten) Werten, (End)Zielen, (grundlegendsten) Rollen – die bestimmen, WAS jemand tun soll oder will; die zweite aus Präferenzen und Prioritäten – und sie bestimmen die mögliche Art und Weise, WIE jemand den von ihm entsprechend seinen Werten, Zielen, Rollen gemäss gewählten Plan in einer gegebnen Situation (und angesichts einer bekannten Vorgeschichte) ausführen oder ausgeführt haben will – soweit noch Freiräume bestehen für eine solche Wahl der Ausführungsart.
Beide Gruppen oder Mengen von Regeln (bzw. von Einstellungen, persönlichen Eigenschaften oder Charaktermerkmalen – alles dasselbe) können sowohl verwendet werden, um die Entscheidungen der Betreffenden für ihr eignes Tun (sein Was und Wie) zu erschliessen (oder begründen), als auch ihre Vorschläge und Forderungen, was andre tun sollten – und wie sie es tun sollten.
Wenn nun Leute mit ihren Entscheidungen, Vorschlägen und Forderungen aufeinandertreffen, weichen sie mehr oder weniger voneinander ab und streiten darüber, was wer wie nun tatsächlich tun soll – sie können aber auch in einem gewissen Mass übereinstimmen, womöglich (wenn auch selten, wie ich zugebe) bis zu dem Punkt einer maximalen Übereinstimmung (die – wenn auch nicht weniger selten – unter Umständen auch durch Verständigung untereinander erreicht worden sein kann). Diesen Begriff einer theoretisch denkbaren maximalen Übereinstimmung möchte ich nun genauer betrachten, bzw. die Abteilungen, in die das Material sich zerlegen lässt, das den Inhalt einer solchen Gemeinsamkeit bildet hinsichtlich dessen, WAS WIE (von welchem der Beteiligten) zu tun ist.

5 Jede Übereinkunft, allgemein gesagt, beruht darauf, dass Leute mit jemand anderem Präferenzen, also Werte, Ziele, Rollen (und Erfahrung) gemeinsam haben, also TEILEN, oder aber darauf, dass sie einander bzw. Entscheidungen, Vorschläge, Forderungen des andern ANERKENNEN – das letztere kann wiederum erzwungen sein (durch wirksame Drohungen, speziell, Unterstützung, Mitarbeit oder nützliche Güter und Leistungen zu entziehen), oder aber freiwillig (zB. aus Liebe).
Worüber immer man sich dadurch und dann einig ist, dass man es „teilt“, kann unter anderen Bedingungen auch Inhalt einer Einigung durch Anerkennung und Billigung sein – das gilt jedenfalls für alle Übereinkünfte, die nur durch Verhandlungen und Kompromisse-Schliessen erreicht werden können (angesichts dessen, dass am Ausgangspunkt ein Konflikt stand, der nicht auf Missverständnissen beruhte): denn dabei ist dann immer ein Element im Spiel, das NICHT von allen beteiligten Parteien geteilt wird – die Gründe und besonderen Interessen nämlich, die sie jeweils im Unterschied zu den andern haben, sich auf den zuletzt erzielten Kompromiss einzulassen trotz des anfänglichen Gegensatzes. Diese Gründe und besonderen Interessen stellen Bedingungen dar, unter denen die Beteiligten jeweils dem Kompromiss zustimmen – und immerhin diese Bedingungen sind verschiedene für jede der beteiligten Seiten.
Meine Frage ist: Gibt es etwas, worüber man in einer Gruppe, wenigstens aber einem Paar von Menschen NUR und ausschliesslich durch Anerkennen Übereinkunft erzielen kann – darum, weil es keinerlei Möglichkeit gibt, wie es je von zwei verschiedenen Menschen geteilt werden kann? Wenn es derlei wirklich geben sollte, müsste es demzufolge seinen „Träger“ gewissermassen „individuieren“ – indem es ihn oder sie von jedem andern Menschen unterscheidet – zumindest in DIESER Hinsicht.
Ich nenne dieses Etwas: die IDENTITÄT des Betreffenden, den anderen Anteil an präferenzen und Beschlüssen, auf die man sich mit anderen einigen kann, nenne ich seine INDIVIDUALITÄT.
Dies Etwas, nach dem gefragt wird, müsste (in logisch-begrifflicher Hinsicht) quasi unterhalb der Schicht an Werten, Zielen etc. von der eben die Rede war: Eine Schicht, deren Zentrum besteht aus den unbedingt und freiwillig geteilten Werte, Ziele, Rollen – das an seinen Rändern wiederum übergeht in einen zweiten Anteil aus nur noch bedingt geteilten Werten etc (wobei die wichtigste Art der Bedingung vermutlich in erfolgreichen Versuchen besteht, dem andern Akzeptanz der eignen Präferenzen aufzuzwingen) – eine Zone, die dann nach „aussen“ immer mehr zu solchen Präferenzen eines oder einiger der Beteiligten sich erweitert, die für andre Beteiligte solche Zumutungen darstellen, dass die vorstellbaren Bedingungen für erfolgreiches Umstimmen, auch durch Zwang, der andern immer mehr abnehmen bis in jene Randzone, wo Zustimmung anderer Beteiligter zu einem Vorschlag oder Vorhaben eines Gruppenmitglieds oder Partners völlig undenkbar wird. Und doch mag es selbst in diesen Grenzfällen vorkommen, dass einige oder sogar mehrere Mitglieder einer kleinen Gruppe die betreffenden Präferenzen freiwillig und von sich aus teilen und befürworten. Von daher gibt es in dieser Schicht aus Präferenzen nichts streng und ausschliessend Individuelles.

6 Wenn die so verstandene Identität somit nur anerkannt werden kann, so wie sie bei jemandem vorkommt, aber nie geteilt – also nicht „dieselbe“ sein kann – was macht sie dann aus, oder woraus ist sie aufgebaut?Das Individuellste und einem selbst „am meisten gehörende“, am und im eigenen Körper, das niemals dasselbe ist wie das eines andern, und in diesem Sinn mit niemand geteilt werden kann, sind die eigenen physischen und spychischen Handlungsspielräume und Kräfte – einschliesslich der für ihre Erneuerung und Reproduktion einzuhaltenden Anforderungen. Man kann vollständig mit allen Beteiligten übereinstimmen, welche Aufgabe man einer kollektiven Unternehmung übernimmt (die man zusammen mit andern realisiert), und dennoch kann es innerhalb der Grenzen dessen, was alles als Art und Weise, die verabredete Aufgabe zu erledigen, gelten kann, völlig unterschiedliche Formen geben, wie man dabei vorgeht und die nötigen Arbeiten erledigt. Innerhalb der genannten Grenze gibt es hierfür immer einen Freiraum für Entscheidungen, die einem niemand nehmen kann – zumindest, solang einem überhaupt noch Freiheit und Selbstbestimmung gelassen wird durch die mit andern bedingt oder absolut geteilten Präferenzen und anerkannten Forderungen anderer, mit denen man soziale Beziehungen unterhält.
Wenn man nun diese Spielräume nutzt, hat man immer gewisse Möglichkeiten, wie man sie bei vorgegebenen Aufgabenstellungen (aufgrund geteilter Präferenzen und/oder anerkannter Beschlüse und Forderungen in der je für einen massgebenden Gruppe) mit Blick auf dann verbleibende Zwischenziele und Herausforderungen auf- und verteilt:
Man kann sich vorzugsweise auf technische Aufgaben konzentrieren, die auszuführen sind („Leistungsmotiv“);
man kann sich auf die als nächste unerledigten Optionen konzentrieren (jenseits des Anteils der geteilten Präferenzen) – und dafü sorgen, dass man Bedingungen erfüllt, um Zustimmung zu eigenen Plänen, Präferenzen oder Projekten durch Zwang, oder auch Zugeständnisse, Entgegenkommen, Gegenleistungen etc herbeizuführen – also Kompromisse, die näher an den eigenen Interessen als denen der andern liegen („Macht- und Konkurrenzmotiv“);
man kann sich eher darauf konzentieren, anderen dabei behilflich zu sein, ihre jeweiligen Aufgaben zu bewältigen, Zustimmung für ihre Pläne herbeizuführen, oder auch, ihnen Freude bereiten und das (zusammen)Leben angenehm zu machen (Kooperationsmotiv) – was in einer letzten Variante, auch für einen selber gelten kann:
man kann es vorziehen, sich unmittelbar darauf zu konzentrieren, wie man sein Leben freudvoll und angenehm gestaltet („Eigeninteresse, Selbstliebe“ als Motiv).
Nochmal: Der Spielraum für diese vier unterschiedlichen Orientierungs-Richtungen (die sich natürlich prinzipiell nicht ausschliessen) ist jeweils begrenzt durch das, was als geteilte Präferenz oder anerkannter Beschluss von und zwischen den Beteiligten festgelegt, abgesprochen und entsprechend festgehalten und gewusst ist – obendrein aber auch durch das weite Feld an möglicherweise erzielbarer Zu- und Übereinstimmung, oder auch gewusste Gemeinsamkeiten (der Präferenzen) für bestimmte Bedingungen, die freilich noch nicht bestehen (und in Diskussionen, Verhandlungen, wechselseitigem Druck oder gar Kämpfen näher für- und voreinander bestimmt, aber auch realisiert werden können). Dementsprechend kann dieser Spielraum mehr oder weniger weit variieren.

KOMMENTAR ZU 4-6

4-6/1 Man muss seine Individualität nicht kennen – also die eignen Bereitschaften, ob und unter welchen Umständen man dem oder jenem zustimmen würde – tatsächlich kennen die meisten nur einen winzigen Ausschnitt ihrer Individualität – soweit das Wort „kennen“ hier überhaupt angebracht ist; denn Zustimmung zu etwas, oder die (bedingte) Bereitschaft dazu, ist ja nicht einfach „da“, sondern beruht meist auf einer Entscheidung (und vernünftigen Überlegungen). Der allgemeinere Ausdruck ist dann: Bestimmung – die Individualitäten der meisten Leute, oder grosse Anteile davon, sind noch garnicht bestimmt worden von ihnen. Und oft genug ist es nötig, erst einmal erfahren zu haben, wie man sichin bestimmten Umständne fühlen würde – zB. in einem Kampf – um die speziellen Umstände zu „bestimmen“, in denen man bestimmten Forderungen zustimmen würde – wobei man solche Erfahrungen oft genug weiderholen und vertiefen muss, um schliesslich zu einer stabilen „Bestimmung“ und festlegung seiner Individualität in DIESER Hinsicht zu gelangen (also zu einer stabilen Bereitschaft oder Geneigtheit, unter bestimmten Umständen dem oder jenem zuzustimmen, wenn es verlangt wird).
Vor allem in Gestalt von Kriegen und Kämpfen lernen Menschen, ihre Individualitäten WIRKLICH zu bestimmen – einschliesslich der Kosten, die sich mit bestimmten solcher Bestimmungen, also Entscheidungen, verbinden – etwa, dass man lieber mehr oder weniger von den Gütern, über die man verfügt, opfert, als gewissen Forderungen nachzugeben. (Genau das ist auch der Zweck von Kriegen und Auseinandersetzungen – zumindest solcher, die zuletzt münden in eine wechselseitig anerkannte und somit sekundär erzwungene, nicht freiwillige Übereinkunft – die Alternative dazu wäre allenfalls, dass eine der beidne Parteien die andre vollständig überwältigen und handlungsunfähig machen müsste.
Ich nenne Individualität alles, worin Leute übereinstimmen können und müssen, ihre Standards vor allem, um zu gemeinsamen Aufgabenstellungen, Zielsetzungen, Versuchen und Plänen zu gelangen. Wird eine Individualität in einer realen Gruppe wirklich geteilt, erscheint diese Gruppe fast wie EIN Individuum: sie ist eine, spezielle, diese, hat eine „Geschichte“ (Projekte in der Vergangenheit, die fehlgeschlagen sind oder gelungen, oder erst in der Zukunft vollendet werden können), sie hat eine art kollektiven „Körper“ , oder besser: einen begrenzten Gruppen-Handlungsspielraum für die geteilten Projekte – in Gestalt der zusammengefassten persönlichen Handlungsspielräume der Leute, die die Gruppe mit geteilter Individualität bilden. In vielen Fällen (heute sehr häufig) gibt es aber nur einen einzigen Repräsentanten einer Individualität, in diesem Sinn – der sich erst nach andern umsehen muss, die sie eventuell teilen.
Auch in Fällen weitgehend geteilter Individualität (in einer Hinsicht, zu einem möglichen Konflikt-Thema) können oft noch Anlässe zum Streit bestehen – darüber, WIE im einzelnen die geteilten Ziele nun ausgeführt werden (soweit dabei die Grenzen nicht überschritten werden, in denen sie überhaupt ausgeführt werden): wie schnell, wie angenehm, wie riskant, wie perfekt, unter wieviel Rücksichtnahme auf Werte derer, die nicht zur Gruppe gehören und die Ziele nicht teilen etc. – und wieviel welcher der Beteiligten dazu beitragen soll. Tatsächlich drehen sich die meisten Konflikte von Leuten, die eigentlich und „im Prinzip“ übereinstimmen hinsichtlich dessen, was getan werden soll, um diese Punkte – also darum, welche Identität für die Zugehörigkeit zur Gruppe passend ist, oder welchen Gebrauch jemand, der dazugehört, von seiner Identität machen soll.
Es ist äusserst wichtig für ein Verständnis dessen, was ich unter „Identität anerkennen“ verstehe, dass diese möglichen Konflikte die Frage betreffen, ob und wie jemandes Identität zu einer bestimmten Gruppen-Individualität passt – was man keinesfalls mit Anerkennung seiner Identität verwechseln darf. Letzteres würde nämlich ein Einverstäündnis mit dem bedeuten, was und wie eine Person auf Dauer IST – unabhängig von den wechselnden Entscheidungen (seien sie freiwllig oder erzwungen) für bestimmte Individualitäten oder Gruppen-Zugehörigkeiten (wobei die Gruppen jeweils spezielle Individualitäten in bestimmten HInsichten aufweisen), die man selbst oder die betreffende Person treffen.

4-6/2 Gäbe es niemals einen Gegensatz zwischen der Art, wie jemand IST, einerseits, und dem, was von dem Betreffenden von einer bestimmten (gültigen, durchsetzungsfähigen) Individualität von ihm (zu sein) gefordert wird, auf der anderen Seite – dann gäbe es auch keinen Bedarf nach einem Begriff wie Identität.
Tatsächlich gibt es eine enge Verbindung von Begriff Identität zu dem des Konflikts – genauer, ist ja Identität die Abwesenheit von Konflikten (oder stellt sich durch deren Unterbindung allererst her), welche ansonsten vorrangig durch die Anforderungen von seiten einer oder mehrerer Individualitäten an den Träger dieser Identität erzeugt werden, welche eineander zumindest in DER Hinsicht widersprechen, dass man diesen Anforderungen unter Zuhilfenahme der normalen physischen und psychischen Handlungsspielräume (Aufmerksamkeit, intellektuelle Verarbeitung) einer Einzelperson nicht gleichzeitig vollständig gerecht werden kann.
Diese Konflikte verdanken sich wiederum der Tatsache, dass man nicht unbegrenzt sich immer wieder punktuell frei und „auf Anforderung“ dazu entscheiden kann, die Kraft, die man zur Erledigung bestimmter (womöglich gleichzeitig gestellter) Aufgaben aufwendet, immer weiter zu steigern (in psychischer Hinsicht wäre die, etwa: seine Konzentration) – ebensowenig kann man sich einfach beliebig dafür entscheiden, alles zu tun, was einem nötig erscheint, weil man schlicht nicht über die Übung und Routine verfügt, die dafür nötig sind. Spontan einsetzbare Kräfte ebenso wie Geübtheit, Routine bei bestimmten Formen ihres (komplexen) Einsatzes sind nicht beliebig produzierbar, sogar ihr Erhalt oder ihre Wiederherstellung (nach längeremn Gebrauch der Kräfte, oder längerem Nichtgebrauch der Routinen) beanspruchen Kraft, Zeit und Aufmerksamkeit, die anderswo fehlen – sei es bei der Realisierung eigener Wünsche, erst recht, wenn dann noch Wünsche anderer hinzukommen, was ja das Tableau der möglichen Konfliktfelder erst vollständig machen würde: Konflikte in einem selbst, Konflikte zwischen andern, Konflikte zwischen andern und einem selbst. Wobei die Quelle all dieser Konflikte immer in den Wünschen und/oderForderungen zu suchen sind, die sich aus entsprechend anerkannten oder geteilten Individualitäten ergeben, und der Rolle, die man darin spielen soll.
Der Gehalt dessen, was Identität ausmacht, ist somit hergeleitet von gewissen Grenzen für unsere unmittelbare Handlungs- und Entscheidungsfreiheit:
Wie sehr lässt man sich davon beeinflussen (oder beeindrucken), dass Tätigkeiten einer bestimmten Art zu einem gegebnen Zeitpunkt einem nicht mehr leicht fallen oder kein Vergnügen mehr darstellen (wie vielleicht zuvor) – wie sehr verleugnet oder ignoriert man das Anwachsen von Bedürfnissen, Drang- und Mangelzuständen, das Fehlen von Bequemlichkeit insgesamt?
Und wenn man bei sich und andern sehr genau darauf achtet – wieviel Zeit und Mühe will man damit zubringen, diese Bedürfnisse und Bedingungen seines Sich-Wohlfühlens tatsächlich alle zu erfüllen?
Und wenn man beides anerkennt: die Grenzen seiner (angenehmen) Leistungsfähigkeit, und die Abzüge daran, die für (angenehme) Arbeit an Befriedigung und der Herstellung von Wohlgefühl aller Art nötig sind – ist man dann bereit, die Langsamkeit der Fortschritte (auch im Erwerb von Wissen und Fähigkeiten, im Erzielen von resultaten, die unumgänglich sind, um die eigne Lage zu stabilisieren oder Möglichkeiten zu erweitern und nützliche Wirkungen zu erzielen) über einen gegebnen Stand hinaus, zu denen man dann allenfalls noch in der Lage ist, zu ertragen? Wie sehr bekümmert es einen, dass man immerzu NICHT in der Lage sein soll, Dinge zu tun oder zumindest auszuprobieren, die eigentlich machbar wären – bloss darum, weil man seine ganze Zeit und Kraft bereits für die Arbeit für Komfort und Vergnügen verausgabt hat, sofern sie nicht überhaupt begrenzt war, weil die gesamte verbrauchbare Zeit und Kraft durch Spass- und Musse-Zwecke verkürzt sind.
Wieviel von der Gesamtheit der eignen freien Handlungsspielräume, die dann verbleiben, und die nicht schon unmittelbar für die genannten Zwecke der eignen Bequemlichkeit, Sich-Wohlfühlens, oder aber des Sich-Fähigmachens für.. verausgabt und verplant sind – wieviel davon, frage ich, will man einsetzen, um dieselben Ziele bei Leuten befördern zu helfen, die einem nahestehen – und wieviel würde man, andererseits, dafür nutzen,  um fremde, aussenstehende für sich zu gewinnen, u beeindrucken, zu bedrohen, oder durch Kampf zu zwingen, die eigne Individualität zu übernehmen?
Es ist sehr wichtig, dass man begreift: Dass all diese Werte und Entscheidungen für oder gegen sie nicht ständig von einem zum andern Moment ausgewechselt werden können, vielmehr eine Anpassung und Eingewöhnung über lange Zeiträume erfordern, während deren man angemessene Gewohnheiten und Reflexe ausbildet, Organisation der eigenen Aufmerksamkeit, einen gewohnheitsmässigen Umgang mit Gefühlen und Kräften, was oft genug bedeutet: Routinen und Kapazitäten verschiedenster Art auszubilden, wie wiederum jede der andern genannten grundlegenden Dimensionen davon ausschliesst bzw. daran hindert, ihrerseits in einem vergleichbaren Mass zu gedeihen und sich zu entfalten und entwickelt zu werden – zumindest, wenn all jenen Forderungen nach „Exzellenz“ der betreffenden Dimension genügt werden soll, die von den meisten historischen Individualitäten bis heute aufgestellt worden sind.
Was zu der äusserst bedeutsamen Frage führt, welchen Einfluss Idenitäten und individualitäten jeweils aufeinander haben..

IDENTITÄT UND KONFLIKT

7 Zunächst dreht sich alles um die ursprünglichen, eigentlich menschlichen Grundbedürfnisse. Später kommt hinzu, dass man sich drum kümmert, das für deren Befriedigung Nötige zu beschaffen, bereit- und herzustellen. Als drittes beginnt man dann irgendwann, diese Tätigkeiten zu perfektionieren, sie schneller zu mchen, zu vervielfachen, oder auch einfach, um einer Herausforderung (Chance, Bedrohung) zu begegnen, die sich mit ihnen verbindet. Als wichtige Variante dieser Herausforderung erweisen sich die Angebote und Drohungen anderer, die sie machen können, gestützt auf ihre eigenen Errungenschaften: ihre Fähigkeiten, etwas zu beschleunigen und zu vervielfachen, und auf Herausforderungen durch Leistungssteigerungen und Selbst-Disziplinierung zu antworten – sodass man sich dem durch entsprechende eigene Anstrengungen anzupassen hat.
In jedem dieser (Fort)Schritte ist mit der angemessenen Steigerung und Verbesserung der Art, wie man von seinen Handlungsspielräumen dabei Gebrauch macht oder sie verausgabt (speziell auch die geistigen Handlungsspielräume, Aufmerksamkeit, Gedächtnis etc), zugleich eine Einbusse an Kräften verbunden, die man noch zur Verfügung hat, um den Anforderungen einer vorausgehenden Dimension zu genügen:
Wenn man zuviel zu tun hat, um die Mittel für sein Wohlbefinden zu erzeugen (zumindest, wenn die Ansprüche steigen) – dann geht das irgendwann auf Kosten des Wohlbefindens selbst – zumindest desjenigen der Leute, die die Arbeit machen müssen – wenn sie nicht identisch (!) mit denen sind, die anschliessend die Früchte dieser Anstrengung geniessen.
Wenn man zuviel aufwenden muss, um die ursprünglichen Techniken der Produktion für das Wohlbefinden produktiver und effizienter zu machen, oder sogar sehr viel mehr für die Verbesserung als für schlichte routinemässige Ausführung dieser Tätigkeiten tut, dann kann man eben auch die eigentliche Tätigkeit selbst nicht mehr so gut ausüben und sich darin üben: zumindest nicht ein und dieselbe (!) Person kann das alles zugleich tun.
Wenn nun die eigne Arbeit ununterbrochen mit der von andern verglichen wird – und jedes Zurückbleiben hinter anderen auf der Stelle bestraft wird – anders gesagt, wenn man massivem Wettbewerb ausgesetzt ist, und der Notwendigkeit sich durchzusetzen gegen andere, in einer feindlichen oder bestenfalls gleichgültigen Umgebung von Fremden (!), die sich durchgehend nichtkooperativ verhalten, oder gar einen jederzeit ausnutzen, ausrauben oder vertreiben würden, wenn sie könnten – wenn das so ist: dann wird man sich nicht mehr auf seine eigenen ursprünglichen Wert-Standards berufen können, wenn es um Qualität und/oder Quantität von Leistungen im Zusammenhang mit bestimmten Zielsetzungen geht, sondern sich die etablierten Standrads zueigenmachen müssen, und sich ihnen anpassen – zumindest auf den Feldern, auf denen Konkurrenz herrscht, und denen man selbst und die Leute, die zu einem gehören, nicht ausweichen können. Was zuletzt dazu führt, dass die eigenen Vorstellungen davon, wie vorzugehen ist, einige schmerzliche Abänderungen erleiden – die man selbst für sich allein oder im Rahmen derjenigen, die die eignen Standards teilen, nie akzeptiert hätte.

8 Man kann leicht verstehen, warum die Abfolge von vier Schritten am Beginn des letzten Absatzes ausschaut wie eine sehr kurze zusammenfassung der allgemeinen Kultur- und Zivilisationsgeschichte. Die Vorstellung (zB. Rousseaus) eines Naturzustands, wo ein und dieselbe (!) Person all den verschiedenen Arten geercht werden kann, wie sie von ihren Handlungsspielräumen, den physischen wie psychischen, Gebrauch machen kann, muss notgedrungen zurückgreifen auf ein sehr frühes Stadium der Menschheitsentwicklung – von daher überrascht es nicht allzusehr, dass Wünsche, zu dieser ursprünglichen Identität oder einer Lebensform ohne Ausschliessung menschlicher Möglichkeiten zurückzukehren, jedesmal in der ein oder anderen Form eine Zivilisationskritik einschliessen. und die Errungenschaften des Fortschritts leugnen (wegen der beschädigenden Auswirungen auf die eigentlich menschliche Identität und Lebensform). Tatsächlich ist die provozierende Frage Rousseaus „Hat die Menschheit WIRkLICH Fortschritte gemacht im Verlauf der Geschichte? Haben sich all die Anstrengungen eigentlich gelohnt?“ jederzeit ein Anlass, einmal nicht wie sonst auf die herrliche Seite der grossen Errungenschaften und des angeblichen Reichtums zu sehen, den „wir“ geschaffen haben, sondern auf die Seite der Kosten, Verluste, der Sekundärschäden, und der weitreichenden Spätfolgen, die dann nur mit unglaublichen Anstrengungen und Opfern repariert werden können. Ein weiterer Zug der Rouseauschen Tradition ist bekanntlich, für politische Verhältnisse wie die Existenz von Klassen oder das Zulassen von extremer Ungleichheit ihrerseits für Verfall, Verbrechen, Verwahrlosung von Leben und Moral sowie Verlust von Freiheit verantwortlich zu machen – von diesen Verhätlnissen wird dann wiederum behauptet, dass sie ihrerseits das ergebnis des wachsenden „Reichtums der Nationen“ seien, welchen andere Theoretiker, herkömmliche Liberale, nach Kräften gefördert sehen wollen, um gerade Armut und „Unterentwicklung“ materieller Lebensverhältnisse zu überwinden – im exakten Widerspruch zu Rousseau, sehen diese Theoretiker einen Mnagel an Zivilisation als Ursache hinter jeder Tyrannei. Nach dem über Identität Gesagten,  scheint Rousseaus Kritik sich auf eben dies Gebiet zu konzentrieren. Und womöglich kann man daran eine weitere Form der Kritik, durchaus in der Rousseuschen Traditionslinie gelegen, anschleissen, welche sich ein paar Jahrzehnte nach Rousseau begann zu entfalten, nämlich Kritik an der modernen Arbeitsteilung. Tatsächlich kann man diese letztere Kritik als Zuspitzung und Präzisierung des Rousseauschen standpunkts verstehen. Rousseaus Frage kann dan folgendermassen variiert werden: Wieviel Teilung oder Zertrennung von Identitäts-Abteilungen ist in einer Gesellschaft oder auch im Leben der Einzelnen noch erträglich?
Ist es sinnvoll, wenn eine ganze Klasse von Menschen für das ohlbefinden schuften, während ANDERE als Experten für Lebensgenuss, Luxus und Müsssiggang fungieren?
Sollen einzelne sich systematisch um die Weiterentwicklung des technischen Fortschrits bei Materialien und Methoden ihrer Bearbeitung und Formung kümmern, um daraus Geräte, Werkzeuge, nützliche apparate zu bauen für Anwendungen im täglichen Leben, während sie slebst völlig unfähig werden, ein solches Leben zu führen, und diese Apparate anzuwenden, etwa um sich eine Mahlzeit zuzubereiten, oder auch Kleinkinder zu pflegen, mit Kindern zu spielen oder sie zu erziehen, also alles, was zum Organisieren eines häuslichen oder „Privatlebens“ in einem „Haushalt“ nötig ist?
Ist es letztlich hinnehmbar, dass Leute Güter verkaufen und über deren Produktion entscheiden, die von der eigentlichen Preoduktion keinerlei Ahnung haben, und auch nie eine Chance haben werden, das Ganze eines oslchen Prozesses zu überschauen, das im Einzelnen für sie längst undurchschaubar ist – was sie aber nicht daran hindert, über die Nützlichkeit, Riskantheit, Machbarkeit, Kosten etc. dieses Prozesses zu urteilen, sie zu bewerten und deren Folgen abzuschätzen, was Schäden und menschliches Leiden betrifft – natürlich das der ANDERN – oder der Natur in Gestalt ökologischer Schäden?
Kann man für andere Erfahrungen machen, kann man für sie traurig sein oder nachdenken, kann man zufreiden an ihrer Stelle und für sie mit sein, kann man für sie (und an ihrer Stelle) wünschen?
Oder, in einem Satz: KANN MAN STELLVERTRETEND FÜR ANDERE LEBEN?
Und wenn nein: Was sind Bestandteile eines Lebens, die darin nicht fehlen dürfen?

