1a. Vier WERTSPHÄREN der Moderne erklärt als Resultat ihres Hervorgehens aus der Vormoderne („Modernisierung“)

1.
Das Zentrum der Moderne, ihre allem Anschein nach nicht sinnvoll bestreitbare Leistung, ist ihre Wissenschaft – ihre Naturwissenschaft, genauer gesagt, im Kern die Physik, vor allem des Kleinsten und Elementarsten, und Chemie, der sich daraus ergebenden Zusammensetzungen und Strukturen (makroskopisch: Mineralien, Materialien usw.), ihrer Aggregatszustände und Qualitäten, Bewegungen und Qualitäts-Änderungen, der Dispositionen und Muster für Gleichbleiben und Sich Ändern. Dazu kommen die grossen unbelebten und dauerhaften Materie-Anhäufungen und Zusammenballungen, also alles, was Astronomie, Geophysik, Geologie, Geomorphologie usw. bearbeiten, einschliesslich der Vermutungen über räumlich und zeitlich Entferntes. Auf diesen Gebieten, so kann man sagen, werden im wesentlichen die in der ersten Abteilung gewonnenen Erkenntnisse ANGEWANDT, die Aussagen über die Anhäufungen, Komplexe, sich überlagernde Wirkungen möglichst ABGELEITET aus und ERKLÄRT mit dem, was man an Eigenschaften und Dispositionen der an den Komplexen beteiligten Elementar-Körper kennt.- daraus und damit, und der bestimmten Art ihrer geometrischen Anordnung im Komplex.
Auf „höheren“ Ebenen der Komplexität wird dasselbe versucht, nur mit komplexen Elementen, deren Eigenschaften derzeit noch nicht oder nicht vollständig aus denen der Elemente erklärt werden können, aus denen sie bestehen. Aber die Logik des Sortierens, der Suche nach „homogenen“ Sorten, Klassen von Dingen mit gleichen Eigenschaften und deren Zusammenwirken in grösseren Zusammenballungen, scheint auch hier zu greifen. Ein PRINZIPIELLER Unterschied zwischen einem Himmelskörper und, sagen wir, einer Zelle ist nicht zu erkennen; sofern Unterschiede benannt werden, scheinen Worte wie „komplex“ (auch als Massbegriff verstanden) auszureichen – und die Analogien, die verfügbar sind durch die Beschreibung der Funktionen von (u.U. wieder sehr „komplexen“) Automaten (mit erklärenden Zusätzen über deren „Unwahrscheinlichkeit“, thermodynamisch gesehen (als ob es dafür ein MASS gäbe!), und den dafür benötigten hohen Energieverbrauch (wenn etwas, ist ER das Mass für Rangstufen der Komplexität (=Unwahrscheinlichkeit?)). Andere oder womöglich „höhere“ Niveaus scheinen in den Terminologien nicht vorgesehen, mit denen diese Wissenschaft der „Natur“, uns und unsere Natur eingeschlossen, etwa als Medizin, gerecht zu werden versucht.

2.

Alles, was die mehr oder weniger komplexen lebenden Automaten zustandebringen, sind EFFEKTE. Und so, wie sich in ihrem Inneren die Effekte der Zellorganellen, Zellen, Gewebe, Organe überlagern und die physiologische Funktion quasi als Summationseffekt hervorbringen – so die Organismen in ihrem Zusammenwirken miteinander, untereinander. Der Gedanke an ZWECKMÄSSIGKEIT, worin sie besteht und welche Stufen sie aufweisen könnte (nachdem sie durch sich selbst stabilisierende Zufälle zustandekam) ist aus diesem Denken soweit getilgt, dass nicht einmal da, wo Zweckzuschreibungen fast unvermeidlich sind, bei uns selbst und unserem Handeln, der Begriff greift: Die Zweck-Definition ist auf dem tiefstmöglichen logischen Niveau angesiedelt, auf dem sich eine Begriffserklärung überhaupt halten kann, nämlich der des puren GEGENTEILS: Zweckhaftes, nämlich „willentliches“ Handeln soll „durch nichts determiniertes Handeln“ sein – wohingegen alles im Handeln, was nicht völlig verrückt und „willkürlich“ nicht-determiniert ist, schon wieder der die ganze Natur durchwaltenden Funktions-Erklärweise unterliegt: Es ist durch konstituierende Bestandteile VERURSACHT, und erzeugt im Verbund mit mehr oder weniger regelhaften Rand- und Umgebungsbedingungen EFFEKTE, unter denen, wenn auch prekär genug, die einstweilige Fortdauer der Existenz des so sich verhaltenden „Organismus“ vorkommt. Der höchste „Sinn“, zu dem sich dieser wahnwitzig verkürzte Natur- und Lebensbegriff vorarbeitet, ist der der Selbst-Behauptung in einer Welt von Feinden: Die Bio-Automaten sind permanent der Gefahr der Vernichtung ausgesetzt; wenn überhaupt etwas Konplexeres daist, dann verdankt es sich einem rasenden Prozess der ununterbrochenen Erzeugung von richtungsloser VIELFALT – unter den unzählbaren Variantenarten, die in der Welt des Lebens herumwimmeln, wird sich dann immer wieder auch die eine finden, die tauglicher oder einzig tauglich ist, um auf eine der sinnlosen Herausforderungen, die diese Welt der Unberechenbarkeit und des Chaos heimsuchen, zu antworten. Der nächsten wird sie erliegen, und so auch das Leben selbst, wenn es sich nicht in einer Maximalform von technischen Varianten dem Chaos entgegenwirft, und ihm durch rasende Produktivität (die selbst das Chaos noch an Chaotizität übertrifft) immer gerade einen Schritt voraus ist. – In kaum etwas lässt sich die Lebensform, die die Moderne für ihre Bewohner erzwingt, so trefflich zusammengefasst wiederfinden wie in diesem ihrem Bild von der belebten Natur (von der auch die modernen Menschen im Ausgang ein Teil sind, eine Position, der sie freilich so schnell wie möglich zu entkommen suchen.)

3.
In diesem Zerrbild von Natur, das zunächst und vor allem Ausdruck ist eines vollkommenen Mangels an Begreifen und Begriffen davon, was sie ist, gibt es keine Hierarchien: Eine Bakterienart, die sich mutmasslich seit einer Milliarde Jahren im wesentlichen unverändert erhält, steht neben uns, dem Homo sapiens, völlig auf derselben Stufe; kämen wir uns zufällig in die Quere, wäre nicht unbedingt ausgemacht, wer „gewinnt“, und eine Milliarde Jahre Überdauern müssen erstmal nachgemacht werden. Für solche Fristen ist der Mensch höchstwahrscheinlich „zu komplex“. Da es, ausser „Komplexität“, als Eigenschaft der hervorgebrachten Effekte, kein Bewertungs-Kriterium für „Höher-Entwicklung“ gibt, ist dieser Parameter einzig auf der Ebene der unermesslichen Automaten-Vielfalt angesiedelt – derjenigen der quasi technischen Klassifikationsmerkmale, nach denen man die „Baupläne“ der Organismen (hinsichtlich der innerorganismischen und Interaktions-Effekte mit der Umgebung) beschreiben kann: Komplexität ist nicht besser oder schlechter als, beispielsweise, Grösse und Gewicht, Hauptenergiequelle, Fortpflanzungsrate und -geschwindigkeit, Lebensdauer, oder das Temperaturoptimum für bestimmte Enzyme. Wie all diese technischen Automaten-Effekt-Parameter, sagt sie über den anschliessenden ERFOLG der damit ausgestatteten Organismen nicht das geringste.
Zwar wird in dem Chaos-Modell von Natur grade eben noch zugegeben, dass allzuviel Veränderungsstress irgendwie gobal destruktiv wirkt; dass der Begriff des Sich-Anpassens irgendwann seine Bedeutung verliert, wenn die Umgebung nur aus raffinierten Angreifern besteht, der als einzig zuverlässiges Element das tote Rückstandsmaterial der im Überlebenskampf Unterlegenen gegenübersteht, das sich den Weiterkämpfenden zur möglichst geschickten Wiederverwertung darbietet. Um „Stabilität“ im Bio-Chaos auch nur annähernd denken zu können, muss wieder die „Vielfalt“ herhalten: Wenn sich nicht ständig alle Lebewesen gegenseitig vernichten (nachdem sie leider und unvermeidlicherweise in Kontakt, also einander in die Quere kommen), dann vor allem, weil hoffentlich eine hinreichende Viefalt von „Nischen“ ihnen gestattet, einerseits nah genug beieinander zu sein, um voneinander zu profitieren, und doch genug voreinander abgeschirmt, um durch die Lebenstätigkeit der andern nicht zu sehr beeinträchtigt zu werden.
Und soviele Querverbindungen durch Parasitismen und Symbiosen auch gesehen werden: Alles ZusammenWIRKEN bleibt kontingent, „zweckmässig“ nur durch seine Rückwirkung auf den Einzelorganismus oder die Einzelart, die davon „profitieren“; ein Prinzip, das am Ende auch noch als Mass des Stands der Entwickeltheit all dieser Verhältnisse fungieren könnte, ergibt sich daraus nicht. Das unerhörte Arten-Gewimmel und Überangebot an quasi-technischen Wirkmechanismen bleibt letztlich das Höchste, was diese technomorphe Natur hervorbringt.

4.
Aber dann gibt es ja auch noch UNS. In all dem Abwandeln und Herumexperimentieren hat „die Natur“, dieser blinde, blindwütig-chaotisch produktive Prozess, plötzlich etwas wie uns ausgeworfen – wie alles Höherentwickelte mehr ein Versehen, ein Zufall als sonst etwas. Doch nun sind wir da, ausgestattet mit ein, zwei wunderbaren Eigenschaften, die uns auszeichnen gegenüber allem bloss Naturhaften.
Wie denkt sich die moderne Person selbst – wie bestimmt sie sich – was IST sie, aus ihrer Warte?
Zunächst sieht sie sich als eine Natur in der Natur – ein Mikro- im Makrokosmos, der, mit zunächst noch unzulänglichen Mitteln zwar, aber doch im Grundsatz gleich wie die gesamte Umgebung, PRODUZIERT. Aus der umgebenden chaotischen Produktivität hebt ihn aber eine entscheidende Zusatzbestimmung heraus: Seine Produktion ist GEZIELT; sie verfolgt ZWECKE ZWECKMÄSSIG; sie wählt ökonomisch, strategisch abgestimmt, ihre MITTEL, gemäss planmässig erworbenem WISSEN über die allgegenwärtigen kausalen Wirkzusammenhänge, angefangen von den chemisch-physikalischen, bis hin zu den Wirkungen der einen umgebenden biologischen Automaten, deren man sich zu seinem Nutzen bedienen kann – die Träger solcher Wirk-Dispositionen werden in bestimmten Anordnungen zusammengesetzt (oder Anteilen zusammengemischt usw.), so dass sich ihre Wirkungen in berechenbarer Weise überlagern.
Die Strategie des Wissenserwerbs, der FORSCHUNG, geht vor allem darauf, die Zusammengesetztheit vorhandener Effekte und ihrer Bedingungen (bedingte Effekte: Dispositionen) auf entsprechende Zusammensetzungen ihrer Träger zurückzuführen – so, dass Abwandlungen der Zusammensetzung abgewandelte Versionen der ursprünglichen Träger und Effekte ermöglichen. Es gilt, soviel einfach vorhandene Arten von Trägern und Effekten wie möglich aufzustöbern; und an ihnen die Grenzen ihrer Variierbarkeit durch Manipulation, veränderte Randbedingungen, Neuzusammensetzung auszuloten. Speziell gilt das dann auch für den Umgang mit lebenden Organismen; noch spezieller mit dem präsentesten von allen, dem eigenen Körper oder dem anderer.
Denn in der Selbstbestimmung einer modernen Person tut sich eine Grenz-Zone der Unbestimmtheit auf – die sich schnell als Graben und Kluft erweist, und die Person in zwei nicht mehr zusammenzubringende Hälften zerschneidet:
Da ist einmal ihr Körper – das Unmittelbare an ihr selbst, und somit das Erforschbare, Nutzbare, in seiner Leistungsfähigkeit wie alles andre in der Welt Optimierbare, das nächstliegende und zugleich universellste aller Mittel, über das sie verfügt – die Ur-Quelle ihrer natur-ähnlichen, oder gar natur-überbietenden, natur-überwindenden Produktivität durch ARBEIT.
Andererseits..
..gibt es da jene Instanz, die den Mitteln, den vorhandenen wie den zu entwickelnden, allererst die Richtung ihrer Verwendung vorgibt; ohne solche Vorgaben, nämlich Ziele, Zwecke, Wünsche, ja sogar bloss Erkenntnisziele (etwas herausfinden wollen), wären die Mittel ja auch garkeine Mittel (Mittel-FÜR..), sondern blosse Effekte, mit denen man allenfalls so sinn- oder ratlos herumspielt wie sonst Kinder oder Tiere es tun – ohne zu wissen, was daraus zu machen wäre.

5.
Doch sobald sich die moderne Person dieser anderen Seite ihres Selbst, der Sphäre ihrer Freiheit (Verantwortlichkeit, Bewusstheit) zuwendet, wird sie von Zweifel und Zwiespältigkeit befallen, die sie nicht mehr loswird.
Denn kaum sieht sie sich einmal in ihrer ur-eigenen kleinen Selbstwelt angekommen, werden ihr ihre eigenen Gedanken-Produkte fremd: Sind sie nicht vorhandene, wie andres auch, stehen sie nicht im Zusammenhang der Ursachen und Wirkungen, wie andres auch, SIND sie also nicht blosse Wirkungen, Effekte, Äusserliches, zu dem man sich wieder zu verhalten hätte, nicht anders als zu allem andern da draussen in der Sphäre blossen Wirkens und Einwirkens?
So beginnt die moderne Person ihren Wünschen zu misstrauen, ihren Gefühlen.. ihren Bedürfnissen, dem Leiblichen, das in ihr Zentrum hineinreicht; sie beginnt sich zu fragen, wie sich dieser verselbständigte, abgetrennte Bereich ihres Selbst verhält, wie man ihn, psychologisch, pharmakologisch, neurophysiologisch, am Ende womöglich gentechnisch, abändern könnte..
aber um WAS aus ihm zu machen?
Die Zwecke, das Zwecke-Setzen ziehen sich zurück auf die nächsthöhere Ebene der REFLEXION: Gut, dies ist das Vorhandene – aber will man es so, wie es ist – könnte man es nicht in ein andres Vorhandenes ändern?
Aber welchen Grund gäbe es dafür?
Wenn sich einer fände, wäre gleich wieder die Frage: Ob von solchen Gründen sich bestimmen zu lassen, einem erwünscht ist – oder nicht doch durch andre; ob, so zu funktionieren, dass man sich von solchen Gründen bestimmen lässt und nicht durch andre, etwas ist, das so bleiben soll – oder abgeändert werden sollte.
Und welchen Grund gäbe es dafür?
In dieser Form macht sich die Unsicherheit des modernen Selbst, wenn es um seine Selbst-BESTIMMUNG geht, geltend: Es hat keine, es weiss nicht, was es soll; es hat keine guten Gründe, um Einwände gegen gut erscheinende Gründe zurückzuweisen, weil es das Gut-Erscheinen von Gründen nicht wirklich auf einen festen und haltbaren LETZTEN Grund stützt. Wie sollte der auch beschaffen sein? Sollte es sich in diesem letzten Grund auf ein vermeintliches So-SEIN berufen (könnte es das nicht abändern?) – oder auf einen willkürlichen, grundlosen ENTSCHLUSS (könnte es den nicht erst recht abändern)? Wie es ist, kann es ändern, was es will, kann es lassen; darüber kommt das moderne Selbst nicht hinweg.

