1.
Allem Planen und Entscheiden liegen Erwartungen zugrunde.
Einmal Erwartungen, dass wir etwas können, und über Möglichkeiten im guten Sinn verfügen – also über Mittel, Kenntnisse, Fähigkeiten, und Chancen zu ihrer Erweiterung. Zum andern Erwartungen, dass etwas Schlimmes geschehen kann, wenn wir es nicht abwenden, mildern oder beseitigen, nämlich Beschädigung, Veralten, Verschleiss, Verfall unserer Mittel, Kenntnisse, Fähigkeiten, und Chancen.
Solche guten (Könnens-) und schlimmen (Schadens-) Möglichkeiten lagern sich, mehr oder weniger tief gestaffelt und in unterschiedlichsten Richtungen in die Zukunft weisend, um den „Jetzt“-Punkt und seine unmittelbar nächsten Möglichkeiten herum: Jetzt können wir noch nicht alles, aber wir können unsere gegenwärtigen Möglichkeiten nutzen, um demnächst mehr und Weitergehendes zu können.
Gute und schlimme Möglichkeiten können wir weiter untergliedern: nach ihrer zeitlichen Tiefe und Reichweite; und nach dem Mass, in dem sie von unserem Handeln abhängen: ob sie von selbst stattfinden, und dabei unbeeinflussbar sind (und wie gut dann vorhersehbar sind), oder ob mehr oder weniger kontrollierbar. – Schliesslich gibt es noch eine Unterscheidung, die an der Gesamtheit der so untergliederten, und entlang solcher Skalen angeordneten Möglichkeiten zu einem Zeitpunkt ansetzt, und zwar die folgende.
2.
Einzeln und für sich betrachtet, reicht unser technisches Können, bezogen auf Einzeleffekte, oft sehr weit: Dies oder jenes würden wir können, wenn wir uns ausschliesslich darauf konzentrieren würden – wie in einem Werkzeugkasten können wir, in der Vorstellung, diese mehr oder weniger weit reichenden, mehr oder weniger verlässlichen, mehr oder weniger robusten technischen Möglichkeiten nebeneinander legen; wo sie allerdings blosse Möglichkeiten, blosse Vorstellungen bleiben. Ganz ähnlich können wir verfahren mit den uns bekannten objektiven Chancen und Risiken: Je weiter wir in die Zukunft sehen, desto mehr könnte (unabhängig von dem, was wir tun oder lassen) der Fall sein – desto mehr könnte unser Schicksal sich verzweigen, zum Guten oder Schlechten, je nachdem, was uns alles begegnen könnte. – Dann haben wir zwei Listen von „blossen“ Möglichkeiten.
Aber bekannte Chancen nutzen, und vorhersehbare Gefahren ausschalten bedeutet: Am rechten Ort, zur rechten Zeit mit solchem Können (aus Liste 1) präsent zu sein, und es handelnd zu realisieren, dass wir damit der dann und dort erwarteten guten oder schlimmen Situation (einer der in Liste 2 aufgezählten) gerecht werden. Zur Vorbereitung darauf haben wir meist längst weitere Techniken gezielt nach- und nebeneinander eingesetzt, dabei weitere Chancen genutzt, weitere Risiken (Anfälligkeiten unserer Technik gegen Schadeinwirkungen) berücksichtigt. Für all diese Techniken während der Vorbereitung, so wie bereits für die Anfangs-Mittel usw. zu Beginn („jetzt“) und die in der Folge-Zeit verfügbaren handlungsunabhängigen Ressourcen („Chancen“: nutzbare Räume, Stoffe, Energien) gilt: Sie sind nicht beliebig vorhanden, sondern können nur begrenzt eingesetzt werden, und stehen dann nicht mehr, oder nicht zur gleichen Zeit, im gleichen Umfang, in gleicher Qualität für andres zur Verfügung – dem sie, grundsätzlich (der „blossen Möglichkeit“ nach) genauso gut hätten dienen können; um so mehr, wenn auch noch die Risiken der von uns gewählten Vorgehensweise berücksichtigt werden. Mit anderen Worten: Wir können immer nur ausgewählte Könnens-Möglichkeiten auf ausgewählte Randbedingungen beziehen – nur so ergeben sich Pläne; deren aber jeder jeden anderen ausschliesst.
Die Unterscheidung, die Ende des Abs.1 angekündigt wurde, ist also die zwischen blossen Möglichkeiten (begründet auf Erwartungen), und denjenigen unter ihnen, die tatsächlich in dem von uns gewählten Plan, ausgehend von den zu diesem Zeitpunkt bekannten und vorhandenen Mitteln usw. bzw.Chancen und Risiken, ergriffen, genutzt und berücksichtigt werden, soweit dadurch die Nutzung und Berücksichtigung anderer ausgeschlossen ist: Diese tatsächlich genutzten und dabei andere ausschliessenden Möglichkeiten sollen unser (tatsächliches) „Können“ heissen.
3.
Betrachten wir genauer, wie diese Zusammenfügung ausgewählter Techniken mit ebenso ausgewählten Risiken bzw. Chancen zu einem Plan (der andre ausschliesst) stattfindet.
Wir haben gesagt: Alles, zumindest das meiste oder vieles von dem, was wir zu einem gegebnen Zeitpunkt können und kennen, verdirbt, verfällt, verbraucht sich ständig, und muss in Gestalt produktiver Handlungen so genutzt und verausgabt werden, dass es ständig erneuert, vermehrt, verbessert wird. Diese produktiven Handlungen müssen allerdings sinnvoll auf andre solche Handlungen abgestimmt sein; jede von ihnen trägt ja zur Erfüllung der Eingangs-Anforderungen oder Randbedingungen anderer solcher Handlungen bei, die ihrerseits zu denen weiterer beitragen, bis sich, nach vielen Verzweigungen, Schleifen und Entnahmen von Überschüssen, der Kreis schliesst. Dieser Kreislauf wird, ausser aus den Natur-Ressourcen, die wir in ihn einfliessen lassen, nur noch gespeist und erhalten durch seine eignen Erzeugnisse. Und das ist von Anfang an so – also bereits „jetzt, im Ausgangspunkt unserer Planungen“.