9 Offensichtlich ist die damit angesprochene Frage: Wie wirkt sich die Arbeitsteilung in fortgeschrittenen Zivilisationen (so die präzisierte Fassung von Rousseaus Fragestellung) aus auf ein Leben, das unter den Bedingungen eines solchen herrschenden Systems der Spezialisten- und Berufstätigkeit geführt wird? Oder, um es in meiner Terminologie auszudrücken: In welche Identitäts-Konflikte der Betroffenen mündet eine Arbeitsteilung auf der Ebene der Individualitäten (seien sie nun ursprünglich von allen geteilt, oder sekundär anerkannt, mithilfe von Zwangsmitteln oder Belohnungen)? Das war letztlich die „höchst bedeutsame Frage“ am Ende von Absatz 4- 6/2: welchen Einfluss Identitäten und individualitäten jeweils aufeinander haben? Das wiederum setzt eine sorgfältige Unterscheidung zwischen Identität und Individualität voraus – und Klarheit über die besondere Art Konflikt, die jedes von beiden hervorbringen kann. – Es ist tatsächlich nicht ganz einfach, diesen Unterschied in den bislang angeführten Fällen zu benennen: Warum, beispielsweise, soll man nicht für die Verschiedenheit von Leistungs- oder Effizienz-Orientierung, einerseits, und Selbstbehauptung und Durchsetzung, andererseits, die jeweils zugrundeliegenden Werte, Ziele, Rollen der Betreffenden verantwortlich machen? Was wäre denn der ganz eigene und und eindeutig ihr zuzuordnende Anteil der Identität an einem konkreten Konflikt? (Dass diese Frage gestellt werden kann und muss, ist ein Zeichen, dass an diesem Punkt noch erhebliche Mängel in der Definition von Identität bestehen.)
Zunächst einmal kommt ein Konflikt innerhalb von Individualitäten dadurch zustande, dass Leute nicht alles und jedes, was sie sich wünschen, zugleich erledigen können (oder nicht mit der Intensität und Perfektion, die sie anstreben). Jeder Konflikt innerhalb der Individualität aber kann oder könnte zumindest irgendwann gelöst werden allein schon dadurch, dass man genügend Kraft und Konzentration hinreichend vieler Leute sammelt und für die betreffende Zielsetzung, welche auch immer es ist, gewissermassen „rekrutiert“. Daraus ergibt sich: dass die Effekte gleich welcher Individualitäts-begründeter Handlung immer ÄUSSERLICHE sind – dabei komt es letztlich darauf an, ob diese oder jene Person die zugehörigen Leistungen erbringt – was einzig zählt, ist, dass zuletzt dieser äussere Effekt in der Welt draussen zustandegbracht ist, und etwas dort so verändert und geformt ist oder geschieht, wie es aus Sicht der betreffenden Individualität in einer ihrer Abteilung zu fordern oder zu wünschen war – völlig unabhängig von den Gefühlen und Zuständen, die sich bei den Leuten einstellen, die die zugehörige Leistung erbringen und die Aufgabe lösen. Dementsprechend entschädigt allenfalls das Gefühl des Erfolgs, des Stolzes und der Zufriedenheit mit der erbrachten Leistung oder der damit verbundenen Geltung, für die Opfer, die man auf dem Weg dorthin erbringen musste.
Wohingegen Identitäts-begründete Wünsche einander um so mehr entgegenstehen und widersprechen, je mehr von seinem Handlungsspielraum jemand dabei investiert: tatsächlich sind diese die Konflikte im eigentlichen sinn, wohingegen Individualitäts-assoziierte Konflikte eher als Prioritätemkonflikte zu bezeichnen sind, die nur aus einer gewissen Ungeduld und Gier resultieren, und sich von selbst erledigen, sobald man Prioritäten setzt und Schritt für Schritt seine Mittel ausbaut, Mitstreiter oder Mitarbeiter gewinnt oder die Effizienz seines Tuns verbessert, also es produktiver gestaltet. Was dann überhaupt noch den Anschein eines genuinen Individualitäts-Konflikts erweckt, ist dann in Wahrheit nichts andres als die Lösung eines urspürnglichen Prioritätenkonfliktes im Rahmen einer Individualität, also Zielstruktur, auf Kosten einer zunächst konflikt-freien Identität: indem man Kärfte und Konzentrationsfähigkeit in belastender, überfordernder und sie erschöpfender Weise nutzt, oder Bedürfnisse der verschiedensten Art vernachlässigt und ignoriert.
Und auch das kann natürlich vermieden werden, indem einfach mehr Leute sich an den unangenehmen, ermüdendenden oder langweiligen Tätigkeiten beteiligen derat, dass es für jeden viel einfacher zu ertragen ist, als wenn dieselbe Arbeit von wenigen oder gar nur einem erledigt wird; wohingegen diese Leute alle zusammen in einer sie alle auszehrenden Weise am Rande der Erschöpfung arbeiten zu lassen, womöglich eine ganze Reihe von Prioritätenkonflikten erledigt, dafür aber die Reihe der echten Identitätskonflikte verlängert – und das um sehr, wenn es sich nich tum Ausnahmen handelt, sondern die betreffende Belastung zur Regel wird, und nie wirklich eimal ein Ende hat.

10 Erzählen wir also die Geschichte vom Anfang (dieses Teils der Untersuchung; und der historischen Entwicklung) – dieslebe, die Rousseau erzählen wollte, und später Marx und andre.
Am Anfang gab es keine Trennung von Identität und Individualität – die Wörter hätten keinerlei denkbare Anwendung gehabt. Am Anfang könnte eine Herausforderung gestanden haben – durch blossen Zufall (man hatte mehr zu erwarten als bisher, oder auch weniger), zB. durch einen Klimawandel – eine Herausforderung, die ersteinmal eine Abwehrmassnahme erzwang, wie beispielsweise: Übergang vom Jagen und Sammeln zum Ackerbau oder zum Nomadentum; oder später eine Bedrohung durch Trockenheit, und die Erfindung eines komplexen, aber wirksamen Bewässerungssystems – was dann ungewollt zu Überschüssen führte, die man zuvor so nicht gekannt hatte: also eine Bedrohung (und die Notwendigkeit, darauf zu reagieren) verwandelt in eine Chance (die die Frage aufwarf: was man daraus machen wollte?)
Andere Herausforderungen: Nomaden vom Plündern abhalten, oder eine wachsende Konkurrenz um knappe oder knapper werdende Weidegründe; infolgedessen Entwicklung kriegerischer Tugenden, Erfahrungen, Techniken; und wieder die Frage: Was aus den Chancen machen, in die sich die jeweiligen ursprünglichen Bedrohungen verwandelten, wenn sie erfolgreich überwunden waren?
Man muss nicht alle Chancen ergreifen, und möglicherweise haben etliche Geselslchaften nach reiflicher Überlegung darauf verzichtet es zu tun. Andere taten es dann an ihrer Stelle. Aber wer wann immer es tat – der entscheidende Schritt wurde dann immer auf seiten der Individualitäten getan: Eine wachsende Zahl von Menschen arbeitete nicht mehr für ihre unmittelbaren Bedürfnisse (und das in einer mehr oder wneiger angenehmen Weise) sondern für Zwecke, die weit ab von den unmittelbaren Bedürfnissen lagen: Krieger – Leute, die nach Mineralien schürften, Handwerker, Techniker, Spezialisten – Priester, Schamanen – Herrscher, Richter, Streitschlichter – Händler. Sie alle mussten leben, und einige von ihnen entwickelten dabei einen Bedarf, der das Durchschnittseinkommen eines Einzelnen in der jeweiligen Epochen weit übertraf. Das hatte natürlich Rückwirkungen auf die ursprünglichen Produzenten: Ihre Leistung musste entsprechend zunehmen. Und selbst wenn es irgendwo in einer Gesellschaft halbwegs bequem, ruhig, mit Mass und Musse und heiterer Gelassenheit zuging, tauchte mit Sicherheit früher oder später irgendein Eroberer auf, der die friedfertige Bevölkerung unter Druck setzte. (Nebenbei: Bei der Nutzung der vorhandenen Ressourcen (vor allem die landwirtschaftlichen) immer bis an die Grenze zu gehen (bei unkontrollierbaren natürlichen Randbedingungen und sehr geringen Spielräumen für Vorsorge), mag einer der Hauptgründe für Armut gewesen sein (das Ausschöpfen der Reserven mag dabei oft genug durch Wegnahme der Überschüsse für die Zwecke anderer (anderer Klassen) als der unmittelbaren Produzenten stattgefunden haben). In vormodernen Gesellschaften, ohne die Möglichkeiten zur Steigerung der Produktivität der Nahrungsproduktion zu steigern, wäre eine Variante des Malthusianismus durchaus angebracht gewesen (aber nicht minder die Hinweise der anti-malthusianiachen Kritik).
In Klassen oder „Ständen“, deren Angehörige derart unterdrückt waren, dass sie keinerlei Wahl-Freiheit irgendeiner Art für sich sahen, mag es allenfalls Konflikte mit den Unterdrückern und den allgegenwärtigen Kampf ums Überleben gegeben haben.. aber keine Identitätskonflikte. Insofern waren Identitätskonflikte immer ein Privileg höherer Klassen – „höher“ zumindest in dem Sinn, dass grundsätzlich die Möglichkeit bestand, die Klasse in Richtung auf einen niedrigeren Status zu verlassen.
Um einen Identitätskonflikt zu spüren, musste man somit davon überzeugt sien, dass man eine aufgabe hatte, die einem nicht in jeder Hinsihct aufgezwungen war – eben wiel man eine wahl hatte, und Gründe, diese Wahlentscheidung aufrechtzuerhalten, wie: die einem zugefallene soziale Rolle verantwortlich auszufüllen, oder Stolz etc – auch wenn die Belohnung in Gestalt solch positiver Gefühle nicht vollständig die erbrachten Verzichte kompensierte, die man zum Ausfüllen der jeweiligen Rolle zu erbringen hatte (und da bestand dann keine Freiheit der wahl mehr – es gab keine Möglichkeit, eine weniger anspruchsvolle und dafür lohnendere Version der Rolle zu wählen).
Und das ist der Ursprung des Bedürfnisses danach, sich möglichst in der Nähe zu einer alternativen Art, dieselbe soziale Position einzunehmen, aufzuhalten: der weiblichen Alternative nämlich.

11 Aber wir haben die endgültige Definition immer noch nicht.
In vormodernen Lebenswelten mag es viele Anlässe gegeben haben, weshalb der Einzelne jene sichere Position des auf nichtüberfordernde Weise für sich und die Seinen Sorgens, vorübergehend aufgab: Einzelne Katastrophen, eine nächtliche Feuersbrunst, ein Angriff von Gegnern (zB. auch ein Prozess), eine Entdeckung, eine Pilgerfahrt oder Reise, die Änderung des sozialen Status, die Begegnung mit einer Ausnahmeperson, einem Heiligen beispielsweise, oder einer Erscheinung.. die dazu aufriefen, an ausserordentlichen Unternehmen teilzunehmen.
Aber diese Begebenheiten und Erfahrungen blieben normalerweise die Ausnahme, und mündeten früher oder später in den ruhigen Gang der Alltagsgeschäfte zurück. Allerdings stellte sich das ganz anders dar für all jene Stände und Berufe in vormodernen Gesellschaften, deren Alltag von Ausnahmen durchzogen war.. angefangen bei den Armen, oder Umsiedlern und Flüchtlingen, Fremden (wohingegen Bettler ein eigenes Gewerbe bildeten – vielleicht auch nur die Parodie eines solchen).. die Kriminellen (Räuber und Diebe).. Krieger und Kämpfer.. Leute, die für die Herrschaft arbeiteten.. besonders fromme oder sonst religiös herausragende Menschen (die als Kleriker oder Mönche oder Einsiedler auftraten).. schliesslich Minderheiten-Angehörige.
a) Jedes einzelne Glied in dieser Aufzählung (die sich fortsetzen liesse), das mehr auf einem unvermeidlichen SCHICKSAL beruht, das der betreffenden Person oder Gruppe widerfahren ist und ihr keine Wahl liess, welche Konsequenzen das auch immer für den langfristigen Gebrauch hatte, den die Betreffenden von ihren Handlungsspielräumen machen – jedes solche Glied, sage ich, hat nichts mit Identität in dem Sinn zu tun, den ich hier vorschlage.
b) Das gilt ebenso für jedes Glied, das sich einer willkürlichen oder bewussten Wahlentscheidung einer Person oder Gruppe verdankt, die so nicht von anderen wiederholt oder nachgeahmt werden kann, weil sie eine sehr SPEZIELLE REAKTION auf eine ebenso spezielle Konstellation von Tatsachen darstellt (Chancen, Risiken), die sich so kaum je wiederholen wird, und darum auch nicht als Vorbild oder Ausgangspunkt einer Regel oder Strategie dienen kann, die man anderswo anwenden und dorthin übertragen kann – die Art des Gebrauchs von Handlungsspielräumen in solchen Fällen soll ebenfalls nicht zur „Identität“ in meinem Sinn gezählt werden;
c) schliesslich mag etwas eine Wahlentscheidung darstellen, die über lange Fristen durchgehalten wird und von anderen ebenso vollzogen werden oder auf sie übertragen werden kann, speziell als Vorbild für nachfolgende Generationen, also diesen „vererbt“ werden kann – und das dennoch nicht der Typus von Wahlentscheidungen (über Prinzipien des Umgangs mit eignen Handlungsspielräumen) ist, die über das gesamte LEBEN des Betreffenden hindurch durchgehalten werden, es beeinflussen und bestimmen; auch in solchen Fällen sollte man nicht von Identität oder einem Teil von ihr sprechen – jedenfalls nicht von Identität in meinem Sinn.
Diese drei Zusätze, positiv gewendet und zur bereits existierenden Definition von Identität hinzugefügt, ergeben dann folgende Formel:
Identität ist ein nicht-erzwungenes Muster dafür, wie man seine Handlungsspielräume einrichtet und auf die grundlegendsten Aufgaben im Leben verteilt, soweit dies Muster tendenziell lebenslang durchgehalten werden soll, und eine von zwei einander widersprechenden oder ausschliessenden Alternativen darstellt, die beide zusammen jeweils das Feld der Möglichkeiten für eine einzelne Person zur Organisation ihrer Handlungspielräume Einrichtung bzw. deren Verteilung auf grundlegende Aufgaben, vollständig ausfüllen.

7-11/0 Zusammenfassung.
In diesem Abschnitt ging es um Identitätskonflikte – die Frage jetzt ist, ob das Ergebnis (eine Definition von Identität, in der „Konflikt“ eine zentrale Rolle spielt) die zwischenzeitlich aufgetretenen Verwirrungen klären hilft.
In Abs. 7 habe ich versucht zu zeigen, wie Handlungsspielräume im Verlauf der Geschichte (über)dehnt und erweitert wurden, derart dass der Umgang mit Handlungsspielräumen immer anfälliger für Konflikte wurde (für welche, habe ich angedeutet).
In Abs. 8 wurde gezeigt, dass diese Ausdehnung und Erweiterung zusammenhängt mit den grundlegendsten Prioritätensetzungen, Werten und Zielen, die Leute hinsichtlich ihrer selbst ausbilden können – was nur eine Präzisierung des bereits zuvor über Identität gesagten darstellte: dass ihre Elemente, oder die des eigenen Lebens nicht „geteilt“ werden (dieselben sein) können von (bei) verschiedenen Personen; die Zutat von Abs.8 bestand darin, dies mit dem in 7 gesagten zu verbinden: dass es nämlich eben dies persönliche Material ist, das nicht mit andern geteilt werden kann, an dem sich wiederum die Ausdehnungs- und Erweiterungsprozesse abspielen, die in Konflikte führen, von denen in 7 eine erste Skizze gegeben worden war.
In Abs. 9 habe ich dann ein allgemeines Kriterium angegeben, anhand dessen zwischen Individualitäts-begründeten Konflikten, und Identitäts-begründeten also mit (überdehnten) Handlungsspielräumen und deren Gebrauch zusammenhängenden unterschieden werden kann: Jedes Mehr, also Ausdehnung der involvierten Handlungsspielräume, wenn es nur hinreichend gross wird, mag beliebige Ziel- und Prioritätenkonflikte lösen helfen – wohingegen es die Konflikte nur verschärft, die zwischen womöglich ohnehin bereits überfordernden Formen, von eigenen Handlungsspielräume Gebrauch zu machen, bestehen.
In Abs. 10 habe ich dann zu zeigen versucht, dass die grobe Verlaufs-Skizze der allgemeinen (Kultur)Geschichte oder -Entwicklung, die ich in 7 entworfen hatte, nur Erscheinungsweise oder sichtbarer Ausdruck einer gleichzeitig vor sich gehenden Entwicklung historischer Individualitäten – die Prioritätenkonflikte dieser Individualitäten zu lösen bedeutet noch mehr Konfliktpotential in den ohnehin überforderten Handlungsspielräumen (die darum bereits voll von Konflikten sind) bei den Betroffenen.
In Abs.11 habe ich schliesslich die endgültige Fassung meines Identitäts-Konzepts vorgelegt. Ihre wichtigsten Teile sind diese (in der Reihenfolge ihrer Behandlung in der voraufgehenden Enrwicklung):
a. es handelt sich dabei um eine der möglichen Arten, wie man seine Handlungsspielräume nutzt und aufteilt;
b. die infragekommenden Alternativen (von denen man sich für eine entscheiden muss) sind die Pole von Konflikten in einem Feld, das aus den sämtlichen möglichen Konflikten oder Dilemmata (bei der Aufteilug von handlungsspielräumen) aufgebaut ist;
c. diese dilemmata stellen einen sämtlich vor die wahl seinen handlungsspielraum entweder zu überdehnen oder überfordern, oder aber auf Erfüllung von Ansprüchen und Anforderungen (aus Werten, Zielen, Rollen) zu verzichten, die sich aus der eigenen Individualität ergeben (gleich ob sie freiwillig so bestimmt wurde, oder durch mehr oder weniger äusseren Zwang dazu gebracht wurde, von einer solchen Bestimmung abzuweichen);
d. man muss die Freiheit haben, zwischen den Alternativen des Dilemmas wählen zu können;
e. die Art der Wahl sollte nicht begründet sein durch eine Kombination von Tatbeständen (wie: dass man eine bestimmte Individualität hat, und aufgrund dessen in einer bestimmten sozialen Situation mit bestimmten Forderungen konfrontiert ist), die so speziell sind, dass sie sich im Leben von niemandem sonst wiederholen werden;
f. die Art der Wahl sollte des weiteren nicht begründet sein durch blosse Episoden im Leben einer Person, sondern nur durch solche Umstände, von denen man erwarten kann, dass sie über das gesamte Leben der betreffenden Person hinweg gleichbleiben.

ANMERKUNGEN ZU 7-11

7-11/1 Ich möchte noch mehr Klarstellungen nachliefern zu einigen Punkten der Definition – wobei die sich in zwei Gruppen zusammenfassen lassen, nämlich a-c über die Rolle, die der Konflikt oder das Dilemma für „Identität“ spielen, während Punkte d-f handeln von Identität als einer Entscheidung, die das ganze Leben über so bestehen bleiben soll. (Das ist im groben Umriss bereits das gender-Konzept!)
Bevor ich nochmals kurz auf a-c und d-e zu sprechen komme, möchte ich kurz eine allgemeine Bemerkung machen.
Ich habe gesagt: Die Dynamik der Entwickloung von Identitäten verdankt sich im wesentlichen einer ihr zugrundeliegenden Entwicklung innerhalb von Individualitäten (primären= Beziehungen zu Welt und Wissen betreffend, sekundären= Beziehungen zu den Beziehungen anderer zu Welt und Wissen). Den Kern der sich entwickelnden Individualitäten wiederum bilden Vorstellungen darüber, wie zu lernen, also Wissen zu erwerben ist, indem man Tatsachen beobachtet oder registriert, sie unter bestimmten Gesichtspunkten, die für einen von Interesse sind, verarbeitet, Versuche und Experimente und praktische Regeln dabon ablietet usw. – oder auch Begriffe und Strategien, die den Umgang mit anderen Menschen betreffen, vor allem, wenn es zwischen ihnen und uns Interessengegensätze und Meinungsverschiedenheiten gibt.
Diese Dimension gleich welcher historsichen Einstellung zu Natur und sozialer Welt ist somit die eigentliche Triebkraft auch für die Weiterentwicklung von Identitäten – sie ist im Grund die treibende Kraft hinter jeder historischen Entwicklung (schliesslich beeinflussen diese Einstellungen (wie man Wissen erarbeitet) massgeblich die materielle (Re)Produktion!).
Das Beeinflussen und Einwirken gilt allerdings nicht nur in einer Richtung – wenn es allzu grosse Schwierigkeiten mit der Anpassung von Identitäten gibt, die durch die übergeordneten Individualitäten erzwungen werden, kann das irgendwann auch einmal zu massiven Umwälzungen in diesen Individualitäten führen. Die Aufgabe, die Wechselbeziehungen von Identität und Individualität innerhalb von Gesellschaften oder Einzelpersonen zu untersuchen, wird uns in den nächsten Abschnitten dieser Untersuchung weiter begleiten.
Auch wenn das nicht sonderlich ins Auge fällt, so ist doch eine der Hauptideen zum Thema Identität nach meinem Verständnis, dass Wahlentscheidungen für eine Identität stbil bleiben, solange die Alternativen in dem oder den Dilammata und Konflikten als ebenbürtig angesehen werden, und sich nicht mit Vorstellungen von Privileg und Benachteiligung oder Gewinnern und Verliereren in Verbindung bringen lassen. Wird diese Sicht freilich verschoben in Richtung auf ein wachsendes Ungleichgewicht zwischen den Alternativen, die sich im Konflikt oder Dilemma gegenüberstehen, kann eine Entwicklung in Gang kommen, die bis dahin führen kann, dass die zugrundeliegende Individualität als vollständig zum Scheitern veruretilt angesehen wird, und aufgegeben werden muss. Derartiges kann sich also durch Vorgänge ergeben, die ausschliesslich auf der Identitäts-Ebene sich abspielen. Von daher werden wir die Beziehungen der beiden Kategorien Identität und Individualität im weiteren Fortgang immer im auge behalten müssen.

7-11/2 Zu a-c: Die Konflikte oder Dilemmata.
Die Schritte in 7 waren: Auf seine Bedürfnisse und Leistungsgrenzen, also sich selbst achten (S) und das sogar dann, wenn man daran und dafür arbeitet, sie zu befriedigen; Arbeit an und für diese Befriedigung und Erfüllung auf eine Art und Weise, bei der man entweder eigene Bedürfnisse missachtet oder die anderer über seine eigenen stellt in einer Kooperation (K); Leisten dafür, auch daran, dass man dazu fähig wird (L), dass Dinge entstehen, die dann allererst in einer der selbstlosen Weisen K für die Arbeit zur unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung verwendet werden können; schliesslich: Leisten, speziell Kämpfen, Verhandeln, Überreden, Werben, Gegenleistungen erbringen mit bezug auf Zwecke, die endgültig nicht mehr unmittelbar die eigenen oder der einem Nahestehenden sind – und das, um auf diese indirekte Weise Unterstützung für die und/oder Geltung G der von einem selbst befürworteten Zwecke herbeizuführen:
S vs. (K vs. (K vs. (G))).
Zunächst scheint diese Abfolge von immer härteren Versionen eines urspürnglichen Konflikts nur eine Rangfolge zu aufzuweisen – die nämlich einer immer grösseren „Entfremdung“ von den eigenen Wünschen und Bedürfnissen: K beispielsweise zielt immerhin noch auf S, L hingegen nicht mehr; L wiederum könnte „immerhin“ dazu dienen, irgendwann die Leistungsfähigkeit von K für irgendwelchen speziellen Bedürfnisse zu verbessern – im Gegensatz dazu unterwirft man sich mit G (was immer im einzelnen man tut) einem oder mehreren vollkommen fremden S und sieht völlig von S (oder was immer sich darauf bezieht) ab – zumindest dem seiner selbst wie der einem Nahestehenden.
Die Sache sieht allerdings wieder anders aus, wenn man die Reihe andersherum liest:. Jede der Handlungsweisen, mit denen Fremde und Aussenstehende bedient oder beeindruckt werden sollen, müssen offenkundig durch irgendeine Art von besonderer Leistung oder Spezialkönnen gestützt werden – eine Art Leistung und Spezialisierung, die den Fremden nicht zur Verfügung steht, die darum auch nicht beliebigen Normalmenschen einfach so zugänglich sein darf, stattdessen das resultat möglichst fortgeschrittenen kulturellen Lernens und Fortschreitens oder technischer Entwicklung sein muss, und als solche nicht einfach übernommen und kopiert oder nach-erfunden werden kann. Was am besten einleuchtet, wenn es um militärische Errungenschaften geht. Einfache Dienstleistungen, die sich direkt auf Erfüllung körperlicher Bedürfnisse und Wünsche richten, auf Fürsorge und Pflege, auf Schaffung gefälliger und bequemer Wohn- und Lebensumstände, mögen hilfreich sein, sind aber für sich allein nicht geeignet, um Respekt und angemessene Gegenleistungen zu erhalten – zumindest nicht, wenn ansonsten die Niveaus von Leistung und Machtentfaltung darüber hinaus fortgeschritten sind und ehrgeizigere Ziele verfolgen (dabei mag man sich immer noch bei wechselseitigen Einladungen udn Bewirtungen vorführen, dass man auf beiden Seiten vergleichbare Errungenschaften hinsichtlich der Fähigkeiten aufzuweisen hat „für andere und ihr Wohlergehen sorgen zu können“, und die beteiligten Parteien sich darin in nichts nachstehen).
Diese nicht maximalen Errungenschaften werden, davon unabhängig, oft genug durchaus benötigt, um den Bedürfnissen und der Bequemlichkeit derjenigen zu dienen, die mit den schwierigeren Aufgaben befasst sind, also der Leister und Techniker, und noch mehr der Kämpfer, Soldaten, Herrscher, Gesandten, Diplomaten, Händler usw. Die stärkere Entfremdung auf den beiden letztgenannten Handlungs-Feldern (L, G) (Arten der Verausgabung von Handlungsspielräumen unter verschärften Bedingungen) verdankt sich, wie gezeigt wurde, der Tatsache, dass diese Form der Spezialisierung Menschen immer unfähiger werden lassen, für ihre eigenen Bedürfnisse zu sorgen, und sie abhängig von anderen machen, die sie mit essen und Trinken versorgen, bedienen und sie pflegen und bedienen. Die letzte Art der „Stützung“ mag schliesslich sogar ein wenig seltsam erscheinen – die Unterstützung ist dabei mehr ideeller, mentaler, psychischer Natur, und besteht in jender Sorte Befriedigung, die empfunden wird, wenn Leute, deren Wohlergehen von den eigenen Anstrengungen zur Fürsorge für sie abhängt, zufrieden und befriedigt sind – wie beispielsweise Kinder. Das kann wiederum mit einigen nötigen Änderungen auf andere Glieder der Reihe übertragen werden – etwa auf die Befriedigung von Technikern, wenn sie sehen, wie ihre Erfindungen und Erzeugnisse funktionieren und im Alltag Anwendung finden (und dazu beigetragen haben, das Leben in wesentlichen Hinsichten zu erleichtern), oder eine ähnliche Art von Genugtuung, die von Verteidigern (in jedem möglichen Sinn) einer friedlich gedeihenden Gemeinschaft empfunden wird, die andernfalls Schlimmes zu ertragen hätte oder die Unterdrückung durch Angreifer von aussen, oder in ständige Gefechte und Konflikte verstrickt würde, oder die nie die angemessenen Entgelte oder Belohnungen oder Anerkennung  für ihre Anstrengungen erhalten würe, weil Aussenstehende ihnen einfach nicht die Beachtung und Achtung entgegenbringen, die sie verdient haben. Und wieder wird auch in diesen Fällen in der je umgekehrten Richtung Liebe und Dankbarkeit für die geleisteten Dienste gezollt – von seiten derer, zu deren Gunsten sie erbracht wurden, und die auf niedrigeren Niveaus stehen, was Selbstaufopferung, Selbst-Entfremdung und Effizienz angeht – dafür auf einem höheren hinsichtlich Glück und Nähe zu ihren eigentlichen Bedürfnissen.