6.
Nun ist es nicht so, dass in die Zwecksetzung des modernen Selbst garkeine Gründe hineinreichten: Natürlich lässt es sich von rationalen Einsichten leiten, wenn es um seine Selbsterhaltung, seine REPRODUKTION geht; und ein Teil dieser Einsichten besteht sogar in der Anerkennung der leiblichen Notwendigkeiten, die durch Bedürfnisse und Gefühle (zB. der Erschöpfung) zum Ausdruck kommen. Aber dabei geht es dem modernen Selbst um sich als MITTEL; und wie immer, wenn es um Technologie (und technisch bearbeitete Mittel) geht, fühlt es sich hier auf der sicheren Seite: Sein Körper, eingefügt in den Zusammenhang der Einwirkungen auf ihn, und der Rückwirkungen seines Handelns (des ihn beanspruchenden, belastenden, ebenso wie des erfolgreich Bedürfnis-befriedigenden und ihn regenerierenden), ist eins seiner Mittel, neben andern – gewiss eins seiner wichtigsten, aber eben doch nur Mittel (erst recht gilt das für die Körper der anderen; aber das Politische, die Unterschiede der Interessen, Ziele, Werte kommt hier, bei Betrachtung der allgemeinen Form des speziell modernen Verhältnisses zur Welt, noch nicht in Betracht (die ihm in der historischen Entwicklung vorangehenden Welt-Verhältnisse sind: das magisch-abergläubische (oder „Normalverhältnis“), und das religiöse (Glaube und traditionale Lebensform, unter ihm)).
Aber in diesen Zusammenhang eingespannt zu sein, bedeutet, nach moderner Logik, zugleich, ihm nie mehr zu entkommen: Das Selbst, verstanden als sein wichtigstes Mittel, ständig bedroht von einer FEINDLICHEN Umwelt, in der es sich behauptet, mag vielleicht seine Stellung festigen – und doch ist dies immer nur die immer gefährdete Stellung eines Mittels, das sich bestenfalls selbst als Mittel mit längerer als der früheren Lebensdauer und grösseren Chancen seiner Erhaltung in der gegebnen Umgebung als zuvor reproduziert. In diesem Kampf ums Dasein, der nie endet, sieht sich das Selbst allem andern in der von ihm so gedachten „Natur“ gleichgestellt; der Zweck, sich als wichtigstes Mittel seiner selbst erst einmal zu sichern und erhalten, zeichnet (aus seiner Warte) alles in diesem Sinn vermittelt Zweckhafte in der Natur aus; aber diese Mittel-Zwecke sind doch weiterhin nur technologische – jede solche Summe von Effekten, zufällig soundso kombiniert, die den Umwelttest auf längere Beständigkeit bestanden hat und konkurrierende „Modelle“ eliminiert hat, geht in die nächste Konkurrenzrunde (schlichtes Nebeneinander-Stehen in der Selbstbehauptung, ohne sich zu beeinträchtigen, ja sogar prekäre Allianzen, sind dabei nicht ausgeschlossen.)
Hier gibt es im Prinzip drei Darsteller, die das Drama namens „Natur“ zusammen aufführen:
Die völlig chaotischen „Elemente“, die zwar einerseits das MATERIAL für alle ihnen gegenübertretenden Formen der Selbständigkeit liefern, ebenso die sich selbst stabilisierenden Zufälle, die ihm in Gestalt der Selbstbehauptungs-fähigen lebenden Organismen-Arten gegenübertreten, aber ebenso blind das, was sie aus Zufall und Willkür erschaffen haben, im nächsten Augenblick auch wieder zerschlagen und zerrütten.
Dann, die „Konkurrenten“, die mit anderen, primitiveren („weniger komplexen“), darum nicht weniger erfolgsträchtigen Mitteln und Effekten in die Schlacht der Selbstbehaupter gegen die Elemente und untereinander eintreten – jeder unter ihnen jederzeit bereit, die Errungenschaften des Andern, seine Effekte, seine Mittel, in die eigene technologische Ausrüstung einzubauen.
Schliesslich, „wir“, durch unsere Produktivität (Hände!) (die, seltsamerweise, selten genug erwähnt werden) und die sie steuernde „Intelligenz“ und überlegene Lernfähigkeit, wenn wir denn schrankenlosen Gebrauch davon machen, vielleicht, aber sicher ist das auch nicht, dazu befähigt, die chaotische Umwelt (für uns zählen auch die konkurrierenden Arten dazu) zu „beherrschen“ und für ihre immer weitergehende Verwertbarkeit zum Zwecke immer weitergehender Beherrschung (..usw.) zuzurichten.
Dass uns das gelingt, ist, wie gesagt, nicht sicher.
Warum es uns aber überhaupt gelingen sollte – welchen besonderen Wert unsere schrecklichen Kämpfe haben sollten, mit dem Resultat, dass wir uns unter unmässigem Energieverbrauch am Ende winzige Bruchteile jener Fristen erhalten, mit denen schlichte Staub-Zusammenklumpungen im All überdauern – das ist noch weniger klar.

7.
Die Wissenschaft und der technische Fortschritt wurden aus der bornierten Anbindung an überkommene Produktionsweisen gelöst, um, völlig ungebunden (oder besser, „entfesselt“), um so besser ihre Funktion als Vergrösserer des „Effekte-Inventars“ und der Gefahren- oder auch Chancen-Vorhersage erfüllen zu können.
Ihre Erfolge sind so wertvoll und zweckmässig, wie sie zur Selbsterhaltung (auch zur komfortablen, mühelosen; um so effizienter ist sie!) genutzt werden können – alles definitiv nicht und nie nutzbare (aber wer kann das wissen?) müsste als blosse Spielerei abgetan werden (und gehörte als solche in eine andere, nämlich die ästhetische Werte-Abteilung der modernen Lebenswelt.)
Die Selbsterhaltungs-Arbeit, in unzählige Spezialtätigkeiten aufgeteilt, die aus diesem ihr zuliefernden Effekte-Wuchern ihre technischen Verfahren und Arbeitsabläufe schöpfen, hat nur einen Zweck: Sich zu erhalten, um diese Selbst-Erhaltung zu perfektionieren. Sie ist sich selber Zweck, aber ihr Zweck (ihr erhaltungswürdiges Selbst) ist leider kein anderer als der, perfektes MITTEL und weiter da zu sein.
Das Mittel eröffnet prekäre Freiräume und Überschüsse, jenseits seiner eigenen Perfektionierung.
Man darf dann fragen: wofür?
Die Frage verweist auf die eben schon gestreifte vierte Wertsphäre der Moderne, neben Wissenschaft, Technik, und Spezialisten-Berufstätigkeit.
Es ist die Sphäre der ZWECKE, FÜR die all die furchtbaren Umwege (Wissenschaft, Fortschritt, Arbeit), die zum Erhalt des blossen Daseins gegangen werden müssen, am Ende sich lohnen sollen.
Die Sphäre der Erfüllung, des absoluten (und nicht nur mittelbaren) Selbstzwecks.
Eine Durchsicht der Errungenschaften dieser Sphäre fällt ernüchternd aus – es geht um Kunst, Unterhaltung, Sport, Reisen, Spielen, Berichte vom geographisch, historisch, kulturell Ganz Anderen, herausgegriffene Errungenschaften aus jeder der andern drei Sphären, die dem allgemeinen Publikum (soweit es nicht in der jeweiligen Sphäre tätig ist) Anschauungsmaterial liefert zur Bebilderung der Werte und utopischen Idealziele, denen sich die jeweilige Sphäre verschrieben hat: den ideal erfüllten (Berufstätigen-)Alltag, die absolute technische Souveränität in der Berrschung eines Gebietes, die „Schönheit“ und/oder Fülle, das sich in der Wissenschaft (nach und neben soviel Trockenem, Lebensfernen, Entfremdendem) wider Erwarten entdecken lässt…
Ernüchtern müssen die unter diesen Rubriken zusammenkommenden Inhalte mit Anspruch auf „Sinn-Erfüllung“ und „Selbst-Zweckhaftigkeit“ , weil sie von vorneherein wenigstens einer von zwei Einschränkungen unterliegen:
Entweder, sie sind thematisch festgelegt auf die Illustration des in den andern Sphären schmerzlich Vermissten, das heisst, sie erfüllen den Auftrag, illusionäre KOMPENSATION für die Ausfälle an Lebensmöglichkeiten derer zu liefern, die sich für die vereinseitigten Spezialistentätigkeiten der andern drei Wertsphären zurichten müssen (und nur als so Zugerichtete dann, etwa, die „Schönheit“ eines mathematischen Beweises und einer technischen Konstruktion, oder das „Erfüllende“ einer über Jahre weg gelingenden Alltagshetze an oder jenseits der Leistungsgrenze (die nur zu ertragen ist durch extrem geschicktes Einmontieren von kompensatorische Süchten aller Art) zu schätzen wissen).
Oder, sie emanzipieren sich von diesem Auftrag, der ihnen freilich erst die Ausgangspunkte ihres Emanzipationsprozesses (in Gestalt der Materien und Genres, die der zunehmenden Geschmacks-Raffinierung unterliegen) geliefert hat: dann freilich nur so, dass, und darum, weil sie die den kompensatorischen Stoff-Vorgaben anhaftenden Zugeständnisse an die quasi-wissenschaftliche Realitäts- und Empirie-Anbindung, quasi-technische Bewältigbarkeits- und Nützlichkeitsobsession, oder quasi-alltagsbezogene Kulinarik hinter sich gelassen haben, und sich zur „reinen“ selbstzweckhaften Verwirklichung der durch das jeweilige Stoff- oder Formgenre vorgegebenen Gestaltungsmöglichkeiten (als wären die, nach den Ausgangsvorgaben, noch SELBST gegeben!) vorarbeiten: Aber mit der Realitäts-Anbindung geben sie auch jeden Erkenntnis-Anspruch auf; mit dem Nutzen- auch den Praxis- und Tätigkeitsbezug; mit der Kulinarik das Befriedigende: Und was für eine Erfüllung soll das dann sein, die bleibt – was für ein Sinn – möglichst ohne Einsicht, Praxis, Befriedigung? (Nicht umsonst stehen gerade die höchsten Leistungen dieser Emanzipations-Bewegung im Verdacht, mehr als alles andre vor allem die KRITIKWÜRDIGKEIT der Moderne drastisch vorzuführen, nämlich das Absurde, Destruktive, Lebensfeindliche der durch die modern zerrissenen und vereinseitigten Werte erzwungenen Lebensformen.)

8.
Nun setzen sich Menschen nicht einfach unsinnige Ziele, und versuchen obendrein Jahrhunderte lang mit grösster Leidenschaft sie umzusetzen – was später unsinnig und verrückt erscheint, war somit früher einmal ganz anders gedacht.
Wie also war es ursprünglich gedacht – und warum? Und wie konnte das Unsinnige daran übersehen werden?
Ich behaupte: Die (europäische) Moderne (Neuzeit, Aufklärung) entsteht als eine Schrumpfform religiöser Lebensformen („Modernisierung“, „Entzauberung“). Das ist keine sonderlich neue Einsicht, der Anspruch wird hier auch nicht erhoben. Es geht vielmehr um eine möglichst präzise begriffliche (genau genommen sogar „kategoriale“ – es konnte garnicht anders sein!) Rekonstruktion dieses Hervorgehens.
Im Prozess der Modernisierung wird die traditionelle Lebensform (Reproduktion, Alltag) aufgebrochen, die sich unter der Einheit  von Sinnversprechen und Welterklärung, die der Glaube ist, entfalten konnte:
Unirritierbar durch aufreizende Hoffnungen, beunruhigende Schadensdrohungen, ratlose und rastlose Neugier, liessen sich in dieser lang erprobten und optimierten Lebensform Bedürfnisse auf bedürfnisgerechte, nämlich Leistungsgrenzen beachtende Weise befriedigen.
In dieses traditionell geordnete Leben dringt Neues aus aller Welt ein:
neue Möglichkeiten der Befriedigung – ganz andere Lebensformen, ganz andere Weisen der Alltagsorganisation; und: ganz neue Möglichkeiten des technischen Könnens. Das Bewusstsein, zugleich neue Lebens- UND Produktionsformen aus diesem wachsenden Inventar wählen und neukombinieren, ja sogar sich gänzlich neue Formen und Zusammenstellungen aus ihnen erfinden zu können – dies Bewusstsein wirft neues Licht auf das traditionelle Selbst, das sich vor allem als Befolger gut eingefahrener Routinen und Regelsysteme kannte – seine andere, unbestimmt grossartige (maximal fortgeschrittene) Seite hatte es, als Gottes-, Himmels-, Kosmosvorstellung, an den Ort des Ganz Anderen, das Jenseits, gebannt, von wo es, die Welt erschaffend, formend, lenkend, ins Diesseits herübergriff; aber als DESSEN Tat, nicht die des traditionellen Selbst, das sich keinerlei Einfluss auf eine Abwandlung der wesentlichen Rahmenbedingungen seiner Lebensform zuschrieb, nur auf technologische Details, die es zu verbessern galt (ohne die Gesamtproduktions- und Lebensweise je zu sprengen).
Aber die gänzlich neuen Alltage, Lebens- und (Re)Produktionsweisen, die nun in immer grösseren Zahlen möglich und oft genug (als sekundäre Anpassung an unbeabsichtigte Nebenfolgen einer voraufgegangenen ersten Entscheidung) nötig sind, muss das sich eben dadurch modernisierende Selbst alle selbst entwerfen – auf eignes Risiko und eigne Verantwortung.
Es ist nicht länger ein Regelbefolger, es ist selbst ein Entwerfer und Gestalter seiner Welt – ein „Schöpfer“ und Erschaffer. Es erkennt, dass die Alternativen des Entwerfens allesamt SEINE wären – dass ES diese Alternativen SELBER denken kann, und muss, um sie überhaupt als solche zu erkennen. Wo wäre denn, über sein Denken hinaus, Platz für eine unbestimmte Steigerung dieses Denkens? Die könnte ja nur beschleunigt vorwegnehmen, was es selbst nachholend einsieht. Aber bevor es nicht einsieht, kann es nicht urteilen. Und was es nicht beurteilt hat, davon ist unklar, ob es ein zu übernehmendes Besseres, oder Schlechteres, oder gar ein schlichter Unfug ist.
Worin aber sollte ein Gott oder eine Himmelsmacht, wie MÄCHTIG sie auch immer sein mochte, dann noch voraus sein?