Die sich verbrauchenden Ausgangs-Momente unseres Könnens (oder das, was durch ihre Herstellung verbraucht wird), können nicht anderswo oder später noch einmal eingesetzt werden, müssen also von Anfang an so verteilt werden, dass der Kreislauf dieselben oder sogar verbesserte Momente des Könnens erneut rechtzeitig und am rechten Ort bereitstellt, das heisst, sie, also sich „reproduziert“.
4.
Alle Erzeugnisse des Kreislaufs können entweder zur Aufrechterhaltung des bestehenden Kreislaufs eingesetzt werden, aber auch dazu, einmalig oder wiederholt neu hinzukommende Anteile des Kreislaufs in Gang zu setzen und bestehende Anteile produktiver zu machen (sodass mehr Überschüsse als bisher entstehen), schliesslich auch dazu, allgemeine Randbedingungen, etwa die Sicherheit vor Schäden, zu verbessern. Die Entnahmen für Produktivitätssteigerung und Sicherheit dürfen allerdings nicht so gross sein, dass der Kreislauf aus Mangel an einem Erzeugnis auf ein niedrigeres, oder sogar – bei gleichbleibend zu hohen Entnahmen – auf fortschreitend tiefere Niveaus fällt, bis er das Grenzniveau seiner Reproduktivität unterschreitet, und die in ihm anfallenden Erzeugnisse nicht mehr ausreichen, um ihre eigene Erzeugung zu ermöglichen, sodass er unaufhaltsam zusammenbricht. „Überschuss“ ist dann diejenige Menge eines Erzeugnisses oder einer Ressource, die einmalig, befristet, oder dauerhaft entnommen werden kann, ohne das Niveau des sie erzeugenden Kreislaufs abzusenken. Die Reproduktivität eines Kreislaufs auf gegebnem Niveau, also seine Fähigkeit, sich ohne zu schrumpfen dauerhaft auf diesem Niveau zu halten (und dabei womöglich gleichbleibend Überschüsse abzuwerfen), hängt aber eben nicht nur davon ab, „dass der Kreislauf die… Momente des Könnens rechtzeitig und am rechten Ort bereitstellt“ (vgl. Abs.3), sondern dass, über diese in den Kreislauf selbst zurückfliessenden Könnensmomente hinaus, weitere Könnensmomente in Verhinderung, Minderung oder Kompensation von Schadereignissen investiert werden. Erst jenseits dessen, was an Erzeugnissen des Kreislaufs für Massnahmen dieser Art aufgewandt werden muss, kann demnach von „Überschuss“ im eigentlichen Sinn gesprochen werden – also von Könnensmomenten, die nicht zur Aufrechterhaltung des gegebnen Niveaus eines Kreislaufs (einer „Reproduktion“) nötig sind. – Die Bestimmung dessen, worin Überschuss besteht, setzt somit Bestimmung dessen voraus, was zur Schadensvorsorge nötig ist, und worin das auf jeden Fall und mit allen Mitteln zu Schützende besteht. (Man könnte es das „Selbst“ nennen, das von Anfang an da ist und durch alle Erweiterungen hindurch erhalten bleiben muss.)
5.
Die Absicherung einer laufenden Reproduktion („Selbst-Erhaltung“) gegen alle bekannten oder gar denkbaren Gefahren ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, für deren Erfüllung womöglich alles eingesetzt werden muss, was nicht unbedingt zur unmittelbaren Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Reproduktionsniveaus dient. Und selbst dann reicht das verfügbare Können meist nicht aus, um allen bekannten Risiken gerecht zu werden; man muss Prioritäten setzen. Vor allem muss man vermeiden, dass die „Grenze der Reproduktivität“ unterschritten wird – denn das wäre gleichbedeutend mit Vernichtung. – Wir werden dann zunächst einmal all jene Schäden, Schadens-Serien oder Schadens-Kombinationen hintanstellen, deren Eintreten uns unmittelbar zwar auf ein tieferes, aber noch immer stabiles Niveau zurückwirft, was heisst, dass dabei selbst im schlimmsten Fall die „Grenze der Reproduktivität“ nicht unterschritten wird; durch Gebrauch der – auf dem niedrigeren Niveau, auf das wir dann zurückgefallen sind, niedriger ausfallenden – Überschüsse könnten wir nach dem Rückschlag allmählich wieder zum Ausgangs-Niveau zurückkehren.
Schon das Zurückfallen auf ein niedrigeres Niveau, oder das Stagnieren auf einem solchen, ist schlimm genug. Je mehr einzeln bewältigbare Schäden aber in je kürzeren Fristen hintereinander auftreten, desto mehr nähern sich diese Häufungen in ihren kumulativen Wirkungen denen eines katastrophalen Gross-Ereignisses an. Daraus folgt:
Ein stabiles, aber niedrigeres Reproduktions-Niveau, auf das wir durch Beschädigung eines höheren zurückfallen, mag zwar weniger schadensanfällig sein (die auf jedem Niveau zum Einsatz kommenden Techniken, und dadurch das Niveau selbst, haben ja ihre je eigenen, speziellen Risiko- und Bedrohtheitsprofile durch „schlimme Möglichkeiten“); andererseits sind auch die absoluten („guten“) Möglichkeiten aktiver Schadensabwehr auf diesem Niveau geringer. – Man könnte von „passiver Robustheit“ durch geringere Schadempfindlichkeit (ohne besondere Zusatzmassnahmen) einerseits, und von „aktiver“, durch höhere Schadens-Abwehr- und -Vorsorge-Fähigkeit (die allerdings auch, unter Verbrauch von Ressourcen, umgesetzt werden muss) andererseits sprechen. Die Vorteile geringerer Empfindlichkeit primitiverer Produktionsweisen gegenüber Einzel-Bedrohungen, d.h. ihrer passiven Robustheit, relativieren sich also auf Dauer, weil jede Einbusse an Schadens-Vorsorge-Fähigkeit sie zugleich anfälliger gegen Kombinationen oder Häufungen von Schadereignissen macht, also ihre aktive Robustheit vermindert. – Das begründet die Notwendigkeit, auf Dauer die anfängliche Einfachheit unserer Reproduktion zu überwinden, und uns mit Stagnation auf primitiven, wenn auch passiv-robusten Produktivitätsniveaus nicht abzufinden.