7-11/3 Forts. Dilemmata/Konflikte
Ich frage mich, ob es andern geht wie mir, und sie sich, angesichts der genannten Beziehungen zwischen Leuten auf verschiedenen Stufen der (selbst)Entfremdung wie Stützung, Liebe, Dankbarkeit, gegenseitiger Verpflichtung, nicht auch an vormoderne, vor-demokratische Sichtweisen der angeborenen Ränge und „Stände“ in einer Feudalgesellschaft erinnert fühlten? Danach klingt es doch.. Und in der Tat habe ich soziologische Bewertungen der gender-Phänomene gelesen, die sie als letzte Überbleibsel solcher Denkweisen einordneten. Nun geht es hier freilich noch nicht um gender – davon sind wir hier noch ein oder zwei Schritte entfernt. Was aber fehlt dafür noch? – Ich glaube, die fehlenden Punkte drehen sich um zwei Themen, zumindest soweit es dabei um Konflikt oder Dilemma geht:
Erstens ist gender nicht gerade ein Komplex oder Abfolge von mehreren potentiellen Stufen, die eine Art Gefälle bilden – vielmehr gibt es dort jeweils eine scharfe und sehr präzise Abgrenzung zweier schroff einander entgegenstehender Arten des Umgangs mit Handlungsspielräumen je auf beiden Seiten – eine Dichotomie.
Zweitens ist gender nicht eine Menge von vielen verschiedenen Einstellungen, die man jeweils in verschiedenen Lebenslagen einnimmt, vielmehr eine Orientierung, die man übert die Gesamtheit seines Lebens beibehält. Oder anders gesagt, gender, die Geschlechtsrolle, muss eine von langer Hand ausgebildete Alternative auf Dauer sein, zu der man nicht einfach hinschaltet und dann wieder weg, wie es einem gefällt. Bis dahin, dass sie den Anschein hat, als sei sie eine wirklich natürliche und angeborene Eigenschaft.. (im Unterschied zu jenen Status-Unterschieden der Vergangenheit, die freilich zu ihrer Zeit auch für „wirklich“ und zurecht angeboren gehalten wurden..)
Wenn es denn also wahr ist, dass Identitäten zuallererst durch Individualitäten geformt und erzeugt werden, dann muss es in der Geschichte immer wieder Individualitäten gegeben haben, die solch eine harte Unterscheidung oder Stufe (von der Art derer aus der Abfolge, von der ich gesprochen habe) an einer Stelle der Abfolge hervorbrachten, derart dass dort ein deutlicher Bruch bemerkbar wurde, der als Realisierung einer gender-artigen Dichotomie aufgefasst werden konnte. Gleiches gilt für Individualitäten, die mit solchen Ansprüchen und Anforderungen an die Umgangsweisen mit Handlungsspielräumen einhergingen, dass man ihnen nur durch anhaltende und durcugehaltene Anstrengung, Ausbildung, Übung hinreichend und angemessen gerecht werden konnte. Es muss somit, so müssen wir annehmen, wiederholt im Lauf der Geschichte irgendwo und irgendwann eine starke Tendenz dazu gegeben haben, dass angrenzende Teile der Abfolge von Stufen zunehmender Entfremdung jeweils zusammengefasst und gegen andere abgegrenzt wurden – zugleich muss es eine zweite Tendenz gegeben haben, das Gefälle zwischen zwei dieser Stufen deutlicher als das zwischen anderen auszuprägen – mit der Folge, dass an dieser Stelle die Teile der Folge ihren Kontakt verloren und voneinander wegrückten und hierdurch den Abstand zwischen sich vergrösserten (was nicht unbedingt hiess, dass die Spannung zwischen ihnen, was Liebe und Notwnedigkeit wechslseitiger Stützung etc. anlangt, sich abbaute – das gegenteil war der Fall!). – Aber wenn es Individualitäten sind, durch deren Einflüsse solche Gruppierungen oder starken Gefälle erzeugt werden – könnten sie dann nicht genausogut auch noch andere Kombinationen von Entfremdungspositionen oder Brüche erzeugen? Tatsächlich ist das der Fall; wie sich gleich zeigen wird, wenn wir uns die möglichen inneren Konflikte und dabei entstehenden Unterabteilungen und Arten ihres Zusammenarbeitens ansehen, wie sie in den so einfach und einheitlich erscheinenden Stufen S K L G versteckt sind.

7-11/4 Hauptkonflikte, bedeutsame Unterkonflikte..
Die Gefälle der Entfremdung zwischen angrenzenden Stufen der SKLG-Reihe (oder auch Reihen mit mehr Stufen, wenn es denn welche gibt) mögen noch weniger stark ausgeprägt sein, aber die Entfremdung nimmt  natürlich sprunghaft zu, wenn man über zwei Stufen, von S nach L oder von K nach G springt.
(Was diesen letzteren Widerspruch anlangt: Man kann sich aufgerufen fühlen, für das Sich-Wohlfühlen und der Bequemlichkeit aller beliebigen Personen in seiner Umgebung unterschiedslos zu sorgen, und vielleicht sogar noch von Personen weit weg.. Aber das erweist sich bald als pure Selbstausbeutung, Selbstaufopferung, oder sogar (jenseits gewisser Grenzen) als Selbst-zerstörerisch.. Dabei ist es meist nicht einmal effizient..)
Auf den ersten Blick gilt das Gesagte natürlich dann um so mehr von dem noch grösseren Abstand zwischen S und G – aber dann zeigt es sich, dass es Individualitäten geben kann, die gegen alle Erwartung ein Zusammenwirken von S und H verlangen: Sobald nämlich das Verhältnis zu Aussenstehenden die Form von Diplomatie, Schmeichelei, Zuvorkommenheit und insgesamt Strategien des Anbietens und „Verlaufens“ annimmt, und nicht die von autoriätrem oder gar einschüchterndem Drohverhalten – genau dann wird man eher anfangen herauszufinden und zu erraten, welches die inneren Wünsch eund Bedürfnisse der Leute sind, die man manipulieren möchte – und natürlich wird man sich selbst und die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zum Vorbild dafür nehmen, zumal wenn man grosse Erfahrung damit hat, und gewohnt ist, seine eigenen Bedürfnisse sehr genau wahrzunehmen und zu beachten und nicht zu verdrängen oder zu missachten – und genau das ist ja der Fall bei Leuten, deren Umgang mit sich und ihren Handlungsspielräumen auf den Prinzipien des Selbstpflege-Feldes S aufbaut. (Und das wird um so mehr so sein, wenn und sobald gesteigerte Leistungsanforderungen den endgültigen und vollständigen Verzicht auf Selbstpflege bedeuten – sodass all jene Tugenden eines Selbstpflegers vernachlässigt und beschädigt sind, die ihm sonst helfen, sich gegenüber Fremden zu behaupten oder sie für sich zu gewinnen – wehalb der Leister dann auch in Unterhandlungen und Konfrontationen mit aussenstehenden nicht darauf zurückgreifen kann.)
Wir bekommen also eine leicht veränderte Darstellung gegenüber der linearen Ausgangsversion –  die Linie wird gewissermassen zum Quadrat aufgefaltet:
L|G
S|K
Die deutlichste Änderung gegenüber der linearen Version besteht wohl in der „Brechung“ des K-L-Übergangs. Die Individualitäten, die hinter all dem stehen, erzeugen offenbar eine tiefere Kluft zwischen diesen beiden Alternativen als zwischen andern. Grund dafür könnte sein, dass aller Wissenserwerb, Forschen, Probieren, Experimentieren, technischer Fortschritt und generell Arbeit für weiteren Fortschritt sich keinerlei Bezugmehr aufweist zu unmittelbar alltagspraktischen oder persönlichen Zwecke – oder auch sich von irdischen den himmlischen und jenseitigen Dingen zuwendet, und so jede weltliche und alltägliche Aufgabenstellung überschreitet.
Zu den vertikalen Trennlinien: Solang Bemühungen, durch die man Leuten zu gefallen oder sie zu bedrohen versucht, vor allem sich auf Dinge in der Welt beziehen (was im schlimmsten Fall, wie beispielsweise Kriegen, zum ausschliesslichen Lebensinhalt werden kann) –  solange werden die betreffenden Anforderungen an die Handlungsspielräume vielleicht quantitativ sich von denen bei „normalen“ Leistungen üblichen unterscheiden, nicht hingegen hinsichtlich ihrer Qualität. Das ändert sich freilich, wenn der Umgang mit Aussenstehenden und Fremden sich zu einer eigenen Tätigkeitssphäre entwickelt, wo Institutionen und Techniken in Erscheinung treten, mit denen zurechtzukommen völlig andere Errungenschaften und Weisen des Umgang erfordern – wie beispielsweise diplomatisches Vorgehen, oder solches, bei dem man Leute durch Rhetorik oder Argumente oder durch Kenntnis der Gesetze oder der Marktverhältnisse usw.  beeindruckt. Auch wieder sind die Zwänge, deretwegen Leute neue und speziell abgewandelte Charakter-Eigenschaften entwickeln müssen, um den Anforderungen deiser Sphäre gerecht zu werden, auf entsprechende Änderungen in den zugrundeliegenden Individualitäten (hier vor allem in ihren sekundär sozial-bezogenen Anteilen) zurückzuführen.
Das Gleiche gilt eigentlich auch für den waagrechten Strich: Es kann geschehen, dass K – das definiert wurde als Gesamtheit der Aktivitäten, die Bedürfnisse und Wünsche erfüllen, ohne dass während der Arbeit daran auf die Bedürfnisse des, der Arbeitenden Rücksicht genommen würde – derart stark von unter L-Gesichtspunkten betriebenen oder L-orientierten Zielsetzungen beeinflusst wird, dass es wichtiger wird, Fähigkeiten und Kompetenzen auf dem Feld des Gutes-Tun(-Könnens) zu kultivieren, als wirklich anderen oder sich selbst auch wirklich und aktuell gutes zu TUN. Ein vergleichbares Beispiel für „diagonale Affinität“ zwischen S und G war oben bereits angeführt worden.

7-11/5 Haupt- und Nebenkonflikte
Das Quadrat oben kommt einer Geschlechtsrollen-artigen Konstellation aus zueinander alternativen Identitäten (Umgangsformen mit Handlungsspielräumen) schon ziemlich nahe:
Das obere Paar hat wohl grosse Ähnlichkeit mit dem, was im Kern eine traditionell männliche Rolle ausmacht, das untere präsentiert mehr oder weniger den Kern einer traditionell weiblichen Rolle.
Die zwei Kolumnen, links, rechts, repräsentieren zwei grundlegende Konflikte: der eine enthält die zwei grundlegendsten (gegensätzlichen) Formen von Prioritäten, die man beim Ausführen der WELTbezogenen Anteile seiner Ziele setzen kann, der andere die beim Ausführen der auf ANDERE PERSONEN Fremde, „Verwandte“ – Nahestehende, Freunde, solche, die die eigne Individualität weitgehend teilen) bezogenen Anteile seiner Ziele. (Man kann in einer kooperativen Weise sich gegenüber völlig Fremden verhalten – so als wären es einem Nahestehende. Man kann sich aber auch diplomatisch oder berechnend selbst bei den eignen Angehörigen, der Familie, den Freunden usw. verhalten – und das selbst dann, wenn man sich ihnen gegenüber wohlwollend und verbunden verhalten will, und zu ihren Hunsten vorgeht – so wie man es tun würde, um seine Verbündeten oder Klienten zu schützen in einem Umfeld von Konkurrenten oder sogar Feinden… )
Die vier Felder des Quadrats entstehen, wie sich zeigte, aus der ursprünglichen Linie aus drei Schritten oder Stadien zunehmender Entfremdung, KLG, die aus einem quasi natürlichen Ausgangszustand S herausführen – dem am wenigsten entfremdeten und für sich attraktivsten von allen – zumindest, solang es keine weitergehenden Überlegungen, Anforderungen, Cjancen und Risiken gibt. S=Selbstpflege zeichnet sich aus durch eine Art der Lebensführung, die ungefähr so umschrieben werden kann: man beschafft, erzeugt, macht verfügbar alles, was nötig ist, um Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen, sich bequem einzurichten, und doch dabei Neues und Aufregendes zu erleben (was in passender Weise mit Ruhephasen abwechseln kann) – und all das mit Vorgehensweisen, die selbst bedürfnis- und wunscherfüllend sind, die eignen Handlungsspielräume nicht überfordern (weder körperlich noch seelisch), und es einem dennoch gestatten, dabei etc.etc.

So wie „Selbstpflege“ definiert wurde, hat auch diese Abteilung zwei Aspekte, die in einem gewissen Widerspruch zueinander stehen. Der eine besteht darin, bei allem, was man tut, AUCH darauf zu achten, ob und wie es mit der Befriedigung leiblicher BEDÜRFNISSE, „sinnlicher“ Appetite und Wünsche (nach Genüssen), oder der Einhaltung von Spielraum- und Erschöpfungsgrenzen (Orientierung am Angenehmen und Bequemen, anstelle von Selbstdisziplinierung und Askese) vereinbar ist. Der andere Aspekt lässt sich als NEUGIER bezeichnen – und zwar einer solchen, wie man sie bei Kindern antrifft: ohne praktische Notwendigkeiten zu beachten, oder auch systematische oder ästhetische Perfektionierung damit zu verbinden (die dann als Selbstzweck verfolgt würde, ohne Rücksicht auf sujektive Wünsche und Bedürfnisse). Und auch hier gilt: Sobald man anfängt, seiner Neugier „hemmungslos“ nachzugeben, kommt man leicht dahin, andere elementare Bedürfnisse zu vernachlässigen (zb. den Nachtschlaf!), oder über die spürbare Grenze seiner Konzentrationsfähigkeit hinauszugehen. Umgekehrt, entsprechend – geht das Beachten anderer Bedürfnisse geht auf Kosten dieser schrankenlosen Betätigung von neugier…
(NB.Es gibt eine Abwechslung innerhalb der leiblichen Appetite – beim Essen zb. – die bewegt sich aber in einem festen Rahmen, und hat nichts mit dem Hunger nach geistiger Abwechslung zu tun, die in Wahrheit einer nach WACHSTUM des Rahmens, des Erfahrungsschatzes ist, und auf KATEGORIAL immer Neues geht..).
..erst recht, wenn die Bedürfnisbefriedigung und Sorge für sich INSGESAMT beschränkt ist, und man sich entscheiden muss für eine der beiden Seiten in diesem (Unter)Konflikt…

(Ko)operatives Verhalten K hat, wie schon gesagt, einen eigenen Bezug auf diese elementare Weisen des Umgangs mit Handlungsspielräumen: Das Ziel liegt allerdings nicht mehr auch im Weg, wie bei S,  sondern Weg bzw. Ziel werden je getrennt zu verfolgende Zwecke. Dennoch hat auch Ko-Operation (wobei man dabei auch zu sich selbst und die eignen Zwecke dies Verhälnis haben kann) zwei Seiten: Man kann FÜR sich und andre SORGEN, das heisst, für eigne Bedürfnisse oder Wünsche oder die anderer unmittelbar Zweckmässiges, Nützliches tun, oder man kann sich und anderen dabei helfen zu begreifen oder VERSTEHEN, was sie selbst oder andre wünschen, brauchen, und darauf hinführend denken in diesem Augenblick, bei diesem, jetzt gegebnen Stand ihrer Erfahrungen – speziell jener, die neu und noch ungeklärt sind (als Nebeneffekt wird man dadurch auch instandgesetzt, sich selbst und die eignen Motive andern zu erklären, so dass sie einen verstehen, selbst wenn sie neu und ungewöhnlich für andre sind). Wenn und sobald jemand genug Kapazitäten für Kooperation nach seinen Vorstellungen hat, kann er beiden Idealen in gleicher Weise gerecht werden in allem was er tut. Freilich sind Nachdenken und Handeln in einem gewissen Mass nicht gleichzeitig möglich – man kann nicht BEIDEN Anforderungen gerecht werden, wenn, etwa, schon das bedürfnisbezogene Tun in bereits verstandenen Verhältnissen immer wieder alle Kraft aufzehrt. Von daher besteht auch hier ein gewisser Konflikt zwischen den beiden „Richtungen“, in die (Ko)operation gehen kann.

Vergleichbares trifft dann auch auf L wie Leistung zu – Leistung kann einmal als etwas auszudehnendes aufgefasst werden: bezogen auf ÜBERFLUSS, eine FÜLLE an Zielen – derart, dass man das Einzelziel nicht mehr sehr sorgfältig verfolgt oder umsetzt), oder aber als etwas intensives: PERFEKTION, Vollendung (was auch zu Beschränktheit und übermässiger Konzentration auf Details führen kann). Auch dies sind also zwei Ausführungsweisen im Rahmen des überhaupt für Leistung („leistendes“, sach- statt selbst-orientiertes Umsetzen der beschlossenen Ziele) vorgesehenen Kräftebudgets, die sich in gewissem Mass widersprechen können – zumindest wenn das Gesamtbudget für Leistung nicht für beide Aspekte reicht.

Auch Verhalten gegenüber Fremden oder „Aussenstehenden“ – fremd und aussenstehend insofern, als man nicht durchgehend mit ihnen von sich aus und von vorneherein kooperiert, sondern die Regeln und Bedingungen dafür, wenn überhaupt, ständig neu mit ihnen aushandeln will – dient im allgemeinen zwei Zielen (und bestenfalls beiden zugleich):
PRESTIGE – (Überdurchschnittlichkeit von Fähigkeiten und Spielräumen, so dass man als Autorität gilt und, was man denkt, für wichtig und unwichtig hält, empfiehlt oder vorschlägt, mehr ins Gewicht fällt als das von andern (darum, weil Erfolg von gemeinsamen Unternehmungen, speziell riskanten, davon abhängt, dass diese Fähigkeiten mit der nötigen Einsatzbereitschaft eingesetzt werden, vor allem die Fähigkeit, Erfolgsaussichten abschätzen zu können – die Autorität muss also, mehr als andre, vom Sinn dieser Unternehmungen überzeugt sein). und/oder:
VERDIENST – (Überdurchschnittlichkeit der eigenen Normal-Einsatzbereitschaft, derart dass sie weit über dem Durchschnitt liegt oder viel häufiger als sonst „preis“ -würdige Extra-Leistungen zu erbringen gestattet – überdurchschnittliche Leistungen darin, für Fremde etwas für sie Vorteilhaftes zu tun, und seien es auch illusionäre Vorteile – mit einer Betrugskomponente, wie sie gegenüber den „eigenen“ Leuten nie möglich wäre. Hier, ausserhalb der eigenen Gruppe, zählt nur das ZUGESCHRIEBENE Verdienst, nicht jenes, das man aufgrund geteilter Werte auch verdient und ZURECHT von seinesgleichen zugeschrieben bekommt. Aber hier agiert man in der öffentlichkeit und nicht in der eigenen Gruppe, die die eignen werte teilt. Die gleiche Differenz zwischen dem Zugeschriebenen und dem aus eigener Sicht Verdienten ergibt sich auch für das Ansehen.)
Und wieder, wie zuvor, ist ein leichter Konflikt zwischen diesen Arten, wie man sich in Kämpfen und/oder Wettbewerben dauerhaft verhalten kann: Entweder bildet man gewisse überdurchschnittliche Fähigkeiten aus, von denen dann andere abhängen (zb. auch Fähigkeiten um sie zu schützen, was immer auch bedeutet: Fähigkeiten sie zu bedrohen, sie zu zwingen oder anzugreifen), oder, man tut sehr viel für sie, mit einem solchen Aufwand an Anstrengung, dass es einem schliesslich als überdauernde Disposition zugeschrieben wird. Aber die Arbeit an Fähigkeiten, die zunächst ausserhalb der eigenen Fähigkeiten ebenso wie derjenigen der potentiellen Zuschreiber von Prestige liegen (also zulängliche Ausübung oder Übung erfordern etc.), einerseits, und das überdurchschnittliche Sich-Betätigen für Ziele potentieller Verdienst-Zuschreiber, das mit vorhandenen Fähigkeiten auskommen muss, andererseits, schliessen sich tendenziell aus. Spätestens, wenn das für diese Art des Gebrauchs vorgesehene Kontigent des Gesamt-Handlungsspielraums nicht für beides zugleich reicht.

Das um diese (Unter)Konfliktpol-Paare erweiterte Quadrat von oben lautet dann:

FÜLLE oder      || VERDIENST oder
PERFEKTION   || PRESTIGE
hinsichtlich         hinsichtlich der ziele von
eigener ziele       fremden
————————————————
ACHTEN AUF
EIGNE
BEDÜRFNISSE || FÜRSORGE

NEUGIER          || VERSTEHEN

7-11/6 Synergieen und Ausschlussbeziehungen..
In den bisherigen Überlegungen ging es ausschliesslich um Eigenschaften der diversen Umgangsformen mit Handlungsspielräumen selbst (ihre immanenten Widersprüche, ihre Anordenbarkeit in einer Reihe, wie sie auseinander hervorgingen etc.) Jetzt hingegen gelten meine Behauptungen nur noch soweit, wie entsprechende Individualitäten existieren, die solche Umgangsformen mit Handlungsspielräumen (also letztlich Identitäten) erzwingen und aufrechterhalten, wie ich sie nun besprechen werde. Man sieht leicht ein, dass solche Beziehungen wie das „Unterstützen“ des je nächsthöcheren Entfremdungsgrades durch seinen Vorgänger auf ihr Nebeneinanderliegen in der Abfolge der vier „Felder“ zurückzuführen ist. Diese Art der Erklärung funktioniert aber nicht mehr, wenn die „Felder“ (als Wirkung entsprechender Entwicklungen in den übergeordneten Werten, Zielen, Rollen, also Individualitäten) dazu tendieren, sich voneinander abzulösen und neue Beziehungen einzugehen – wenn also beispielsweise Verdienst und/oder Prestige nicht mehr gestützt oder unterstützt werden von dazu gehörenden „Leistungen“ – darum, weil eine Öffentlichkeit, potentielle Kunden oder Wähler für sich zu gewinnen Strategien ganz eigener Art erfordert, die nur noch sehr entfernt zu tun haben mit den angeblichen Kompetenzen, die einem Publikum aus Nichtexperten vorgespiegelt werden, damit es sich überzeugen und gewinnen lässt – mit anderen Worten, es geht darum, den Leuten etwas zu „verkaufen“, was allemal auch Elemente von Betrügen und Lügen enthält. Ähnliches spielt sich ab, wenn das Feld „(Ko)Operation“ unter den Einfluss von Technik und fachkundigen Beratern gerät – wenn also beispielsweise das intuitive Verständnis der Eltern für ihre Kinder durch psychologisches Fachwissen (aus Büchern) ersetzt wird, oder die Fürsorge mit technischen Geräten und Einrichtungen „unterstützt“ wird, die zugleich, schlicht durch ihre Machart, das bestimmen, was mit ihnen gemacht kann und was nicht (manchmal auch, was gemacht werden sollte und könnte, wenn sie den raum der Möglichkeiten ungeahnt erweitern) – und auf diese Weise für jeden, der mit ihnen arbeitet, die Zwecke neu vorgibt, wie Fürsorge und Pflege auszusehen haben. Dass solche Änderungen flächendeckend akzeptiert werden, hat zu tun mit Einstellungen, die technisch Fortgeschrittenes als grundsätzlich einfachen menschlichen und traditionellen Fähigkeiten überlegen ansehen. Diese Einstellungen gehören nun allerdings nicht zum Grundbestand dessen, was den (Ko)Operationsmodus des Umgangs mit Handlungsspielräumen urspürnglich einmal auszeichnete.
Ganz allgemein waren ja in der ursprünglichen Hierarchie die „späteren“ Schritte auf die jeweils voraufgehenden orientiert. Von einer solchen Orientierung wird natürlich abgesehen, wenn Verhältnisse wie die eben beschriebenen möglich werden – die „Felder“ werden demgegenüber immer mehr zum Selbstzweck, etwa beliebt oder eine Autorität zu sein, nicht mehr, um den oder jenen Inhalt zu behaupten oder durchzusetzen, sondern als Ziel ganz eigener Art; oder: Dinge der oder jener Art bewirken zu können – nicht, um die oder jene Arbeit bequemer oder produktiver zu machen, Mühsal der oder jener Art zu erleichtern, sondern eben als Selbstzweck, der allenfalls nachträglich eine Suche danach in gang setzt, was sich mit den gefundenen Methoden alles anfangen lässt
Am Ende kann man sogar die grundlegendste aller Weisen sich um sich selbst und die eignen Bedürfnisse und Wünsche zu kümmern (Wünsche nach aufregenden neuen und interessanten Erlebnissen), von ihrem praktischen Anteil abtrennen – immer mehr gerät in Vergessenheit, dass Arbeiten selbst eine Quelle von Freude sein kann, bis zuletzt Wohlbefinden und „Spasshaben“ als grundsätzlich mit „wirklicher“ praktischer Effizienz unvereinbar angesehen werden, und stattdessen ausschliesslich mit passiv erlebten Ereignissen oder gefühlten Einwirkungen von aussen. Was wiederum eine Folge darstellt einer voraufgegangenen Technik- und leistungs- oder anspruchs-orientierten „Aufrüstung“ des Alltags.
Sobald eine solche Entwicklung stattgefunden hat (zunächst ist es ja eigentlich eine Entwicklung an und mit den Individualitäten), wird das ursprüngliche Aufeinanderfolgen der vier Felder beseitigt, und jedes kann mit jedem andern zusammen auftreten. Das hat zur Folge, dass dann auch ganz neue Arten des „Stützens“ und der Zusammenarbeit zwischen Feldern aufkommen – wobei sich Unterschiede ergeben, je nachdem, ob die üblichen Quanten an Handlungsspielräumen für das jeweilige Feld vorgesehen und dort auch eingesetzt werden, oder etwa bloss halb soviel (wie es im Zuge der Weiter-Entwicklung von Individualitäten im Lauf der Geschichte immer wieder vorkam). Im letzteren Fall (nur halb soviel Kraft in den betreffenden Modus investiert wie üblich) wird das schwächere oder „Halb“-Feld innerhalb der Kombination sich nach dem Muster des stärkeren Gegenstücks (dh. des Feldes, wo das sonst übliche Quantum an Handlungsspielraum verausgabt wird) richten – zumindest gilt das, wenn es sich um ein Gegenstück aus der „männlichen“  Hälfte der 4-Felder-Tafel handelt, also L oder G, welches daher überwiegt: Das Handeln in den „weiblichen“ Komponenten einer Kombination wie S und K, die ohnehin weniger Anforderungen stellen und von daher weniger Kraft mobilisieren, und das um so weniger, wenn die Kraft auch noch halbiert ist, also auch die Wirkung – dies Handeln wird notwendig die Färbung des männlichen Partner-Modus annehmen, es wird also eine Selbstpflege oder Kooperation in einem „aussen-“ oder „leistungs-orientierten“ Stil sein (also orientiert im ersten Fall an den Methoden, mit denen man sonst sich Beliebtheit und/oder Prestige verschafft – oder im zwieten Fall auf Perfektion und Materialfülle abzielen). Anders herum, wenn eins der beiden „weiblichen“ Felder das führende ist, gibt es nur wneig Möglichkeiten, damit das männliche (Halb)Feld zu unterstützen oder gar einzufärben – stattdessen kommt es zu recht verzweifelt anmutenden Versuchen, die Schwäche des „männlichen“ Feldes zu verschleiern, oder dieselben Anforderungen mit geringeren Kräften zu erfüllen – was tendenziell dem Tricksen oder primitiven und unzweckmässigen Vorgehensweisen Vorschub leistet. (Mehr dazu in den Abschnitten über Neue Geschlechtsrollen unten, s.d.)