9.
Wie immer im Detail ein religiöser Glaube den Gedanken ausgestaltet, es müsse bis auf weiteres ein unsere Möglichkeiten unbestimmt weit überbietend-Personales in und hinter der Welt angenommen werden – in jedem Falle folgt daraus, dass wir annehmen müssen oder sollten (bis auf weiteres, keinen Grund haben, es nicht zu tun), dass die Welt, so wie sie ist, gut (für uns) ist – auch, wenn das nicht im Einzelnen und in allen Fällen gleich nachvollziehbar ist. (Die Ausschöpfung der Möglichkeiten, Erfahrung in und mit der Welt im Sinne dieses Prinzips zu INTERPRETIEREN, bildet das Fundament der vormodernen „(Natur)Wissenschaften“, wie Alchemie, Astronomie/logie, („Komplementär“-)Medizin.)
Hingegen darf, ja muss der religiös Gläubige, nachdem und solang er keinen Grund zum Zweifeln an der grundsätzlichen Verstehbarkeit und Sinnhaftigkeit der Welt hat, weitere Unterstellungen über die Welt machen, die ihm seine (oder besser, der Gemeinschaft, in der er lebt) je nächsten Schritte in der Welt ermöglichen:

(im folgenden werden folgende Ausdrücke verwendet:

KS= Kern-Selbst, Ich (das sich gleichbleibt in allen Umständen, in die es gerät);

ES= Erweitertes Selbst, das Kernselbst in eine (hypothetische, experimentelle, Versuchs)Praxis versetzt und in ihr (versuchsweise, mit gegebnen Mitteln, bekannten Risiken und Chancen) sich reproduzierend);

RU= das Rest-Unbekannte in und hinter der (wahrnehmbaren) Welt):

KS1: dass, seine körperlichen Bedürfnisse zu beachten und erfüllen zu können, normalerweise ausreicht, um weiterzuleben und verausgabte Kräfte wiederherzustellen;
KS2: dass es lohnt, die Ursachen für jede Abweichung von diesem Zusammenhang („Krankheit“) zu beachten und gezielt auszuschalten;
ES1: dass die Angst vor Risiken (für unsere Bedürfnis-Befriedigung, oder unsere Gesundheit) uns nicht zu Anstrengungen und Beschleunigungen treiben darf, die Befriedigung und Gesundheit noch schlimmer bedrohen, als die uns drohenden Risiken;
ES2: dass die Angst vor Ungewissheit und Unbekanntheit, oder eben auch um unsere bestehende Lebensform, uns nicht hindern darf, Wissen über das Bestehende hinaus zu suchen, und nicht uns stattdessen Stagnation in Kauf nehmen lassen darf;
RU1: dass alle gefundenen Regelmässigkeiten, die unser aktuelles Wissen bilden, als bis zum Beweis des Gegenteils konstant gleich bleibend angesehen werden sollten;
RU2: dass die Erklärung für Unregelmässigkeiten und Neues entweder da gesucht werden sollte, wo noch nichts bekannt ist, oder in Gestalt von Bedingungen für die bekannten Regelmässigkeiten, oder von Bedingungen, unter denen sie in andere übergehen.
Es sind somit Prinzipien des Umgangs mit Bedürfnissen (und ihren organismischen Grundlagen), Risiken (und ihren innerweltlichen Ursachen), Unwissen bzw. Wissenserwerbsoptionen (von denen erwartet werden darf, dass sie dies Unwissen beheben werden – wenn und soweit es sich überhaut beheben lässt).
Das erste Prinzip jedes der drei Paare ist eins für die Lebensführung unter bekannten Umständen, also bei bestehenden Wissens- und somit auch Unwissens- und Ungewissheits-ständen; das je zweite Prinzip in den drei Paaren ist eins für die Erweiterung des Wissens und Verringerung des Unwissens, aus dem vorhandenen (Un)Wissensstand heraus.
Man könnte die sechs Prinzipien einerseits ansehen als Maximen für ein minimal vorläufig sinnvolles Handeln, aber auch als Postulate oder notwendige hypothetische Annahmen über die Welt (nämlich dass sie sich als Korrelat solchen Handelns erweist, es ermöglicht und ihm genau SO entgegenkommt, wie es das für seine Umsetzung braucht): unabhängig davon, wie weit wir noch kommen mit diesem Handeln und der Welt, und welche hypothetischen Erwartungen wir darüber hinaus haben könnten, müssen wir doch immer und durchgehend zunächst einmal DIESE Annahmen machen können (über die Welt), und diese Art Handlungsregeln befolgen können: weil sonst die Welt oder unser Handeln keinen Sinn mehr machen würde.
Es sind also NOTWENDIGE Annahmen über Freiräume, die die Welt (wie immer sie sich entwickelt oder darbietet im Verlauf weiterer Forschungen, Erfahrungen, Entdeckungen) uns bieten muss, aber ebenso notwendige Regeln, die unser Handeln, angesichts der so fortbestehenden Freiräume befolgen muss, damit es auf Dauer sinnvoll bleibt.
Die Frage ist, ob die Annahmen und Regeln auch HINREICHEN, um auf Dauer sinnvoll zu leben.

ZUSATZ.
Sowohl hier als auch im folgenden heisst es „Prinzipien, Maximen, Annahmen, Regeln“; genauer müsste es aber heissen: Prinzipien oder Gruppen/Arten von Prinzipien; denn das einfache Anfangs-Prinzip wird, unter dem Eindruck sich erweiternder Erfahrung, ausdifferenziert zu Prinzipien-Systemen, die für immer genauer unterteilte Erfahrungsverläufe und Situationen angeben, was es heisst, angesichts ihrer und in ihnen das anfangs genannte Prinzip zu verfolgen.
(Das letzte Prinzip, ausdifferenziert, führt auf eine unübersehbar lange Reihe aufeinander aufbauender epistemischer, „heuristischer“ oder „transzendentaler“ Kategorien: Bedingungen der Möglichkeit sinnvollen Handelns und daFÜR auf Dauer nützlichen oder auf Dauer benötigten Wissens – Wissen, das ein entsprechend entgegenkommendes Wissbares in der Welt voraussetzt. Wird es nicht angetroffen, findet sinnvolles Handeln und Leben an diesem Punkt eine Grenze, die es hätte überschreiten können, faktisch, in dieser, der dann vorfindlichen Welt, so wie sie sich erweist, aber nicht überschreiten kann. Gleiches gilt für die möglichen Ausdifferenzierungen und Präzisierungen der fünf anderen Prinzipien usw.)
Die ausdifferenzierte Fassung EXPLIZIERT aber nur, was im Anfangsprinzip bereits gemeint war.
Für die „Richtigkeit“ der Explikation, oder die Angemessenheit des anfänglichen Meinens, garantiert nichts im vorhinein; man muss sich die Explikation schon vorführen lasen, um sie zu beurteilen (und Alternativen dazu zu nennen, falls man welche sieht – solche, die „genauso gut hätten angeführt werden können“ – oder solche, die, aus der Sicht des Kritikers, an die Stelle einer fehlerhaften oder unvollkommnen Explikation zu treten hätten. Das Verfahren der möglichen Alternativen, die sich womöglich unendlich fortsetzen lassen, wäre dasjenige einer argumentierenden, nicht-dogmatischen Skepsis, die die Behauptung einer ausschliessenden Geltung bestimmter Prinzipien widerlegt – wobei sie, notgedrungen, ebenso „freihändig“ (ohne Verweis auf einen Grund der Geltung ihres Einwands) verfährt wie die positive Explikation, gegen die sie sich richtet.) ENDE DES ZUSATZES.

10.
Der religiös Gläubige hätte das verneint; aber nicht, weil er Bedarf nach weiteren Annahmen oder Regeln hatte, die die Lücke jenseits dieses ersten, bloss notwendigen Annahmen- und Regel-Inventars schliessen würden.
Er hatte vielmehr keinen Bedarf nach einer weiteren ANNAHME (über Sinnhaftigkeit und Verstehbarkeit der Welt, als Korrelat unbestimmt weit reichender Erfüllung): denn die machte er ja bereits in Gestalt seines Glaubens.
Und er hatte keinen Bedarf nach einer weiteren REGEL: denn für ihn blieb, jenseits der Sphäre seiner maximal vorsichtigen und den minimal-notwendigen Sinnmaximen/postulaten genügenden Versuche seiner Reproduktion im traditionellen Rahmen und deren fortlaufender Verbesserung im Einzelnen, nichts zu tun. Soweit etwas zu tun, zu gestalten, zu verstehen war, übernahmen das ja andre Mächte – jene, deren Handeln zu seinen Gunsten er bis auf weitres unterstellen durfte und musste – als sinnvollerweise vorläufig über die Welt Erst-zu-Unterstellendes, bis zum Beweis der Unhaltbarkeit.
Was der Gläubige nicht bemerken konnte auf seinen Grundlagen, war: dass dieses sein Erst-Anzunehmendes überhaupt keinen Unterschied machte hinsichtlich der Welt (nebenbei, eben genau darum, weil es keinen Unterschied hinsichtlich seines Handelns machte, den er soweit nicht auch schon selbst machte – indem es ihn nämlich auf die 6 Minimal-Hypothesen/Maximen beschränkte, und keine anderen (wie ein vor-religiöses Denken; das wird im folgenden noch genauer besprochen).
DAS bemerkt, wenn überhaupt, erst der nachreligiöse, moderne Mensch; im Glauben sieht er bloss noch etwas Überflüssiges, Wegzulassendes; und bleibt bei dem, was ihm vorher wie nachher bleibt: die 6 Prinzipien.
Was der Aufgeklärte, Modernisierte, Ungläubige NICHT bemerkt, ist: dass nun die Notwendigkeit der Sinnstiftung für sein Handeln, und des Erklärens dessen, was in der Welt ihm gegenübertritt, wieder besteht – beide Aufgaben sind dramatisch ungelöst, die illusionäre Lösung des Glaubens ist nur einfach entfallen.
Der moderne Mensch beharrt, auch angesichts dieses Bedarfs, auf seinen Prinzipien, die ihm die ganze Zeit geholfen haben, und die so vernünftig erscheinen.
Aber das, worauf er sie anwendet, hat seinen Charakter notwendig verändert; ohne diese radikale Veränderung wäre die Religion nicht überwindbar gewesen. Nun ist sie überwunden – darum, weil die traditionelle Lebensform zertrümmert und völlig zerbrochen ist.
An ihre Stelle, also an Stelle des EINFACHEN, das sie ist, tritt ein PAAR aus zwei völlig verschiedenen Orientierungen; die ursprüngliche Einheit der traditionalen vormodernen Lebensform ist aufgebrochen; Einheit ist nicht einfach mehr vorgegeben, sondern ein höchst prekärer und bedingter Entwurf des modernen Subjekts (oder von Gruppen), der aus vorhandenen technischen Möglichkeiten einerseits, Arten der Alltagseinrichtung (bedürfnisgerecht arbeitend (dh. Leistungsgrenzen einhalten, Beanspruchung durch Überforderung und Langeweile minimierend) für die Möglichkeit der Bedürfnisbefriedigung bei sich und andern sorgend, unter Nutzung der vorhandenen Naturchancen und Berücksichtigung der bekannten Risiken (für sich und die gewählte Reproduktionsform) sich jeweils passende (Re)Produktionsweisen und damit Lebensformen zusammenstellt.

11.
In einem traditionalen Rahmen (unter einem religiösen Glauben) sind die Handlungs-Bereiche oder Aufgabenstellungen, auf die die 3 Paare Anwendung haben, fein säuberlich getrennt:
Die beiden Bedürfnis- und Selbstsorge-bezogenen Regeln zielen auf die klar identifizierbaren Bedürfnisse und Leistungsgrenzen, auf die eine traditionell-vormoderne Lebensform (unter einem religiösen Glauben) abgestimmt ist. Wann immer oder für wen immer in einer solchen Lebensform Mittel und Musse freiwerden, vielleicht auch denkbare Zwecke, die sich aus dringenden Notwendigkeiten oder sich andeutenden Chancen (etwa zum Handel) ergeben, lässt sich das Bedürfnis der NEUGIER ausgiebig befriedigen; niemand kann bestreiten, dass in vormodernen Zeiten kein Mangel bestand an Abenteurern (auch imaginären: Sindbad), Seefahrern, Entdeckern, Eroberern, Pilgern, reisenden Gesellen, Studenten und lernwilligen Ärzten, Kaufleuten, Missionaren usw. Die Erwartungen an das, was auf Reisen (bis hin zu den „Antipoden“) würde begegnen können, so bizarr die Fernweh-Phantasien (nicht anders als Science-Fiction-Erzählungen von heute) es sich ausmalen mochten, richteten sich freilich nie auf ein GANZ andres, die eigne Existenz kategorial Überschreitendes oder Übersteigendes – ebensowenig konnten sich die innerweltlich Reisenden massgebliche, weltbild-sprengende oder -erweiternde Erkenntnis erwarten: Die war für ihre Begriffe nur im Glauben, und den ihm zugrundeliegenden Offenbarungen zu finden. Wer nach Sinn und Erfüllung suchte, war dorthin zu verweisen.
Ebenso war in solchen Lebensformen klar abgegrenzt, was Reproduktion war – maximal vorsichtige, gelassene, nicht-expansive, wie es sich für Glaubende ziemte, die schliesslich in Gottes Hand (oder der des Himmels, oder der Götter, oder der Vorsehung usw.) waren; und somit auch, was versuchte Erweiterung, Verbesserung, Abwandlung war, in den Nischen und Freiräumen, die die etablierte Arbeitsweise ermöglichte, oder sich wandelnde Umgebungsbedingungen (v.a. klimatische) erzwangen: So erarbeitete man sich seinen Lebensunterhalt, gelassen im Angesicht vielfältiger existenzieller Risiken (getreu dem dritten Prinzip), aber wagte sich ebenso furchtlos und geduldig an Neuerungen, und riskierte Versuche (getreu dem vierten), wo sich Freiräume öffneten oder Änderungsdruck spürbar wurde.
Die rationalen Konstanzerwartungen des fünften Prinzips waren eng begrenzt auf die Zyklen und mehr oder weniger regelmässigen, mehr oder weniger lokalen, meist mittel- und langfristig (spätestens durch Hilfe und Zuzug aus Nachbarregionen) bewältigbaren Katastrophen, die in ihrer Gesamtheit Rahmen und Grenze der normalen Lebenswelt definierten. Ob etwas noch normal war (und somit der Konstanzerwartung entsprach), oder nicht, war natürlich Sache der Interpretation; spätestens das Aussergewöhnliche aber war sofort einordenbar im Sinne der alles umfassenden religiösen Glaubensvorstellung (Strafe, Zeichen, Wunder usw.).
Die ständig stattfindenden vorsichtigen Abwandlungen und Verbesserungen traditioneller Techniken, auch durch Übernahme alternativer Techniken zur Lösung einer der traditionellen Aufgaben machen zugleich den eng umgrenzten Angriffspunkt des sechsten Prinzips sichtbar: Forschen, Experimentieren gilt nicht den vom menschlichen Tun abgelösten Naturvorgängen an sich, sondern immer nur technologischen Fragestellungen im Anschluss an bereits vorhandene Problemlösungen. Aber damit kann man durchaus weit kommen. (Die französische Enzyklopädie des 18. Jahrhunderts illustriert allein schon als Projekt den REICHTUM vormoderner Technologien, auch das Ausmass an Arbeitsteilung und Spezialisierung bereits unter vormodernen Bedingungen.) Das aus Erfahrung Unkontrollierte, weil ausserhalb der traditionellen Technologien (und des Dunstkreises denkbarer Abwandlungsmöglichkeiten, der sie umgab, unter Anwendung eines prinzipiellen „technologischen“ Konstanzprinzips, mit dem man bestimmte, was man sich wohl an Lösungen und Erkenntnissen noch zutrauen dürfe) Liegende, gehörte sofort wieder in die Zuständigkeit der Glaubensverwalter und metaphysischen Interpreten der Welt; die Frage, welcher Erklärmodus angebracht sei, entschied sich entlang des Kriteriums der Kontrollierbarkeit, oder wenigstens der Prognostizierbarkeit und der Einordenbarkeit als durch Anzeichen zuverlässig vorhersehbares, dennoch nicht allzu seltenes Ausnahmeereignis.