6.
Wenn und soweit wir gegen Schadensdrohungen überhaupt vorgehen können, dann grundsätzlich auf zwei Weisen: Entweder, wir verhindern von vorneherein ihr Zustandekommen, oder wir bereiten uns darauf vor, nach ihrem Eintreffen die Folgen schnellstmöglich zu beseitigen (und falls möglich, prophylaktisch zu mildern). Würde uns eins von beiden hinsichtlich einer Schadensart zwanglos und ohne grosse Kosten gelingen, durch eine kleine Korrektur unserer Lebensform, oder einen einmaligen Aufwand, der sich in unserem Gesamtbudget hernach nirgendwo mehr als Mangel bemerkbar macht, dann könnte man den betreffenden Schaden beinah wie einen behandeln, der nicht existiert. Als Siedler können wir beispielsweise geschickt den Ort für eine Dorf-Neugründung auswählen, und damit von vorneherein zahllose bekannte Risiken durch ungünstige Lebens- und Wohnbedingungen ausschliessen; oder: vorbeugende medizinische Massnahmen ergreifen, wie Impfungen. Mit anderen Worten: Wir haben, vorübergehend, oder auf Dauer, einen bestimmten Bereich unserer Reproduktion „passiv robust“ gemacht. – Der häufigere Fall ist aber, dass wir unter ständigem Verbrauch von Ressourcen „aktive“ Robustheit schaffen müssen, sodass auch die Schadensabwehr oder -vorsorge, im Mass wie sie Aufwand kostet, unsere Reproduktion beschädigt und beschränkt, als wäre sie selbst ein Schaden – nur eben ein geringerer als der zu verhindernde oder zu neutralisierende. Alle Schadensbekämpfung durch Schaffung aktiver Robustheit ist also zunächst nur Schadensminderung; das eigentliche Ziel müsste die Schadensbeseitigung für immer sein – die allmähliche Wandlung aller Schäden in harmlose von der eben beschriebenen Art, die keinen, oder zumindest weniger Aufwand kosten – und das auf Dauer.
Wir haben also diese zwei Möglichkeiten, uns in Richtung der Steigerung der Gesamt-Robustheit unserer Reproduktion und somit der Erzeugung „wirklichen“ Überschusses vorzuarbeiten: erstens, durch vorübergehende Eingriffe die Kosten vorerst nicht passivierbarer aktiver Robustheit zu senken, indem wir die Produktivität der Erzeugung dieser Robustheit erhöhen; oder zweitens: Passivierung von Robustheit selbst, also dauerhafte Senkung des Aufwands zur Schadensvorsorge, -minderung und -kompensation; ebenfalls durch einmalige und vorübergehende Eingriffe. Beides wirkt in die gleiche Richtung – Ressourcen werden frei, um noch weitergehende Wirkungen, in der gleichen Richtung, zu erzielen. Aber beides kostet auch, und sei es vorübergehend, Ressourcen.
7.
Angesichts der Vielfalt denkbarer Risiken, vor allem den zusätzlichen Risiken durch zusammentreffende Schadens-Realisierungen, fällt es schwer, die „Grenze der Reproduktivität“ einer gegebnen Reproduktion, so wie sie definiert wurde, nämlich als einen in sie eingebetteten Teil-Kreislauf von ihr anzugeben, der intakt bleiben muss, in den also vorab pro Zeiteinheit bestimmte Teile des Gesamt-Outputs zurückfliessen müssen, wenn nicht auch dieser Minimal-Kreislauf unter den fortlaufend zu erwartenden Beschädigungen unaufhaltsam zusammenbrechen soll – Beschädigungen, gegen die, aus ihm heraus, nichts Verhinderndes oder Kompensierendes mehr unternommen werden kann (oder wenn, dann nur so, dass der nötige Rückfluss an Mitteln usw. ausbleibt). Wir können schon darum keine solche Grenze festlegen, weil keine Reproduktion, wie hoch auch immer sie entwickelt sein mag, wirklich alle gegen sie gerichteten Risiken aus sich heraus auszuschalten in der Lage ist: Absolute Überlebensfähigkeit und Robustheit unter ALLEN Umständen ist eine Utopie. Unter der idealisierenden Annahme, dass wir die Eintritts-Wahrscheinlichkeiten der uns bekannten Schadeinwirkungen kennen, können wir einen Schätzwert für die Gesamt-Wahrscheinlichkeit des Zusammenbruchs unserer gegenwärtigen Repoduktion bestimmen; und natürlich wird Senkung dieser Grösse, möglichst weitgehend, schnell, und nachhaltig, unser Ziel sein. Wir haben auch, zumindest abstrakt, im vorigen Abs. das Mittel genannt, um diese Absenkungen (oder umgekehrt: Robustheits-Steigerungen) herbeizuführen: vorübergehend ressourcenverbrauchende, dafür mehr oder weniger schnell und nachhaltig mehr oder weniger Ressourcen freisetzende Produktivitätssteigerungen (für direkte Passivierung von Robustheit oder ressourcensparendere Bereitstellung der Aufwände für aktive Robustheit).
8.