7-11/7 Zur Orientierung auf sich selbst oder andre.
In der Darstellung der 4 Domänen oben (als Quadrat) gibt es offenkundig einen Unterschied zwischen der rechten Kolumne, wo Selbstpflege und Leistung Weisen des Gebrauchs von Handlungsspielräumen bezeichnen, die nur die Beziehung zwischen Person oder dem eignen Selbst und der Welt betreffen – wobei diese Beziehung im einen Fall vermittelt ist durch Bedürfnisse und Wünsche, im andern durch Entwürfe und Vorstellungen davon, wie etwas technisch bewerkstelligt werden könnte. Die beiden Felder auf der rechten Seite wiederum scheinen unmittelbar auf andere Personen zu zielen – uind sich dabei auf Ziele, Werte, Rollen zu orientieren, die NICHT diejenigen der Person sind, die zu diesem Zeitpunkt in dem betreffenden Identitätsmodus tätig ist (bzw. ihre Handlungsspielräume entsprechend nutzt).
Beide Zu- oder Einordnungen, die von S und L als selbstorentiert ebenso wie die von Kooperation und Geltung als fremdorientiert, sind falsch und einseitig. Die Einseitigkeit ist zurückzuführen auf sehr spezielle Individualitäten und historische Bedingungen, wo es beinah keinen andre Arten von Zwecksetzungen für oder in den entsprechenden Identitäts-Modi gibt als diese „einseitigen“ :
ZB. dass „Selbstpflege“ geradezu das Modell für „Selbstbezogenheit“ darstellt, verdankt sich dem folgenden Tatbestand: Wenn Dienstleistungen von Menschen mit S-artigen Präferenzen, was ihren Umgang mit ihren Handlungsspielräumen anlangt, in kooperativer Absicht für andre erbracht werden, dann gilt das sehr oft nicht als vollwertiger Beitrag zu ko-operativen Unternehmungen – oder nicht in einem Umfeld, wo jede Ko-Operation, Arbeit für Bedürfnisse von andern, aber auch bei sich selbst, zumindest während ihrer Durchführung ein Absehen von eigenen Bedürfnissen des Arbeitenden erfordert, um wenigstens den Anforderungen des üblicherweise als Standard angesetzten K-Niveaus von Identität zu entsprechen.
Dass wiederum dieses K(o-operations)-Niveau beim Gebrauch des Handlungsspielraums immerzu nur mit dem Dienst an anderen in Verbindung gebracht wird, hat mit Entwicklungen zu tun, aufgrund deren diese Leute mit K-Identitäts-artigen Eigenschaften durchgehend mit „selbstverleugnenden“ Aufgaben beauftrag werden wie: Kochen, Pflegen und Sorgen für Bedürftige und überhaupt sich um andre Kümmern (einschliesslich deren Säuglinge, Kinder, Haushalt, Kranke, Alte) – schlicht darum, weil diese anderen eigene Angelegenheiten haben, die ihnen keine Zeit meh rlassen sich um sich oder ihre Angehörigen zu kümmern – zumindest nicht auf dem Niveau eines K-Fürsorgers. (Zur Erinnerung: Das K-Niveaus des Gebrauchs von Handlungsspielraum hat üblicherweise die Befriedigung von Bedürfnissen und Wünschen als ZIEL, befriedigt aber selbst, als blosses Tun, keineswegs Wünsche und Bedürfnisse, m.a.W. dies Tun ist, für sihc slebst genommen, anstrengend, anspruchsvoll, ermüdend usw.)
Warum wird dann das L- also Leistungs- und Anspruchs-orientierte Nutzen von Handlungsspielräumen (etwa von Technikern, Experten) so leicht als nicht-kollektiv / ko-operativ oder allenfalls indirekt kooperativ angesehen? Zunächst könnte man hier darauf hinweisen, dass Perfektionismus und Anspruchsfülle (auch bezüglich der Erfahrungen, die man macht beim Realisieren von vielen Zielen in kurzer Zeit) normalerweise dazu dienen, Arbeitsteilung und Spezialisierung umzusetzen, und in dieser Funktion, in Form von Berufsqualifikation und Ausbildung, auch an die nachwachsende Generation übermittelt werden (als Anforderungen, denen der Nachwuchs  zu genügen hat). Und diese Entwicklung wird eigentlich nie wieder rückgängig gemacht (ausser durch das immer wieder stattfindende Verschwinden veralteter Berufe im Zuge des technischen Fortschritts). Auf einer tieferen Ebene gibt es aber einen noch viel nachhaltigeren Effekt: Die wachsende Vielfalt maximal entwickelter Kompetenzen und Wissensinhalte wirft die Frage auf, wie sich diese Massen an Inhalten wieder mit individuellen Lebensläufen und -dauern und den dadurch beschränkten Möglichkeiten, Wissen aufzunehmen und es sinnvoll zu verarbeiten im Rahmen von jemandes jeweiliger Gesamterfahrung. Durch meine Definition des L-artigen Handlungsspielraum-Gebrauchs hatte ich bereits ausgeschlossen, dass er je den individuellen Zwecken irgendeiner Person dienen könnte (oder das zumindest nicht unmittelbar) – womit dann auch ausgeschlossen ist, dass je qualitative oder quantitative Grenzen für diesen Gebrauch existieren könnten, die durch jemandes Bedürfnisse oder Anforderungen vorgegeben würden und dem immefort weitergehenden Anwachsen von Perfektion und Anspruchsfülle je Einhalt gebnieten könnten, sobald ein Unternehmen mit diesen Zielsetzungen einmal in Gang gesetzt ist. Allenfalls gibt es rein objektive Grenzen – an dem Punkt, wo der Spielraum für mögliche Problemstellungen und Lösungen und Themen und Unterarten aller möglichen Genres endgültig ausgeschöpft ist. Die einzig denkbare individuelle Entscheidung läuft dann allenfalls auf eine Auswahl hinaus von Themen, die für eine spezielle Einzelperson interessant sein könnten – aber jeder Versuch dieser Person, diese ganz spezielle Auswahl des für sie im Rahmen ihres aktuellen Anforderungsprofils passend Interessanten zu treffen und immer weiter zu verbessern, wäre seinerseits so speziell, dass niemand andres diesen Versuch zu einem gegebnen Zeitpunkt wirklich voll wird mittragen und teilen können. Das ist also die eine Seite von „Individualisierung“ , nämlich eine Art übermässig selektiver Anspruchshaltung oder Determinierung – die andre Seite besteht dann im geraden Gegenteil, nämlich absoluter Beliebigkeit und Willkür- und Zufallswahlen sei es der Ziele, bei denen man ab sofort Perfektionierung anstrebt, sei es der möglichen Themengebiete aus einem riesigen Feld aus Kandidaten, von denen jedes gleich gut dafür geeignet ist, es kurz zu streifen und zur Kenntniszu nehmen, um es dann unmittelbar drauf durch ein andres derselben Art zu ersetzen.
Aber auch hier besteht wieder keine unumgängliche Notwendigkeit, sich so zu verhalten: Erfahrung gemeinschaftlich verarbeiten, also auch sie in allen wirklich wichtigen Hinsichten zu teilen, wird dann und dadurch möglich, dass das jeder Einzelne sein Wissen ordnet, indem er das ihm darin Wichtige und das Unwichtige bestimmt, und das Wichtige mit demjenigen vergleicht und abgleicht, das sich aus dem Wissen und der Erfahrung anderer ergibt – in einem ersten Schritt; der nächste Schritt bestünde dann darin, mit diesen anderen zu einem gemeinsamen Urteil darüber zu gelangen, welche (Versuchs)handlungen (Experimente) (die auch arbeitsteilig jeweils von bestimmten einzelnen ausgeführt werden können) vernünftigerweise aus dem geteilten Wissen abzuleiten sind. Das setzt natürlich (gemeinsame) Regeln des Umgangs mit je gegbener Erfahrung voraus, die von den (gemeinsamen) Individualitäten aller an diesem Prozess Beteiligten bereitgestellt werden und sich daraus ergeben müssen. Die Schwierigkeit mit den meisten Individualitäten bis heute ist, dass ihnen genau solche Regeln fehlen – abgesehen von ganz einfachen „empiristischen“ Strategien des Reagierens auf Tatsachen, und auch abgesehen von den unabänderlichen Aussagen des (religiösen) Glaubens, die sehr bewusst so gehalten sind, dass sie nichts bestimmtes in einer bestimmten (Erfahrungs)Situation vorschreiben, sondern nur solches, das immer und jederzeit gültig bleibt. (Das ist eine kurze Vorwegnahme dessen, was in eventuellen Übersichten über mögliche Typen von Individualitäten demnächst zu sagen wäre – in diesem letzteren Fall Individualitäten, die nach religiösen Denkmustern geformt wurden.)
Eine analoge Überlegung ergibt sich im Zusammenhang mit der  Frage: Warum sind Selbstverleugnung und Selbstaufgabe in so grossem Mass notwendige Begleiterscheinungen von Selbst-Behauptung (-Durchsetzung, Geltung), wie man sie zB. in der Politik, wenn man anderen gefallen oder entgegenkommen, aber auch mit ihnen verhandeln oder kämpfen muss, praktiziert?
Zunächst gilt, wie immer, dass alles, was auf L Bezügliche um so mehr auch auf A zutrifft: Je grösser die Vielfalt und Fülle der Ideen, Erfahrungen, möglichen Sichtweisen – desto mehr Meinungsverschiedenheiten wird es geben. Ich hatte als Kern der Selbst-Entfremdung in G(eltung) bezeichnet die Abwendung von eigenen Erfahrungen, Bedürfnissen, Projekten zu dem Zweck, Einfluss auf Leute ausserhalb der eigenen Binnengruppe (derjenigen, die mit einem dieselben Individualitäten teilen oder anerkennen) zu gewinnen, sie abzuwehren oder für sich zu gewinnen. Wenn man sich dauerhaft auf diesem Aktivitäts-Feld bewegt, wird man gezwungen, entweder streng „objektiv“ darauf zu achten, was für alle anderen Personen ausser einem selber in „dieser“ Situation von Interesse ist (zB. indem man gerecht urteilt.. oder in Kämpfen, Krieg, Poltik, Wettbewerb tut, was objektiv und an sich notwendig und/oder hinreichend ist, um anderen überlegen zu sein odet sich zu schützen oder andre davon abzuhalten, zu tun, was man nicht will usw. Oder aber man wird dazu gezwungen, sich vollständig auf Leute ausserhalb seiner selbst und der einem Vertrauten einzustellen – indem man ihnen versucht zu gefallen oder sie zu beschwichtigen oder ihnen zu schmeicheln, während man diplomatisch mit ihnen umgeht, sie zu etwas versucht zu überreden oder generell sie zu manipulieren usw.
In beiden Vorgehensweisen ist nicht nur dies Element von „strenger Objektivität“ enthalten, sondern letztlich sogar die ständige gedankliche Vorwegnahme und das Erschöpfen der Spielräume dessen, was überhaupt möglich ist: Was andere womöglich finden, erfinden, erzeugen könnten (was man möglicherweise im vorhinein unterbinden muss) in ihrem Umgang mit Natur und Welt (was für gleich welche Einzelpersonen oder Gruppen möglich ist, ist auch für alle andern im Prinzip möglich). Und: Man kann und muss sich vorstellen, wie andere möglicherweise voneinander, aber auch von einem selber abweichen und sich unterscheiden. Immer aber gibt es Grenzen, die gezogen werden durch das, was für alle in gleicher Weise unmöglich ist, oder keinen Sinn mehr macht (in gleich welcher Lage sie sich befinden mögen): darum, weil es etwas in der Natur ist, das sich auf keine irgend vorstellbare Weise bewältigen oder beherrschen lässt.. oder etwas im sozialen Leben oder dem Leben anderer, das auf keine irgend erdenkliche Weise begriffen oder eingeordnet werden kann in irgendeiner Hinsicht und ebenfalls nicht beherrschbar ist – weil diese andern irgendwie verrückt, irrational, krank geworden sind.
Diese Grenzen aber und – nicht weniger wichtig! – der Raum (an Möglichkeiten), den sie einschliessen, sind dieselben für ALLE (sie gelten „inter-subjektiv“ , bei allen Subjekten oder Personen) – was auch einen slebst mit einschliesst. Indem man über die Möglichkeiten aller Leute nachdenkt und dabei auch mögliche zukünftige Handlungen anderer vorwegnimmt, denkt man in gleicher Weise und zugleich auch über die eigenen Möglichkeiten nach, den weiteren Verlauf des eigenen Lebens, oder mögliche Pläne und Experimenre, die man machen könnte (man selbst so gut wie andre). Das vermeintlich maximale Absehen von den eigenen Plänen und der eigenen Person bedeutet also in Wahrheit ein Ausloten der Grenzen für die eigenen Möglichkeiten. Man verlässt nie seine eigene Sphäre (und es gibt keinen Raum in derjenigen von irgendjemand anderm, der darüber hinausginge).

7-11/8 Gleichgewicht und „dauerhafte Wahl“ einer Identität.
Um es noch einmal zu sagen: Es sind die Individualitäten (feststehende Ziele, Werte, Rollen – sie mögen freiwillig gewählt sein oder erzwungen, also anerkannt), aufgrund deren Identitäten und in der Folge auch Identitätskonflikte ausgebildet werden. Die kurzgefasste fiktive „Geschichte“ der Identitäts-Entwicklung erweist sich als eine Abfolge von Stufen immer grösserer Entfremdung und der (Über)Forderung seiner selbst und anderer – bis zu dem mutmasslichen Scheitelpunkt dieser Entwicklung, nämlich der grösstmöglichen Intensität von Wettbewerb, Rivalität, Krieg, oder auch Selbst-Verleugnung (Verleugnung des wahren eigenen Selbst, durchgehendes Spielen einer Rolle) als Folge ständiger Anpassung an andre, die man manipulieren und beeinflussen möchte. Wenn man diese Schritte oder Fortschritte macht, ist die Absicht dahinter ursprünglich keineswegs, sich immer weiter auf diesen Maximalniveaus zu bewegen, sondern schnellstmöglich zum vormaligen Niveau der Verausgabung und Kräfteeinteilung zurückzukehren – erst recht erschiene es nicht sinnvoll, auf die weniger entfremdeten Niveaus zu verzichten, um sich dauerhaft auf das höchstmögliche zu konzentrieren. Obschon genau das passiert, wenn ein vorübergehender Exzess oder ein Extrem in eine dauerhafte Lebensweise überführt wird – also eine Identität (nach meiner Definition).
Eine Individualität haben, heisst nicht, sich dies oder jenes einfach bloss wünschen – vielmehr muss man auch überzeugt sein, dass das Gewünschte auch erreichbar ist (und nicht bewiesen ist, dass es nicht geht), mit vorhandenen Mitteln, dass es die Kosten lohnt, und dass es keinen einfacheren Weg gibt, um es zu bekommen. Aber selbst dann ist doch die Frage: Warum ich – warum soll ausgerechnet ich diese Anstrengungen unternehmen – vor allem, wenn die darauf hinauslaufen, dass ich langfristig eine dauerhaft einseitige Identität ausbilden muss, auf Kosten anderer Arten zu arbeiten, seine Kräfte und Aufmerksamkeit zu verausgaben und generell – zu leben.
Wenn somit das Opfer auf seiten der Identitäten liegt, die Belohnung aber im erfolgreichen Absolvieren dessen besteht, was die Individualität zu realisieren gebietet – wie soll man sich da entscheiden? Um eine Entscheidung zu ermöglichen, müsste zunächst einmal gewährleistet sein, dass die gesamte zur Entscheidung anstehende Sphäre in zwei gleiche Teile zerfällt werden kann – wo sich Opfer und Belohnung auf BEIDEN Seiten die Waage halten. Selbstverständlich muss man sich ausserdem darauf verlassen können, dass andere dasind und auch bleiben, die auf die je anderen Seite oder Hälfte treten, wenn man selbst die eine wählt. Beide Bedingungen müssen erfüllt sein: Egal, welche Wahl man trifft – es muss immer das gleiche Verhältnis von Einsatz und Ertrag herauskommen, und man muss sich sicher sein können, dass solche andern dasind und dasein werden, die die eigne Einseitigkeit ausgleichen, und das auf Gegenseitigkeit, derart dass sie von einem bekommen, was sie brauchen, so wie man selbst von ihnen, indem man von ihrer Spezialisierung profitiert. Diese Ebenbürtigkeit und innere Ausgewogenheit der beiden Seiten und der gegenseitige Austausch von Errungenschaften, die die andere Partei zufriedenstellen, garantieren die Stabilität dieser Teilung und Entscheidung auf Dauer (vorausgesetzt, die zugrundeliegende geteilte und/oder anerkannte Individualität ist dieselbe): Keine der beiden Parteien hat dann einen Grund, ihre Rolle gegen die andre tauschen zu wollen.
Natürlich gibt es noch eine andere Alternative als diese strenge Teilung: Man kann mit seinem/en Partner(n) auf der einen Seite stehen, und von da aus den gemeinsamen Handlungsspielraum ausdehnen in Gebiete, die zunächst von keinem der Beteiligten eingenommen wurden – und das einfach dadurch, dass man sich die produktiven Effekte von Arbeitsteilung auf dem Ausgangsgebiet zunutzemacht. Wenn und soweit es ein gewisses Missverhältnis geben sollte zwischen der Zeit, die man in der Ausgangssphäre zubringt, und der in der andern, so ist es immerhin das gleiche für alle an diesem Modell beteilgten Parteien dasselbe. Schliesslich gibt es sogar noch ein drittes Modell, falls es praktikabel ist, bei dem die Parteien von den beiden Seiten her aufeinander zugehen, um sich in der Mitte zu treffen.. Womöglich sind noch mehr Formen denkbar..
Die Frage, ob tatsächlich eine Wahlentscheidung getroffen wurde und man vorher danach gefragt wurde, ist am Ende unerheblich, solang das gewählte „Teilungsmodell“ tatsächlich das bestmögliche unter diesen Umständen ist, die nötigen Partner vorhanden sind und nach allem, was man weiss, ihren Beitrag leisten werden, und es schliesslich auf beiden Seiten eine gleich ausgewogene Mischung von Verzicht und Belohnung gibt.
Anders gesagt – dass man tatsächlich eine Wahl für sich trifft, ist letztlich solange überflüssig, wie es aus der eigenen Warte hier keine wirkliche Wahl zwischen etwas besserem und schlechterem GIBT. Und wenn das durchgehend so bleibt, dann wird auch die Teilung der Identitäten oder Identitätsteilung, und die Position, die man darin einnimmt, stabil bleiben.

7-11/9 Identitätsteilung
Im Prinzip könnte es auch mehr als zwei solche Anteile geben (wobei jeder gleichwertig und gleich ausgewogen wie die andern zu sein hätte), und also auch mehr als eine Trennlinie in dem ganzen Identitätsfeld – vor allem, wenn es um grosse Gruppen oder die ganze Bevölkerung geht. Aber ich hatte ja versucht zu zeigen, dass die Voraussetzungen für Einrichtung und Aufrechterhaltung stabiler Identitäten sehr hoch sind: Zunächst einmal muss man für eine von allen Beteiligten anerkannte oder sogar geteilte Individualität sorgen – keine ganz einfache Vorstellung, wenn man sich diese Aufgabe für eine Gruppe oder gar ganze Bevölkerungen stellt. Die wichtigste Quelle von Instabilität dürfte aber herrühren von den Kräften, die das Bevölkerungswachstum freisetzt – sogar wenn zuvor Gleichheit und innere Ausgewogenheit der verschiedenen Teil-Identitäten verschiedener Teil-Gruppen erfolgreich hergestellt wurden, müsste man obendrein die Geburtenziffern in jeder „Identitäts-Klasse“ kontrollieren (um Verzerrungen der ursprünglich ausgewogenen Proportionen zwischen den Unter-Gruppen oder -Klassen zu verhindern) – man müsste für flexible Mechanismen sorgen, durch die ein mögliches asymmetrisches Wachsen oder Schrumpfen innerhalb einer Untergruppe oder -Klasse auf Kosten der andern neutralisiert (und nicht etwa erschwert) werden. Auch hier wieder ist die beste Strategie, um bestimmte Proportionen selbst in einer wachsenden Bevölkerung (und vergleichbaren Geburtenraten in allen Klassen) aufrechtzuerhalten, die Klassenzugehörigkeit vorwiegend durch die Geburt festlegen zu lassen – also gewissermassen sich vererben zu lassen. Insgesamt ist dieses Modell einer mehr als nur dualen Identitätsteilung dasjenige einer historischen Ständegesellschaft, Stände sind dann die Klassen von Leuten mit spezieller Identität.
Wieviel einfacher in den meisten Hinsichten einzurichten und aufrechtzuerhalten ist, verglichen damit, eine Teilung mit nur zwei Partnern: Es ist dabei viel wahrscheinlicher, dass die Voraussetzung der gemeinsamen Individualität erfüllt wird, das gilt ebenso für die Ausgewogenheit von zu erbringendem Opfer und Belohnung auf beiden Seiten und die grundlegend gleichwertigen Chancen, die sich mit jeder der beiden Positionen verbinden; sobald das alles feststeht, ist es dann um so viel leichter, Leute dazu zu bringen, die ihnen bestimmte Position einzunehmen und auch wirklich beizubehalten, andererseits genug Leute für jede der beiden Positionen zu finden – was dann dazu führt, dass auch wirklich jeder auf beiden Seiten hoffen darf, einen entsprechenden Partner von der andern Seite zu finden. Und noch ein Gedanke lässt sich leicht an diese Vorstellung einer Identitätsteilung zwischen zwei Personen anschliessen: Der Verweis auf die Tatsache nämlich, dass es bereits eine solche Zweiteilung jeder menschlichen Bevölkerung gibt – in Gestalt der biologischen Geschlechter. Damit kann dann die Frage, wer welche Rolle zugewiesen bekommt und auch die Sorge, dass wirklich kein Ungleichgewicht auf einer der beiden Seiten entsteht, in höchst eleganter Weise aufgelöst werden. Verglichen damit, ist das Vorhaben, eine Gesellschaft nach dem ständestaatlichen Modell zu organisieren, um Grössenordnungen schwieriger – und das in beinah jeder der eben genannten Hinsichten – ausserdieser: Je mehr einzelne Abteilungen (Stände) im Rahmen einer komplexen kollektiven Identitätsteilung eingerichtet werden (und einem ebenso komplexen und ausgedehnten Feld von möglichen Graden und Schritten der Entfremdung) – desto leichter wird es Leuten auf jeder dieser Stufen, Identitäts-Abteilungen oder Stände fallen, sich auf ihre Bestimmung zu konzentrieren und ihre besondere Position auszugestalten. In der 2-Personen-Variante hingegen wird jede durch die zugrundeliegende Individualität verursachte Dehnung des Feldes möglicher Stufen, sich physisch und psychisch (nicht) zu (über)fordern, auch den Inhalt der Rollen der beiden beteiligten Personen vermehren und erweitern – also unter Umständen: diese Rollen überdehnen und überfordern – mit Folgen, die später noch genauer untersucht werden sollen.
Man kann durchaus fragen, warum dieser Vergleich mit Ständen in der Gender-Theorie bisher so wenig Beachtung gefunden hat. Der Grund könnte in einer Schwierigkeit zu suchen sein, die sich in beiden Fällen beim Versuch, eine Erklärung zu finden, bemerkbar macht – also sowohl bei Gender als auch Ständen: Beide sind tief verwurzelt in religiösem Denken – nur dass es hier nicht auf unser Verhältnis zur Natur angewandt wird, sondern auf soziale Beziehungen, zwischen Personen. (Reliöses Denken zu verstehen scheint ein bislang ungelöstes Problem in (historisch-)soziologischen Theorien.) In beiden Fällen scheinen Erwartungen im Spiel zu sein, dass andere – unabhängig von irgendwlechen anchvollziehbaren Gründen und Motiven – die ihnen durch Tradition (den Zuweisungs-Mechanismus) zukommende Rolle auch wirklich umsetzen werden – und das sogar dann, wenn eigentlich nicht mehr verständlich ist, warum in einer aktuellen Identitätsteilungs-Konvention oder Vertrag, wenn man so will, die anderen Beteiligten noch ihre Position einnehmen sollten. Es werden natürlich immer die besser Weggekommenen sein, die an dem Glauben festhalten, dass ihre Gegenüber oder Partnerin der angebnlich ausgewogenen Identitätsteilung sich doch irgendwie, man weiss zwar nicht, wie.. aber eben doch auf die ein oder andere Weise, ebenso wohl fühlen müssten wie sie selbst.. Es MUSS einfach so sein, dass ein solches Gegenstück zu ihnen existiert – weil sie es BRAUCHEN, und bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgehen, dass es das gibt. Dieser Beweis wird ganz sicher geführt werden, denn die Verlierer in solchen Verhältnissen verlieren ihren Glauben ein wenig schneller..
Es gibt allerdings eine kleine Gruppe, auf die die Identitätsteilungskonzepte anzuwenden besonders sinnvoll ist, und das ist die FAMILIE. Kind sein ist heute (und auch shcon seit geraumer Zeit) nicht einfach nur eine Rolle (wie Historiker seit längerem aufgezeigt haben), sondern, wie sich jetzt erweist, eine Identität, die natürlich zu einem gewissen Zeitpunkt sich änder muss, normalerweise in der Adoleszenz, dem frühen Erwachsenenalter – oder am Ende doch nicht – nicht bei allen, in allen Hinsichten? Ein Kind zu sein, könnte heissen, dass man sich auf dem niedrigsten Niveau der Hierarchie der Identitäten in der Familie aufhalten darf. In modernen (vorzugsweise unvollständigen) Familien ist es dabei keineswegs von Anfang an und in allen Fällen klar, dass der Vater oder beide Eltern an der Spitze rangiert. Identität könnte, wie sich hoffentlich zeigen wird, als Schlüsselbegriff fungieren, um Probleme neu zu stellen oder gar zu lösen, die sich bei Versuchen ergeben, Biographie, Charakter und auch psychischen Störungen aus dem Familienumfeld zu erklären – vornehmlich, natürlich, in der Psychoanalyse und diversen anderen therapeutischen Ansätzen. In gewissem Sinn steht die Familie, aufgefasst als Identitätsteilugsmodell, zwischen den beiden zuvor erwähnten: den gender-begründeten (Hetero-)Paaren, und Gruppen, die mehr oder weniger wie Ständegesellschaften funktionieren. Infolgedessen stellensich dann auch die möglichen Problemquellen in der Familie als Mischung aus denen der beiden andern dar: beim Paar ist das die Tendenz zur Überdehnung eines oder beider Identitäts-Abteilungen, in der Gruppe sind hingegen eher Schwierigkeiten, die Rahmenbedingungen stabil zu halten (gleiche Individualität bei allen, gleiche Chancen, innere und äussere Ausgewogenheit und Symmetrie etc.). Familien scheinen anfällig für beide Problemarten zu sein..