12.
Vergleichen wir damit, wie die sechs minimalen Sinnpostulate, die Annahmen und/oder Regeln, die sie ausmachen, unter modernen Gesichtspunkten sich auf die verschiedenen Momente moderner Lebenspraxis verteilen – wo sie Angriffspunkte für ihre Anwendung finden.
Zunächst: Wodurch, noch einmal gesagt, unterscheidet sich eine moderne Praxis von einer religiös-vormodernen? Beim Schritt vom religiösen zum modernen Sich-Verhalten zur Welt („Weltverhältnis“: Denken, Planen, (Planen-des-)Lernen(s-zu-)Planen (bzw. Planen des Wissenserwerbs, Stellung zum Unbekannten, Risiko, Fortschritts-Chancen etc.) finden zwei eng verbundene Umbrüche statt:
Der erste, ursächlich, aber für die Betroffenen durchaus unauffällig verlaufend, ist das Eindringen neuer Technologien, speziell in der Landwirtschaft (neue Feldfrüchte, zB. Kartoffel), deren Verwendung Vorteile verspricht, zugleich aber ein Aufbrechen der gewohnten Lebensführung (Ernährungsumstellung) verlangt. Gleiches gilt für Lebensformen, die sich zunächst in Teil-Funktionsbereichen der Gesellschaft entwickeln oder ebenfalls von aussen übernommen werden, wenn sie sich nicht sogar einer vormodernen Gesellschaft aufzwingen: Militär, Verwaltung, Kunst, Seefahrt, Handelswesen u.ä. Hier gilt das Umgekehrte: Neue Werte und Zielsetzungen erfordern ihnen entsprechende Technologien.
Beide Teil-Schritte – vielfach und an vielen Fortschrittsfronten sich wiederholend, einander wechselseitig (auch ungewollt) verstärkend – brechen die traditionelle Routine, das fest Zusammengefügte (und ständisch-arbeitsteilig organisierte) aus bekannten, fein den Umgebungsbedingungen seit langer Zeit angepassten Technologien und dazu passenden Lebensgewohnheiten auf und ZERBRECHEN sie: Grundlegend neue Basis-Produktionsweisen erfordern neue, ihnen gemässe Lebenseinrichtungen, neue Aufgabenfelder (eher im Sinne von Chancen als zur Gefahrenabwehr, allenfalls im Sinne einer ökonomischen oder militärischen Konkurrenz) verlangen ihnen gemässe Technologien (zB. im Bergbau, der Metallbearbeitung), die unter Umständen ohne historische Vorbilder sind.
In vielfältiger Weise wird die Eigenständigkeit des Technischen erfahrbar, die Möglichkeiten zu technischen Weiterentwicklungen, ohne Ein- und Anbindung in und an vorgegebene Zwecke, vervielfältigen sich. Die innovativen technischen Optionen (beginnend mit solchen fremder Kulturen, mit denen man in Kontakt tritt, und deren Errungenschaften schlagartig in die eigne Kultursphäre eindringen) bilden den Ausgangspunkt für neue Zielsetzungen, die, unmittelbar weitergedacht, neue Aufgabenstellungen für technische Lösungen erzeugen. So steigern die beiden Pole des Fortschritts sich gegegenseitig in ihrer Verselbständigung und ihrem Herauswachsen (in verschiedene Richtungen) aus der traditionalen Lebensform, worin beides untrennbar und passgenau ineinandergefügt war.
Die Konstruktion, der ENTWURF der Lebensform aus Aufgabenstellungen und technischen Optionen wird selbst zur Aufgabe. Der Begriff der Person als autonomer Quelle ihres Lebensentwurfs und seines (arbeitsteiligen) Verhältnisses zu andern seinesgleichen, ihrer Lebensform, zerstört die Unbestimmtheit, die den Nimbus beliebiger Steigerbarkeit personaler Qualitäten (Intelligenz, Macht, Wissen zu unbestimmt-maximal alles Vorstellbare überbietenden ALL-Eigenschaften: ALL-Macht, ALL-Wissen) erst begründete. Die Person kann nichts Höheres erkennen, das über sie hinausführte, ausser ihre eigenen Fortschrittsmöglichkeiten. Der Glaubensüberbau, der RAHMEN der traditionalen Lebensführung zerbricht – mit ihr.

13.
Der Verlust findet schleichend statt, und wird erst bemerkt, wenn er längst eingetreten ist.
Zur Desillusionierung, die die Modernisierung begleitet, gehört bald auch die Einsicht, dass an SOLCHEN Formen rein begrifflich, gedachter (und eben genau nicht präzise gedachter, bloss erträumter, wie es im Rückblick scheint) Vollkommenheiten nichts verloren ist.
An den zu diesem Zeitpunkt längst überholten, überbotenen traditionalen Lebensformen, an denen im Rückblick nur noch ihre Borniertheit auffällt, scheint erst recht nichts mehr gelegen zu sein.
Bevor FORTSCHRITT in Permanenz zum Programm erhoben wird, hat längst eine Unmenge an Fortschritten stattgefunden. Die Programmatik sanktioniert nur, was geschieht.
Nicht nur sind Sinn, also auch wünschbare Fortschrittsrichtung, und Welt-Erkenntnis, Welt-Verstehen, als längst vorhandene (und in den Glaubensoffenbarungen auffindbare), weggebrochen – die vormoderne Einheit aus technisch-effizientem Sich-zur-Welt-Verhalten, und kleinerer oder grösserer Befriedigung, Erfüllung, Beglückung, Sinn ist auf allen Ebenen, auf denen solche Einheit je denkbar war, verschwunden.
Nichts in den sechs Prinzipienarten ist angetan, die Zerreissung der traditionalen Lebensform rückgängig zu machen.
Die beiden mittleren Prinzipien, drei (oder ES1), der rationale Ausschluss eines worst-case-Denkens als handlungsleitendes Prinzip (oder VERBOTS, Selbstmord aus Angst vor dem Tod zu begehen), und vier (ES2), das Stagnationsverbot (das rationale GEBOT, zu forschen und auf Entdeckungen jenseits des Bekannten auszugehen, auch, wenn man dafür sich ins Unbekannte und bekanntermassen Riskante vorwagen muss) – sie tragen nicht das geringste zur Frage bei: Wie man Technologien und Aufgaben, bei gegebnen Alternativenmengen, für sich wählen, welche Prioritäten zu setzen, und welche Routinen man aus den vorhandenen Optionen zusammenfügen und gestalten soll.
In der völlig offenen, modernen Situation sagt das Stagnationsverbot bloss: dass Fortschritt stattfinden soll; das worst-case-Verbot: dass innovative Aufgabenlösungen, auch Lebensformen, die zur Reproduktion nötig sind, gesucht und gefunden werden sollen, auch wenn das (noch) mit Risiken verbunden sein sollte.
Es bleibt also ein Grundzug der Moderne, dass die Zusammenführung von Aufgaben und Lösungen in einer Lebensform und Routine etwas bleibend prekäres, ständig umgewälztes ist, angesichts des dauernden Innovationsdrucks, den der technische Fortschritt ausübt, ebenso die ständig als Nebenwirkung von Lösungen an anderer Stelle sich ergebenden neuen Aufgabenstellungen und Lebensnotwendigkeiten. Das einzig Dauerhafte und Bleibende in der Moderne ist, dass nichts bleibt wie es war.

14.
Dass es sich so verhält, hat mit der Anfangs-Zerrissenheit, als Ende der religiös-vormodernen Lebensform, zu tun – und mit der Anwendung der beiden verbliebenen Prinzipienpaare (nachdem die mittleren zu schwache Anforderungen stellen, um, bei rationaler Gestaltung des modernen Lebensentwurfs, sich weiter bemerkbar zu machen.)
Es ist von vorneherein nicht klar, welcher der beiden Seiten des zerrissenen Zusammenhangs von Aufgaben (ausgehend von Bedürfnissen), also ZWECKEN, und technischen Lösungen, also (möglichen) MITTELN, die verbliebenen Paare zuzuordnen wären – im Zweifel bilden beide Sphären gleichberechtigte Angriffspunkte für beide – nichts begrenzt ihre Anwendung auf die Gesamtheit der wuchernden und sich gegenseitig beflügelnden technischen Innovationen und immer neuen Aufgabenstellungen – kein Glaube jedenfalls, der einen Wechsel zu ganz anderen Erklärformen und Sinn-Vorstellungen (in Wahrheit: blossen Erklärungs- und Sinn-VERSPRECHEN) gebietet.
Bald stellt sich heraus, dass der Bruch zwischen Selbst-bezogenen Zwecken, und sich fortwährend erweiterndem technischem und Kontrollwissen (relevante Erkentnisse über Chancen (Nutzbares) und Risiken (vor allem absolute: Gefahren für unsere gesamte Reproduktion), die in der näheren und ferneren Umgebung lokalisiert sind) durch Anwendung der verbleibenden Prinzipien dramatisch vertieft wird.
Auf der Seite der Techniken und ihres Fortschritts gibt es die unproblematische Anwendung des Konstanzprinzips: Erkläre mit vorhandenem technologischem und Kontroll-Wissen soviel, wie möglich – wandle die Komplexe, die du kennst, dadurch ab, dass du ihre unmittelbaren Elemente geometrisch neu zusammensetzt (oder, im Fall von Substanzen (Flüssigkeiten, Gasen) neu mischst oer sich verbinden lässt), wobei du Konstanz der Eigenschaften der Elemente unterstellst: Finde die Regel, die erklärt, weshalb die Überlagerung von Elementen andere Effekte hervorbringt als zu erwarten gewesen wäre, falls es so kommt. Füge sie der Liste der Dispositionen der bekannten Elemente hinzu, falls diese Liste an der Stelle des Neu-Eintrags leer war; oder, erkläre den Unterschied zwischen dem Neu-Befund und einem ursprünglichen durch Veränderungen in der Zusammensetzung wenigstens eines der beteiligten Elemente.
Leitend für diese Strategie ist die einfache Abfolge von Zusammensetzungen, Komplexen, und deren Elementen – Erklärung der Effekte der Komplexe aus den Effekten, zu denen die Elemente des Komplexes disponiert sind, und der Art (Geometrie, Mischungsverhältnis) ihrer Zusammensetzung zum Komplex.
Grundsätzlich gibt es keine Regel, nach der sich entscheiden liesse, ob Abwandlung bestehender und Neu-Zusammensetzung zu grösseren Komplexen (nach dem Konstanzprinzip) einerseits, oder Ermittlung der Elemente der Elemente (immer weiter zurückgehend; nach dem Wissenserwerbs-Prinzip entlang von Bedingtheits-Relationen) die weiterführende Vorgehens- und Forschungsweise wären. Das erste wäre die Richtung der technischen oder technologischen Entwicklungen, das andre die physikalische und chemische Grundlagen-Forschung. Beide sind im Recht, und darum teilt sich das Feld der technischen Entwicklungen in diese beiden Zweige.
Das „natur“-wissenschaftliche „Erklären“ tritt hier zwar an die Stelle, die vordem von der welterklärenden (Welt-als-erklärbar-interpretierenden) des Glaubens eingenommen wurde; aber was erklärt wird, sind nichts als die Effekte von Komplexen aus der Überlagerung von Effekten ihrer Elemente: Erklärung von Ganzen, meist technischen Artefakten, Automaten und Automatismen, aus ihren Teilen.

15.
Sehen wir nach der andern Seite. Dort gibt es eine Fülle von Lebens-Möglichkeiten, die sich beliebig rekombinieren lassen, aber vor allem anlagern an und herumlagern um Berufstätigkeiten, Produktions- und Arbeitsformen, in denen die technischen Optionen der Moderne umgesetzt worden sind in Routine-Verfahren für ausgebildete Spezialisten.
Denn in der Moderne, trivialst-mögliche Feststellung, vermehren sich Spezialisten-Qualifikationen (und damit einhergehend, Arbeitsteilung) so schnell wie die unaufhörlich wuchernden und neu entdeckten Techniken.
Wenden diese Leute die Bedürfnis-Orientierung (erstes Prinzip) als Richtschnur für ihre Reproduktion an, dann fällt ihnen an ihrer Lebensform vor allem die Wiederholung auf. Nicht, dass Wiederholung nicht ein Bestandteil jedes gelingenden Menschenlebens wäre – aber bei ihnen wird sie (als notwendig alles andre ausschliessende Spezialisten-Routine) zur Schranke.
Die Routine-Berufstätigen brauchen somit das Andere, das Komplement zu ihrem vereinseitigten Alltag.
Aber auch die rastlosen Technik-Entwickler und Wissenschaftler suchen Kompensation.
Wieviel oder wenig sie erfahren bei ihrer Tätigkeit, wieviel Wissensfülle sie bewältigen, wieviel Konzentration sie zur Perfektionierung technischer Verfahren und Automaten aufbringen müssen – die möglichen Zwecke der Verwendung all dieser Kenntnisse liegen immer weit jenseits ihrer Sphäre. Bereits IN ihrer vereinseitigten Tätigkeit sind sie ja meist Spezialisten, die kaum wissen können, was die Kollegen der Nachbardisziplin treiben.
(Berufliches Routine-)Arbeiten, Produzieren, Vollziehen und Anwenden von Verfahren und Rezepten, in denen man „ausgebildet“ wurde – (technologisches) Konstruieren, Entwerfen, Entwickeln, Versuchen – (Wissenschaftliches) Wissen aufnehmen, verarbeiten, verallgemeinern, vermitteln – all diese wiederum unendlich sich aufteilenden und spaltenden Tätigkeitsfelder erzwingen an den in ihnen Tätigen eine jeweils ganz spezielle Kombination aus Überfülle an Material, und gleichzeitiger Verarmung in Gestalt übermässiger Konzentration auf Einzelnes – je nachdem, wie es der Anwendungs-, Entwicklungs- oder Erkenntniszweck gerade erfordert.
Diesen Ungleichgewichten der Aufmerksamkeits-Organisation in quantitativer Hinsicht entsprechen solche in qualitativer: Fortdauerndes Erkennen immer elementarerer oder räumlich immer weiter ausgedehnter Dispositionsträger schliesst aus von der Verwertung der Erkenntnisse in Gestalt von Technologien und Verfahren, schliesslich deren Verwendung in „beruflich“-professioneller Routine.
Die Verfahrensentwicklung wiederum ist passiv gegenüber dem Zustrom an verwertbarem Basiswissen, in dem sie nach „nützlichen“ oder praxisrelevanten Elementen fahndet.
Technologische Kreativität und Zweckmässigkeit zielt dabei letztlich nicht auf wirkliche Zwecke oder Lebenseinrichtung; stattdessen auf KÖNNEN, bei dem immer erst hinterher gefragt wird, wozu es denn gut sein könnte. Die Zweckfreiheit der Wissenschaft, die sich ganz an ihrem empirischen Stoff, und der Richtung aufs immer Kleinere oder Grössere, jedenfalls dem Ausgangshorizont Fernere, orientiert, geht somit auch der Wissens-verwertenden Technologie nicht verloren.