Unter diesen Voraussetzungen ergibt sich dann ein erstes Dilemma, das uns die Setzung einer ersten Art von Prioritäten in der Verfolgung unserer Ziele aus einer gegebnen Reproduktion heraus aufnötigt. – Die Schwierigkeit liegt im Wort: vorübergehend ressourcenverbrauchend; denn wieviel Wirkung sich an Robustheits-Steigerungen, indirekt also Zusammenbruchs-Risiko-Senkungen, auf diese Weise auch einstellen mag: Für eben diese mehr oder weniger lange, wenn auch „vorübergehende“ Dauer fehlen uns diese Ressourcen bei der Aufrechterhaltung aktiver Robustheit; wir nehmen also aktuelle Bedrohung inkauf, um sie künftig zu vermeiden. Man könnte somit sagen: Minimierung des Zusammenbruchs-Risikos auf Dauer sagt nichts darüber, wie wir den zwischenzeitlichen Verlauf dieser Grösse zu gestalten haben. Das kann man auch so ausdrücken: Wir müssen zu jedem Zeitpunkt bestimmen, welchen Teil des ständig nachfliessenden Outputs unserer Reproduktion wir (in Aufrechterhaltung ressourcenverbrauchender, „aktiver“ Robustheit) „zurückfliessen“ lassen „müssen“, weil wir das als für den Erhalt dieser Reproduktion unerlässlich ansehen – und welchen Teil wir in einmalige („vorübergehende“) Investitionen fliessen lassen können, wobei wir bewusst, über die Dauer dieser „vorübergehenden“ Entnahme, Sicherheits-Einbussen inkaufnehmen, die sich aus unterlassenen Massnahmen zur Schaffung aktiver Robustheit ergeben – darum, weil der zu erwartende Erfolg solche vorübergehenden Unterlassungen rechtfertigt (sie „lohnen“ sich).
Die Gesamtheit der Parameter, mit denen wir angeben, wieviel vorübergehende Zusatz-Gefährdung für wie dauerhafte zukünftige Zusatz-Sicherheit (als Zusatz-Ressourcen und -Optionen bei der Schaffung aktiver Robustheit, oder als nachhaltige Passivierung von Robustheit, mit der Nebenfolge einer Freisetzung bis dahin gebundener Ressourcen) wir inkaufnehmen, könnte in unserem „existenziellen“ Selbsterhaltungs-Szenario vielleicht als Analogon dessen aufgefasst werden, was man sonst „Zeitpräferenz“ genannt hat.
9.
Und genau diese Unterscheidung zwischen dem, was vorübergehend bei der Reproduktion entbehrlich ist (und sei es, im Extremfall, weil man anders glaubt nicht aus einer Stagnation herauskommen zu können), und dem was nicht (sondern zur Erhaltung des Status quo uns unerlässlich scheint) – genau dies ist die Schätzung, oder Einschätzung unseres gegenwärtigen Reproduktionsniveaus: „Überschuss“ ist dabei assoziiert mit immer neuem „vorübergehenden“ Produkt-Abfluss, „Rückfluss“ mit „Dauerhaftigkeit“ und „Gefährdung“ (und sei es, dass wir durch erstmalige Installierung eines Produktflusses, um eine spezielle Art von „aktiver Robustheit“ zu erzeugen, unser Reproduktionsniveau auf diese Weise erhöht hätten; ab dann soll diese Erhöhung dauern, so wie unsere gesamte sonstige Reproduktion auch andauern soll – wir wollen nicht mehr dahinter zurückfallen; wäre uns dieser Rückfall gleichgültig, hätten wir den Produktfluss ja auch auf etwas „vorübergehendes“ (und immer wieder andres vorübergehendes) richten können (denn die zugrundeliegende Reproduktion, wenn sie nicht irgendwann durch sich realisierende Bedrohungen zurückgeworfen wird, wird diesen Produktfluss (Güter pro Zeit), den wir hier oder dorthin lenken können, in Zukunft immer weiter erzeugen).
Durch die Entscheidungen (und die Prinzipien, Präferenzen, Prioritätensetzungen, die zu ihnen führen), die das pro Zeit anfallende Gesamt-Produkt (oder denjenigen Anteil von ihm, der überhaupt die Frage einer solchen Aufteilung aufwirft) in diese beiden Abteilungen zerlegen, ordnen wir den beiden verschiedenen Produktions-Linien oder (wenn wir sie kombiniert denken) -Strömen auch verschiedene Gefährdungs-Formen zu; denn nicht nur gibt es in unserer Reproduktion etwas unmittelbar und jederzeit Bedrohtes (und solang es irgend geht zu Erhaltendes), sondern auch unsere weitergehenden Versuche, in denen wir von dem fraglichen Überschuss-Produktfluss (als Anteil des gesamten anfallenden Produkt-Flusses pro Zeit) diesen oder jenen Gebrauch machen, sind gefährdet, und Risiken ausgesetzt.
10.
Jede Aufspaltung eines aktuellen Gesamtprodukts-pro-Zeit in Überschuss (für vorübergehende Investitionen in Produktivitätssteigerungen oder Passivierung von Robustheit) und notwendigen Rückfluss hat eine Voraussetzung, nämlich dass die aktuellen Risiken, gegen die wir in Form von aktiver oder passiver Robustheit Vorkehrungen treffen, hinsichtlich ihrer Grösse bekannt und einordenbar sind. Die Skala, auf der wir diese Einordnung vornehmen, ist die Rangskala der früheren oder niedrigeren Reproduktionsniveaus, auf die uns ein drohender Schaden zurückwerfen könnte. (Also eine rekursive Definition…)
((Prioritäten-Überlegungen setzen immer die Einordenbarkeit der zur Auswahl stehenden Alternativen in eine Rangreihe voraus, dh. ihre Vergleichbarkeit hinsichtlich der Relationen gleichrangig und nachrangig, und deswegen „gleich gut wie…“ oder „schlechter als…“. Selbst wenn nicht immer das Niveau jeder einzelnen Reproduktion mit dem jeder anderen verglichen werden kann (weil wir zum Beispiel darin eine Kette aufeinanderfolgender Robustheits-Passivierungen und Produktivitätserhöhungen abarbeiten, von denen jeder Einzelschritt nur Sinn macht, wenn auch der nächste stattfindet – weil durch den ersten gezielt Produkte freigesetzt werden, die für den zweiten benötigt werden), muss es möglich sein, dass jede für sich in ein Netzwerk möglicher Niveau-Übergänge zu anderen Reproduktionen eingebettet ist, an dessen sämtlichen Endpunkten Reproduktionen stehen, deren Niveaus in einer solchen Rang-Reihe eingeordnet werden können. (Diese relativ zu andern als gleich- oder nachrangig beurteilbaren Reproduktionen müssen Knoten sein, von denen aus verschiedene Optionen für eine Niveau-Erhöhung möglich sein müssen; jede dieser Optionen mag wiederum entweder mit anderen Reproduktionen hinsichtlich ihres Niveaus verglichen werden können, oder auf eine Reproduktion hinauslaufen, die mit anderen verglichen werden kann).))