7-11/9a  Anm.zum vorigen Abs.
Es ist leicht einzusehen, dass die Kategorien des letzten Abschnittes eng miteinander verknüpft sind.
Die Anhänger einer Ständegesellschaft auf der äussersten rechten Seite des politischen Spektrums tendieren bekanntlich dazu, gesellschaftliche Verhältnisse wie innerfamiliäre aufzufassen – solche Vorstellungen weisen eine gewisse Nähe auf zu solchen, wonach die Angehörigen einer Nation oder eines Volkes miteinander verwandt sein müssen wegen ihrer gemeinsamen Vorfahren – und diese Art Rassismus begegnet einem dann wieder in den Überlegungen im Familienkreis, wer mit wem in der voraufgehenden oder der gegenwärtigen Generation welche Ähnlichkeit hat. Natürlich gibt es von da ausgehend eine Verbindung zur Vorstellung, man könne jemandes soziale Stellung – die ihm womöglich durch Geburt zugefallen ist – durch das rechtfertigen, was und wie jemand (eine Gruppe, Klasse) von Natur aus IST.
Während Individualitäten, ganze Systeme von Werten, Zielen, Rollen oder sogar der Glaube schnellem Wandel unterliegen, zumindest in der Moderne, scheinen Identitäten aus einem unabänderlichen Fundament in jemandes Natur oder Veranlagung herauszuwachsen (viele sagen heute Natur, wo sie genausogut Gott sagen könnten – so wie es Spinoza tat in seiner Formulierung „deus sive natura“ = „Gott, oder die Natur, wie man auch sagen könnte“ . )
Das führt zurück zum Geschlecht, oder muss es etwa doch heissen: Geschlechtsrolle?, diesem Musterbeispiel einer natürlichen Vorwegbestimmung und Bestimmung von Leuten durch „ihre Gene“. Von dort aus finden sich dann wieder überraschende Verbindungen zu den anderen Themen in Gestalt von Fetischen, die mit innerfamiliären oder ständestaatlichen Verhältnissen zu tun haben: Rollenspiele scheinen dann mit erheblich grösserer Glaubwürdigkeit bestimmte Identitätsteilungen zu verkörpern und auszudrücken, als sie dem anatomischen Geschlecht heutzutage noch zugetraut wird – eine Rolle in einer Inzestbeziehung oder einer zwischen Herr und Sklave einzunehmen, scheint ein bei weitem verlässlicheres Anzeichen dafür zu sein, dass man dasunddas und soundso ist, als der Besitz eines Penis oder einer Vagina. Da können Neuro-Wissenschaftler und Soziobiologen noch so ausdauernd die ungeheuren Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen oder Genen ausmalen – wer glaubt ihnen noch?
Ich hoffe, dass diese Überlegungen meinen Lesern (falls es noch welche gibt) einen Eindruck vermittelt haben, welch grundlegende Rolle im Denken der Moderne diese Idee eines „soundso Seins, ohne sich dafür entschieden zu haben“ spielt – und warum die oben beschriebenen „Stufen wachsender Entfremdung“ die Anstrengungen für dieses seltsame und ausgefallene Thema „Identität“ bis jetzt rechtfertigen.
Vielleicht ist dies der Ort, um einen Einwand zu erörtern: Die grossartige Entdeckung einer Identität und von Identitätskonflikten – bezieht sie sich nicht auf etwas ganz vertrautes, das jeder aus seiner Alltagserfahrung kennt? Aber dann möchte ich fragen: Mit WELCHER Alltagserfahrung genau möchte man Identität identifizieren oder gleichsetzen? Je nachdem, gibt es dann nämlich ganz unterschiedliche Varianten des Einwands: Geht es bei Identität um Persönlichkeit, Charakter?.. um grundlegende angeborene Eigenschaften, mit verschiedenen Parametern?.. Geht es womöglich um etwas wie Rasse.. oder Talent? Um kulturelle Besonderheiten.. um Erziehung.. Eltern-Einfluss.. oder soziale Schichtung? Aber, schlimmer als diese voneinander abweichenden Versionen des Einwands „das gibts doch längst unter dem Namen X“, ist, dass in allen Versionen der spezielle Inhalte meines Begriffs Identität verfehlt wird – dass sie nur eine bestimmte Menge an Möglichkeiten hat, dass sie notwendig eine Entsheidung darstellt zwischen (im Normalfall) zwei völlig gleichwertigen Alternativen, oder kurz: der Einwand verfehlt jene Komponente von „notwendig so sein und nicht anders sein können“ in allen Phänomenen im Umfeld von „Identität“. Der endgültige Beweis dafür, dass die in den Abschnitten vorne erwähnten Tatsachen notwendig so sind und nicht anders sein können, kann hier nicht geliefert werden – ich möchte nur zum Ausdruck bringen, dass ich überzeugt bin, dass ein solcher Beweis möglich ist. In ihm müsste gezeigt werden, dass sämtliche überhaupt möglichen Individualitäten diese und nur diese Identitäten und Konflikte zustandekommen lassen – und zugleich, dass diese Kategorie des „Umgangs mit, Verteilens, Verwendens seiner Handlungsspielräume auf Dauer“ grundlegend und unverzichtbar ist im Leben von uns allen.
(Identitäten wiederum können, wenn sie erst einmal entstanden sind, zum Ausgangspunkt werden einer Suche nach der zu ihnen jeweils passenden Individualität – was ein äusserst produktiver und innovations-trächtiger Vorgang sein kann, sofern da Tendenzen sind zur Abänderung oder Aufteilung einer ursprünglichen Identität, nachdem sie aus der zugehörigen Individualität hervorgegangen ist. Anders gesagt: In einem ersten Schritt gehen Identitäten aus Individualitäten hervor – dann ändern sich, in einer zweiten Phase, diese Identitäten – um dann zuletzt, in neuer Gestalt, womöglich neue individualitäten zu erzeugen. Und das könnte im Verlauf der Geschichte sogar mehr als einmal so abgelaufen sein..)

7-11/10 Zusammenwirken von Id+Ind
Bevor ich im Exkurs im Anschluss an diesen Absatz einige Andeutungen dazu mache, wie ein solches Zusammenwirken von Id. und Ind. aussehen könnte, möchte ich hier vorbereitend einige Begriffe einführen:
Mentalität, oder primäre Individualität, ist das je besondere Inventar an Werten, Zielen, Rollen, die jemand auf der Grundlage seines Erfahrungswissens zu einem bestimmten Zeitpunkt zunächst einmal befürwortet.
Noch jenseits dieser Ebene der Mentalitäten liegt (wie ich es nenne) ein Begründungsmodus – eine Art und Weise, konkrete Mentalitäten aus einer gegebnen Menge an Erfahrungen zu erschliessen) – wobei Begründungsmodi sich ebenfalls ändern, allerdings in Zeiträumen, die weit über die Lebenszeit einer Einzelperson hinausgehen – diese Ebene der Begründungsmodi ist zugleich diejenige des grundlegendsten historischen Wandels, und die Ebene der Begriffe, mit deren Hilfe historische Epochen gegeneinander abgegrenzt werden. Um einen Eindruck davon zu geben, worum es bei diesem Begriff geht; Magisches Denken, religiöses Denken (letztere beiden= vormodernes Denken), modernes Denken – dies sind die drei Begründungsmodi beim Umgang mit (Ableiten von Mentalitäten aus Erfahrung beim Umgang mit) der objektiven Welt. Es gibt aber die Modi der Begründung auch als solche zur Begründung (d.h. Legitimation) Umgangs mit andern Personen, genauer des Umgangs mit DEREN Umgang mit der Welt, wie er sich in deren Wünschen und Absichten, Vorschlägen und Forderungen zeigt: Psychologisieren, Idealisieren, Objektivieren (dh. über andre in magischer, religiöser oder moderner Weise denken, als wären sie Objekte neben andern); oder aber auch andre behandeln gemäss getroffener und fixierter Abmachungen, Gesetze, Machtmotiven oder solchen der Staatsräson, vor allem eines demokratischen Staats, schliesslich auch gemäss bestimmter Legitimationsprinzipien, etwa Regeln der Gerechtigkeit (angewandt auf Politik und Wirtschaft), des Marktes, oder Regeln einer libertären Vergesellschaftung, zuletzt auch gemäss den Verständnissen, die sich ergeben aufgrund von Empathie, Kritik oder gerechtfertigt-rational-vollständigem Verstehen. Auch Rechtfertigungsmodi sind „Begründungsmodi“.)
Individualität (oder Individualität im eigentlichen Sinn des Wortes, wie ich es verstehe) ist eine Mentalität im Rahmen eines ganz speziellen sozialen Umfelds – der Träger der Ind. ist umgeben von diversen Gruppen von Leuten, die sich auszeichnen durch eine zunehmend von der seinen abweichende Mentalität (also auch den Wünschen, Absichten, Forderungen und Vorschlägen, die er aufgrund seiner Mentalität zu einem Zeitpunkt hat bzw. an die andern richtet) – UND immer geringerer Bereitschaft, seinen Forderungen entgegenzukommen, oder wenigstens mit ihm zu verhandeln, oder gleichgültig zu sein, bi hin dazu , dass sie sich schliesslich feindselig und ablehnend verhalten, und ihn und die Seinen davon abhalten oder hindern, zu tun was sie möchten, oder ihn und sie zwingen, zu tun, was sie nicht möchten. Mit dieser Skala abnehmender Übereinstimmug kann folglich auch bestimmt werden, wie nahe jemand einem steht (Angehörige welcher Gruppen, auf Dauer), wer ein Partner oder Freund ist, ein Verbündeter, ein Kunde oder Klient, ein Gegner und Gegenspieler oder sogar ein Feind.
Aufgrund der Individualität i.e.S. weiss man somit, wohin und zu wem man auf Dauer gehört, also zu welcher Gruppe – allerdings hat man darum noch nicht seine Position in dieser Gruppe gefunden. Dafür muss man erst wissen, welche langfristige Weise des Umgangs mit seinen Handlungsspielräumen (Kraft, Konzentration, Bereitschaft sich zeitweise anzustrengen) man ausbilden soll, und auf welche Art man sich langfristig auf die Anforderungen der Gruppe einstellen soll – in meiner Ausdrucksweise: Man muss seine Identität bestimmen (finden, kennenlernen). Im Normalfall bedeutet das auch (wie in den folgenden Abschnitten über Geschlechtsrollen gezeit werden soll), reale Personen zu finden, die ihr Leben mit einem verbringen wollen, und die einem selbst bestimmte Identität mehr oder weniger mit einem „teilen“ wollen (eine Familie, Freudeskreis, Nachbarn, Kollegen etc.)
Es kann vorkommen, dass jemandes Individualität oder auch Mentalität sich ändert, aber die Identität nicht – aber auch das Umgekehrte kann der Fall sein – mit einem Wort, Mentalitäten, Individualitäten und Identitäten können bis zu einem gewissen Grad voneinander unabhängig variieren – aber das nur in bestimmten Grenzen – jenseits davon werden Id. und Ind. jeweils ihren Einfluss auf das je andre geltend machen (wie es sich am Emde des voraufgehenden Abs. abzeichnete) – je nachdem, ob mögliche Partner, die die gleiche Ind. teilen oder anerkennen, zuverlässig ihre Id.Rolle spielen. Wir müssen erst noch sehr viel besser als bis jetzt begreifen, was eigentlich mögliche Ind.en sind, bevor wir uns ein Bild von dieser wechselseitigen Beeinflussung machen können. Dennoch möchte ich an dieser Stelle eins festhalten: Id. und Ind. sind Einstellungen, die normalerweise über und für sehr lange Fristen eingenommen werden – zumindest ist es so gewollt – und das gilt dann natürlich ebenso von jeder Zusammenstellung aus beiden. Ich schlage vor, die fixe Kombination aus zueinander passender Ind. und Id. bei jemandem seinen „Lebensentwurf“ zu nennen – wobei das Wort „Leben“ den Langzeit-Aspekt ausdrücken soll – auch wenn die Wahrscheinlichkeit für die Kombination aus Id und Ind. immer grösser wird, dass sie sich ändert (weil wenigstens eins von beidem sich geändert hat). Als feste Verbindung einer Ind. mit einer Id. trifft ein Lebensentwurf ganz bestimmte Umstände für die Realisierung des einen und des andern an (und die mögen sich in der Erwartung des „Inhabers“ des Entwurfs mehr oder wneiger dauerhaft ausnehmen) – diese Umstände wie zB. auch Leute, die als Partner oder Gegner fungieren, mögen sich ändern, ohne dass sich der Lebensentwurf ändert – was ein Wort erforderlich macht, um diese untergeordnete Ebene möglichen Wandels zu benennen – ich möchte die Gestalt, die ein Lebensentwurf unter bestimmten, und zumindest der subjektiven Erwartung nach dauerhaften Umständen annimmt, die (aktuelle) „Lebensform“ des Betreffenden nennen. Da man seinen Lebensentwurf immer nur unter bestimmten Bedingungen (und hoffentlich möglichst zuverlässigen, nicht ständig wechselnden) umsetzen kann, wird man (jedenfalls ist das zu hoffen) jederzeit auch eine spezielle Lebensweise oder eben Lebensform aufweisen – die mehr oder weniger geeignet ist, den weitreichenden Versuch unter den gegebnen Umständen um- und fortzusetzen, seinen Lebensentwurf zu realisieren. Auch wenn dieser Entwurf über die ganze Lebenszeit, soweit möglich, bestehen bleibt, können doch unvorhergesehene Umstände auftreten, die eine der beiden Komponenten des Entwurfs abändern – auch wenn es eher seltene und ungewöhnliche Ereignisse sein werden. Die Reihe: Mentalität, Individualität, Lebensentwurf, Lebensform bringt eine wachsende Abhängigkeit der langfristigen Einstellungen einer Einzelperson von den Randbedingungen zum Ausdruck. Es ist klar, dass diese Randbedingungen vor allem gesellschaftliche  sind – was die in der Reihe aufgezählten Kategorien zu bevorzugten Gegenständen soziologischer Untersuchungen macht. Dennoch: Ein Wandel in einer dieser Kategorien kann durchaus nicht-gesellschaftliche Gründe haben – und geau diese Gründe sind bei weitem grundlegender und, wenn sie einmal eingetreten, geeignet, den Rahmen der zentralen Vorstellungen, Begriffe und Überzeugungen einer Gesellschaft zu sprengen – auf dieser Ebene findet denn auch der wahre und eigentliche historische Wandel statt. Wenn überhaupt, dann sind es eher Philosophen und nicht Soziologen, die diese Art des Wandels verstehen. Es ist im wesentlichen ein intellektueller Wandel. (Einmal mehr ist es eine berechtigte Frage, ob und wie eine solche Behauptung Teil einer materialistischen Erklärung der Geschichte sein kann.)

Exkurs A über Individualitäten

A1. Es ist keineswegs offensichtlich, dass Ind. und Id. sich voneinander unterscheiden. Aber WENN sie voneinander zu trennen sind, dann nur aufgrund eines vorausgehenden Zerreissens des Zusammenhangs zwischen dem, WAS getan werden sollte (davon handelt eine erste Entscheidung), und WIE es getan werden kann (üblicherweise ist dafür eine zweite Entscheidung nötig, nachdem die erste bereits getroffen ist).
Anders gesagt: Id. und Ind. sind solange unterscheidbare Teile oder auch Ebenen von Entscheidungen und Absprachen, wie die Frage, WIE man handeln und leben soll (zusammen mit andern, in einer speziellen Umgebung) nicht die einzige ist, auf die man eine Antwort sucht – oder eben solange es Dinge gibt, die sehr viel wichtiger zu sein scheinen als „was man tun, wie man leben soll“ – Dinge, die sich vor allem drehen um die Verbesserung technischer Möglichkeiten, um Leistungen, Kompetenzen, Tugenden der verschiedensten Art.
Die grundlegendsten und verbreitetsten Ind.en aber sind jene, in denen das WAS und das WIE dann doch irgendwie voneinander abhängen – wobei das WAS nicht weniger als in anderen Mentalitäten handelt von technischen Problemen, Leistungen, der Ausbildung und dem Ausbau von Kompetenzen und Macht – nur dass innerhalb dieses Modus das WAS auf Dauer abhängt von einem WIE man sich fühlt beim Ausführen dessen, was man zu tun versucht. Die Folge ist, dass man sich beim Handeln von Gefühlen leiten lässt – was nicht so aussagefähig ist, dass man ein ganzes Leben darauf aufbauen kann – weshalb man eine zweite Quelle braucht, aus der man den Inhalt von Plänen, Praxis und Entscheidungen schöpfen kann – und das wäre, in den Begriffen, in denen DIESER Modus sich ausdrückt, eine Kombination aus „Normalität“ und „Überraschungen“ (im guten oder schlechten Sinn) – so, wie beides in der eigenen Erfahrung auftaucht und sich wandelt – zusammen mit den Gefühlen, die es auslöst – vor allem jenem wichtigsten von allen: dem „Gefühl“, dass alles so weitergeht wie seit je her.. alles ist gut, wir werden alle Herausforderungen meistern mit den körperlichen und geistigen Kräfte, wie sie uns gegenwärtig zur Verfügung stehen.
Ich möchte diese erste Art Mentalität (Begründungs-Modus, Typ von Individualitäten) – der bei weitem häufigste, wie schon gesagt – „Planen und Lernen aufgrund von Normalerwartungen“ (PLAN) nennen.
Das Wort „normal“ hat dabei eine doppelte Bedeutung – man erwartet, was man seit langem oder gar seit je gewohnt ist zu erwarten (und was, nebenbei, jeder oder die meisten um einen herum ebenfalls so erwarten); und: man erwartet, wovon man denkt, dass es andauern wird – dass das, was man als normal und gewöhnlich erwartet, auch so bleibt – speziell kann dies beispielsweise die Form annehmen „wenn alles immer schlimmer kommt, gibts immer eine Wende zum Guten – oft kommt es dann sogar besser, als es zuvor gewesen war“. Was an gewisse Denkformen erinnert, wie sie typisch sind für Aberglauben – aus guten Gründen benutze ich daher einen zweiten Begriff für die PLAN-Mentalität, nämlich MAGISCHES DENKEN.

A2. Diese Mentalität hebt sich noch deutlicher ab im Kontrast gegen einen zweiten (historisch Nachfolger des ersten) Begründungsmodus: RELIGIÖSES DENKEN. Als wahrhaft Gläubiger weiss man, dass nichts feststeht, die Welt unbekannt ist, nicht kontrolliert werden kann von uns, und dass das Ausmass an Erfolg, das man mit bestimmten Kraftaufwänden über einen bestimmten Zeitraum hinweg erzielen kann, nicht endgültig abschätzbar ist: Unser Leben muss vielmehr als ein einziges grosses Experiment angesehen werden, in dessen Verlauf wir vielleicht mehr und besseres Wissen erwerben können; worauf wir uns aber weder verlassen können (wir können nicht wissen, WANN wir Zugang zu relevantem Wissen haben werden), noch können wir wissen, wann und ob es bereits hinreichend ist, was wir wissen. Das hat zwei grundlegende Konsequenzen:
a. Wir müssen uns maximal vorsichtig und achtsam verhalten – jederzeit kann alles passieren.
b. Wir können der Ungewissheit, die unser Leben bestimmt, nicht entgehen oder sie meiden – wir können nur unser Leben grundsätzlich als Experiment führen und gestalten – das einzige, das uns darüberhinaus zu tun bleibt, ist, dafür zu sorgen, dass dieses unser Experiment das best-mögliche (oder eins von den besten, wenn es mehrere gleich-beste gibt) unter und von allen ist, die noch ausgeführt werden können.
Eine andere Ausdrucksweise, die für „Experiment“ steht, könnte lauten: Tun als ob.. (bis bewiesen ist, dass es so (wie angenommen) nicht sein kann). Der Inhalt dieses „als ob“ ist normalerweise der einer Hypothese, die durch das zugehörige „Tun als ob (die Hypothese wahr wäre)“ getestet wird.
Die Frage ist: Von welcher Art muss eine Hypothese sein, dass wir unser gesamtes Leben darauf aufbauen können (als DAS Experiment, das diese Hypothese testet)?
Die Antwort darauf lautet: Wir sollten das best-mögliche und nur es annehmen – das Optimum – bis sicher bewiesen ist, dass die Welt so nicht sein KANN; ab dann können wir das zweit-beste testen – und so weiter.
Aber auch wenn wir bis auf weiteres kein mögliches Optimum ausschliessen, müssen wir doch immer all unsere ersten Schritte hier und jetzt machen. Da es ja nur ein Experiment ist – wir erwarten nichts mehr, wir versuchen nur einfach – werden wir alles nötige (vgl. den Punkt oben) „maximal vorsichtig und achtsam“ tun. Von daher werden wir wenigstens einige Prinzipien dafür haben, was wir in unserer Umgebung selbst im schlechtest-denkbaren Fall als wenigstens vorhanden unterstellen müssen, sodass wir weiter handlungsfähig bleiben in der Ausführung unseres Experiments (und es fortsetzen können) – man könnte dies die Hypothese hinsichtlich des minimal-besten/minimal-suboptimalen nennen – unabhängig davon, welches die zweit-, dritt- und nachfolgend-besten sind, die der ersten und allerbesten in Zukunft folgen könnten, wird dies minimalbeste immer die ersten Schritte innerhalb des Experiments bestimmen, in dem unsere Leben ab dann bestehen – und dies im minmal-besten Fall anzunehmende definiert nur die allgemeinsten Bedingungen, unter denen unser aller Leben weitergehen kann – soweit wir durch unser eignes Handeln darauf Einfluss nehmen können. Wenn wir von einer traditionell-vormodernen Art der Lebensführung ausgehen, werden wir (nachdem wir uns einmal entschlossen haben, nach diesem Modus vorzugehen) von da aus diese Lebensweise auf maximal vorsichtige und gelassene Weise zu verbessern – wobei wir freie Kapazitäten an Zeit, Kräften und Mitteln nutzen werden, um diese oder jene neue Technik zu erproben, um einzelne Schritte in unserer (re)produktiven Praxis besser ausführen zu können.
Dieses Moment wird oft vergessen, wenn von vormodernen Gesellschaften und ihren am Glauben orientierten Angehörigen die Rede ist: Dass es damals genug Freiräume und Musse gab, um den technischen Fortschritt anhaltend und unablässig voranzutreiben – zumindest, indem man die traditionellen Produktionsmethoden unablässig verbesserte und immer neue Wege für Handel und Verkehr erschloss – ganz zu schweigen von all den abenteuerlichen Reisen und Wagnissen, die man unter jedwedem Vorwand bereit war zu unternehmen, etwa als Pilger, Missionar, Siedler auf der Suche nach Land, bis hin zu eher kolonialen und kriegerischen Unternehmen wie Kreuzzügen, heiligen Kriegen, Reconquistas aller Art, die am Ende oft genug ganz entschieden auch etwas von Entdeckungsreisen hatten, und dem besessenen Wunsch dienten, neues zu erfahren, zu sehen und kennenzulernen.

A31. Resultat dieser maximal vor- und umsichtigen Ausweitung der Grundlagen traditioneller Lebens- und Produktionsweisen in der Vormoderne war ein wachsender Reichtum an Erfahrung und Wissen, daneben ein ständiges Anwachsen der Häufigkeit und Reichweite von Reisen zwischen weit entfernten Regionen, des Austauschs von Ideen, und damit auch immer mehr Möglichkeiten für Menschen, über Lebensformen und -praktiken Fremder Wissen anzuhäufen. Infolgedessen wuchs die Zahl der alternativen technischen Lösungsmöglichkeiten, der Produktionsweisen, Mittel, Stoffe, Begriffe, Methoden ebenso wie neue Wünsche und Bedürfnisse, oder das Bewusstsein von den Anforderungen, die sich mit der Organisation des Zusammenlebens immer grösserer Bevölkerungen verbanden, in grösseren Staaten und auf weiteren Flächen als je zuvor.
Diese wachsende Zahl von Alternativen zur Tradition und von Anforderungen, die weit über das hinausgingen, was bin dahin bekannt war, hatte einen weiteren Effekt: Eine immer grössere Zahl von Menschen machte die Erfahrung, dass sie ihre Lebensweise neu einrichten musste – ihre eigene, oder die der Menschen, für die sie verantwortlich waren – indem sie neue technische Möglichkeiten einerseits und das Befriedigen neuer Bedürfnisse und Anforderungen andererseits neu zusammenführten. Dadurch erfanden sie nicht nur neue Traditionen von mehr oder weniger grosser Stabilität – sie gelangten auch zu einer sehr wichtigen Einsicht, was ihre Position in und zur Welt betraf: Ihnen wurde bewusst, was es heisst, Entscheidungen zu treffen und dafür Verantwortung zu tragen – und ihnen wurde bewusst, WIE sie Entscheidungen trafen – wie sie dachten, wie sie dabei ihr Wissen benutzten, wie sie mit Ungewissheit umgingen, und wie sie vorgingen, um fehlendes Wissen zu erwerben. Indem ihnen dies alles bewusst wurde, machten sie aber noch eine Erfahrung: Was immer sie taten, taten sie SELBST – sie waren immer wieder ausschliesslich selbst Urheber und Ursachen ihrer Erfolge und Misserfolge – je mehr sie lernten, Dinge und Sachverhalte in ihrer Umgebung zu kontrollieren, um so mehr begriffen sie auch, was falsch war und vermeidbares Missgeschick und Katastrophen heraufbeschworen hatte. Sie lernten, das von ihnen nicht gewollte und verursachte zu erkennen, und den eigenen Anteil an den Resultaten ihrer Handlungen und Versuche von dem zu unterscheiden, was ohne irgendjemandes Zutun sich ereignete: Natur als (oftmals unsichtbar und langsam wirkende) Ursache von Vorgängen und Ereignissen. Sie lernten, dass es keine anderen Möglichkeiten gab, mit diesen natürlichen Ursachen fertigzuwerden, als ihre – jeder hätte in ihrer Lage getan, was sie taten: weil es vernünftig war.
Aufgrund dieser Kette an Erkenntnissen bildete sich in ihnen eine Vorstellung davon, was es heisst, eine PERSON zu sein – oder: so vernünftig, wie eine Person – Person in dem Sinn, in dem sie selbst es waren. Und indem sie diese Vorstellung ausbildeten, reduzierten sie Schritt für Schritt den vermeintlichen Freiraum, MEHR zu sein als eine normale Person:
„Der gesunde Verstand (bon sens) ist die bestverteilte Sache der Welt, denn jedermann meint, damit so gut versehen zu sein, dass selbst diejenigen, die in allen übrigen Dingen sehr schwer zu befriedigen sind, doch gewöhnlich nicht mehr Verstand haben wollen, als sie wirklich haben. Es ist nicht wahrscheinlich, dass sich in diesem Punkte alle Leute täuschen, sondern es beweist vielmehr, dass das Vermögen, richtig zu urteilen und das Wahre vom Falschen zu unterscheiden, dieser eigentlich sogenannte gesunde Verstand oder die Vernunft (raison), von Natur in allen Menschen gleich ist, und also die Verschiedenheit unserer Meinungen nicht daher kommt, dass die einen mehr Vernunft haben als die andern, sondern lediglich daher, dass unsere Gedanken verschiedene Wege gehen und wir nicht alle dieselben Dinge betrachten. Denn es ist nicht genug, einen guten Kopf zu haben; die Hauptsache ist, ihn richtig anwenden. Die größten Seelen sind der größten Laster ebenso fähig wie der größten Tugenden, und die nur sehr langsam gehen, können doch, wenn sie den richtigen Weg verfolgen, viel weiter vorwärtskommen als jene, die laufen und sich vom richtigen Wege entfernen.
Was mich betrifft, so habe ich mir nie eingebildet, dass mein Geist in irgend etwas vollkommener wäre als die Geister vom gewöhnlichen Schlag; ich habe sogar oft gewünscht, den Gedanken so bei der Hand, die Einbildung so fein und deutlich, das Gedächtnis so umfassend und gegenwärtig zu haben wie manche andere. Und ich kenne, um den Geist zu vervollkommnen, keine anderen Mittel als die eben genannten Eigenschaften. Denn was die Vernunft oder den gesunden Verstand betrifft, das Einzige, das uns zu Menschen macht und von den Tieren unterscheidet, so will ich glauben, dass sie in einem jeden ganz vollständig sei, und will hierin der gewöhnlichen Meinung der Philosophen folgen, die sagen, dass es nur zwischen den zufälligen Beschaffenheiten (Akzidenzien), nicht zwischen den Formen oder Naturen der Individuen einer und derselben Art die Unterschiede des Mehr und Weniger gebe.“
In diesen wenigen Zeilen ist der Anfang dessen enthalten, was AUFKLÄRUNG heisst; in diesem Text findet sich das Argument, das hinreicht, um jeden beliebigen religiösen Glauben zunichtezumachen: Es gibt keinen Gott, Allah, Buddha, keinen Himmel, kein Dao, kein geheimes Wissen, Weisheit, Offenbarung, die mehr oder höher wären als unsere Vernunft – nebenbei, auch kein Genie und keine Gene. Der Denk- und Begründungsmodus, der auf dieser Einsicht beruht, ist der der Moderne.