16.
Umgekehrt verhält sich die Welt der Produktion und Reproduktion, der Technik-Verwendung, ähnlich passiv zur Technologie, die ihr Verfahren liefert, wie diese zur Wissenschaft.
Von daher könnte man zu der Auffassung kommen, die Naturerkenntnis und ihre Verwendung wachse bruchlos von den „beherrschten“, zumindest gekannten Elementen „hoch“ zum zweckmässigen Einsatz für „unsere“ Bedürfnisse (Sicherheit, Sicherung des Grundbedarfs, Entlastung von Anstrengung / Bequemlichkeit, „Luxus“ usw.).
Aber in Wirklichkeit ist da, von beiden Seiten aus gesehen, ein unüberbrückbarer Graben zwischen dem Technischen und dem Leben – und sei es auch dem der „berufstätigen“ Spezialisten, deren Leben eher eine Verlängerung der Technik ist.
Freilich zeigt sich dieser Bruch nicht sofort – am Anfang dringen moderne Formen der Produktion und Lebensführung erst einmal nur in die vormodernen Lebenswelten ein, koexistieren mit ihnen, unterstützen sie oft auch bloss, „erleichtern“ sie.
Was Moderne ist, kann sie erst da vor Augen führen, wo sie das Leben vollständig beherrscht, in den Betrieben, dann in den Fabriken, Städten, den Wohnungen und Büros der Industriegesellschaft – später auch in den bio-technologisch durchorganisierten Agrar-, Fisch- und Fleischfabriken, den Forst- und anderen Grossplantagen.
Der Regel, dass man auf die reproduktive Wirkung einer bedürfnis-befriedigenden und -achtenden Lebensführung vertrauen können muss, wird im Leben der modernen Berufsmenschen und ihren künstlichen Lebensräumen auf vielfältige Weise die Grundlage entzogen.
Einmal, weil die Anforderungen ihrer Art zu produzieren, von den Produzenten eine permanente Selbstdisziplinierung verlangen, bei der von vorneherein feststeht, dass sie sich GEGEN die spontanen Bedürfnisse richtet und mit ihnen kaum vereinbar ist.
Darauf reagiert die Moderne, indem sie den technisch unvermeidlichen Belastungen und Beanspruchungen der ihren Produktionsweisen Unterworfenen Kompensationen zur Seite stellt, die Drogen- und Surrogatcharakter haben. Surrogatcharakter: Indem die Erscheinung und Fassade vormaliger Befriedigungsquellen („Lebensmittel“) möglichst perfekt imitiert werden, aber die Sache selbst verschwunden ist; Drogencharakter: Indem ausbleibende oder zu zeitaufwendige Befriedigungen durch andere, verfügbarere ersetzt werden, die zugleich in der knappen Zeit, die nach Arbeitsende und vor der unbedingt nötigen Erholung verbleibt, konzentriert verabreicht werden können. Durch quantitative Ausdehnung des zunächst zeitsparend Intensivierten wächst dem Ersatz der Drogencharakter zu – Zwischen-Belohnung für allzulang ausbleibende (oder nicht mehr erhoffte) Real-Befriedigungen.
Die zweite Regel, die einen nach den Bedingungen suchen lässt, unter denen die Bedürfnis-orientierte Reproduktion misslingt, wird daher in eine andere übersetzt, nämlich: Es sollen Bedingungen gefunden werden, unter denen die ausdrücklich bedürfnis-missachtende, selbst-disziplinierende moderne Lebensform physiologisch stabilisiert werden kann, so dass es möglich wird, die eingestandenermassen abnormen Leistungen in der Bewältigung verrückter Beschleunigungen (durch Überfülle von Material oder Geschwindigkeit von Arbeitsprozessen) oder Vereinseitigungs- und Konzentrationsanforderungen auf längere Frist zu erbringen.
Dass bei dieser von medizinischen Experten entworfenen technisch-diätetischen Zurichtung des eigenen Körpers empfundene Bedürfnisse erst recht missachtet werden, verwundert niemanden mehr.

17.
Ich erinnere daran: Der Riss, der sich in der traditionellen Lebensführung durch das Eindringen alternativer Techniken auf der einen Seite, von Befriedigungen (herausgerissen aus ihrer ursprünglichen Verwurzelung in einer Lebensform) andererseits auftat, aus denen man sich ständig wechselnd, völlig neue Alltage und prekäre Lebensweisen zusammenstellen konnte, als berufstätiger Spezialist zunehmend auch musste – dieser Riss, der sich mit fortschreitender Moderne zu dem eben erwähnten Graben vertieft, war es, der, sehr indirekt, den religiösen Glauben unmöglich machte, indem er die Entscheidungswege des autonomen Subjekts für es selbst thematisch und transparent machte.
Und an genau dieser Bruchstelle im und zwischen den Leben der Angehörigen moderner Gesellschaften beginnt die Tragödie, in der der moderne Epochenentwurf endet und SCHEITERT.
Ich wiederhole: Die modernen Lebensweisen sind ausdrücklich NICHT jene, für die das erste Prinzipienpaar gedacht war; die modern Lebenden WISSEN, dass sie fortwährend Bedürfnisse ignorieren, oder, dass sie sekundär, schon quasi-medizinisch, Befriedigungslücken zu stopfen haben, die sich unentwegt in ihren Alltagen auftun.
Die Anwendung des zweiten Prinzips stellt dann die Frage, wie unter solchen Zielvorgaben das Körper-MATERIAL technisch beeinflusst, gestaltet, am liebsten: neu zusammengesetzt (die Elemente, zu neuen Komplexen) werden soll, um die Körperautomaten dauerhafter und robuster zu machen, angesichts der Anforderungen, denen sie genügen.
Die gleiche Frage stellt sich angesichts der immer weiter ins Kleinste und Fernste vordringenden Wissenschaft und der auf ihren Resultaten (und der einfachen Konnstanzerwartung der ersten Regel des dritten Paars) basierenden neu-zusammengesetzten konstruierten Automaten und Verfahren.
Gerade die aus Wissenschaft und deren Fortschritten abgeleiteten Technologien, durch die Könnens-Möglichkeiten ausgeschöpft werden, lassen die Frage entstehen, was nun mit dem erreichten Können anzustellen wäre.
Die technisch unzulänglichen Körper-Leistungen teils zu ersetzen und überflüssig zu machen, teils medizinisch zu perfektionieren, ist eine Zielvorgabe, die fürs erste den Technikern durchaus zu tun gibt.
Die Frage stellt sich aber zunehmend, woher die Zielvorgabe stammt.
Und dann findet man, wenn es gut geht, zunächst noch vormoderne Restbestände, hingegen, einmal weit genug im Modernisierungsprozess fortgeschritten, nur immer neue Schichten an MITTEL-Verwendungen, deren Perfektionierung oder Stabilisierung die technischen Korrekturen und Hilfsmittel dienen sollen.
Fragt man dann, ob die Zielvorgabe selbst denn aufrechterhalten werden müsste, offenbart sich die gänzliche Ziellosigkeit dieses Mittelwucherns, und Mittel zur Stützung und Erhaltung von Mitteln Erschaffens. Ein ZWECK ist weit und breit nicht zu finden.

18.
Dabei ist das „Reich der Zwecke“ allgegenwärtig; es heisst üblicherweise: NATUR.
Wo immer die Moderne etwas Zweck-ähnliches vorstellt, geht es um REPRODUKTION, um Erhalt von etwas, Sicherung gegen Verfall, Beschädigung, Funktionsminderung oder -ausfall, Zerstörung usw.. Genau darum geht es auch in der Natur. Von den technischen Formen des Erhaltens und Sicherns (von Technischem) unterscheidet sich das natürliche in einer wesentlichen Hinsicht: Natur-Gebilde erhalten SICH SELBST – die Mittel, die erhalten werden, genügen, um eben diese Erhaltensleistung in bestimmten Umgebungen zu erbringen. Genau das macht ihre mehr oder weniger grosse Zweckhaftigkeit oder „Angepasstheit“ an die betreffenden Umgebungen aus.
In der Tat hätte die zweite Regel des dritten Prinzipienpaares, auf Natur angewandt, eine beeindruckende (Kategorien-)Hierarchie aufeinander aufbauender Weisen der Selbsterhaltung und des Überdauerns mit eigenen Mitteln (im Verbund aller lebenden Organismen) aufgedeckt. Nur wurden zugrundeliegende „Bedingtheiten“ nicht an Naturgebilden gesucht – sondern an technischen (Artefakten, Verfahren).
Die bekommen ihre (prekäre) Zweckhaftigkeit aber nur im Verbund mit Handlungen, und im Verbund DER Handlungen; nur in diesem Verbund auch lassen sie sich (durch VON AUSSEN HINZUTRETENDE Handlungen und Mittel) sichern. Das spezifische der Natur im eigentlichen Sinn, also der belebten, nämlich das Sich-mit-sich-, also SELBST-REPRODUZIEREN, ist an technischen Mitteln weit und breit nicht zu finden.
Freilich, nachdem die moderne Lebensführung abgestellt wurde auf Produktion und Bedienung der aus den Könnens-Optionen herausgewachsenen Verfahren und Apparate, operiert auch sie weit entfernt von jenen Normalzuständen, in denen ihre Zweck-Mässigkeit und Umgebungs-Gemässheit feststand. Die Umgebungen dafür existieren auch garnicht.
So kommt Natur, wo sie noch existiert, den technologischen Projekten der Reproduktion von Technologie mit immer neuer Technologie in die Quere.
Wo sie hingegen von vorneherein ignoriert wurde, in der rein künstlichen Sphäre der Geräte-Produktion aus mineralischen Rohstoffen, mit möglichst berechenbaren und gezielt, „zweckmässig“ gelenkten Energie-Flüssen und -Einwirkungen gekoppelt: da geht es so elementarisch-feurig zu, wie bei der Entstehung der ersten Stufen des Lebens.
Denn, soweit das Projekt der Moderne überhaupt eine Richtung aufweist, könnte es so zusammengefasst werden: Eine Natur erschaffen, aus den unbelebten, vor-naturhaften Bestandteilen der Umgebung – als gäbe es noch keine; oder als wäre die existierende Natur eine schlechte, uns schädigende, eine Umgebung, die zu uns so wenig je passen wird wie wir zu ihr – eine UNNATUR.
Aber wie kann es dazu kommen?

19.
Wer von Technik und technischen MITTELN spricht, ist sich im klaren, dass sie für sich nichts sind ohne Zusammenwirken mit unserem HANDELN; und, dass sie gewählt, gestaltet, eingerichtet werden auf spezifische ZWECKE hin, die nicht in ihnen selber liegen.
Die moderne Technologie, die scheinbar selbst-zweckhaft wuchernde, hat von sich aus keinen Zweck; ihr Wuchern muss sich daher anderswoher begründen. (Natürlich könnte es dafür eine soziale, genauer polit-ökonomische Ursache geben, wie im Anschluss an Marx, wenn auch mit vielen Varianten im Detail, behauptet wurde. Die Ursache muss nicht von vorneherein notwendig im Weltverhältnis gesucht werden. Aber genau das soll hier theoretisch, gegen alle soziologisierenden Erklärungs- und Abhilfe-Versuche, geleistet werden.)
Einmal von irgendwoher angestossen und motiviert, hat Technikentwicklung in sich selbst aber auch kein Mass – warum sollte sie irgendwo abbrechen, sofern sie nur überhaupt MÖGLICH ist?
Um zu sehen, woher Technik einen solchen Antrieb bekommt, müssen wir uns zurückbesinnen auf den Ausgangspunkt modernen Denkens: Die Trennung zwischen Bedürfnissen und Weisen, sie in einer kulturellen Lebensform, einem Alltag, zu befriedigen, einerseits; und: einer rein auf Effekte und bewältigbare Aufgaben (Problemlösungen) bezogener Technologie anderserseits (einer Technologie, die immer wieder die Frage aufwirft: Soll man das, was man nun kann, auch tun? Soll man sich das Problem überhaupt stellen?)
Wo im vormodernen Leben ein (freilich alle andern ausschliessender, und darum borniert-vereinfachter) traditionell vorgegebener Reproduktionszirkel war, und man „auf bedürfnisgerechte Weise Bedürfnisse befriedigte“ – da finden sich im modernen Leben zwei grundlegend unterschiedene Abteilungen: Technologische Mittel und ihre Entwicklung einerseits – nicht-technologische End- und Selbstzwecke, Bedürfnisse, Wünsche usw. andererseits, beide sind soweit getrennt, dass man die drei Prinzipienpaare, getrennt, auf jede der beiden (wie auf EINE Praxis) anwenden kann.
((Das mittlere Prinzipien-Paar 3/4 bzw. ES1/2, um das kurz zu erklären, liefert zwei minimale, nicht hinreichende Prioritätenregeln für das rationale Verhältnis zwischen Reproduktion und ihrem Fortschritt, und betrifft jede mögliche Reproduktion und den Fortschrittsentwurf, der aus ihr hinausführt. Hingegen, wie diese Reproduktion selbst zu gestalten ist und woraus der Fortschrittsentwurf, der aus ihr heraus gestaltet werden soll, abgeleitet werden soll, wird dadurch nicht reguliert.))
Das moderne Denken findet, beim Übergang weg vom religiös-vormodernen, somit nur Anwendungsfelder vor für die beiden Prinzipienpaare des Umgangs mit dem Selbst (das erste: KS), und des Umgangs mit Unwissen (das dritte: RU). Indem man den Glauben als allgemeinen Rahmen einfach wegliess, darum, weil die schöne Einheit von Bedürfnis und Arbeit in einer gelingenden traditionalen Lebensform (die, in dieser gelassenen Form, nur unter dem kognitiven Schutzschirm des Glaubens möglich war) wegbrach und der sich über sich aufklärende, sich modernisierende Mensch sich selbst als Entscheider zu begreifen lernte, verschwand das Bewusstsein der EINHEIT von Bedürfnis und Arbeit nicht – das notwendige (notwendig, weil ja IRGENDEIN Plan, Entwurf einer bestdenkbaren, möglichen Reproduktion, immer versucht werden muss) Ideal, das die vormoderne Lebensform vor Augen führte, verschwand nicht: Und die sich über sich selber Aufklärenden zögerten nicht, die zerbrochene Einheit mithilfe der beiden materialen Prinzipienpaare, in denen von ihrem Selbst, und von der Welt, der bekannten und unbekannten, und dem minimal-anfangenden Umgang die Rede war, wieder herzustellen.