Jener Teil des fraglichen Produkt-Flusses, den wir durch unsere Aufspaltungs-Entscheidung dem „Rückfluss“ zuweisen (weil er „aktive Robustheit“ aufrechterhalten muss), und sei es auch, dass dies zum ersten Mal geschieht, und somit eine dauerhafte Erhöhung des Niveaus unserer Reproduktion bedeutet (weil einer Gefahr, wenn auch unter andauerndem Aufwand, vorgebeugt wird, oder die Folgen ihrer Realisierung gemildert oder neutralisiert werden können, wo dies vorher nicht möglich war) – jener Produktionszweig, der gerade diese spezielle Form aktiver Robustheit erzeugt (und damit irgendwelche anderen, unentbehrlichen Zweige unserer Gesamt-Reproduktion gegen Risiken sichert), unterliegt seinerseits Risiken; die Risiken der (ständig ressourcen-verbrauchenden, also aktiven) Schutz-Massnahmen tragen zum Gesamt-Risiko der durch sie geschützten Produktionen bei, oder stellen sogar in ihrer Gesamtheit dies Risiko dar (wenn auch in reduziertem Ausmass, verglichen mit dem Zustand ohne solchen Schutz), sofern den geschützten Produktionen nicht noch andere bekannte Risiken drohen.
Wir können dann die gesamte Reproduktion auffassen als eine Schichtenfolge aufeinander aufbauender aktiver Schutz-Mechanismen – jeder Zusammenbruch eines weiter „aussen“ gelegenen aktiven Schutzes macht einen direkt von ihm abhängigen Schutz-Mechanismus anfälliger gegen die ihn bedrohenden Gefahren; und so weiter – die Ausdünnung dieser Schutz-Hülle durch Ab- und Auflösung ihrer Schichten von „aussen“ her (gleichbedeutend mit dem Rückfall auf schlechtere, gefährdetere Reproduktions-Niveaus) gefährdet immer mehr den innersten Kern, das sich selbst Erhaltende und in dieser Selbsterhaltung gefährdete „Selbst“ (zugleich das unbedingt und in jedem Fall, durch gleich welche Zusammenbrüche hindurch Erhaltenswerte, mit dessen Zusammenbruch uns die Grundlage allen Planens entzogen würde) – und müsste mit entsprechender Dringlichkeit verhindert werden.
Vorausgesetzt ist dabei, dass das Mass der relativen Häufigkeit, mit der sich eine Gefahr realisiert, und des Aufwands, den es kostet, die Folgen dieser Realisierung (wenn man nicht darauf vorbereitet ist) zu beseitigen, für alle Gefahren bekannt ist.
11.
Wenn aber nicht: dann gibt es die Möglichkeit, dass vorübergehende oder dauerhafte Massnahmen der Risikovorsorge (wie am Ende von Abs.9 beschrieben) ihrerseits Gefahren ausgesetzt sind, deren „Riskantheit“ in diesen beiden, gerade (Ende Abs. 10) benannten Hinsichten uns nicht bekannt ist. – Daraus ergibt sich eine zweite Art von (Entscheidungs-) Dilemma, das wir durch eine entsprechende eigene Art von Prioritätenregeln lösen müssen; man kann es vielleicht als Pendant dessen auffassen, was „Risikopräferenz“ genannt wurde.
Ein qualitativ, aber nicht quantitativ bekanntes Risiko lässt zwar die Frage zu, durch Effekte welcher Art es grundsätzlich verhindert, oder gemildert und neutralisiert werden könnte. Die produktiven Lösungen, solche Effekte (und somit aktive oder passive Robustheit verschiedener Produktionen bezüglich dieses Risikos) zustandezubringen, müssen aber unter Umständen völlig unterschiedlich ausfallen, je nachdem, welche Grössenordnung sie haben sollen. Im simpelsten Fall gibt es eine quantitative Abhängigkeit zwischen einem (vorübergehenden oder dauerhaften) Güterfluss pro Zeit, und dem entsprechend zu vergrössernden Effekt; meist aber gibt es (physikalische) Schwellen, jenseits deren ein vergleichbarer, aber grösserer Effekt nur durch gänzlich andere technische Lösungen zustandegebracht werden kann.
Die beiden Ende Abs. 9 erwähnten ökonomischen Versionen des Fortschritts: Erweiterung der Reproduktion (durch Schaffung aktiver Robustheit für irgendeinen „darunterliegenden“ und bereits existierenden Bestandteil unserer laufenden Reproduktion), oder einmalig-vorübergehende Investition in produktivitätserhöhende (speziell vorhandene Robustheit passivierende oder neue, passive Robustheit schaffende) Massnahmen, unterliegen dann analogen „Gefährdungen“ durch Fehl-Entscheidungen: Wir können zuviel, und zu wenig aufwenden. Das eine, zuviel, bedeutet, in einer immer knappen, immer gefährdeten Situation: die „Grenze der Reproduktivität“ unnötig hoch ansetzen, und Ressourcen vergeuden, die anderswo bereits für Sicherheit sorgen könnten; das andre: ebenfalls Ressourcen vergeudet haben, und obendrein sich in Schein-Sicherheit wiegen – in Anbetracht deren man bereits weitergehende Lösungen nachrangiger Probleme anzielt, während ein vorrangiges in Wahrheit noch nicht gelöst ist (derart, dass der Erfolg der weitergehenden Problemlösungen womöglich sogar von der erfolgreichen Lösung des vorrangigen Problems, und der durch diese Lösung geschaffenen „Sicherheit“ abhängen).
12.