A32. Diese Art, wie der religiöse Glaube zum Einsturz gebracht wird, deutet auf die spezifisch religiöse Form eines hypothetischen Optimums: Immer enthält es die Vorstellung von etwas irgendwie Personalem (aber nicht unbedingt eine spezielle Person oder Bewusstsein) in oder hinter der Welt: Einem System von Vorstellungen und Gedanken, Plänen, Zwecken, Gefühlen und Motiven, oder nützlichem Wissen – wobei dies System zugleich Ursache der Welt ist, so wie sie ist, als auch der Tatsache, dass die Welt genau so, wie sie ist, für uns gut und entgegenkommend ist.
Um Ursachen dieser Art sein zu können, müssen die entsprechenden hypothetischen personalen (oder psychologischen) Kategorien eine UNBESTIMMT-BESTE (oder Optimal-) Version des jeweiligen Gebildes sein – sie müssen maximal wirkmächtig, niemals zu täuschen, unwandelbar, zugleich maximal anpassungsfähig und flexibel (in maximal intelligenter und günstiger Weise) usw. sein. Der entscheidende Punkt ist: Dies ist nur eine der möglichen Formen einer (Optimal-)Hypothese – wenn auch eine sehr spezielle – aber selbst dann, wenn sie einem den Eindruck vermittelt, das beste Optimum zu sein, das überhaupt je vorgestellt werden kann, bleibt doch die Frage: Ob man so etwas überhaupt konstruieren und denken KANN – ob es überhaupt logisch möglich ist.
Und genau in jenem Übergang zum modernen Denken erfährt man, was eine Person oder vernünftiges Wesen ausmacht – was HINREICHEND ist, um es zu sein. In den Begriffen, mit denen dies für das Person-Sein Hinreichende ausgedrückt wird, ist nichts enthalten, was in irgendeiner Weise gemessen werden, und eines Mehr oder weniger fähig sein könnte – geschweige denn, dass es immer mehr gesteigert werden könnte zu unbekannten Ausmassen an Leistungsfähigkeit – wie es doch nötig wäre, um Begriffe zu bilden wie beispielsweise „Gott“ oder „der Endzweck oder das Endziel der Welt“ oder „die Gesamtheit des Wissens, das notwendig und hinreichend ist, um alles überhaupt mögliche Gute für uns zu bewirken“ – und das, ohne anzugeben, worin dies Gute bestehen soll usw.
Die personalen Kategorien, die in jeder religiösen Vorstellung oder Begrifflichkeit enthalten sind – um jene „alles-überschreitende“ Überlegenheit zustandezubringen, die so charakteristsich für sie ist – müssen bestimmt werden als „höher“ und weiterreichend als jede Form und jedes Vorkommen irgendeiner dieser Kategorien im Alltag. Wenn man sich nun aber auf die Alltags-Versionen dieser Begriffe zurückbesinnt, dann zeigt sich: Es gibt für Steigerungen dieser Art garkeinen Raum. Die Alltagsversion IST bereits die höchst-mögliche! Und genau das macht den vermeintlich so harmlosen Anfangssatz aus Descartes Discours (vgl. das Zitat in A3) zu solch einer revolutionären Erkenntnis.
Nach dem Scheitern des religiösen Denkens ist es im Rückblick ein echtes Rätsel und eine ganz eigene Problemstellung: Wie konnte dieses Denken überhaupt entstehen – wovon nahm es seinen Ausgang? Wo beginnt der Prozess, der schliesslich in Religion endet?
Zur Beantwortung dieser Frage möchte ich ein paar Bemerkungen über den Umgang mit Unbekanntem machen, wie er in jenem anderen und vorausgehenden Begründungsmodus üblich ist, den ich PLAN oder magisches Denken genannt habe. Die kognitive oder Lernstrategie des magischen Denkens möchte ich „ABERGLAUBE“ nennen. – Aberglaube funktioniert im wesentlichen mit folgenden Begrifflichkeiten:
a. das seit langem Bewährte, Verlässliche: Normalität; das wieder liefert einen Hintergrund für
b. die überraschende Chance (und ihre eventuellen Bedingungen, aufgrund deren sie aktiv reproduziert oder zumindest aufgrund von An- und Vorzeichen vorhergesagt werden kann – das bezieht die mögliche Abwehr drohender Schad-Ereignisse mit ein (etwa die Frage: wann sind sie ausgeblieben, entgegen allen Erwartungen und Gesetzmässigkeiten?)
c. überraschende Ausfälle in einer Routinepraxis, so dass man sie reparieren oder durch eine Alternative ersetzen muss, oder auf die Resultate dieser Praxis verzichten muss.
Den eigentlichen Auftakt für ein aktives Forschen auf der Grundlage von Aberglauben ist c. (b. hingegen ist eher ein Gegenstand kreativer Interpretationen von Erfahrung: Welche Regeln und Regelmässigkeiten verstecken sich in den bekanten Fakten? Wie (in welchen Hinsichten) muss man mögliche Mengen von Sachverhalten klassifizieren (und zusammenfassen), so dass sie einen Zusammenhang aufweisen? Alles könnte ja mit allem zusammenhängen.. Es ist nur eine Frage von Klassifikation und Statistik: das ist der eigentliche Kerngedanke des abergläubischen Denkens in theoretischer Hinsicht).
In Fällen wie c. kommt freilich ein noch vertrackteres Problem dazu: Die Regeln dafür, wie man die Ersatz-Methode oder Einrichtung konstruiert und auswählt, stehen keineswegs fest – man muss dafür mögliche Experimente und Versuchsanordnungen erfinden und erproben. In Fällen wie c. ist daher auch ein echtes Zusatz-Problem zu lösen – hinsichtlich der Frage nämlich WIE und durch was man den Ausfall ersetzt; wohingegen bei einer Chance das Problem zugleich mit seiner möglichen Lösung auftritt (sodass die einzig verliebene Frage ist: OB man die Chance nutzt) – andernfalls würden im Rahmen von PLAN Denkende auch garkeine Chance sehen, da sie nie irgendwelche Nachforschungen oder gar Versuche unternehmen würden, wenn es dafür keinen Anreiz oder Ansatzpunkt gibt. „Reparatur“-Situationen sind demnach auch die einzigen, in denen nach PLAN-Modus Vorgehende überhaupt einmal Hypothesen über mögliche Zusammenhänge (regel- oder gesetzmässige Verbindungen zwischen Ereignisgruppen) entwerfen – wobei wenigstens eine der beteiligten Seiten für sie soweit von Interesse sein muss, dass sie anfangen, darüber nachzudenken. Zusätzlich zu dem, was sie angesichts einer „Chance“ tun, müssen PLAN-Menschen in einer „Reparatur“-Situation mögliche Ereignis-Sorten und Gesetzmässigkeiten suchen und sammeln, die für die technische Lösung relevant sein könnten, die an die Stelle des ausgefallenen Verfahrens treten soll. Die Ausweitung dieses Unternehmens und seine Herauslösung aus dem Zusammenhang mit aktuellen Problemen durch Nichtmehr-Funktionieren von irgendetwas würde schliesslich in systematische technische Entwicklungen und einen Bedarf nach Wissenschaft münden. Aber nichts auf der Welt wäre für PLAN-Menschen so fremd, und eine so offensichtliche Zeitverschwendung, wie Wissenschaft. (Es sei denn.. sie wäre schon da, und hätte sich bewährt.)

A.33 Tatsächlich besteht die Vorgehensweise von Befolgern des PLAN-Modus, mit der sie versuchen, sich die für sie nötigen Wissensbruchstücke zu erschliessen, aus drei Stufen, die nicht nur den drei eben erwähnten Fällen a-c entsprechen, sondern ganz generell den drei klassischen Arten, Wissen zu erwerben oder aufzubauen:
nämlich durch PROBIEREN (um Verfahren, Dinge zu optimieren mit Blick auf ihre Zweckmässigkeit oder Bedarfsgerechtheit), oder indem man VERSUCHE oder Experimente erfindet und durchführt (wobei man bis zum Beweis des Gegenteils „so tut, als ob“ bestimmtes wahr wäre), schliesslich indem man SUCHT, forscht, Sachverhalte, Dinge, Substanzen beobachtet und das Wissen über derartige Sachverhalte ausweitet. PLAN-Menschen sehen ihr Leben und (re)produktive Praxis als etwas hinreichendes – allenfalls würden sie sagen, dass dabei bestimmte Bedingungen zu beachten und erfüllen sind – weil sonst der eigentlich hinreichende Verlauf ihrer Handlungen verfehlt würde; Erfüllung aller Bedingungen, und Tun des Notwendigen hingegen ist dann auch – hinreichend.
Die Zentralfrage in jeder PLAN Praxis ist: Wie soll man seine geistigen und körperlichen Kräfte und Ressourcen aufteilen – wieviel davon ist jeweils welchem Ziel in der augenblicklichen Gesamt-Praxis zu widmen? Die durch diese Vorgehensweise zu testende Optimalhypothese ist dann zumindest in Teilen so zu formulieren: Diese gegenwärtige Normalpraxis ist nicht weit weg von dem Optimum, das in dieser Umgebung überhaupt erreicht werden kann – und sollte es doch noch einen Abstand oder eine Lücke geben, dann würde sie alsbald geschlossen, weil sie sich dadurch zeigen würde, dass früher oder später die noch nicht genutzten Chancen in Erscheinung treten würden. Das Gleiche gilt auch für Erwartungen hinsichtlich jener Wissensfragmente, die nötig sind, um plötzliche Mängel und plötzlich ihren Dienst versagende Teile der Normalpraxis wiederherzustellen: Jede solche Reparatur- und Wiederherstellungs-Aktion ist nach dieser Sichtweise als Teil der gesamten ROUTINE-Praxis anzusehen – als etwas also, womit dann und wann zu rechnen ist, etwas, für das man Reserven zurück- und bereithalten muss, vor allem aber etwas, mit dem man fertigwerden kann unter Zuhilfenahme einer Masse an Know-how, das längst schon in HINREICHENDEM Mass zur Verfügung steht: entweder, weil es Teil der üblichen Alltagsroutine ist (die nur auf die Ausfall-Situation übertragen werden muss), oder Teil einer quasi passiven Wissensreserve (die aktuell in keiner technischen Routine benutzt wird), oder eine Unter-Form oder Variante (in der oder jener Hinsicht variiert) eines dieser beiden. Sodass am Ende – angesichts des Reichtums an möglichen Wissensreserven und den noch viel zahlreicheren Hinsichten, in denen man Varianten und Abwandlungen der bekannten Eigenschaften von und Beziehungen zwischen Tatsachen erzeugen kann – es nicht einen Mangel, sondern eine enorme Fülle an möglichen Versuchen gibt, die man machen kann – und die Frage nicht lautet: WAS man tun soll? sondern eher: WANN man einzelne Versuche beenden sollte, weil eine Fortsetzung keinen Sinn mehr macht.
PLAN-Menschen beantworten diese letzte Frage mithilfe der Methode, mit der sie ganz allgemeine ihre Praxis aufbauen (und deren Benutzung man zugleich als das Experiment der Annäherung an das bezeichnen könnte, was sie als besten, also Optimal-Zustand ihres Lebens und ihrer Praxis ansehen würden, der in dieser Umgebung für sie erreichbar ist): Als Teil der Gesamtheit von Praktiken hat auch die Praxis des Reparierens und Wiederherstellens von Ausfällen das ihr speziell zugeordnete (Maximal-)Mass an Kräften, Ressourcen, Zeit – der angemessene Aufwand, der für jede dieser Kategorien vorgesehen ist, hängt dabei ab von der Gesamtmenge, die jeweils überhaupt zur Verfügung steht, dem Mass, in dem sich die Praxis bis dahin als sicher und zuverlässig erwiesen hat, und davon, wie leicht man auf sie verzichten oder sie durch eine leicht zugängliche Alternative ersetzen kann.
Ich wiederhole: Das grundlegende Problem beim Entscheiden und Planen für PLAN-Menschen besteht darin, den Punkt zu bestimmen, wo eine sich andeutende blosse Möglichkeit als reale Chance oder endgültiges Scheitern aufgefasst werden muss – so dass man vernünftigerweise die aktuelle Praxis (Routine, Erwartungen) anpassen muss. Angesichts der Tatasache, dass die existierende Praxis sich seit so langem schon bewährt hat – wie lange soll man da auf welche weiteren Anhaltspunkte in der Erfahrung und bis zu welchem Grad an Gewissheit warten, bevor man die Chance nutzt oder aber darauf verzichtet – wie lang, umgekehrt, würde man warten, bevor man die Versuche einer Reparatur und Wiederherstellung ausgefallener Praxis-Anteile aufgibt und versucht, ohne die ausgefallenen Preozeduren zurechtzukommen? Wieviel Opfer (auch in Gestalt von Risiken) ist man bereit dabei inkaufzunehmen? Was verliert man im einen Fall, und was im andern? Unwissenheit und Ungewissheit bei gerade DIESEN Fragestellungen treibt PLAN-Personen in gewissem Sinn zur Verzweiflung. Und genau auf diesem Gebiet versuchen sie denn auch, ihr eigentliches Experiment zu machen, nämlich: Antworten zu finden auf die Frage: In welcher Art von Situation lohnt sich wieviel Anstrengung, Inkaufnahme von Risiken, Verausgabung von Kraft und Ressourcen?
Sie möchten LERNEN, hier korrekte Urteile und Schätzungen zustandezubringen.
Sie möchten immer mehr Sicherheit auf diesem Gebiet.
Sie hassen es, überrascht zu werden – sogar zu ihrem Vorteil (weil das die Frage aufwirft: Warum sie nicht schon zuvor darauf vorbereitet waren? Warum sie nicht damit gerechnet haben, es versäumten, das Eintreten dieses Falls beschleunigt herbeizuführen, oder die Vor- und Anzeichen dafür zu erkennen? Immerzu fragen sie sich: Wie konnten wir es nicht kommen sehen?)
Das Unvorhergesehene jagt sie, sucht sie heim, quält sie, wieder und wieder. Sie ertragen es nicht. Sie kämpfen gegen es. Sie versuchen, es zu minimieren. Sie versuchen, ihr Vorbereitet- und auf-alles-Eingestelltsein zu OPTIMIEREN (niemals zuviel – niemals zu wenig getan haben!).
Sie sind besessen von der Furcht, das richtige Tun im rechten Moment zu versäumen, und auf An- und Vorzeichen nicht geachtet, ihre Erfahrung, die das hergegeben hätte, nicht darauf abgesucht und ausreichend verwertet zu haben – oder aber, nicht die richtigen Regeln zur Interpretation ihrer Erfahrung zu benutzen – jener Erfahrung zumindest, die einzig zählt für sie: Getäuschte Erwartungen – Überraschungen, die zeigen, dass sie das richtige rechtzeitig zu tun versäumt haben usw.usw.
Sie sind besessen davon, eben diese Interpretationsregeln für Erfahrungen dieser Art zu verfeinern und zu optimieren – durch Erfahrung.
Das Ergebnis dieser Bemühungen nennt man: ABERGLAUBE.

A34. Das bisher Gesagte lässt sich so zusammenfassen: PLAN ist eine Handlungsweise, bei der man voraussetzen darf, dass es irgendeine Art nutzbarer Umgebung um einen (und die Gruppe, zu der man gehört) herum geben muss; die Nutzbarkeit der Umgebung hat eine bestimmte Praxis zur Folge, bei der einem „bekannt“ ist, was man in dieser Umgebung tun muss, um zu bekommen, was man braucht – so dass man weiterleben kann und auch weiterhin alles Nötige (und als nötig Gewusste) tun kann, um zu bekommen, was man braucht. Dazu weiss man auch noch, wie man vorgehen müsste, um das Leben für einen besser zu machen, drohende Gefahren zu reduzieren, sich mühevolle Arbeit leichter zu machen, Rohstoffe sparsamer zu verwenden usw – kurz: man kennt Fortschritts-Möglichkeiten aus der Situation heraus, in der man sich ursprünglich befindet.
Die grundlegende Hypothese oder genauer: Erwartung von PLAN ist, dass irgendeine Umgebung dieser Art zusammen mit dem nötigen Wissen über ihre für ihre Benutzung entscheidenden Eigenschaften uns unmittelbar zur Verfügung stehen MUSS. Die einzige Frage, die ein PLAN-Praktiker dann noch hat, ist: Welcher Teil der uns umgebenden Welt ist Teil dieser für uns nutzbaren Umgebung? – In dieser Voraussetzung wird nun aber nicht getrennt zwischen möglichen Fakten und dem Wissen von ihnen, ebensowenig wie getrennt wird zwischen bekannten Fakten und solchen, von denen zu wissen für uns nützlich ist (weil sie Bezug haben zu unseren Interessen und möglichen Handlungen); schliesslich wird nicht unterschieden zwischen (in einem technischen Sinn) nützlichen und nutzbaren und bekannten Fakten einerseits, und solchen, auf die man sich in der gegenwärtig praktizierten Form der Produktion für Selbsterhaltung und Fortschritt stützt, die ja in einem Rahmen bestimmter Erwartungen stattfindet.
Das wiederum bedeutet:
i) Fakten, Wissen davon, relevantes Faktenwissen und aktuelle Fähigkeit, relevantes Faktenwissen umzusetzen werden irgendwie gleichgesetzt und als ein und dasselbe behandelt – nämlich so, als sei das Vorhandensein von alledem selbst ein Faktum.
Dabei ist garnicht mehr die Frage, OB es eine solch optimale und unmittelbar zugängliche Form der Produktion für Selbsterhaltung (auf einem gegebnen Niveau) und Fortschritt gibt – die einzige Frage ist nur noch: Wie sieht es aus – woran lässt sie sich erkennen (wie kommt man drauf)?
Und dabei werden zwei weitere Voraussetzungen gemacht, durch die das alles noch viel einfacher wird:
ii) Die gegenwärtige Form der Produktion, soweit sie durch Erfahrung bewährt ist, wird für eine ihrer Optimalform mehr oder weniger angenäherte Vorstufe erklärt.
iii) Soweit die gegenwärtige Form der Produktion noch nicht ihre Optimalverfassung erreicht hat, wird von den im PLAN-Modus Handelnden erwartet, dass es einen Lernprozess geben muss, bei dem sie Schritt für Schritt diesem Optimum näherkommen – sodass die Unterschiede zu diesem Optimum sich immer weiter verringern (und nicht wieder grösserwerden).
Das bedeutet dann auch, dass sie Anreize bekommen, WANN sie nach einer Verbesserung suchen sollen, als auch WO, und WIE die Verbesserung ausehen könnte (sodass sie einem lohnend genug erscheint, um sie durchzuführen, es zu versuchen, die Möglichkeit dazu zu untersuchen etc) – und das durch entsprechende Hinweise in ihrer Erfahrung; Erfahrung hat sie (oder ihre Vorfahren) die existierende Praxis gelehrt – Erfahrung wird sie somit auch lehren, wie sie diese Praxis verbessern können, um dem in dieser Umgebung möglichen Optimum immer näher zu kommen.
Vorbild für dies Verhalten ist ganz allgemein die Art und Weise, wie wir Wissen haben von den Bedürfnissen und Fähigkeiten unseres Körpers – nämlich so, wie sie sich darstellen in unseren Gefühlen. Unser Wissen, wie wir uns in einer maximal geschickten Weise bewegen können, oder auch: unsere Bedürfnisse und Appetite befriedigen können, oder die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit beachten sollten etc. – dies Wissen also mag vielleicht noch nicht perfekt sein – aber es ist bereits gut genug – und genau das ist es, wozu i) das Analogon darstellt. Trotzdem kommen wir der Perfektion immer näher im Mass, wie unsere Erfahrung im Umgang und mit dem Gebrauch unseres Körpers wächst. Dabei gehen wir nach dem Prinzip Versuch und Irrtum vor – und dabei sind einem zumindest qualitativ die verschiedenen Varianten (nämlich wie man bestimmte Körperbewegungen machen könnte, was man wie befriedigen, oder was man beachten könnte) bekannt, die man überhaupt ausprobieren könnte – sie sind jeweils innerhalb eines Spielraums möglicher Zwischenstände (wie die von Körpüergliedern) zwischen mehr oder weniger weit auseinanderliegenden Extremen angesiedelt. Wir sind zunächst in einem Zustand, wo wir unsere Körper bereits gut genug kontrollieren – aber wir können das noch verbessern, indem wir dazulernen und üben, entlang vorbestimmter Wege – einfach, weil wir WISSEN (indem wir es fühlen oder sehen) WIE wir uns beim Üben und Probieren bewegen und was wir tun müssen, um diese oder jene Körperbewegung zu optimieren, oder unsere Kräfte und Fähigkeiten optimal zu gebrauchen, oder unsere Bedürfnisse zu beachten und unsere Lust auf dies oder jenes zu befriedigen – wir wissen es dadurch, und werden dadurch angeleitet, dass wir das Mass des Erfolgs unseres Probierens und Versuchens unmittelbar fühlen, schmecken können (erfolgreich: es fühlt sich gut an, wir können was wir wollen, es schmeckt etc). Und selbst wenn es dann etwas, bestimmte Umstände und Bedingungen in unserer Umgebung gibt, das wir zuvor nicht kannten oder von dem wir nichts wussten, mag es nun gut oder schlecht für uns sein, dann werden wir es kennenlernen und in Erfahrung bringen durch die Art, wie es sich auf unser Spüren und Fühlen auswirkt – nämlich solche Gefühle wie: alles ist wie immer, oder: Man  fühlt sich besser oder schlechter als im Durchschnitt oder gewöhnlich“.
(Diese äusseren Umstände und Bedingungen mit Einfluss auf unsere Gefühle verhalten sich da ganz wie körperliche Bedürfnisse – man kann sie „Gesundheitsbedingungen“ nennen, wobei Gesundheit grob zu definieren wäre als „sich normal fühlen, normale Bedürfnisse, Kräfte, Fähigkeiten haben wie sonst auch“. Wir können Umstände, die für unsere Gesundheit förderlich oder gefährlich sind, kennenlernen. Aber die Grundlage für jenes Wissen sind die immer gleichen Gefühle, die bestimmen, was wir als unsere „Gesundheit“ und den Normalzustand in unserem Leben ansehen (mit charakteristsichen Unterschieden für verschiedene Lebensalter, Geschlechter, aktueller Belastung u.a.)
Innere und äussere Bedingungen dafür, dass man sich gut und normal fühlt, sind somit das, wozu iii) analog ist.
Die allgemeine Vorgehensweise von PLAN wäre somit folgendermassen zu beschreiben: Wenn wir uns PLAN-entsprechend verhalten, dann erwarten wir, dass Regeln, die wir benutzen beim Umgang mit unserem Körper, soweit wir seinen Zustand durch unser Fühlen kontrollieren, übertragen und angewandt werden werden können auf die zweckmässige Benutzung von Teilen unserer Umgebung. Wir unterstellen dabei nicht, dass dieses Körper-ähnliche Funktionieren in der Welt als ganzer anzutreffen ist – wir sind uns bloss nicht ganz sicher, wie weit es reicht – sodass wir das Ausmass der Grenzen, innerhalb deren unsere Umgebung eben doch so funktioniert, erproben und ermitteln wollen – und das tun wir entlang der bekannten Praxis, in der wir zumindest Teile unserer Umgebung zu steuern oder so zu behandeln versuchen, als wären es Teile unseres Körpers (genauso regelmässig, genauso sich in Gefühlen darstellend wie unsere Körperfunktionen).
Da wir hier nicht von Körpern als biologischen Organismen sprechen, sondern soweit ihre Funktionszustände durch Gefühle abgebildet und dargestellt werden, und durch einfache Alltags-Massnahmen beeinflusst werden können (wobei der Erfolg solcher Massnahmen sich wieder in Gefühlen zeigt) – darum also können wir das Gebilde, das in PLAN vom gefühlten Körper („Leib“) und dem unmittelbaren Umgang mit ihm in die physische Umgebung (die bereits an den nicht-gefühlten Teilen unseres Körpers beginnt) hinein ausgedehnt wird, unser SELBST nennen.
Wiederholen wir also: PLAN-gemäss handeln bedeutet:
i‘) eine Ausgangspraxis (und Vorstellung von möglichem Fortschritt, von ihr ausgehend) wie unser eigentliches „Selbst“ behandeln. Dabei wird keineswegs behauptet, dass dieser Praxis keine Schranken gesetzt wären – im Gegenteil, es kann sich heraustellen, dass sie in etlichen oder allen Hinsichten nur in viel engeren Grenzen funktioniert, als man ursprünglich erwartet hatte – nur DASS diese Praxis sich mehr oder weniger in der Nähe dessen bewegt, was in dieser Umgebung bestenfalls (im OPTIMAL-Fall) erwartet werden KANN.
ii‘) GEFÜHLE von der Art derer, die den Zustand unseres Selbst wiedergeben, so behandeln, als würden sie sich auch auf massgebliche Eigenschaften unserer Umgebung beziehen – zumindest die Eigenschaft, Teil oder Nichtteil jenes erweiterten Selbst zu sein, als das wir unsere Ausgangspraxis und den Fortschrittsentwurf aus ihr heraus (und die möglichen Abwandlungen beider) behandeln.
iii‘) Ereignisse,Sachverhalte, Ereignisverläufe, Dispositionen etc in der Welt, die zunächst einmal nicht unmittelbar zu spüren oder fühlen sind und selbst keine Gefühle und Gefühlsinhalte sind, sondern nur in der ein oder andern Weise verknüpft sind mit Ereignissen, Sachverhalten, Ereignisverläufen, Dispositionen in unserer Praxis (diesem „erweiterten selbst“, das sie ist), behandeln, als wären sie massgebliche Bedingungen der Gesundheit dieses erweiterten selbst, für das wir unsere Praxis und Fortschrittsenwurf erklären.
Angesichts dieser Gleichsetzungen können wir das Kunstwort PLAN durch ein weitaus bekannteres ersetzen: MAGISCHES DENKEN – oder, genauer, abergläubische kognitive Strategien der Erfahrungsinterpretation und -verarbeitung, und magische Techniken (und Experimente) als die zugehörige praktische Seite (wozu bereits einfache abergläubische „Vermeidungs“-Massnahmen gehören – als Teil des vollständigen Inventars an Techniken und Verfahrensweisen, das zu einer bestimmten Zeit die Ausübung magischer Kontrolle über unsere Umgebung ermöglicht).