20.
Indem sie das taten (und wir müssen noch einiges aufwenden, um zu begreifen, warum es schier unvermeidlich ist, dass sie es SO tun mussten), machten sie implizit die minimal-notwendigen Voraussetzungen über oder Prinzipien des Umgangs mit sich und der Welt zu HINREICHENDEN: als wäre, indem man die Geltung der Prinzipien, von der einen Seite über die Sphäre des Selbst hinaus, von der andern über die Sphäre des Umgangs mit Welt hinaus ausdehnt, zugleich der aufgebrochene Graben zwischen beiden Sphären überbrückt, und der schöne vormoderne Zusammenschluss beider wiederhergestellt. Genauer, die Anwendung der Prinzipien auf beide Handlungssysteme, Technik-Entwicklung und Lebensform, so ALS WÄREN SIE NOCH SO ZUSAMMENGESCHLOSSEN wie in der vomodernen Lebensform, wo eins dem anderen Grenzen zog und sie sich, angemessen, wechselseitig mit-definierten (die traditionalen regionalen Handwerks- und Agrartechniken die Lebensform; die Lebensform die Themen und Inhalte technischer Verbesserungen und Wissenserwerbe – die immer solche waren FÜR Praktiken und Arten der Lebenseinrichtung der jeweiligen Lebensform) – somit die Ausdehnung der Prinzipien-Anwendung auf die je andre Seite, wodurch man sich über das PROBLEM des Bruchs zwischen den Sphären hinwegsetzte – es bewirkte den ANSCHEIN einer vergleichbaren Wechselseitigkeit der Definition und wechselseitigen Rahmung der Sphären; ohne ihr Verhältnis allerdings so generell zu bestimmen, wie es der Unmenge an neuen und ständig sich erweiternden Alternativen, die erst in die Moderne führt und sie anschliessend wesentlich bestimmt, entsprechen würde.
Eine angemessene Anwendung der Prinzipien des minimal-vorläufigen praktischen Umgangs mit Selbst und ((un)bekannter)Welt setzt eine präzise Vorstellung vom Verhältnis beider, und ihrer Grenze, voraus. Eine solche allgemeine Bestimmung (die letztlich auf das Denken eines maximal ausdifferenzierten, kategorialen Naturbegriffs hinausläuft) hat die Moderne nicht einmal im Ansatz. Was hat sie stattdessen?
Von seiten des Selbst-bezogenen Prinzipienpaars zeigt zunächst einmal etwas in Richtung „Welt“: Das Prinzip, wonach die Bedingungen für Abweichungen vom „normalerweise zu erwartenden Selbsterhalt (Reproduktion) durch Bedürfnisbefriedigung“, kurz: Bedingungen für Krankheit zu beachten sind, um sie zu vermeiden und zu unterdrücken.
Auch die Technik hat die Aufgabe, Bedingungen für Regelmässigkeiten zu nutzen und zu beachten; sie muss dabei Vorgaben einhalten, die etwas zu tun haben mit den (gespürten) Eigenschaften unseres Organismus – die Verfahren müssen handhabbar, mit unseren Kräften bewältigbar sein; Schadeinwirkungen, die offensichtlich unsere Handlungsfähigkeit zerstören, indem sie UNS direkt zerstören oder verletzen, sollten vorhersehbar, abwehrbar, vermeidbar sein (wenigstens im Sinn, dass wir rechtzeitig ausweichen und flüchten). Soweit unser Organismus mit der Technik arbeitet, muss die unter Umständen auf seine Bedürfnisse abgestimmt sein, mit seinen Fähigkeiten zusammenarbeiten, den Abmessungen der Bewegungen gemäss, den Anforderungen der Wahrnehmungsorgane angepasst, und das alles, ohne unnötigen Aufwand zu verursachen oder den Benutzer vorzeitig zu ermüden. ERLEICHTERUNG von Arbeit und Bequemlichkeit in dieser Hinsicht geht lückenlos über in die ERLEICHTERUNG und Bequemlichkeit des Lebens ausserhalb davon – der Erholung von der Arbeit und der Wiederherstellung der Kräfte; und von da aus ist kein weiter Schritt zur ERMÖGLICHUNG von zweckmässigen Massnahmen gegen alles, was diese angestrebte und erfolgreich hergestellte Leichtigkeit von Arbeiten und Erholung gefährden könnte – also uns, als Nutzer der Technik, oder auch unsere technischen Mittel selbst.
Was liegt da näher, als das Beachten und, wo möglich, Vermeiden, Unterdrücken, Rückgängigmachen von Krankheitsursachen, an diese Reihe anzuschliessen, und „uns“ an der Spitze einer Hierarchie angesiedelt zu sehen aus Bedingungen technisch zu kontrollierender Bedingungen unserer technisch hochgerüsteten Handlungsfähigkeit generell (also der Produktion und Reproduktion unserer Mittel), unserer Bequemlichkeit, der Leichtigkeit von Arbeit und Erholung, und des Erhalts unserer Gesundheit (durch Vermeiden von Krankheitsursachen):
Zwischen und hinter den bereits bekannten Wirk- und Kausalzusammenhängen, die Zustände auf der obersten Stufe dieser Hierarchie erklären bzw. die Bedingungen nennen, unter deren Bestehen diese Zustände (soweit erwünscht) entstehen und fortbestehen, oder (soweit vermeidbar) unterdrückt werden können, sind, nach dem zweiten Prinzip des zweiten Prinzippaars, wiederum ergänzende und bedingende Bedingungen zu suchen und technisch zu verwerten, soweit möglich.
(Das allgemeine Prinzip des mittleren Paars, dass aktuelle Reproduktion nie auf Kosten ihrer Erweiterung gehen darf, ermuntert uns dazu.)


1b. Mögliche SELBST- UND WELTVERSTÄNDNISSE („Menschenbilder“, Selbst-, Praxis- und Weltbegriffe) von Trägern von Lebensentwürfen im Rahmen des modernen Kulturprojekts (mit seinen vier Wertsphären)

21.
Immer wieder müssen wir zurückgehen auf den Beginn dieser Entwicklung – den Übergang weg von der Religion, der zustandekam durch die aufgeklärte Einsicht in die eigne, unüberbietbare Urteils- und Entscheidungsfähigkeit (mit Gründen) („Vernunft“), der ihrerseits das Aufbrechen des traditionellen Reproduktionszirkels voraufging, in dem (im Idealfall) auf bedürfnis-gerechte Weise die bedürfnis-befriedigenden Aufgaben und Arbeiten erledigt wurden. Nun konnte niemand beim Feststellen der vermehrten oder gar wuchernden Optionen alternativer Lebenseinrichtungen stehenbleiben; wie prekär auch immer, richtete er sich immer wieder neue Alltage ein, in denen neue Lebensformen sich neuer Techniken bedienten, oder neue Technologien je zu ihnen passende Änderungen der Lebensführung verlangten – mit unvorhergesehenen Konsequenzen in Gestalt neuer Bedürfnisse, die wiederum neue Technologien erforderten. Der sorgfältig gefügte Zirkel einer traditionellen Reproduktion aus lange erprobten Praktiken der Produktion und Lebensführung ging somit in einen neuen über, in dem an die Stelle des Langfristigen und Erprobten das prekäre, kurzfristige Sich-Einrichten, und der ständige Veränderungsdruck von seiten der Lebensführung auf die Techniken, und von deren Seite wieder zurück auf die Lebensführung, trat: Der traditionelle Zirkel wurde ersetzt durch die Fortschrittsspirale.
Es ist das Nächstliegende überhaupt, diese praktische Seite des Übergangs, die sich ganz von selbst herstellt, wenn der Übergang von religiös fundierten Lebensformen weg (Modernisierung, Aufklärung) überhaupt stattfindet – in gewissem Sinn BESTEHT sie ja in diesem Übergang (die kognitive Konsequenz des Wegfalls einer wie immer personal oder mental verfassten Transzendenz ist sekundär) – mithilfe der genannten Gleichsetzung von Gesundheitsbedingungen und technisch verwertbaren Kausalbeziehungen zu deuten. Dieser Schritt aber ist der eigentlich entscheidende, und er wird ganz automatisch, ohne besondere Denkanstrengung gemacht (den praktischen Bruch der traditionellen Lebensform und den Eintritt in die Fortschrittsspirale vorausgesetzt).
Die Gleichsetzung liegt keineswegs bereits in der blossen Verwendung der sechs Prinzipienpaare: Sie waren und sind, ob nun explizit oder (wie wohl fast immer) implizit, als fraglos befolgte Rationalitätsregeln, Grundlage des Handelns aller zurechnungsfähigen, gesunden (usw.) Erwachsenen aller Zeiten.
Die Aufgabe, das bedürfnisbezogene und -beachtende Handeln mit dem welt- und wissensbezogenen technischen Vermögen wenigstens versuchsweise, (optimal)hypothetisch, experimentell, zusammenzubringen (und somit zu entscheiden, welche Gefahren für das Selbst man beachten, und wieviel von den überhaupt verfügbaren Kräften und Ressourcen man dabei mit welcher Priorität auf welche Aufgabe verwenden will), ist durch keinerlei Anwendung einer oder mehrerer der sechs Maximen bzw. (weltbezogen ausgedrückt) Hypothesen zu lösen, vielmehr umgekehrt ist die Lösung dieser Aufgabe Voraussetzung jeder Anwendung der Maximen.

Anm.  Der WOHLVERSTANDENE Begriff von Reproduktion und ihrem Fortschritt als das, worauf ES-Prinzipien anzuwenden wären, würde (allerdings erst nach-MODern) eine „bio-morphe“ Kategorien-Reihe nicht weniger öffnen, als der präzisierte technomorphe Weltbegriff das, worauf die RU-Prinzipien anzuwenden sind, in eine Kategorienhierarchie entfaltet (die in OPPs Epistemologie, dem Aberglauben, komplett ignoriert wird), oder der ästhesiomorphe Selbst-Begriff das, worauf die KS-Prinzipien, aus der Gesamtheit der personalen oder Entscheider-Kategorien heraus zu den MOD-Anthropologien („das, was wir spürbar SIND“) weiterentwickelt.

Der ganz selbstverständlich erscheinende Zusammenschluss von Technik und Leben durch Identifizierung von Gesundheits- mit technisch verwertbaren, bekannten Kausalbedingungen für Effekte (Selbst-Erhaltung als Effekt), IST aber der die Moderne schlechthin charakterisierende Schritt über die blosse Anwendung der sechs minimal-rationalen Maximen hinaus; er ist, in letzter Konsequenz, eine (Optimal)Hypothese über die Welt als ganze; er ist das Fundament des modernen WELTBILDES oder Weltbegriffs.

22.
Die beiden Richtungen der praktischen Orientierung erhalten von der jeweils anderen nun wesentliche Bestimmungen (womit ein verhängnisvoller Zirkel wechselseitiger Bedingtheiten beginnt, der keinen Anfang und keinen Grund hat):
Gesundheit, deren Bedingungen technisch gesichert werden sollen, wird zu einem mehr oder weniger komplexen EFFEKT, herzustellen als Vorgang, Eigenschaft oder Disposition an einem maximal komplexen Ding namens „Körper“ (an dem Vorgänge, Eigenschaften und Dispositionen sich ergeben als Überlagerung und Zusammenwirken von Vorgängen, Eigenschaft und Dispositionen passend zusammengelagerter und verbundener Teile). (Und es ist ja nicht zu leugnen, dass unsere Körper, wie alle Naturdinge, so auf jeden Fall AUCH schon bestimmt sind: Sie sind MINDESTENS das; nur ist es nicht ihre ganze Bestimmung; wir haben mithin daran eine notwendige, aber nicht hinreichende Bestimmung unserer selbst oder unseres Selbst.)
Das unaufhörliche Bemühen um technologischen Fortschritt und das immer tiefere Vordringen zu den Bedingungs-Fundamenten bereits bekannter Effekte oder möglicher, noch nicht gekannter, wird hingegen zur entscheidenden Bedingung der Selbsterhaltung, zur Lebens-Notwendigkeit.
Das Inventar der Techniken einer traditionalen Lebensform begrenzt schon längst nicht mehr thematisch die Suche nach Bedingungen der Abwandelbarkeit, Vereinfachung, Robustheit gegen Schadeinwirkungen verwendeter Techniken. Die Grenz- oder Frontlinie des kleinst- und wenigst-Komplexen, das jeweils technisch bereits beherrscht wird, tritt an die Stelle der traditionalen Themen-Begrenzung. An dieser Frontlinie des – nunmehr WISSENSCHAFTLICHEN und GRUNDLAGEN ERFORSCHENDEN – Wissens-Fortschritts ereignen sich die Entdeckungen von Bedingungen für das bereits Bekannte in der Moderne. Und soweit die Suche so etwas wie kategoriale Grenzen auslotet, sind es die Kategorien des denkmöglichen Elementaren (aus dem alles andre zusammengesetzt ist), an denen diese Forschung und Suche sich orientiert.
In umgekehrter Richtung führt EINE durchgehende Stufenfolge aus immer komplexeren Zusammensetzungen und damit Überlagerungen von Effekten (Vorgängen, Eigenschaften, Dispositionen) von den einfachsten Elementen, aus denen allenfalls alles Komplexere zusammengesetzt sein kann, bis hin zum „gesunden“ Körper, als dem „Grenzkomplex“ und Gegenpol der Elemente schlechthin.
Aber in einer modern beschleunigten Welt, worin der ständige Wandel aller Lebenseinrichtung zum Alltag, der Ausnahmezustand zur Normalität geworden ist, gibt es den Referenzpunkt nicht mehr für die Feststellung dessen, was als gesund und was als Beeinträchtigung der normalen und guten Lebensführung gilt. Zwar gilt die erste der sechs Maximen nach wie vor, und sie wird auch befolgt, dass nämlich Bedürfnisbefriedigung auf Dauer die wichtigste Bedingung für unsere unmittelbar leibliche Reproduktion darstellt. Es fehlt nur an der Dauerhaftigkeit der Lebensformen, dauerhaft ist eher der Wechsel; oder, noch schlimmer, die viel zu lange Dauer des eigentlich nur vorübergehend Erträglichen. Denn im Verlauf der fortschreitenden Moderne erzwingt die Technik Anpassungsleistungen bei ihren Benutzern, die diese nicht mehr zu Anwendern, Beherrschern, Lenkern macht, sondern mindestens ebensosehr zu TEILEN der Apparate, deren automatenhaft-sichere Funktionsweise sie mit äusserster Konzentration und Disziplin begleiten, oft noch überbieten müssen. Von der Entsagung der Wissenschaftler ganz zu schweigen – von ihr, und der bornierend ausschliesslichen Konzentration auf EINEN mehr oder weniger winzigen Erfahrungs-Ausschnitt, der kaum noch mit Leben und sehr viel mit der Anpassung der Tätigkeit des Forschers an die Eigenschaften und Erfordernisse dieses Gegenstands zu tun hat.

23.
Man sieht es den Bedürfnissen also nicht mehr an, ob sie „Grundbedürfnisse“ sind (die freilich oft genug sehr bewusst missachtet werden, um den Anforderungen der Arbeit mit Apparaten und technischen Verfahren gerecht zu werden), oder „kompensatorische“, die bereits Ausdruck der Beschädigung durch asketisch-disziplinierende und borniert-vereinseitigende Lebens- und Arbeitsformen unter Bedingungen der technischen Moderne sind.
Das Schwergewicht in der Bestimmung wirklich dauerhafter (nachhaltiger, reproduzierbarer) Formen der Lebensführung (erst recht des Nutzens medizinisch-technischer Eingriffe zur Wiederherstellung oder gar Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit, auch in der Variante des diätetischen Ratschlags, was zu meiden oder zu tun sein soll), also in der Bestimmung von Gesundheit ist vom ursprünglichen Gedanken eines ZUSAMMENWIRKENS der zweiten Selbst-Erhaltungsmaxime mit der ersten, oder des konstitutiven Bezogenseins der zweiten auf die erste, verlagert auf die wissenschaftliche Prognostik; und die dreht sich zwar auch um Reproduktion und Dauerhaftigkeit – aber von was?
von Arbeitsfähigkeit?
von Disziplin und Selbstverleugnung?
von möglichst weitgehendem ABSEHEN von Bedürfnissen, sofern sie der Selbst-Zurichtung und Selbst-Perfektionierung als Partner-Instrument von Technik entgegenstehen?
Auf eigenartige Weise findet sich das zum Automaten umgedeutete und umfunktionierte Selbst nun nach zwei Seiten hin isoliert:
(1) Die Bedürfnisse sind immer noch vorhanden; aber statt dasjenige zu DEFINIEREN, an dessen Dauerhaftigkeit und Intaktheit GESUNDHEIT und ihre Bedingungen zu bemessen und bestimmen wären, treten sie IN KONFLIKT mit diesen Bedingungen.
Die Bedürfnisse, seien es ursprüngliche, aber im Zuge des Arbeitstages vernachlässigte, seien es bereits kompensierende – Wunschträume, Sehnsucht nach dem GANZ Anderen und dem eignen maximal Entgegengesetzten – haben auf einmal Platz nur noch in den NISCHEN des Alltags. Von seiten der medizinischen Diätetik wird ihnen ein höchst prekärer Status von vorläufig zu duldenden Eskapaden, vielleicht auch, je nachdem, von „nützlichem“ oder gar „notwendigem“ Ausgleich zugestanden; sofern der positive Effekt auf die Leistungssteigerung statistisch nachweisbar ist.
(2) Nach der andern Seite hin ist die Isolation des Selbst noch beeindruckender; da verliert sich die Bedingungs- und Stufenreihe im Dunkel und Wirrwarr einer Unzahl nicht beherrschbarer Körperfunktionen (als „Bedingungen“), die alle intakt bleiben und dabei ineinandergreifen sollen, deren genauer SINN, also Auswirkung auf den Haupteffekt der Leistungssteigerung, sich uns im Einzelnen freilich immer wieder entzieht.
Die Bio-Technologie, die sich quasi von unten, von den Elementen her in dies zunehmend komplexere Feld vorarbeitet, bekommt es mit derselben Grenze (genauer gesagt, dem zähen Widerstand gegen dies Voranarbeiten) in Gestalt viel zu komplexer Regelkreise und Funktionszusammenhänge zu tun.
Die gute Absicht, sich ein stabiles und dauerhaftes Fundament in der Welt zu schaffen und das materielle Selbst als maximal robusten Apparat und Komplex aus zuverlässig und sicher gekannten, und zweckmässig angeordneten und verbundenen Elementen zu re-konstruieren – diese Absicht scheitert, von beiden Seiten, an dem riesigen kategorialen Dunkelfeld (es ist die eigentliche, die bio-, nicht technomorphe NATUR), das die eigentlichen Lebensgrundlagen und Bedingungen unserer biologischen Reproduktion einhüllt.
Aber auch die Technik isoliert sich, wiederum, nach ihrer „anderen“ Seite – der der chemisch-physikalisch ermittelten Elementar-Ebenen: Mag dort auch alles aufgeklärt und bekannt sein, bis hin zur Weltformel; selbst wenn wir sie hätten – was sollen wir mit dieser Kenntnis anfangen? Je grundlegender die Erklärung – desto mehr wirft sie die Frage auf: Was hat das mit uns zu tun? Was verstehen wir nun an uns selbst besser?
Die Isolation nach dieser Seite hin ist eine ganz ähnliche wie die des Gesundheitsdenkens nach der Seite der Bedürfnisse; Gesundheit mit ihren Bedingungen scheint im Prinzip das universale Lebens-Mittel schlechthin; aber ihre Bestimmung bleibt unklar, und die praktischen Konsequenzen vieldeutig.
Auch das Grundlagenwissen stellt die Mittel bereit für jedwede Technologie; aber was generell zu können wünschenswert wäre, bleibt unklar.
Bedürfnisse und Techniken weisen in gleicher Weise eine chaotische Vielfalt auf, der man zwar mit Systematisierung von Geschmäckern und Anschauungen, die zu durchleben, und von Effekten, die zu beherrschen wären, begegnen kann; die Frage, welche (aus dieser schnell unübersichtlich werdenden Masse an Möglichkeiten – das haben Erlebens- und Beherrschungs-Utopien gemeinsam) davon man sich zueigen machen soll, bleibt offen; ebenso, welche RICHTUNG je diese Vielfalt einschlagen könnte, welche Ordnungsprinzipien ihr ein Prioritätenmuster aufprägen könnte, dem folgend man sie in sinnvoller Reihenfolge abarbeiten könnte.