Grob gesagt, laufen Prioritätensetzungen zur Lösung dieses Dilemmas also darauf hinaus, sich hinsichtlich einzelner, qualitativ bekannter Risiken „pessimistischer“ oder „optimistischer“ zu verhalten. Zu pessimistisch zu sein bedeutet zugleich: mögliche Fortschritte unterlassen, oder erst später zuzulassen. Zu optimistisch zu sein bedeutet zugleich: Fortschritte auf unsicherer Basis zu unternehmen. Das Dilemma lässt sich somit charakterisieren als Konflikt zwischen Fortschritt und Sicherheit; aber da Fortschritt, im Rahmen unserer Darstellung, sich immer weiter nur um Sicherheit und Sicherung von, oder sichere Reproduktion dreht, könnte man den Konflikt einfach nur einen zwischen vor- und nachrangiger Sicherheit nennen, oder eben um Sicherheits-Prioritäten. Und genau darum ging es auch in dem zuerst genannten Dilemma; im Mass, wie die dort vorausgesetzten Informationsstände lückenhafter werden oder garnicht existieren, also Risiken, wenn überhaupt, nur noch qualitativ bekannt sind, verschmelzen die beiden Dilemmata. Aber auch unter diesen Prioritätensetzungen bleiben noch immer viele verschiedene einander in der gegebnen Situation ausschliessende Pläne; welchen dieser Pläne wir realisieren, hängt davon ab, welche Ziele wir uns letztlich überhaupt zu erreichen vornehmen – denn auch davon hängt es ab, welche Risiken wir dabei zwischenzeitlich inkaufnehmen wollen – darum, weil sie sich, angesichts dieser so gesetzten Fern-Ziele, lohnen. Was genau ist mit diesem Ausdruck „lohnendes Risiko“ gemeint? Eigentlich nur, dass die Anforderungen, die oben für Risiken überhaupt genannt wurden, durchgängig bis zum Ziel eingehalten werden müssen – dass Pläne nicht nur jetzt, sondern durchgängig, über die ganze Zeit ihrer Realisierung hinweg, mit den jeweiligen Überschüssen auskommen, dabei die jeweils bekannten möglichen Schäden berücksichtigen, und Bedürfnisbefriedigung und Reproduktion des nötigen Könnens auf jedem erreichten Zwischenniveau der Reproduktion gewährleisten müssen – im Mass, wie sie einen dieser Gesichtspunkte vernachlässigen, und „es drauf ankommen lassen“, sind sie dann eben riskant. Realisierung von Risiken heisst dann: Wir fallen in irgendeiner Weise zurück, verlieren Handlungsspielraum, den wir noch hätten, wenn die Gefahr sich nicht realisiert hätte. Im besten Fall müssen wir dann eine Phase unserer Plan-Umsetzung noch einmal durchlaufen, und verlieren Zeit, vielleicht auch Ressourcen; im schlimmeren Fall müssen wir einige unserer Ziele aufgeben, im schlimmsten Fall aber müssen wir nicht nur den gesamten Plan aufgeben, sondern stehen hernach auch viel schlechter da, als zu dem Zeitpunkt, wo wir uns für diesen Plan entschieden: Durch unser Scheitern können wir soviel Können eingebüsst haben, dass womöglich das meiste oder alles, das vormals als Alternative zum gewählten und hernach gescheiterten Plan möglich gewesen wäre, mit dem, was uns nach dem Scheitern geblieben ist, nicht mehr auszuführen ist.
13.
„Lohnende“ Pläne, oder kurz Lohnendes, bestünden dann durchgehend aus solchen Erweiterungen eines Ausgangs-Reproduktionsniveaus, bei denen noch das schlechteste End-Resultat, mit dem zu rechnen ist, besser als oder gleich gut ist wie jedes andere solche Resultat in einer Plan-Alternative, die aus der gleichen Anfangssituation heraus möglich gewesen wäre, hernach aber nicht mehr möglich ist. Ein Plan mag, in diesem Sinn, lohnend sein (oder zu den lohnendsten gehören) – wenn er gelingt; er mag sogar lohnender sein als andre – wenn er gelingt; aber es gibt diese Verzweigungen (vgl. Abs. 10, „Knoten“), an denen wir andre Optionen insofern definitiv zugunsten dieses Plans aufgeben, dass wir, indem wir diesen Plan verfolgen, in „Risiko-Zonen“ eintreten, die wir bei andern Optionen vermeiden – Risiken in Grössenordnungen, die Rückfälle auf Niveaus zulassen, von denen aus der „Knoten“ nicht wieder erreicht werden kann – so, dass wir beim zweiten Mal die „andre“ Option nicht mehr wählen können. Und genau dies wäre dann überhaupt die Definition einer „Knoten“-Reproduktion im eigentlichen Sinn: Dass von ihr aus Fortschrittspfade beschritten werden können, die zu Rückfällen und „Schleifen“ führen, aus denen heraus die Knoten-Reproduktion nicht mehr erreicht werden kann, das heisst, die nicht gewählte Option kann (muss aber nicht; hier sind Fallunterscheidungen möglich) im Fall bestimmter Risiko-Realisierungen irreversibel unerreichbar werden. Das muss nicht bedeuten, dass aus der Zone heraus, von der aus die ursprüngliche Alternativ-Option nicht mehr erreichbar ist, nicht wenigstens gleichwertige Endziele, wie von der Alternativ-Option aus, erreichbar sind. Trotzdem wäre der Verlust der Zugänglichkeit dieser Alternative, durch eine Risiko-Realisierung, ein Verlust an qualitativer Vielfalt unserer Optionen: Auf unbeeinflussbare Verschiebungen in den uns verfügbaren Ressourcen können wir dann nicht mehr so flexibel reagieren, wie zuvor. Unsere passive Robustheit hat sich – vielleicht nur ganz leicht – verringert.
14.
Aber wie sollen wir es bewerten, wenn die Wahl einer Option uns nicht nur in qualitativ andere Risiko-Zonen führt, sondern noch ungünstigere Möglichkeiten eröffnet – eben jene, die sich am Ende des Abs. 12 andeuteten? Mit „defensiven“ Formeln von der Art, wie wir sie bislang schon für unser Entscheiden herangezogen haben, könnten wir als „optimal“ jene Strategie ansehen, die die in der jeweiligen Risiko-Provinz verbliebenen „worst cases“ irreversibel ausschaltet.