A.35 Abergläubischer Wissenserwerb
Wer in magischen Kategorien denkt, hat ein Inventar an Begriffen, die er verwendet beim Umgang mit dem, was er weiss und auch, was er noch nicht weiss – zumindest noch nicht sicher weiss: das ungewisse – das nicht gewusste, von dem er weiss, dass er mehr darüber wissen kann – das nicht gewusste (unbekannte), von dem er derzeit noch keine Ahnung hat, ausser vielleicht der, dass da etwas sein könnte, über das man etwas wissen könnte):
Chancen, und die Gewissheit der sie betreffenden Erwartungen;
Risiken, und die Gewissheit der sie betreffenden Erwartungen;
und:
was sich bis jetzt als verlässlich anwendbar oder erwartbar erwiesen hat, einerseits – oder, was (als Konsequenz einer neuen Erfahrung) möglicherweise einen Teil der gegenwärtigen Praxis oder Normal-Erwartungen ersetzen könnte, andererseits.
Das wichtigste Merkmal des abergläubischen Umgangs mit dem (Un)Gewissen ist aber dies: dass man dabei das gegenwärtig BEWÄHRTE Wissen von RISIKEN einerseits, UND CHANCEN andererseits hinsichtlich der vorhandenen Praxis ZUSAMMENFÜHRT (die Risiken und Chancen quasi je zu einem einzigen Wert addiert (gewichtet jeweils mit dem geschätzten oder bekannten Grad an Zuverlässigkeit und „Bewährtheit“), und die Summen dann ins Verhältnis zueinander setzt), und das dann VERGLEICHT mit GESCHÄTZTEN Risiken und Chancen MÖGLICHER VARIANTEN dieser Praxis, entsprechend den Erkenntnissen aus unerwarteten und überraschenden, darum die Praxis infragestellenden Erfahrungen – die ihrerseits vor allem in zwei Formen auftreten können:
erstens, der der unerwarteten Chance: den Prinzipien von PLAN zufolge IST es nur dann eine Chance, wenn Fragen hinsichtlich dessen, WIE die Chance praktisch zu nutzen ist, von untergeordneter Bedeutung sind, und die einzig verbleibende Frage nur noch lautet: Lohnt es sich, die gegenwärtige Praxis zu ändern, um die neue Option auszuprobieren, und dabei mögliche und möglicherweise auch unbekannte Risiken im Zusammenhang mit der neuen Chance inkaufzunehmen; oder
zweitens, in Form eines unerwarteten Risikos, das zum ersten Mal sich verwirklicht hat als Schadeinwirkung auf Routine-Anteile unserer gegenwärtigen Praxis; das führt zu Fragen der Art: welche Strategie soll man sich zulegen, passend zu welcher Erklärung dieser Erfahrung: War es Zufall, ein Einzelereignis, das sich so nie mehr wiederholen wird? Ist es die Wirkung einer verborgenen Ursache oder einer Tendenz, deren Einfluss sich von nun an immer mehr bemerkbar machen wird? Ist die Katastrophe eingetreten, weil wir einfach noch nicht genug über unsere Umgebung wussten (und sollten wir daher den Ablauf unserer Nachforschungen beschleunigen – aber in welche Richtung sollen wir suchen? ) Oder hat sich in der Welt selbst etwas geändert – und wenn, aufgrund welcher Bedingung (an der man den Effekt rückgängig machen oder ganz unterdrücken kann)? Können wir Schäden dieser Art beheben, und/oder sollen wir uns darauf vorbereiten, dass dieser spezielle Schaden, oder mehr oder weniger vergleichbare in zukunft immer weider eintreten werden? Sollen wir unsere Praxis ändern, um Schäden dieser Art langfristig auszuschalten, oder unsere Praxis davor schützen, oder der Möglichkeit solcher Schadeinwirkungen dadurch begegnen, dass wir künftig auf diesen Teil der früheren Routine ganz verzichten?
NB, ein sehr spezieller Fall einer Chance besteht darin, dass ein erwarteter Schaden nicht so schlimm wird wie erwartet, oder sogar gänzlich ausbleibt, obwohl er erwartet wurde. Die Risiken, die mit der neuen Perspektive in diesem speziellen Fall verbunden sind, sind einfach die, die nach dem ersten Ausbleiben des erwarteten Schadereignisses verbleiben (in Abhängigkeit davon, wie lang man braucht, um die Erinnerung, oder besser: das Beeindrucktsein und Geängstigtsein durch die Schadensdrohung auszulöschen, die den Inhalt des ursprünglichen Risikos bildete – wie oft man das Ausbleiben erleben muss, wie lang man wartet und erwartet, dass es wieder passiert, bis man davon ausgeht, dass es verschwunden ist oder zumindest deutlich verringert).
Ganz ähnlich ist dann auch, eine Chance verstreichen zu lassen, ein Risiko (sie mag sich in Form einer unerwarteten Erfahurng gezeigt haben, oder als ständige Versuchung gegenwärtig sein); jede Art Zweifel, die sich mit Risiken im allgemeinen verbindne lässt, kann sich auch an diese Art des Risikos heften.
Genau darum können in der Erfahrungs-Welt eines PLAN-Menschen Chancen wie Bedrohungen erscheinen, und Risiken jeder Art können dazu einladen, sie zu ignorieren und icht länger zu fürchten. Es hängt eben ganz davon ab, ob man ängstlich, feige, pessimistisch ist, oder wagemutig, risikofreudig, optimistisch und positiv denkend.
Aber, wie soll man diese quälenden Fragen entscheiden, wenn man ein PLAN-Mensch ist und mit einem unerwarteten Verlauf der Ereignisse konfrontiert wird? Das allgemeinste Prinzip im Umgang mit Ungewissheit bei Personen dieser Art lautet: Alles, was man für eine zumindest vorläufig optimale Entscheidung benötigt, ist schon bekannt – ist Teil der eigenen Erfahrung oder derjenigen, die dazu geführt hat, die Lebensform auszubilden, die von einem selbst und den meisten Leuten um einen herum praktiziert wird (zumindest denen, die einem nahestehen). Der Schlüssel für einen Zugriff auf dieses implizite Wissen lautet: KLASSIFIKATION von Ereignisverläufen in der Vergangenheit, und von Erfahrungen, die mit denen, um dies jetzt geht, irgendwie zusammenzuhängen scheinen, derart, dass man die verborgene Regelmässigkeit, die in all diesen Fällen vorkommt und/oder sie miteinander verbindet, entdeckt – um sie als praktische Maxime für die Entscheidungen und Wahl der vorläufigen Strategien einzusetzen, mit denen man auf die aktuelle Herausforderung zu antworten gedenkt.
Die Aufgabe ist im wesentlichen immer die selbe: Ein überraschendes Ereignis, das zugleich für einen von Interesse ist, und einen Unterschied macht, findet statt – und dabei gibt es wenigstens zwei Chance-Risiko-Kombinationen (vielleicht auch eine gewisse Anzahl von Übergangs-Varianten zwischen denkbaren Extremen, also mehr als nur ein oder zwei), die das Problem aufwerfen, für welche davon man sich entscheiden soll. Jedes der beiden oder mehreren Paare aus Risiken und Chancen (für die gesamte Praxis in der Version, für die man sich jeweils entscheidet) wird dann noch quasi gewichtet mit den zugehörigen Graden an erwiesener (Un)Zuverlässigkeit.
Anm. Dieser Begriff wäre folgendermassen aufzugliedern bzw. zu definieren:
1. muss man ein bestimmtes MUSTER festlegen von Ereignissen oder Ereignisverläufen, Substanzen, Objekten, Sachverhalten, speziell die Grenzen der Breite möglicher Variationen in Einzelfällen, in denen das Muster realisiert ist, oder die SCHWANKUNGSBREITE des Musters;
2. muss man entscheiden, ob die Zahl der Beobachtungen oder die Zeitspanne für Beobachtungen von Einzelfällen, die das Muster realisieren, hinreichend ist, um Häufigkeiten zu schätzen – anders gesagt, man muss den Grad der subjektiven VERTRAUTHEIT mit dem möglichen Muster schätzen;
3. auf Basis dieser subjektiven Schätzung muss man dann ebenso die objektive Häufigkeit einzelner Vorkommnisse des Musters (oder seiner Varianten) schätzen, unter Umständen in Abhängigkeit von Bedingungen, die ihr Auftreten wahrscheinlicher oder seltener machen.
1+3 zusammengenommen, ergeben ein Mass wie die generelle REGULARITÄT (subjektiv, objektiv) des Musters (regelartig= relativ häufig, und eindeutig zu beobachten).
2+3 ist GEWISSHEIT (gewiss= objektiv häufig genug, um die betreffende Häufigkeit innerhalb halbwegs akzeptabler Beobachtungszeiträume zu ermitteln, und: subjektiv tatsächlich über einen hinreichend lang erscheinenden Anteil dieses Zeitraums hinweg beobachtet)
Ein weiterer Parameter ist das Zueinander-Passen unserer Zwecke, Kräfte und Ressourcen, und der objektiven (bzw. subjektiven, soweit sie bereits bekannt ist) Regularitäts-Form des Musters – diesen Parameter könnte man nennen
4. die objektive oder subjektive BEWÄLTIGBARKEIT (Beherrschbarkeit, Kontrollierbarkeit) des Musters; die wiederum, kombiniert mit (geschätzt) Wohlvertrautsein mit dem Muster ist dessen BEWÄHRTHEIT als Mittel für Zwecke in einer der für uns möglichen Normalitäten (normalen Lebensformen).
Auf Grundlage dieser Daten wird man immer einen Weg finden, um eine vorläufige Entscheidung zu treffen (dabei immer offen für neue Erfahrungen): Entweder man wählt den Status quo und setzt ihn fort, eventuell mit mehr oder weniger Abänderungen in die Richtung, die durch die überraschend neue Erfahrung nahegelegt wird – oder man ändert die Praxis, und akzeptiert alle (vermuteten) möglichen Konsequenzen (vor allem: die riskanten), wobei man eventuell mehr oder weniger Abstriche macht gegenüber der Maximalversion der neuen Vorgehensweise, solange sie sich noch nicht endgültig bewährt hat (was ja unmöglich der Fall sein kann, weil es sich um eine Überraschung handelt, und somit wenigstens EIN neues Element enthält, das so mit den augenblicklich benutzten Regeln oder Gesetzmässigkeiten nicht vorherzusagen oder abzuleiten war).
Am Anfang steht also ein Inventar an „Normalerwartungen“ (die sich speziell beziehen auf das normale Funktionieren einer Praxis beziehen). Von da ausgehend geht man dann durch eine nicht abreissende Kette von überraschenden Wendungen – zum Besseren oder Schlechteren – von denen jede die Prinzipien infragestellt, mit denen man seine Praxis als ganze einrichtet (darin ist eingeschlossen, wie man darin Fortschritte macht, versucht, probiert, beobachtet, Schäden behebt usw.) und sie der Umgebung anpasst, in der man jeweils lebt (oder den verschiedenen Umgebungen, die man nacheinander durchläuft).
Auf lange Sicht (das heisst: sehr viel mehr als die Gesamtlebenszeit einer oder zweier Generationen; was wiederum voraussetzt, dass die einschlägige Erfahrung der Älteren den Nachwachsenden tradiert wird) wird alles, das sich „bewährt“, eine gewisse Tendenz aufweisen, oder um es mehr im Sinne eines Evolutions-Konzepts auszudrücken, einige Erwartungen (eigentlich sind es ja bloss hypothetische, vorläufige Erwartungen) im Bezug auf Chancen und Risiken haben eine grössere Wahrscheinlichkeit, gewählt zu werden als andre (und, nachdem sie einmal gewählt wurden, nicht wieder verworfen zu werden), weil sie anderen überlegen sind in ihrer (geringen) Anfälligkeit gegenüber Überraschungen: Diese Erwartungen sind genau von der Art, wie sie auch in einem religiösen Glauben vorkommen. Ist jemand oder eine Gruppe aber erst einmal bis zu dieser Form des Lernens (Wissenserwerbens) und Planens vorgedrungen, verlässt er sie nicht mehr – und genauso wird sich auch jeder andere verhalten, wenn er durch angemessene Erziehungs-Bemühungen dazu angeregt würde, denselben Weg zurückzulegen.
Leider erziehen und belehren die Anhänger keines einzigen religiösen Glaubens irgendjemanden auf diese Weise – was dazu führt, dass dieser historische Weg vom Aberglauben zur Religion immer wieder aufs neue zurückgelegt werden muss; die Tatsache, dass andere bereits zuvor an sein Ende gelangt sind, hat darauf keinen Einfluss, ausser vielleicht, dass die Existenz religiöser Gläubiger als Vorbild dient, um anderen das Durchlaufen dieser Strecke und den endgültigen Übertritt zu erleichtern und insgesamt reibungsloser zu machen.
Der Grund, weshalb abergläubische Prinzipien des Wissenserwerbs auf Dauer dazu führen, dass man unumkehrbar eine religiöse Art zu denken und sich auf die Welt zu beziehen ausbildet, soll im nächsten Paragraphen behandelt werden.

A.36 Die Entstehung von Religion (1)
Jede Erklärung eines möglichen Übergangs vom Aberglauben zu religiösem Glauben beginnt notwendig mit einer Bestandaufnahme der zentralen Bestandteile jeder der beiden Einstellungen – sodass angegeben werden kann, welches Element des Aberglaubens bei diesem Übergang verschwindet und/oder durch ein entsprechendes auf sieten der Religion ersetzt wird. An diesem Punkt der Untersuchung sind von mir die folgenden drei Elemente des Aberglaubens (verstanden als Wissenserwerbsstrategie) als die entscheidenden herausgehoben worden:
a. Der Inhalt von Risiken und Chancen ist derselbe – mögliche Wahlalternativen (oder Experimente) sind immer charakterisiert durch ihre jeweiligen Risiken und Chancen (das lässt sich letztlich reduzieren auf die Frage: In welchen Fällen ist das Risiko eines Versäumnisses am geringsten, dass man genau den richtigen Aufwand an Zeit, Aufmerksamkeit, Anstrengung verausgabt?)
b. Als eine abergläubische PLAN-Person braucht man immer einen angemessenen Anreiz oder Anlass, um die Erprobung einer möglichen alternative zur aktuellen In Praxis auch nur in Betracht zu ziehen. Ohne einen solchen Anlass macht man weiter in den Grenzen der gegenwärtigen Praxis und ihres Fortschrittspfades.
c. Mögliche Experimente oder Versuche sind entweder ausgelöst durch eine drohende oder tatsächlich eingetretene Lücke oder eines Ausfalls in der gegenwärtigen Praxis – das Experiment wird dann darauf abzielen die Lücke zu füllen, was die Konstruktion möglicher technischer Verfahren erfordert, die die ausgefallene Routineoperation ersetzen können – oder, eine insgesamt neue Art des Vorgehens bietet sich angesichts dieser Gelegenheit an (einschliesslich neuer Risiken und Gefahren, die sich damit verbinden), und dann lautet die Frage: Ob man die Herausforderung an- und die Gelegenheit wahrnimmt, oder verstreichen lässt. (Man wird niemals erleben, dass eine PLAN-Person Experimente entwirft und plant, ohne einen Anreiz oder einen Anlass dazu zu haben, und dazu ein anschauliches Muster oder eine Regel, das ihnen hinreichend bekannt ist, zumindest so scheint, das sie als Vorbild oder Ausgangspunkt nutzen können für eine Anwendung auf die gegebne gute oder auch weniger gute Anreiz-Situation. Nie denken soclhe Leute darüber nach, was ÜBERHAUPT der Fall sein, oder getan werden könnte innerhalb der Grenzen, in denen etwas bleiben muss, um überhaupt sinnvoll zu sein. Reines Denken, oder auch Erforschen der Umgebung ohne unmittelbaren praktischen Anreiz oder Bedarf, und so, dass dabei der Raum der Möglichkeiten und mögliuchen Erfahrungsverläufe ausgelotet wird, indem man die Möglichkeiten vorwegnimmt in der Vorstellung, oder in Gestalt von durch tatsächlich stattfindende Forschung zu entdeckender und beobachtender Fakten – all das wäre das letzte, wozu sich PLAN-Personen bereitfinden. Stattdessen würden sie so etwas für absoluten Unsinn halten.
Vergleichen wir das mit den entsprechenden Elementen in einer religiösen Lebensform (und Wissenserwerbsstrategie):
a‘. Im religiösen Denken wird strikt getrennt zwischen dem, was man hofft, und dem, was man fürchtet, anders gesagt, der Inhalt von Risiken, mit denen man rechnen muss, ist völlig verschieden von demjenigen der Chancen, die echte Gläubige ihren Experimenten versuchsweise zugrundelegen. Oder, im einzelnen würden sie an Risiken alles und erdenkliche erwarten, an Chancen aber auch: Sie gehen davon aus, dass das bestdenkbare in jeder nur erdnklichen Hinsicht, die sie sich vorstellen können, ihnen zugesichert ist – bis zum Beweis des Gegenteils – denn es ist ja nur ein hypothetisches Optimum – ein Glaube.
b‘. Religiöse Menschen wissen nur zu gut, dass die Entfernung zu dem, was sie sich erhoffen beinah unendlich ist; und dass dazwischen ein riesig ausgedehnter Raum an ihnen nicht bekannten Tatsachen liegt. Sie haben darum jeden nur erdenklichen Grund, Ansätze zu Entdeckungen, Versuchen, Forschung zu machen. Die einzig verbleibende Frage ist: Wieviel Kräfte und Ressourcen sollten auf welches Unternehmen verausgabt werden?
c‘. Die Antwort darauf wird gegeben mithilfe einer umschriebenen Menge an Prinzipien, die gültig bleiben, ganz gleich, welches die gerade massgebende Optimalhypothese (oder religiöse Glaube) im einzelnen ist (solang nur überhaupt eine udn einer daist). Sie stellen gewissermassen die entsprechenden Regeln dar am anderen oder Gegen-Ende der sich immer weiter ausdehnenden Liste möglicher Niveaus and Risikobereitschaft und Opttmismus – das niedrigste dieser Niveaus; sie besagen, was man selbst im  schlechtesten aller nicht maximal-optimalen Fälle, dem minimalen Suboptimum gewissermassen, noch unterstellen darf (so, dass es für alles Bessere auch noch gilt); es ist zugleich das, was wir minimal in jedem Fall müssen unterstellen dürfen, um überhaupt irgendetwas Sinnvolles auch nur versuchen zu können.
Bei diesen Prinzipien geht es einmal..
..um WISSEN; etwa so:
„Unterstell bis zum Beweis des Gegenteils, dass alles dir Bekannte so weitergeht wie bisher; WENN aber etwas überraschend Neues und anderes dir begegnet oder sich ereignet, als du erwartet hast, dann zieh nicht ohne hinlänglichen Beweis das bisher gut Bestätigte in Zweifel, ersetz es nicht einfach durch eine Ersatzerkenntnis, sondern such nach und in den Lücken innerhalb dessen, was du bereits weiss, und nach möglichen Bedingungen, an deren Bestehen das Bisherige geknüpft war“.
..zum zweiten um PLANUNG, nämlich so:
„Anpassung an mögliche Gefahrdrohungen darf nie dazu führen, dass die aktuelle Form der Reproduktion von materiellen Lebensgrundlagen geschädigt wird – man soll nicht Selbstmord aus Angst vor dem Tode begehen! Ebenso aber gilt: Sicherheit dieser Reproduktion darf niemals Vorrang haben vor und auf Kosten stattfinden von Fortschritt – Stagnation ist ein zu hoher Presi für gleich welche Form von vorläufiger Sicherheit“.
..schliesslich um die Formen des Umgangs mit den eigenen KRÄFTEN UND BEDÜRFNISSEN, nämlich:
„Betrachte deine eigene Befindlichkeit, deine Empfindungen und Gefühle als die entscheidende und letzt-massgebliche Messgrösse für Wohl- und Nichtwohlergehen deines Körpers – setz nicht ein höheres Vertrauen in irgendwelche äusseren Anzeichen für Langlebigkeit oder Leistungsfähigkeit, die ganz anders sind und lauten als in dein eigenes Befinden auf Dauer! Achte auf die materiellen Voraussetzungen, von denen es abhängt, dass du ein fühlbar gutes und zufriedenstellendes Leben führen kannst – sieh dies Kriterium als das entscheidende an, um zu definieren, was „Gesundheit“ in deinem Fall bedeutet!“
Anm.1: Dass eine vorhandene traditionelle Lebens- und Produktionsweise der gesamten Existenz als Fundament dient, ist ein gemeinsamer Zug von religiösem und abergläubischem Denken. Werden die drei  genannten minimal-suboptimalen Regelgruppen angewandt, bietet diese vorhandene und erprobte lebens- und (Re)Produktionsweise ein hinreichendes Inventar an Ansatzpunkten für Forschung und Experiment – in denen man versucht und probiert, wie man die gegenwärtige produktive ud Lebens-Praxis immer weiter verbessern könnte. Die Aufteilung der Regeln dafür auf je drei unterschiedliche Klassen von Problemen ist allerdings ein ungeheurer Schritt vorwärts – weit hinausgehend über die chaotische Art der Planung von Versuchen und Experimenten aufgrund abergläubischer Einsichten über die Natur von Dingen und Ereignissen, die darin auf eine allerdings sehr absurde Weise miteinander verknüpft werden. Indem man die drei Prinzipiengruppen ausschliesslich auf jeweils den Gebieten anwendet, wo sie einzig am Platz sind, und nirgendwo sonst, wird die abergläubische Verwechslung und unterschiedslose Anwendung aller drei Regelsorten auf alle drei Themen-Felder überwunden, und stattdessen die Verwechslung und Gleichbehandlung von
– (Wissen= ), Umgang mit den (gegen ihre Peripherie immer unsichereren) Wissensreserven, und der Umgang mit dem Nochnich-gewussten und Rest-Unbekannten;
-(Planung= ) erweitertes Selbst, oder aktuelle Praxis (aufzufassen als ein einziges riesiges Experiment);
– (Kräfte und Bedürfnisse= ) Kernselbst (der Körper oder „Leib“ , wie er sich und seine Zustände in Gefühlen und Spüren darstellt)
wird ersetzt durch eine rationale und angemessen unterschiedene Art der Anwendung jeder der drei Regelsorten nur auf demjenigen der drei Gebiete, zu dem sie gehört.
(In Abs. A.34 über magisches Denken wird die unterschiedslose Anwendung immerhin der ersten Regelgruppe auf die drei Anwendungsgebiete dargestellt. Aberglaube im engeren Sinn, so wie er in A.35 dargestellt wurde, kann aufgefasst werden als Ausdehnung der regeln für Umgang mit dem Restunbekannten auf alle drei Felder. Das demnächst abzuhandelnde Thema der kompensatorischen Bedürfnisse, Hoffnung, Drogengebrauchs usw. wird diese Phänomene zurückführen auf die unterschiedslose Anwendung der Gruppe der Planungsregeln (die zu tun haben mit dem Entwerfen einer aktuellen Praxis, als rationales Experiment darüber, wie man Reproduktion in der gegebnen Umgebung zustandebringen kann) auf die anderen Felder.)
Anm.2: Die eigentliche Quelle von Störungen und Irritation in einer religiösen Praxis ist die Optimalhypothese bzw. der Glaube selbst. Die Gelassenheit, mit der man einen maximal vorsichtigen und vorläufig minimal-optimistischen Fortschrittspfad beschreitet und sich dabei zu Risiken verhält, ist ein ungeheurer Fortschritt gegenüber den ruhelosen Aktivittäen und Ängsten des Aberglaubens davor. Aber dies wunderbar gelassene und unbeirrbare Vorwärtsschreiten in der festen und sicheren Hoffnung, dass man Richtige tut (solang das gegenteil noch nicht bewiesen ist) hört sofort auf, wenn Zweifel aufkommen hinsichtlich der Frage, ob das gegenwärtige Optimum auch wirklich das bestdenkbare von allen ist – oder auch die Frage, ob es noch immer zu der Welt passt, wie sie die Gläubigen im Verlauf ihrer Alltagserfahrungen erfahren.
Deswegen findet ein permanentes Neu-Interpretieren und Überdenken des Glaubensinhaltes (der aktuellen Optimalhypothese) statt – eine besessene Beschäftigung mit diesem Inhalt, der meist entweder übermässig reichhaltig ist, dass man jeden Überblick verliert, oder aber so karg, dass er an sich selbst kaum eine Handhabe dafür bietet, dass grundlegende Fragen des religiösen Lebens damit geklärt werden können, und der Zweifel, ob man das richtige Optimum gewählt, und somit den richtigen Glauben hat, wieder zum Verschwinden gebracht wird.
Die andauernden „experimentellen“ Versuche zu (Neu)Interpretation und Anpassung (der Glaubensinhalte) können als Äquivalent der entsprechenden Anstrengungen von PLAN Menschen verstanden werden, praktische Regeln aus bestehender erfahurng abzuleiten, indem sie geschickte Klassifikationen finden und erfinden – das ist IHRE Version von geistigem Experimentieren. (In beiden Fällen handelt der zielt das Experiment nicht unmittelbar auf reale Dinge und Sachverhalte, sondern mögliche Begriffe und Zusammenfassungen von ihnen, die wir verfertigen könnten, oder auf mögliche Neu-Interpretationen existierender Offenbarungen oder Vorstellungen vom Übernatürlichen, angesichts der Erfahrungen, di ewir in unserem Leben machen.)
Anm. 3:  Jeder religiöse Glaubensinhalt steht im Brennpunkt widersprechender Anforderungen an ihn, oder ist abgeleitet von altehrwürdigen, leider auch unklaren Offenbarungsquellen, deren Sinn mehr oder wneiger Raum eröffnet für stark abweichende und strittige Interpretationen. Das zieht dann nichtendenwollende theologische Arbeit nach sich, und lässt obendrein das Lehren des Glaubensinhalts und seine Anpassung an das Leben der Gläubigen als eine ununterbrochene Anstrengung erscheinen. Anders ausgedrückt, der Glaubensinhalt ist in den meisten Fällen nicht besonders anschaulich oder konkret. Diese Lebensferne der Glaubensinhalte wird normalerweise kompensiert durch Formen religiöser Rituale, Zeremonien, Gebete, durch die die Gläubigen sich selber immer wieder dessen vergewissern, dass ihre Gründe zu glauben immer noch hinreichen, um ihr rational reduziertes und vorsichtiges Leben unter der Optimalhypothese zu tragen und ertragen. (Diese ihre Lebensform, die von echt religiös Gläubigen, ist ein Muster an Zivilisiertheit, verglichen mit dem Chaos und der barbarischen Unruhe in jeder PLAN Lebensweise, die so oft in Gefahr ist, völlig zu entgleisen, sobald etwas Unerwartetes passiert.)