24.
Der Bruchspalt, der am Beginn der Moderne steht und zur Einsicht in die Unmöglichkeit des Glaubens führte, lässt sich somit, auf modernen Grundlagen, nicht wieder heilen.
Es bleiben zwei Paare von Ziel- oder Wertesystemen (getrennt durch den Spalt); wie diese Paare sich zueinander verhalten, bleibt unbestimmt.
In jedem der beiden Paare scheint eins der beiden Wertesysteme eher den Tatsachen in Welt und Bewusstsein (Aussen- und Innenwelt) zugewandt; das andre hingegen beruht auf der grundlosen Entscheidung, durch die man sich aus der unbewältigbaren Vielzahl von Optionen, wie man sich ZU diesen Tatsachen verhalten kann, eine individuell angepasste Zusammenstellung wählt.
Von den beiden Paaren wiederum ist eins eher Zweck-artig; das andre Mittel-artig.
Diese beiden Rollen sind also nicht mit den beiden erst genannten, Fakten-Orientierung oder Willkürwahl, korreliert:

Ästhetik: Fakten-abhängig objektiv + zweckhaft

Reproduktion: wählend/konstruierend+zweckhaft

Technik: wählend/konstruierend+mittelartig

Wissenschaft: Fakten-abhängig objektiv + mittelartig

Im Paar Technik/Wissenschaft ist Technik wählend/konstruierend, die Wissenschaft fakten-orientiert – genauer ist sie orentiert an den Aussenwelt-Fakten in der Welt. Aber die von der Wissenschaft entdeckten Elemente, ihre Dispositionen, und die daraus abzuleitenden Naturgesetze für das Verhalten dieser Elemente, wenn sie in bestimmten geometrischen Konstellationen, Bewegungszuständen, Abständen zueinander vorkommen – diese Fakten sind doch nur das Material, aus dem sich die Technologie bedient, um sie zu neuen, komplexen Elementen mit Komplex-Dispositionen und Komplex-Gesetzen für ihr Verhalten zusammenzusetzen. Welche unter den möglichen Komplexen sie herstellen will, entscheidet die Technik aber aus sich heraus. Dass Technologie systematisierbar ist, ändert nichts daran: Es ist Sache der Technologen, zu entscheiden, wieviel von dem, was überhaupt zu können gelernt werden könnte, auch zu lernen, erproben und zur Routine werden zu lassen versucht werden sollte.
Im Paar Ästhetik (Kunst, Unterhaltung, Spiel, Abenteuer, Reisen, Exotik) / Berufstätigenalltag ist der Alltag des Einzelnen eine Realisierung von Möglichkeiten, die einerseits von der Technik, andererseits von seiten der ausseralltäglichen Sphäre her sich anbieten; diese letztere Sphäre ihrerseits ist die Gesamtheit an möglichen Wunscherfüllungs-Situationen, oder kurz Wünschen, deren Realisierung aus der Perspektive eines gegebnen Alltags erlebens-wert sein könnte (gegeben ist er freilich nicht an sich, sondern wie er gewählt und gestaltet wird aus den Möglichkeiten). Dabei wird zunächst durch „Schmecken“, Versuchen, Ausprobieren der Raum der Genüsse mithilfe einer Suche nach Geschmacksproben ausgeleuchtet, hernach auch die dabei gemachten Erfahrungen verallgemeinert und rekombiniert, indem man, umgekehrt, zu bekannten Genuss-Interessen, Appetiten, Wunsch-Erlebens-Arten denkbare Befriedigungsquellen konstruiert und optimiert.
Die Tatsache, dass diese konstruktive („kreative“) Tätigkeit nicht so bald an ein Ende kommt, ändert nichts daran, dass ihr Erfahrungen mit tatsächlichen Befriedigungserlebnissen (also erlebten Fakten; inneren wie äusseren, und ihrer Verbindung miteinander) vorausgehen, die als Paradigmen und Basis für Abwandlung und Optimierung der Befriedigungsquellen dienen.

25.
In den jeweiligen Selbst- (wählend/konstruuierend=nicht-faktengesteuert, „willkürlich“, „kontingent“) gestalteten Anteilen Arbeits-Alltag (Lebensführung, tatsächlich (und möglichst komfortabel) realisierte Bedürfnis- und Wunschbefriedigung; gestaltet, zusammengestellt, gewählt freilich im Rahmen eines Sich-an-(Leistungs- und Verzichts)Grenzen-Halten-Müssens und in diesem Sinne Nicht-Frei-Seins) und Technologie (gestaltet, zusammengestellt, gewählt im Rahmen bekannten „Wissens-dass“) erkennen wir die gewucherten und eben deswegen aus ihrem traditionalen Gefüge herausgedrängten („aus den Fugen geratenen“) Momente einer traditionalen Lebensform: ihren Charakter, bedürfnis-stillende, befriedigende Praxis zu sein – und das real, im Rahmen bekannter, routinemässig eingefahrener Produktionsweisen. (Man könnte sagen: Auf produktive Weise befriedigend, auf befriedigende Weise produktiv – so stellt sich, im Erfolgsfall, eine traditionale Lebensform, in und unter einem religiösen Glaubensrahmen, dar.)
Und natürlich entsprechen die Fakten-orientierten Anteile, „freies“ Wunsch-Erfüllungs-Vorstellen (Erlebnis-Wählen und -Zurückweisen) und (durch Fakten determinierte) Elementarwelt-Kenntnis, den beiden im Glaubensinhalt vereinigten (und dort im selben Schritt realisierten) Funktionen der Sinn-Definition einerseits, und der (vollständigen) Welt-Erklärung auf der anderen Seite.
Wir erklären, nach modernem Verständnis von Wissenschaft, alles Vorhandene (in zweiter Linie das von uns bewusst, aber auch unabsichtlich, als Nebenfolge, Erzeugte) als Zusammensetzung aus den bekannten elementaren Dispositionsträgern – Komplex-Dispositionen des Komplexen aus der Überlagerung von Dispositionen der in dem Komplex in dieser geometrischen Anordnung zusammengefügten Elementar-Entitäten.
Der Inbegriff von Erfolg, Gelingen, Glück, Erfüllung (erfülltem, glücklichem Leben – im Sinn von: gesamtem Leben, Lebenslauf)) und insofern Sinn wiederum, nach modernem Verständnis, ist die Menge alles aus irgendeiner (Alltags-)Perspektive zuverlässig-vorhersehbar, aber auch überraschend (kompensatorisch) Erlebenswerten (jenseits dieses Alltags).
Allerdings sind die Massen zumindest der zuverlässig-vorhersehbaren Befriedigungsquellen nicht an sich schon sinn-erfüllend, sondern nur Mittel.
Sinn machen würde erst ihre ganz spezielle Zusammenstellung mit passenden Überraschungen (die so nicht wiederholbar sind) in einem dadurch maximal gelungenen individuellen Leben.
Ebenso fehlt der modernen Form der Maximalerklärung („Weltformel“), der Kenntnis des absolut Elementaren, seiner Dispositionen und der Gesetze des Verhaltens, wie es sich beim Zusammenwirken mit seinesgleichen in Komplexen ergibt, strenggenommen das entscheidende Moment für eine Erklärung: Sie erklärt, wie ein Komplexes funktioniert (wie und woraus man es mithin bauen und zusammensetzen müsste, um es zu reproduzieren).
Sie erklärt aber nicht (wie es ein religiöses Glaubenssystem wenigstens dem Anschein nach tut), warum ein Komplex daist; warum er, und nicht ein anderer – was in der Welt oberhalb der Ebene der Elemente überhaupt notwendig da und so (und insofern erklärbar) ist, und was nur zufällig (und was, speziell, aufgrund eines Anfangs-Zufalls notwendig da und so bleibt, wie es dabei geworden ist).

26.
In einer religiös eingerahmten oder fundierten Welt gab es zumindest das Versprechen (bis auf weiteres), dass das, was da ist (einschliesslich man selbst), so wie es ist, auf Dauer Sinn machen würde (und sich daraus Sinn machen liesse) – dass es so da war, wie es war, WEIL es dadurch und so Sinn machen würde.
In der Moderne ist das, was ist (uns eingeschlossen), so, wie es ist, erst einmal überhaupt nicht Sinn machend – Sinn ist, wenn überhaupt, jedenfalls nicht gegenwärtig; bestenfalls etwas in fernster Zukunft Erreichbares – fast möchte man sagen: am Ende aller Tage.
Die moderne Zielkategorie wäre zwar irgendwie: das selbstbestimmte, gute, erfüllte Leben.
Aber dazu fehlt es, aus Sicht der modern Gewordenen, Aufgeklärten zunächst einmal an ALLEM.
Durch Anwendung der ersten bzw. letzten der sechs Maximen auf die auseinandergerissenen Elemente der traditionalen Reproduktion ergaben sich: die Sphäre des kompensatorisch-ausseralltäglich-Erlebenswerten; und die Sphäre der möglichen Elemente zu Komplexen.
Beide sind Objekt EMPIRISCHER Erprobung und Erforschung eines an sich VORHANDENEN.
Und sie sind Ersatz für die im religiösen Glauben zusammengeflossenen Kategorien des Sinns (Sinn machenden, Sinn erfüllenden, Optimums) und des die Welt so, wie sie (tatsächlich) ist, Erklärenden.
In der Moderne ist aber beides, die Menge der (je aktuell) möglichen Sinn-Erfüllungen, und die der (technisch und natürlich in Komplexen auftretenden) Elemente maximal weit getrennt; so getrennt, sind sie nicht nur Gegenstand einer empirischen Inventarisierung und Bestandsaufnahme. Sondern in der Alltagspraxis der Berufstätigen einerseits, und in der Entwurfspraxis technischer Entwicklungen verhalten sich die modernen Gesellschaften auch auf getrennte Weise zu diesen getrennten Beständen ((aktuell mögliche Sinnerfüllungs-, also ästhetische) Erlebnisse und (bekannte physikalisch-chemische) Elemente).
Dies Sich-Verhalten findet in sich und an und in dem, wozu es sich verhält, KEINEN GRUND: Es ist WILLKÜRLICH, in dem Sinn, dass es die denkbaren Kombinationen, die es für praktische Umsetzungen (Zusammenstellungen mit den Anforderungen eines Arbeitsalltags; Zusammenfügungen mit andern Elementen zu Komplexen, die technische Effekte zuverlässig zu (re)produzieren gestatten) wählen könnte, grundlos bestimmt.
Dabei gibt es freilich gewisse  SCHWACHE Zweck- und Mittel-Beziehungen, die eine ebenso schwache Begründung für spezielle Wahlen liefern:
aus speziellen Alltags-Situationen resultieren Problemstellungen, zu denen die technischen Effekte gesucht werden könnten, die Antwort darauf geben;
spezielle technologisch begründete Arbeits- und Lebensformen lassen bestimmte Kompensationen  attraktiver erscheinen als andre (die herzustellen womöglich wiederum neue technologische Fragestellungen aufwirft).
Mit diesem Hin und Her von Problemlösungen und daraus resultierenden neuen Problemen schraubt sich jene prekäre Ausdifferenzierungsbewegung aus ständig wechselnden arbeitsteiligen Alltagen (verschiedenster Berufstätigengruppen) und immer neuen technologischen Effekten vorwärts, die in der Moderne die traditionale Reproduktion mit ihren strikt detail-bezogenen Besserungen und Neuerungen ablöst, und FORTSCHRITT heisst.

(Die Sinn-Erlebnisse, die jedem Einzelleben zu jeder Zeit und Stellung dieser Spirale ein Maximum an zu diesem Zeitpunkt erlebbarem (wenn schon nicht lebbarem) Sinn (oder Sinn-Anschauung, -Vorstellung) hinzufügen, helfen mit, die Beschädigungen dieser Einzelleben durch Verzichte und einseitige Überbeanspruchungen in der Berufs-, technischen und Forschungs-Sphäre zu ertragen und zu kompensieren. Diese Kompensationen sind nicht solche von „leiblichen“, wiederkehrenden (wenn auch auf Abwechslung angewiesenen) „Appetiten“ (das wäre nur niedrige Genre-Ästhetik); sondern ausgefeilte Behebung von spürbaren (spätestens im Moment der Kompensation, nachträglich) Erfahrungsdefiziten, die sich im Rahmen der Berufs-, Entwickler- und Forschertätigkeit aufbauen, und auf Dauer, ohne solche wiederkehrende Behebung, als massives Sinn-Defizit bemerkbar machen würden. Ihre Notwendigkeit und zugleich Flüchtigkeit verweist auf das schwerwiegende Sinn-Defizit, das moderne Lebensentwürfe und durch sie das gesamte moderne Kulturprogramm, die moderne Individualität, aufhäufen durch die Art, wie sie Wissenserwerb und -Verarbeitung definieren und umsetzen.)