Als „Risiko-Provinz“ eines Reproduktions-Niveaus sehen wir die Gesamtheit aller schlechtest-möglichen Fälle unter den überhaupt erwartbaren, die von ihm aus noch – durch Schadensrealisierungen – erreicht werden können. Das sind natürlich zunächst alle Weisen, die Grenze der Reproduktivität von ihm ausgehend zu unterschreiten, des weiteren aber auch alle von ihm aus, in bestimmten Schadensfällen, möglichen Stagnations-Reproduktionen, die man „aus eigener Kraft“ nur noch wieder verlassen könnte, indem man die Grenze der Reproduktivität unterschreitet.
Aber hier geht es ja um die Frage, welche Risiko-Provinzen wir in unseren Bemühungen um Sicherheit überhaupt erschliessen sollen; wie wir an den „Knoten“ entscheiden sollen, wenn wir dorthin gelangen, wo das Risikoprofil in einer Richtung tiefere Extreme aufweist als in eine andere.
Wir können diese Entscheidung nicht mit den bisherigen Strategien fällen; denn die hätten uns allenfalls vorgeschrieben, die „tieferliegenden“ Gefahren dieser Risiko-Provinz zuerst anzugehen; da wir es nicht getan haben, und nicht tun konnten, weil wir erst jetzt überhaupt die Option haben, solche Gefahren auf uns zu nehmen: sollen wir uns, im Namen unserer bisherigen Präferenzen, gegen diese Richtung entscheiden, weil hier das Risiko, statt konstant zu fallen, wieder steigt?
15.
Ob oder ob nicht wir an solchen Knoten Risiko-Erhöhungen tolerieren, hängt ganz offensichtlich davon ab, welchen Gesamtplan wir verfolgen: Welche Grade an Sicherheit wir uns zu erreichen überhaupt zutrauen. Diese Entscheidung legt fest, ob wir den Weg bis zu einem solchen Knoten nur als Vorbereitung ansehen, weil wir die dahinter liegenden Risiken in jedem Fall angehen wollen; oder ob nicht. ((Ob wir die Entscheidung erst an diesem Punkt treffen, oder vorher Prinzipien festgelegt haben, wie solche Entscheidungen zu treffen sind, oder ob wir gar vorweg uns eine Übersicht über sämtliche zur Auswahl anstehenden „Risiko-Provinzen“ verschaffen: Das macht dafür keinen Unterschied.)) Die Gesamtheit an Entscheidungen, Prinzipien, oder die Grenzziehung in einem von uns überhaupt in Betracht gezogenen Gebiet möglicher Reproduktions-Erweiterungen legt unser Gesamt-Anspruchsniveau fest: Unsere Schätzung, welche „späteren“ Risiko-Erhöhungen immer noch „lohnen“, weil wir sie von Anfang an zu denen zählen, die das, was wir als erhaltungswürdiges „Selbst“ auffassen, in einer Weise bedrohen, die wir als nicht tolerierbar ansehen. – Das kann man auch so umschreiben, dass wir das Endziel aller unserer Reproduktions-Erweiterungen ebenso behandeln, wie die Beseitigung aller Risiken der „Provinz“ eines Ausgangs-Reproduktions-Niveaus, hinter das wir zurückgefallen sind, und das wir wieder erreichen wollen – mit den rationalen, defensiven Prioritäten, wie wir sie bereits benannt haben. Die Schätzung dieses ursprünglich-maximalen Ausgangs-Niveaus, das wir wie eines behandeln, das sich dauerhaft halten lässt (umgekehrt gesagt: von dem aus sich fiktiv sämtliche Risiken all seiner Risiko-Provinzen beherrschen lassen), kann man als Pendant dessen ansehen, was in der Entscheidungstheorie „Nutzenpräferenz“ genannt wird. – Wir wollen dieses fiktive Ausgangs-Niveau „Optimum“ nennen.
16.
Aber damit sind wir noch nicht ans Ende möglicher Unsicherheiten gelangt. Denn wir können all die beschriebenen Entscheidungen nur treffen, wenn und soweit wir über Material in Gestalt von Kenntnissen verfügen: Kenntnisse von Eintritts-Wahrscheinlichkeiten, Gefahrenarten, und von unseren Möglichkeiten (im guten Sinn) und ihren Grenzen (durch Möglichkeiten im schlechten) generell. Diese Kenntnisse hatten wir zum Bestand unserer Mittel gezählt; und ganz ebenso, wie wir unsere Mittel und Fähigkeiten produktiver machen, könnten wir es auch mit unseren Kenntnissen tun; ganz so, wie produktivere Mittel unsere Optionen erweitern, könnten es auch unsere erweiterten Kenntnisse. Für Kenntnisse kann freilich auch das Gegenteil zutreffen: Sie können uns offenbaren, dass wir weniger Chancen haben, als wir dachten. Und insofern sind sie eben keine Mittel, sondern Bedingungen unseres Entscheidens. – Aber sind das Mittel nicht auch? Ist nicht, ob wir etwas können oder nicht können, auch allenfalls können werden oder (von da aus, wo wir starten) niemals erreichen werden, was unserem Entscheiden Grenzen zieht – eben jene, die wir in der Festlegung unserer Risiko- und Nutzenpräferenz abzuschätzen versuchen?
So könnte man Kenntnisse als vorgelagerte Mittel, den Kenntniserwerb als erweiterte Mittel-Produktion und Produktivitäts-Erhöhung ansehen. Aber der Nutzen, den wir speziell aus zusätzlich erworbenen Kenntnissen ziehen, ist sehr unterschiedlich; denn es käme vor allem darauf an, dass wir zusätzlich zu dem, was wir bereits wissen, erfahren, wann oder wo und mit welcher Intensität sich eine Gefahr WIRKLICH realisieren wird, und wann nicht (wo zuvor nur die Wahrscheinlichkeit bekannt war); welche präzisere Wahrscheinlichkeit, verglichen mit einer nur in groben Grenzen abschätzbaren, sich mit einer bestimmten Gefahr verbindet (grösser als der niedrige Schätzwert, geringer als der höhere); mit welchen Gefahren wir, zusätzlich zu bekannten, zu rechnen haben, oder mit welchen nicht.