A.37 Entstehung von Religion (2)
Ich möchte im folgenden zeigen, dass und wie Religion herauskommt, wenn abergläubische Wissenserwerbs-Strategien, so wie in den voraufgehenden Abschnitten, über lange Fristen zur Anwendung kommen.
Der Prozess dieses möglichen Übergangs muss dabei im ganzen die Erscheinungsform einer evolutionären Entwicklung annehmen – keinesfalls handelt es sich um ein geplantes Unternehmen, ein mit vollem Bewusstsein entworfenes Experiment, dessen Ausgang nur leider die zu erprobende (Optimal)Hypothese hat scheitern lassen, und sie falsifiziert hat.
Das Vorgehen beim abergläubischen Wissenserwerb besteht, wie gesagt, darin, dass man wenigstens zwei Versionen (und unter Umständen auch mehr oder weniger weitere, die irgendwie dazwischen liegen) einer möglichen Fortsetzung der bisherigen Praxis und ihres Fortschrittspfades vergleicht, deren jede eine ganz spezielle Mischung aus Risiken und Chancen aufweist, die obendrein bewertet sind hinsichtlich ihre jeweiligen Wirkung auf die Umsetzbarkeit der Praxis und ihrer Weiterentwicklungen, und das jeweils nochmals gewichtet mit dem jeweiligen Grad unserer Vertrautheit mit der jeweiligen Option. Kurz gesagt, die (wenigstens) zwei optionalen Varianten der Fortsetzung einer vorhandenen Praxis werden hinsichtlich ihrer  „Bewährtheit“ (vgl. A.34, Anm. Punkt 4) verglichen.
Der entscheidende Punkt in diesem Vergleich ist dabei, dass diese völlig unterschiedlichen Qualitäten möglicher Einflüsse auf das Resultat der letztlich getroffenen Entscheidung in quantitative Faktoren verwandelt werden mit einer allen gemeinsamen Messgrösse, nämlich: mehr oder weniger günstig – und in dieser Hinsicht soll dann jede Entscheidung (wie man ausgehend von einer gegebnen Entscheidungssituation weiter verfahren soll: weitermachen wie bisher, oder in der überraschend neuen Richtung) mit allen andern verglichen werden können. Genau das ist der zentrale Bestandteil jeden abergläubischen Denkens. Es muss sich zeigen, dass – nur, indem man diese Kernstrategien abergläubischen Wissenserwerbs anwendet – die spezifisch religiösen Elemente, die auch bereits im Rahmen abergläubischer Hypothesen und Experimenten möglich sind, auf Dauer eher gewählt werden, und danach wahrscheinlich beibehalten und nicht wieder durch andere (allenfalls durch religiöse) Alternativen ersetzt werden. Kurz: auf Dauer haben bei dieser Wissenserwerbsstrategie die typisch religiösen Optionen einen Vorteil vor den im engeren Sinne abergläubischen. Aber warum?
Das erste Element jeden religiösen Denkens ist das Bewusstsein der Möglichkeit, dass jedes Übel sich jederzeit ereignen kann. Dieses Element einer spezifisch religiösen Hypothese kann verstanden werden als Resultat der Widerlegung oder Falsifikation des mehr oder weniger impliziten Pendants dieser Hypothese auf seiten des Aberglaubens: Dass Risiken immer nur im Zusammenhang mit einer ganz bestimmten, konrketen Chance zu berücksichtigen sind – sie sind die möglichen Kosten, die inkaufzunehmen sind, wenn man die Chance nutzt. Woraus folgt, dass man jedes solche Risiko auch wieder loswerden und dauerhaft vermeiden kann, und ihm entgehen, indem man auf die entsprechende Chance verzichtet – einfach, indem man die bisherige Praxis fortsetzt oder sie angemessen einschränkt – dem abergläubischen Denken zufolge MUSS es jedes Mal eine solche fortsetzbare, variierte oder reduzierte Variante zu einer früheren Praxis geben, um ein neuaufgetauchtes Risiko auszuschalten.
Es ist denn auch kein Schritt in der Ausbildung religiösen Denkens folgenreicher als dieser: Zu erkennen, das Risiken nicht davon abhängen, was man tut (speziell, was man tut, um sich zu schützen – es gibt keine endgültige Sicherheit), und, was noch beängstigender ist, auch nicht davon, was man UNTERLÄSST, um Gefahren zu vermeiden – das heisst, man entgeht Gefahren nicht, wie sehr man auch das Nieveau seiner Gesamtlebensführung absenkt und beschränkt.
Als Konsequenz dieser Einsicht tritt jene spezifsche Gelassenheit ein, die mehr als alles andere religiöse Menschen und ihre Mentalität auszeichnet – die in der Abfolge möglicher Mentalitäten die historisch erste Form einer EXPERIMENTELLEN Einstellung zur Welt darstellt (es komme, wie ich glaube, noch andere danach).
Diese Einstellung könnte nun freilich auch in äussersten Pessimismus münden – es soll also nichts zu tun bleiben, um mögliche Katastrophen in Zukunft zu vermeiden?
Tatsächlich ist dies aber nur die eine Seite der Entwicklung, die zur Religion führt – auf abergläubischer Grundlage würde man es nicht anders erwarten, dass jemand von der Aussicht überwältigt wird, dass ihm letztlich nichts als äusserste Verzweiflung und vernichtendes Leid bevorstehen soll. Ein abergläubishes Leben kann natürlich in einer Katastrophe enden (es ist oft genug tatsächlich der Fall), aber genauso gut in absolutem Glück; religiöse Lebensformen hingegen sind gegenüber beiden Möglichkeiten immun und sind davon nicht betroffen. Der Grund dafür liegt in den verbleibenen Teilen der Gesamtbewegung, die zur Ausbildung religiöser Mentalitäten führt:
In dieser Bewegung werden nämlich Schritt für Schritt die typisch abergläubischen Erwartungen hinsichtlich der Möglichkeit von Chancen ausgeschaltet – zurückbleibt ein ganz bestimmter Typ von Chance, der von sich aus die Garantie bietet, dass keine der typisch abergläubischen Weisen der Falifikation oder Frustration ihm etwas anhaben kann, und andererseits die bequemste und zugänglichste Form eines Optimums bietet, die sich abergläubische Menschen nur erträumen können: Etwas, das (wenn es der Fall sein sollte) sicherstellt, dass man nichts versäumen kann – dass man unbedingt dieses opitmum irgendwan erreichen wird, und dabei nicht scheitern kann – sodass die einzig verbleibende Frage ist: wann und wie man es erreicht.
Die Bedingung, dass dies so vorgestellte Optimum Inhalt einer entsprechenden Hypothese sein muss, wird erfüllt durch zwei Entwicklungen, von denen bereits die Rede war, nämlich erstens: Jeder mögliche alternative Inhalt von geringerer Strahlkraft, der die Entscheidung für das bmögliche Optimum infragestellen könnte, muss durch Frustration ausgeschaltet und ausgeschlsosen worden sein; und zweitens: Angesichts der allgegenwart von Gefahren und Risiken darf die einzig verbleibende Vorgehensweise nur noch in minimal-suboptimalen Strategien des Planens und Handelns bestehen. Erst wenn diese Zusatzbedingungen erfüllt sind, erreicht die Vorstellung eines unüberbietbar Besten das Niveau eines religiösen Glaubens.
Die Frage, die dann noch offenbleibt, ist: Durch welche seiner Eigenschaften erweist sich ein solcher Glaube als immun gegen alle Formen, wie er auf typisch abergläubishcer Grundlage wieder aufgegeben werden könnte? Warum ist sein Vorsprung gegenüber allen weniger anspruchsvollen abergläubischen Konkurrenten so uneinholbar?
Er muss dafür zweierlei Anforderungen gerecht werden:
1. er muss auf Dauer jede beliebige andere Chance in sich mitenthalten und darf keine ausschliessen; und
2. er muss ausserhalb der Reichweite all jener Entscheidungsverfahren liegen, durch die abergläubisches Denken sonst ein vorläufig unterstelltes Optimum immer wieder verwirft und zugunsten eines anderen aufgibt.
Dieser Ausleseprozess (um erneut einen Ausdruck zu verwenden, der in Richtung „Evolution“ geht) kann nur von einer sehr speziellen Art von Kandidaten überstanden werden – nämlich ausschliesslich religiösen Optimalhypothesen – sie sind die einzigen, die den Anforderungen genügen, und zwar durch Besonderheiten, die sie aufweisen:
a. Sie erweisen sich jeder denkbaren Kombination eines abergläubischen Suboptimums und seinem Grad an relativer Bewährtheit überlegen – einfach durch den überwältigenden Eindruck, den der Glanz und die Grossartigkeit eines echt religiösen, also absoluten, höchst-vorstellbaren Maximal-Optimums entfaltet – in jeder Hinsicht, in der er mit einem nur relativen und gewissermassen bloss in Reichweite liegenden abergläubischen Optimum konkurrieren könnte.
b. Sofern es in wirklich religiöser Manier gedacht wird, kann es aber obendrein niemals scheitern, und wird jede Bewährungsprobe überstehen – denn das ist der grosse Vorteil eines religösen Glaubens über allen blossen Aberglauben; was ersteren jeden Zusammenbruch einer Lebensform und jede Katastrophe überstehen lässt, und Bestand haben lässt angesichts jeder Form von Risiko, egal ob bekannt oder nicht.
Der Preis, der für diese schier nicht zu fassende Überlegenheit des religiösen Glauens gezahlt werden muss, ist über einen sehr langen Zeitraum hinweg nicht zu bemerken – nämlich die ganze Epoche hindurch, während der (wie etwa in der europäischen und auch asiatischen Antike bzw. Mittelalter) Religion der massgebliche Mentalitätstyp der Eliten war. Es ist schon in früheren Abschnitten erwähnt worden, dass Relgion nicht nur in Zeiten der Gefahr „keinen Unterschied macht“, sondern eigentlich überhaupt nie. Religiöser Glaube ist ein Gebilde, das die FORM einer Optimalhypothese aufweist, aber mit einem Inhalt, der begrifflicher Unsinn ist, sodas der einzig verbleibende Inhalt lautet: „Es könnte irgendein maximal Bestes geben, und bis zum Beweis des Gegenteils wollen wir von seinem Bestehen ausgehen, als Basis für das Experiment, in dem unser Leben notgedrungen besteht“. Aber wenn man sowenig angeben kann, welcher mögliche Inhalt mit Form und Funktion, wie sie eine solche Optimalhypothese aufweisen muss, vereinbar sein könnte, um seinen Zweck zu erfüllen, dann muss man sich die Frage gefallen lassen, ob es solch eine Hypothese und solch einen inhalt überhaupt geben kann; ein solcher Zweifel, wenn er nicht zerstreut werden kann, macht dann die positiven Effekte eines Lebens unter einer solchen Hypothese „solang bis das Gegenteil bewiesen ist“, unmöglich.
Allerdings dauert es hunderte, wenn nicht tausende Jahre, bis die massgeblichen Mängel religiöser Optimalhypothesen sichtbar werden, und man daraus Konsequenzen zieht. Selbst dann allerdings wird normalerweise der religiöse Glaube nur einfach aufgegeben; worin sein Mangel bestand, ist damit noch lange nicht begriffen. (Dieser Übergang war in früheren Abschnitten als Prozess der Modernisierung und Aufklärung bezeichnet worden.)
Der spezifische Vorteil religiöser Vorstellungen und zugleich ihr grundlegender Mangel ist die spezielle Art, wie sie Gebrauch machen von Begriffen, die sich auf Personen und ihre Eigenschaften beziehen. Davon wird gleich noch in einem besonderen Paragraphen die Rede sein. Allerdings habe ich die Aufgabe, die ich mir in diesem Abschnitt gestellt habe, noch nicht gelöst, denn um zu beweisen, dass der Übergang notwendig stattfinden wird und notwendig früher oder später durch solch einen Selektionsvorteil bewirkt werden wird, muss ich erst noch einige weitere Sätze beweisen, oder vielmehr, ich muss beweisen, dass der folgende Einwand entkräftet werden kann:
Es mag richtig sein, dass religiöse Vorstellungen und Erwartungen aufgrund ihrer natürlichen Überlegenheit zu einem abergläubischen Glaubens- und Erwartungssystem immer hinzutreten können; aber bedeutet das schon, dass zu jeder Zeit unmittelbare Konkurrenz zwischen den abergläubischen und den religiösen Inhalten herrscht, und dass der Vorteil der letzteren in einem solchen unmittelbaren Vergleich unmittelbar einleuchtet. Tatsächlich können abergläubische und religiöse Glaubensformen (oder -inhalte) in ein und demselben Glaubenssystem nebeneinander vorkommen. Die Konkurrenz muss somit auf eine eher indirekte Weise stattfinden (so wie es auch in der natürlichen Evolution der Fall war): Abergläubische Erwartungen müssten demnach einfach von selber scheitern und schon durch die Art, wie sie überhaupt zustandekommen, anfälliger als ihre religiösen Gegenstücke, auf Basis der abergläubischen Wissenserwerbs-Strategien eliminiert zu werden. Ich möchte diese spezifische Schwäche des Aberglaubens und den Grund der Überlegenheit typisch religiöser Glaubensinhalte im folgenden genauer erörtern.

A37a. Warum scheitert abergläubischer Umgang mit Wissen auf Dauer, und warum kommt dabei notwendig Religion heraus?

(1) Eine aktuelle PLAN-Lebensform stellt sich zunächst einmal dar als eine zyklische Abfolge von Rezepten der Form: Wenn Situation S (S1, S2..), dann tue Handlung H (H1, H2…), und du darfst Resultat E (inclusive bestimmter Nebenfolgen) erwarten.
Jedes E bildet zumindest einen Teil der Ausgangssituation S des Folgerezepts; in jedes S geht aber, neben den Folgen des zuvor Getanen und Geschehenen, auch etwas von aussen Hinzukommendes, Neues ein; das freilich, im Rahmen des Zyklus, so oder so ähnlich (die Modifikationen bilden die verschiedenen Abwandlungen S1, S2 usw., auf die mit Handlungsmodofikationen H1, H2 geantwortet wird) erwartet wird.
S wie E zerfällt in einen äusseren Welt- und Umgebungs-Anteil, und einen inneren, gefühlten, der vor allem den Stand der Kräfte und Handlungsspielräume (Bedürfnisse, Leistungsgrenzen) repräsentiert.
Der Unterschied zwischen S und E besteht also vor allem darin, dass E nur die erwartbare objektive und subjektive Konsequenz eines voraufgegangenen Handelns in einer handlungsrelevanten Situation S ist; die Reihe der S hingegen zwar erwartet wird, auch synchronisiert mit den entsprechenden E-Anteilen von ihnen, aber immer etwas enthalten, was nicht Handlungsfolge ist, sondern aktuell unbeeinflusst (obschon vielleicht beeinflussBAR) von aussen kommt.
Der grösste Teil der Abfolge ist eine kreisförmige Anordnung, dh. die Abfolge der Rezepte mündet in sich selbst zurück: Reproduktion unserer Handlungsspielräume und Mittel, eventuell unter Verbrauch endlicher Aussenressourcen (die sich dabei aber nicht merklich erschöpfen). Einige Rezepte wiederum stellen Verzweigungen dar (sie enthalten angesichts einer gegebnen Ausgangssituation mindestens ZWEI Handlungsanweisungen, mit zwei zugehörigen Erwartungen), auch innerhalb des Kreises; an einigen dieser Verzweigungs-Rezepte gibt es dann Handlungs-Erwartungs-Kombinationen, die nicht mehr unmittelbar in den Ausgangs-Kreislauf zurückmünden, oder wenn sie es tun, dann nur so, dass zugleich der Kreislauf an einigen Stellen verändert wird (weil Produktivität erhöht wurde): Fortschrittspfad, Sicherung und Produktivitätserhöhung, bezogen auf die aktuelle Reproduktion.
Reproduktive Ausgansgroutine oder -normalität ebenso wie der geplante Fortschritt aus ihr heraus, über sie hinaus sind beide in einer Hinsicht gleich: Immer geht es darum, das durch das Eingreifen unseres Handelns technisch Erwartbare so zu gestalten oder zu wählen, nämlich als H, dass es, synchronisiert (zeitlich, räumlich abgestimmt) mit Erwartbarem S in der Umgebung, ein Resultat E(S,H) erzeugt, das einen sinnvollen, nämlich sich sinnvoll ins Gesamt der aktuellen Reproduktion oder des Fortschrittspfades einfügenden Schritt darstellt: die Gesamtheit dieser Schritte (Rezept-Realisierungen) bedeutet Reproduktion unserer Handlungsspielräume, entlang von erwarteten nutzbaren Situationen in unserer Umgebung, die in Teilen von uns erwartbar zuvor beeinflusst sind (das ist der E-Anteil in der aktuellen Situation, zustandegebracht durch vorangehendes Handeln).
Die Abfolge der S ist dabei entweder ihrerseits zyklisch – ein Zyklus aus erwartbaren Aussenvorgängen und -Ereignissen läuft her neben einem Zyklus aus leiblich-spürbaren Vorgängen und Ereignissen (zB. Aktivitäts- und Ruhebedürfnissen) – oder aber bedingt-erwartet, innerhalb bestimmter zeitlicher, räumlicher Schwankungsbreiten (bekannte Wahrscheinlichkeiten).

(2) CHANCEN stellen sich dann grundsätzlich dar als unerwartete, und dann vor allem äussere Situationen S, die es nahelegen, dass man bestimmte Handlungen in und mit ihnen ausführt, um so zu einem neuen und insgesamt verbesserten Kreislauf zu gelangen; die Frage ist, OB man es tun soll, und OB das lohnt – im Sinne einer Neu-Anpassung, Neu-Bewertung bisheriger E-Niveaus (vor allem ihres affektiven Kerns): Ich darf Besseres erwarten, und mich darauf einrichten, als bisher.
RISIKEN stellen sich dar als (von jetzt an) bekannte, aber nicht in jeder Hinsicht erwartbare, allenfalls zum Bekannten unerwartet hinzukommende Handlungs- und Versäumnis-Folgen (wobei nicht immer klarsein muss, WAS versäumt wurde), die in letzter Instanz, direkt oder indirekt (über Beschädigung unserer Mittel), unsere Handlungsspielräume einengen; die Frage ist, WAS, also welche praktischen H-Modifikationen und Neu-Beurteilungen und -Verwertungen der voraufgehenden S-Situationen nötig sind, um das ursprüngliche E-Niveau wieder herzustellen, oder ein ursprünglich geplantes E-Niveau (wieder) zugänglich zu machen.
In der Hierarchie der Versuchsanordnungen für eine solche Wiederherstellung zeigt sich nicht nur der Kern der abergläubischen Denkweise; sondern vor allem ist darin auch der Grund ihres Scheiterns auf Dauer erkennbar.

(3) Um sie darzustellen, möchte ich auf die Formel S–>H(S)–>E zurückkommen.
PLAN-Personen suchen grundsätzlich im Vorfeld von schlimmen oder schädlichen Ereignisverläufen (die ein Risiko begründen) nach Unauffälligem, das nichtsdestotrotz ausserhalb des Regulären liegt, und das sich in mehr oder weniger engem zeitlichem Abstand davor ereignet hat. Dafür suchen sie dann wieder nach Vorbildern und Präzendenzfällen, die mit dem gegenwärtigen irgendeine Gleichheit-in-einer-bestimmten-Hinsicht aufweisen. Die Formel lässt erkennen, dass es höchst unterschiedliche Weisen gibt, um das mögliche Muster zu bestimmen, von dem man weitere Anwendungsfälle in der Vergangenheit sucht:
Erst einmal könnte es ja an der Art der Erwartung selbst gelegen haben, wenn sie enttäuscht wurde – allein schon durch die Art, wie sie in Verbindung mit voraufgegangenen getäuschten Erwartungen, also Überraschungen stand – indem sich, etwa, ein bestimmter massgeblicher „Index“-Wert über eine bestimmte Schwelle gesteigert oder abgeschwächt hat (zb. zuviel unerwartetes Glück auf einmal führt zum Absturz); oder zu einem Zeitpunkt, an einem Ort, oder im Rahmen eines zeitlichen Musters (Zyklus) sind Schad- oder Gücksereignisse gehäuft zu erwarten – es besteht eine sichere oder wahrscheinliche Disposition dazu – wenn nicht durch ihren autonomen zeitlichen oder seriellen Verlauf (Abfolge von Schad- und Glücksereignissen), wird deren Bestehen oder Erlöschen (Abschwächung, Stärkung) u.U. angezeigt durch An- und Vorzeichen.
All das mag zutreffen auf die isolierte Erwartbarkeit von irrgulären (anders als sonst verlaufenden) Erfolgs- und Misserfolgsereignissen – unabhängig davon, welche S und H ihnen jeweils vorauszugehen hatten, oder mit welchem Inhalt sich der jeweilige Erfolg oder Misserfolg (Nutzen oder Schaden) verbunden hat.
Ebensogut kann die Frage nach solchen Mustern und Vorbildern sich natürlich wiederholen auf einer spezifischeren Ebene: S-(H)-E- Verbindungen „dieser Art“ (Erwartungen, dass Lösungen von Aufgaben und Problemen bestimmter S-gebundener Art (Jagd, Liebe etc.) besser oder schlechter ausfallen als üblich, dauerhaft oder punktuell; oder die Ausführung von H-Aktivitäten; oder das Ganze einer herkömmlichen S- Aufgaben- oder -Problemlösung durch die herkömmlich dazu benutzte Vorgehensweise H(S); schliesslich könnten objektive Bestandteile von S-Situationen unabhängig vom Tun Erfolg oder Misserfolg jeder daran zweckmässig ansetzenden Handlungsweise H beeinflussen – und, wie in den andern Fällen (Art der Aufgabe, Art der Handlung, Art der Handlung in dieser Situation) auch, können autonome Muster (Schwankungsbreiten) und Zyklen, relative Häufungen (bedingungs-, zb. orts- oder zeit- oder an- und vorzeichengebunden) daran beobachtet werden – bis hin zu Kausalzusammenhängen, die es erlauben, Kontrolle über die betreffenden Zusammenhänge auszuüben.
Jede mögliche Kombination aus einem aktuellen Fall und seinen möglichen Vorgängern (in irgendeiner der genannten Hinsichten; oft genügt schon ein einziger solcher Präzedenzfall) könnte dann als mögliche „Erklärung“ herhalten, und da der wichtigste Anteil der Wirkung einer negativen Überraschung in der Auswirkung auf unsere Gefühle besteht, also im Ausmass an Beeindrucktheit durch das überraschende Ereignis (unsere Geängstigtheit, Schockiertheit, Erschütterung, Bestürzung usw.), kann man sogar Formen einer Erklärung fnden, aufgrund deren sich verschiedenartige Einflüsse auf das Ausmass unserer Überraschtheit in diesem Sinn verbunden und in ihrer Wirkung addiert haben.
Von vorneherein gibt es nicht die geringste Einschränkung, also auch nicht die geringste Bestimmung, den geringsten Anhaltspunkt, nach welcher Art Ereignis oder Ding oder Sachverhalt man hier suchen könnte – alles und jedes kommt als Ursache, Bedingung, Vorzeichen oder Einflussquelle infrage. Von daher liefert diese Fragestellung meist eine unendliche Fülle an möglichen Erklärungen und daraus resultierenden Versuchsanordnungen. Die möglichen Experimente werden dann angeordnet nach dem Aufwand an Arbeit und anderen Ressourcen, der dafür zu treiben ist, einerseits, ihrer Einfachheit (nicht-komplexen Bedingtheit und Durchführbarkeit) und der Verfügbarkeit an Mitteln, die man dafür braucht (da, wo man sie braucht), andererseits.
Zur Lern- und Wissenserwerbsstrategie von PLAN gehört es dann, dass man in dieser Abfolge möglicher Experimente sofort haltmacht, sobald sich ein erster Erfolg eingestellt hat – die erfolgreiche Handlungsweise wird vorläufig zum neuen Standardvorgehen generell, oder „in solchen Fällen“ erklärt. Was tut man aber, wenn diese Prozedur dann wieder versagt?

(4) Die Wissenserwerbsstrategie von PLAN arbeitet mit einer Art gefühlter Statistik – und fragt dann etwa: Wie oft hat die neue Vorgehensweise schon funktioniert? Je mehr das der Fall war (und je mehr sie sich dabei zugleich als unaufwendig, unkompliziert zu handhaben, gleichbleibend in unterschiedlichsten Umgebungen verwendbar erwiesen hat), desto mehr geraten PLAN-Menschen in ein Dilemma, oder eine schwer entscheidbare Aufspaltung ihrer lernstrategischen Optionen: Entweder gehen sie im Fall des Scheiterns der neuen, noch nicht hinreichend bewährten (nicht genügend guten) Routine zurück zum Ausgangspunkt, also der ursprünglichen Serie möglicher Experimente, und arbeiten sie weiter ab, indem sie die nächstschlechtere Erklärung und die darauf beruhende Vorgehensweise, die noch nicht erprobt wurde, für eine mögliche Reparatur des ursprünglichen Ausfalls heranziehen; oder sie modifizieren die vorläufig gescheiterte neue Praxis, und passen sie an, indem sie ad hoc Hypothesen für IHR vorübergehendes Scheitern verwenden. Solches Abwandeln der ursprünglichen Technik zur Anpassung an neue Umgebungsbedingungen kann natürlich auch angebracht erscheinen in der Ausgangssituation, sobald der erste Aus- oder Schadensfall eingetreten ist – Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Routinetechnik, die versagt hat, im grossen ganzen noch intakt und einsatzbereit ist.
Mehr oder weniger arbeitet diese Strategie sich also durch eine Reihe von „Falsifikationen“ möglicher Erklärungen und Reparatur-Versuche zur Wiederherstellung einer momentan be- oder geschädigten Aufgaben-Durchführung hindurch.
Man beginnt hier also sein Experiment mit Abwandeln; wenn die dafür vorgesehene Zeit und Ressourcen aufgebraucht sind, geht man zu Versuchen über, bei denen die ursprüngliche Praxis durch technische Alternativen ersetzt wird, und falls auch das kein befriedigendes Resultat liefert (nach Aufwendung von hinreichend viel Zeit, Anstrengungen, und Ressourcen), wird man sich auf ein niedrigeres (Re)Produktionsniveau beschränken – wobei man freilich immer noch sich umsehen wird nach den möglichen schädlichen Einflüssen, die das, was doch zunächst gut funktionierte, auf einmal gestört haben könnten.
Falls man solche ausfindig macht, kann man dann gleich wieder mögliche Gegenmassnahmen erfinden, die in derselben Weise erprobt werden können wie die Varianten und möglichen Ersatzprozeduren für die ursprüngliche. Falls alles das nicht hilft, wird man vielleicht aufgeben – aber nicht, ohne zuvor denkbare An- und Vorzeichen zu suchen und sich „für das nächste Mal“ zu merken – Vorzeichen, die möglicherweise das Übel angekündigt haben, so dass man es hätte rechtzeitig aufhalten, ausschalten und verhindern, oder sich dagegen schützen und darauf vorbereiten können – hätte man sie nur rechtzeitig beachtet. (Mit diesem Schritt spätestens hat man dann auch einen Aberglauben im klassischen Sinn ausgebildet.)
Der allerletzte und ganz offensichtlich aus Verzweiflung geborene Akt in dieser Abfolge von Versuchen besteht dann darin, die Erfahrung mit unerwarteten Chancen zu verallgemeinern und als letztes Mittel auch in solchen Fällen einzusetzen, wo nichts sonst mehr hilft: Jede Regelmässigkeit, die man aus solchen Fällen ableitet (fürs erste genügt,  um eine solche zu entdecken, ein einziger, ganz spezieller Gücksfall, und was ihn und seine Vorgeschichte vom üblichen Verlauf der Dinge unterschieden hat; eventuell auch ein Paar aus vergleichbaren Fällen dieser Art, und die Gemeinsamkeiten, die es aufweist), kann herangezogen werden, um Versuchsanordnungen zu konstruieren, wie man ganz allgemein, und eben auch in anderen Fällen (zumindest Fällen einer bestimmten ART) seine Chancen erhöhen kann – und das versucht man eben vor allem in solchen Fällen, wo man in extrem schmerzvoller Weise eine lang bestehende Lebensform (oder eine entscheidende Stütze für sie) endgültig als gescheitert aufgeben soll – Fälle, in denen alles andre, das in der Reihenfolge erprobt wurde, wie oben beschrieben, bereits versagt hat – sodass die Versuchsstrategie der generellen Verbesserung von Chancen die letzte Zuflucht ist, um diese Lebensform noch zu zu halten; diese Versuchsstrategie und die zu ihr gehörenden Regeln und Techniken, wie man sein Glück im allgemeinen verbessern kann (unter Verwertung früherer Fälle, in denen das erfolgreich war), nehmen dann unmittelbar die Form klassisch magischer Praktiken an. Und doch enthält die Abfolge von Schritten, die bis zu dieser letzten Konsequenz führt, an keiner Stelle irgendein neues Element in der Art, wie man Versuche konstruiert oder begründet – die Regeln der Erfahrungsverwertung bleiben dieselben wie die, die beim einfachen Abwandeln und Modifizieren und Ersetzen einer nicht mehr erfolgreichen Praktik zugrundegelegt werden, und sie ändern sich nicht, wenn von dort weitergegangen wird zu den im eigentlichen Sinn abergläubischen Techniken des Suchens nach und Achtens auf Vorzeichen für generell Schädliches, oder Schädliches, das den Erfolg von Handlungen einer bestimmten Art bedroht, oder wenn es um das Finden und Erfinden von Techniken geht, um üble Einflüsse und Gefahren, sie mögen mit oder ohne Vorzeichen vorkommen, auszuschalten: All diese Arten, praktische Versuche abzuleiten aus Erfahrung (durch Verwertung von Einzelfällen, oder Entdeckung der Gemeinsamkeit von Paaren solcher Fällen, oder gar einer ganzen Reihe solcher Fälle) lassen sich immer auf dasselbe einfache Grundmuster des Lernens aus Erfahrung reduzieren – bis dann am Ende die Versuche stehen, sein Glück zu vermehren, spätestens in Zeiten massiven Unglücks. Was ist das Muster – und wo ist das Problem dabei?

Zunächst mal ist es (wie bereits gezeigt) das „heuristische“ Muster des Erkundens der Beschaffenheit und Grenzen der eigenen Handlungs-, Konzentrations- und Aufmerksamkeits-Spielräume mithilfe von Gefühlen (der Befriedigung, Erschöpfung, Stärke oder schwäche u.a.) – was wiederum unmittelbares Wissen um die und Bekanntschaft mit der Dimensionierung und Einteilung der Gebilde in Unter-Abteilungenv voraussetzt, mit denen man es dabei zu tun hat, nämlich der genannten Spielräume. PLAN-Menschen dehnen diese Formen von Erkundung durch Gefühlseffekte und unmittelbaren Wissens um die für den Wissenserwerb relevanten Dimensionen und Unter-Abteilungen auf ihre gesamte Praxis aus – worin dann all jene Umgebungsbestandteile eingeschlossen sind, die für diese Praxis praktisch bedeutsam sind (gleich, ob sie bereits bekannt sind oder nicht).
Auf den ersten Blick würde man annehmen, dass sich das Abwandeln oder auch Ersetzen von bislang erfolgreichen Einzelpraktiken (um eine beschädigte oder plötzlich nicht mehr funktionierende Praxis zu reparieren) sich irgendwie an technischer Wirksamkeit orientieren muss. Aber man darf dabei nie vergessen, dass PLAN-Menschen sich weder über die Ursache für das Gelingen, noch das Misslingen einer Praktik und der in ihr verwendeten Technik im klaren sind: Für sie IST Ausführung der bisher erfolgreichen Handlungen die einzig bekannte und auch hinreichende „Ursache“ für die je als nächste anstehende Wirkung – alles Handeln, das nicht zum erwarteten Erfolg führt (oder die beabsichtigte Wirkung hat), stellt bereits eine Anomalie dar in einer Welt, wie sie nach der Vorstellung, die ein PLAN-Mensch von ihr hat, einzig Sinn macht. Schon von daher liegt es ja nahe, dass man erst einmal die Handlung in Teilen abwandelt, um ihre usprüngliche Zweckdienlichkeit wiederherzustellen, und auf Anteile der Umgebung achtet, die erkennbar im Vorfeld des Misserfolgs anders waren als sonst, somit möglicherweise die Routinetechnik störten. Allerdings liegen einem PLAN-Praktiker Vorstellungen fern von irgendwelchen Kausalzusammenhängen, aufgrund deren man die Schadeinwirkung des störenden Geschehnisses erklären oder nach einer solchen suchen könnte – so, wie er ja auch nicht systematisch Hypothesen hinsichtlich solcher Zusammenhänge testen wird.
Das einzige Experiment, zu dem er sich aufraffen wird, ist, den möglichen Übeltäter, falls man kann, aus dem Umfeld zu entfernen, und zu sehen, ob es dann wieder geht.


(Forts.)