17.
Nutzbringend wäre ein Wissen, das uns an sich vermeidbare Rückschläge erspart, und andererseits Sicherheitsaufwände zu reduzieren gestattet, die ohne es grösser hätten ausfallen müssen. Nicht nutzbringend hingegen sind alle Negativ-Informationen, die nur bestätigen, dass wir mit der Ablehnung von Optionen recht hatten. Nicht eigentlich nutzbringend wäre übrigens auch ein Wissenserwerb, der nur enthüllt, dass wir besser etwas anderes hätten tun sollen, und dass unsere Ressourcen, spätestens nach dem Aufwand, den wir getrieben haben, um unsere reale Lage zu erkunden, soweit erschöpft sind, dass diese Lage sich zugleich als hoffnungslos erweist. Speziell nützlich wiederum wäre Wissen, das Produktivität erhöht, speziell schädlich wären Wissens-Erwerbs-Aufwände für Produktivitätserhöhungen, die nur darauf hinauslaufen zu erkennen, dass etwas, das man versucht, nicht gelingen wird. An solchen Resultaten bemisst sich aber erst, ob, und wie sehr der Aufwand für Wissenserwerb lohnend war. Leider ist, angesichts der Tatsache, dass wir NIE mit hinreichendem Wissen ausgestattet sind, unser gesamtes Handeln dazu verurteilt, ein unfreiwilliger Wissenserwerb zu sein – indem es ein Versuchshandeln, ein permanentes Explorieren und Experimentieren ist, das immer weitergehend Rand-Bedingungen zutagetreten lässt, von denen wir zuvor nichts wussten, und die unsere Entscheidungsgrundlagen im nachhinein verändern: „Hätten wir’s doch vorher gewusst…!“ Das könnte uns dazu führen, diesen unfreiwilligen Wissenserwerb so sparsam wie möglich zu gestalten; sodass wir im Misserfolgsfall wenigstens möglichst wenig verlieren. Leider nützt uns das nichts; denn durchaus nicht selten treten Misserfolge gerade darum ein, weil wir nichts gewagt haben – das heisst, das Experiment nicht etwas anders gestaltet haben; das etwas andere, nämlich kühnere, Experiment hätte uns zugleich mit dem glücklichen Ausgang auch das Resultat geliefert, dass und wie er möglich war.
18.
So sind wir, spätestens im Zusammenhang mit dem Wissenserwerb, vor eine ungeheure Spannweite der Erwartungen und Optionen gestellt: Sowohl das auf Wirkung zielende Handeln selbst, als auch das zusätzliche, speziell auf zusätzlichen Wissenserwerb zielende (Suchen, Versuchen), es mag sparsam sein oder aufwendig, könnte zu Resultaten führen, die im Extremfall, wie eben beschrieben, darum, weil sie so stattgefunden haben, als DIESE Experimente, uns gerade die letzte Chance ruinieren, die wir bei anderer Gestaltung des Experiments noch gehabt hätten; und umgekehrt könnten Unterlassungen von Experimenten, Nichtstun, Zuwenigtun und Zuwenigwagen dasselbe bedeuten. Sodass wir, mehr als alles andere, werden Wissen erwerben wollen hinsichtlich der Frage: Wann wir zusätzliches Wissen brauchen, und wann nicht; wann wir etwas versuchen sollen, und wieviel wir dafür investieren sollen, und wann wir es lassen sollen, spätestens, nach wievielen Misserfolgen. Aber ob mit guten oder schlechten Grundlagen: Wir müssen entscheiden, welche Versuche wir machen, wie wir sie, vor allem wie aufwendig, gestalten, wie lang wir sie fortsetzen, oder im Misserfolgsfall wiederholen wollen, oder wann wir sie wie abändern, gänzlich aufgeben, zugunsten anderer aufgeben, und zugunsten welcher als nächster; usw. In all diesen Entscheidungen sind wir immerzu mit Risiken konfrontiert, ebenso wie mit den Folgen von Fehlentscheidungen, und haben allen Grund, uns Gedanken über den einzuschlagenden Weg zu machen.
Alles Planen, könnte man somit sagen, ist letztlich Planung unseres Wissenserwerbs oder LERNENS; alle Ökonomie letztlich eine „epistemische“; Ökonomie und Epistemologie sind, auf der „existenziellen“ Ebene, auf der wir sie betrachten, nicht zu trennen.
Die bisher entwickelten Präferenzen setzten ein – zumindest vorübergehend gültiges und gewisses – Teil-Wissen (ein abgestuftes Unwissen, abgestufte Ungewissheit) um Wahrscheinlichkeiten, qualitative Gefahrendrohungen, „regionale“ Gesamtheiten von Möglichkeiten der guten wie schlimmen Art, voraus. Angewandt auf so gewusste Tatbestände, liefern diese Präferenzen somit etwas wie rationelle (zumindest im Rahmen unserer Entscheidungen) Durchführungs-Richtlinien für DAS Experiment, das wir ständig zu machen gezwungen sind: das Experiment der Reproduktion – der Erhaltung unseres Selbst (dessen, was wir dafür erklären). Aber selbst das Wissen, das diesen Durchführungs-Richtlinien, oder den darauf bezüglichen Entscheidungen zugrundeliegt, kann sich ändern, indem es sich vermehrt; wieviel mehr gilt dies für die Gesamt-Erfahrung, aus der wir unsere Art zu lernen, dh. wo und wie wir lernen wollen, oder eben unsere „Wissens-Präferenz“, erschliessen: Wir lernen aus Erfahrung immer besser, wie wir aus Erfahrung lernen könnten – wir lernen zu lernen; zumindest ist dies unsere Hoffnung. – Sehen wir uns an, was daraus folgt.