27.
Indem hier auf eine (wenn auch nicht sehr strikt definierte) Weise die Alltags-Anforderungen und Bedürfnisse der Berufstätigen-Spezialisten einerseits, und die Entwürfe der Technik-Entwickler und -erfinder andererseits einander Vorgaben und Angebote liefern, wiederholen sie auf modernen Grundlagen und sehr dynamisiert, was sich im maximal gelassenen Reproduktionszirkel der religiös fundierten Vormoderne sehr langsam, und unter (wenn auch bornierter) korrekt verteilter Anwendung der drei Prinzipien- (Maximen, Hypothesen)-Paare, langsam und doch stetig abspielte – damals war es ein ständiger (vergleichsweise ruhiger) Fluss an kleinen technischen Innovationen hinsichtlich bestehender und lang bewährter Produktionsweisen, die darum nie so, wie in der Moderne, nämlich ständig global und an vielen Stellen zugleich umgewälzt wurden, mit der Folge, dass der Neuanfang in Permanenz (wie nach einer Grosskatastrophe, im Anschluss an die sich alle äusseren Lebens-Bedingungen völlig neu darstellen) zum Normalfall wird.
Es GIBT einen Bedarf nach einem Zusammenspiel von Technologie und Produktion – sie stellen sich wechselseitig Aufgaben, sie bieten einander wechselseitig Lösungen (Produktion der Technik denkbare Verwendungen und Anpassungs-Bereitschaften der Nutzer eines Verfahrens oder Geräts; Technik liefert der Produktion und dem Produzentenalltag attraktive Lösungen bekannter Problemstellungen).
Nur, dass diese Zusammenarbeit in der Moderne die Form des permanenten Verwirbelns, der vorwärts wirbelnden, sich ständig verbreiternden und immer tiefer ins Leben der Gesellschaft einfräsenden, es mitreissenden und verformenden Fortschrittsspirale hat.
Dennoch sind diese beiden, verglichen mit allen andern Paarungen aus modernen Wertesphären, noch am innigsten und offensichtlichsten verknüpft, arbeiten noch am ehesten zusammen und einander zu.
Die verbleibenden anderen beiden bilden da schon eine sehr viel prekärere Koalition miteinander aus. Ihre Gemeinsamkeit gegen das andre Paar stellt sich dar als (zunächst einmal) Nicht- (oder jedenfalls nicht einfach so) Gemachtsein, stattdessen als blosse Vorhandenheit, und in dieser Eigenschaft Empirisch-gesucht-, -gefunden-, -festgestellt- und auf Benutzbarkeit hin experimentell Getestet-werden-Müssen (selbst wenn sie dazu in rasender Folge entworfen und erzeugt werden müssen, wie in der Kunst, wo es auf die Wirksamkeit und Sicherheit der wählenden Geschmacks-Funktion und ihrer ERFAHRUNG ankommt, der Übersicht über Alternativen, die sich in ihr ausdrückt…)
Sie sind die äussersten Exponenten und Pole einer Stufenleiter an „Vorhandenem“ und potentiell empirisch Erforschbarem – Masse und Materie der kleinsten bekannten Bestandteile alles Daseienden auf der einen Seite, unsere fühlbare (Bedürfnis)Natur und ihr kompletter (also VOLLSTÄNDIGER, alle Bedürfnis-Anteile erfassender) Aufbau auf der anderen Seite; das letztere könnte man nennen: den Gegenstand der (sich als empirische Naturwissenschaft verstehenden) Psychologie und Neurophysiologie; und, in deren Vorfeld, die feinsinnige und subtile (introspektive) Selbst(er)kenntnis von Ästheten, Künstlern, Komödianten und andern sensiblen Naturen, die die Quellen von (vermeidbaren) Miss-Geschmacksempfindungen und (möglichst immer aufs neue reproduzierten, bei Abnutzung angemessen abgewandelten) Wohlbefindens- und Glücksgefühlen fein säuberlich ermitteln, klassifizieren, und zu objektivieren versuchen (derart, dass die bekanntermassen erprobten und reproduzierbar gemachten Quellen an Massen-Nutzer und -Geniesser aus der Alltags- und Berufstätigensphäre, im weitern wohl auch der Forschungssphäre, mit ihren aktuellen Erfahrungs-Defizienz-Kompensationsbedürfnissen, weitergereicht werden können).
Zwischen diesen Polen erstreckt sich, aufgebaut aus den nächst-komplexen Zusammenfügungen aus Elementar-Material, der ganze Rest an Natur, verstanden als Gegenstand der (mit den eben aufgezählten „Erkenntnis-Zielen“ emipirisch verfahrenden) hierarchisch vom Elementarsten zum Komplexen sich aufbauenden, aber immer empirischen Naturwissenschaft.

28. (Erste Zusammenfassung)
Eigentlich sind nicht viele Schritte absolviert worden, ausgehend von dem Punkt, von dem modernes Denken seinen Ausgang nimmt. Und doch faltet sich vor unsern Augen plötzlich ein ganzes Weltbild auf – so unerschütterlich überzeugend, dass man kaum zu fragen wagt, wo seine Fehler liegen könnten. Dennoch weist bereits die Art seiner Entstehung in den wenigen Schritten, die dazu nötig waren, auf schwerwiegende Mängel.
Zerreissung des Bedürfnis-bezogen Zweckhaften und rein technisch auf Effekte zielenden Instrumentellen (zusammen mit unseren Arbeits-Aktivitäten) bildet den Anfang.
Zwanglos ergänzt es sich mithilfe elementarer rationaler Prinzipien (1 und 6) durch die Flügel-Elemente der welt-erklärenden Wissenschaft vom zunehmend Elementaren einerseits, der Kompensation und Ersatzbefriedigung und dadurch zu vollendenden Sinnerfüllung andererseits.
Denn nach Welterklärung und Sinnerfüllung, die im religiösen Glauben zusammengeschlossen waren durch EINEN (wenn auch unbestimmten) Inhalt (mehr ein Versprechen auf einen solchen), besteht weiter Bedarf. Indem sie gedeutet werden als Ziel der Anwendung von 1 und 6, sind sie maximal auseinandergetreten, und verbinden sich mit den beiden ihrerseits beim Zerbrechen der Tradition zerrissenen und nie wieder stabil zusammenkommenden Praxis-leitenden Zielsystemen (Alltags-Bedürfnisse und Reproduktions-Anforderungen; technisches (Immer-mehr-)Können, (Fortschritt der) Produktion).
Durch Subsumtion der Prinzipien 1 unter 5, 2 unter 6, dh. Identifizierung der Suche nach Gesundheitsbedingungen als Spezialform der Suche nach Bedingungen für technisch verwertbare Formen von Konstanz wird der Bruch scheinbar überwunden, oder stellt sich vordergründig nicht mehr dar: Gesundheit, dauerhaftes Selbst-(aber was ist das?)-Sein und Bleiben, wird technologisch als ein (möglichst dauerhaft zu machender) komplexer Effekt begriffen; für den die Bedingungen seiner Möglichkeit zu suchen und in technologische Verfahren seiner Herstellung oder Sicherung durch produktive Massnahmen aller Art umzusetzen, zum vermeintlichen Ziel und Sinn der Wissenschaft und Technik wird.
In gewissem Sinn wird der Bruchspalt durch diesen Schritt verschoben; während Technik (und ihr zugrundeliegende Wissenschaft) und Re-Produktion, in Gestalt immer aufwendigerer und raffinierterer Selbst-Erhaltung (auch durch Befriedigung von („Fitness“-)Anforderungen, die der Erhalt seiner selbst als MITTEL und Element technologischer Wirkfähigkeit nach sich zieht) sich scheinbar bruchlos zusammenschliessen lassen – der Spalt zwischen ihnen wird aufgefasst als mangelndes technisches Können und Wissen, das durch beschleunigte Forschung zu beschaffen ist – , liegt nun ganz jenseits davon die Sphäre der kompensatorischen Träume – also dessen, wofür die ganzen Anstrengungen, und der Umweg der Selbst-Erhaltung unternommen werden. Nur, dass die Technik und Produktion hier zu Helfern in einer Not werden, die sie selbst erst verursacht haben.
Das ist da aber schon längst vergessen.
Auch dieser Bruch wird freilich geheilt: Indem man sich auf das Gemeinsame, die gemeinsame Quelle der Inhalte besinnt, die Kunst usw. und Physik (erst recht alles, was dazwischenliegt) verbindet: Empirie, kennenlernbare, zur Kenntnis nehmbare und technisch verwertbare Fakten. Erfahrung von Gefühlsfakten und ihren Zusammenhängen auf der einen Seite, Erfahrung von (indirekt aus ihren makroskopisch erfassten Spuren erschlossenen) Elementargebilden, ihren Eigenschaften, Vorgängen an und mit ihnen, und Dispositionen dazu an ihnen, auf der andern Seite.
AUF diese Fakten, also Erfahrungsinhalte, reagiert ihre Verarbeitung zu möglichen Technologien und deren Einfügung in immer prekäre (re)produktive Alltage.
Diese Einfügung oder Zusammenfügung ist freilich grundlos; findet an den so – in verschieden zu bearbeitende Bestandteile –  zerlegten Erfahrungsinhalten keinen Grund, und ist beliebig, in diesem (absurden Sinn) frei, oder willkürlich. Das Willkürlichste aber von allem und das Flüchtigste scheinen jene Erlebnisse und Anschauungen, in denen sich halluzinatorisch ereignet und sichtbar machen lässt, was einem im eignen Leben derzeit am meisten fehlt (die ästhetisch Sinn-erfüllenden nämlich).

29.
Die Fakten, auf die reagiert wird, bilden einen durchgehenden (wenn auch noch der Forschung nicht vollständig erschlossenen) Zusammenhang; die darauf reagierenden Produktionen (einschliesslich der Vorarbeiten dafür: technisches Erfinden, Gewinn systematisch-wissenschaftlichen Expertenwissens auf allen genannten Gebieten) ebenso.
Determinierte Fakten-Empirie und darauf willkürlich-kreativ antwortende, sie verwertende produktive Entwürfe stehen sich gegenüber.
Auch die (teilweise völlig entgleisten) Alltagsbedürfnisse haben ja ein fühlbares empirisches Korrelat. Auch die produktiven Tätigkeiten sind faktisch da.
Tatsächlich lässt sich die Logik der Angleichung aller vier modernen „Wertsphären“ aneinander von der „Verdinglichung“ (alle sind auch Fakten) als einer Möglichkeit ausdehnen auf die drei fehlenden. Ebenso, wie wir

– alles zum (quasi wissenschaftlich erforschbaren, zerlegbaren, auf Elemente und elementare Dispositionen absuchbaren) Fakten-Inventar erklären können, das auf seine technische Verwertbarkeit=Kontrollierbarkeit geprüft werden könnte; so können wir auch

– uns in einer Welt objektiver (technischer) Möglichkeiten, Chancen (und sie und uns bedrohender Risiken), als Herausforderungen und Problemstellungen sehen, auf die wir mit einer unabsehbar langen Kette von Problemlösungen antworten, unser Handeln erscheint zusammengesetzt aus solchen Problemlöseschritten, Betätigung einer mehr oder weniger grossen Problemlöse-Fähigkeit und -bereitschaft (wenn nicht sogar einem Bedürfnis danach), die in uns, als subjektive (Dauer-)Disposition immer bereitliegt und auf ihr/ihm korrespondierende Herausforderungen wartet; aber wir können auch

– uns als ein Bündel komplex ineinandergreifender Bedürfnisse verstehen, denen optimal aufgebaute Systeme von Gewohnheiten, Lebensgestaltungs- und Einrichtungs-Routinen antworten – sodass im Idealfall ohne Lücke Befriedigung auf Befriedigung folgt, nie Bedürftigkeit sich aufbaut, die nicht alsbald ihre Auflösung erfahren würde; hier entsprechen sich individuelle Bedürfnis- und Leistungsprofile und ihnen korrespondierende, komplexe Aktivitätsrhythmen und -zyklen (eben Gewohnheiten und Routinen: Wechsel von Arbeits-, Pausen-, Feierabend-, Wochenend-, Urlaubsphasen, verteilt auf die Zeit, und ihre genau geplante Füllung mit passend abgezirkeltem Befriedigungs- und Anforderungsstoff); schliesslich können wir uns aber auch auffassen als

– frei ihre (kompensatorischen) Wunschgebilde, Aufmerksamkeitsrichtungen, Sehnsüchte gestaltende (seien sie als eigenhändig gemachtes Bild, Text, anderweitiges Kunst-, Spiel- Unterhaltungswerk vorgestellt, oder als in der Welt suchbare und gezielt aufsuchbare, also lokalisierte, nicht selbst gemachte Erlebnis-Konstellation) also kreative Produzenten einer eigenen, einer Gegenwelt nach unserem Geschmack; Welt, in der ein für alle Mal erlebt zu haben genügt. Hier entsprächen sich Erlebniswunsch (mehr oder weniger bewusst, mehr oder weniger gezielt) und Erfüllung – die ist dann nämlich im Grund nur die präziseste Form der Wunsch-Vorstellung – sie so konkret zu HABEN, dass kein Überschuss mehr besteht, IST ja das Erfüllungs-Erlebnis (das nur begrenzt wiederholbar ist).

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Wir können dann die genannten vier Paare auffassen als subjektive Tätigkeitsantriebe (die Suche nach…, Bemühung um…) und ihre „Befriedigungen“ und erfolgreichen Abschlüsse, ebenso diese letzteren aber auch verstehen als objektive, quasi Reize und Herausforderungen, die von sich aus  für die betreffenden Handlungsmuster verantwortlich sein könnten, spätestens wenn wir unverhofft auf sie treffen:
Alle überhaupt gewussten Fakten-artigen Regularitäten prägen sich dann dem Handeln, zumindest dem intelligenten, ein, formen es ganz von selbst, indem sich, und sei es auch hypothetisch, an alle Elemente und Elementkomplexe die entsprechenden Dispositionen, also erwartbare (durch unser Handeln auslösbare) Chancen, oder Gefahrdrohungen heften – die Welt, die umgebende zumindest, verwandelt sich in ein „Feld“ von (bedingt) anziehenden und zu vermeidenden Momenten.
Daran anknüpfend, aber nicht im geringsten sich darin erschöpfend: Das erweiterte Feld der (zu sehenden, gesehenen) objektiven Möglichkeiten – des Umgangs mit all diesen Materien und Materialien, der Bearbeitung, Zerlegung, Neu-Zusammensetzung, Mischung, Formung, Eigenschaftsbeeinflussung usw.
Wiederum ein eignes Feld bilden die alternativen Möglichkeiten, reproduktive Zwänge zu bewältigen und neben ihnen liegende Fortschritts- und Produktivitäts-Erhöhungsoptionen zu nutzen – sie, nebeinanderliegend, bilden ein Feld von Wahlen, genauer: Bewertungen als günstiger oder lohnender und weniger günstig oder lohnend; das erkannte Optimum (alles in allem berücksichtigt) zu ergreifen ist dann schon nur noch Reflex.
Schliesslich das letzte Feld der gelungenen Erlebnisverläufe und ihrer „interessanten“ Abwandlungen: Sei es, dass wir danach suchen und fündig wurden, sei es, dass wir die wesentlichen Inhalte solchen Erlebens in mehr oder weniger bloss vorstellungsnaher, „künstlich-kunstmässiger“ Form vor uns hin stellen und hinreichend real aufbauen. Der Selektionsmodus Geschmack lässt uns abbrechen, entweder gelangweilt, wenn bei allem Suchen, Betrachten, Produzieren nichts herauskommt, oder erfüllt, befriedigt und gesättigt, sodass die Fortsetzung in Ekel münden würde.
In dieser Betrachtungsweise antworten also mehr oder weniger starr gedachte Aktions- und Reaktionsbereitschaften (Empfänglichkeiten) in uns (bei denen entweder ihr Einsetzen bedingt ist, oder aber ihr Ab- und Unterbrechen, während Handlungsantriebe, also der Handlungsgrund der ersten Betrachtungsweise, mehr oder weniger ständig, zyklisch an- und abschwellend und rhythmisch Profile zeigend, dasind) auf zu ihnen passende Angebote aus der Umgebung (als eines „Feldes“ von solchen Angeboten oder Anreizen), die als solche von wiederum passenden Erkenntnis-Mechanismen (als Teil der Empfänglichkeit) ermittelt und beurteilt werden. Die Variabilität und Vielfalt der jeweiligen Resultate – des empirischen Wissens um Regularitäten, der Techniken und Prognostiken, der Reproduktionsweisen und der ästhetisch ansprechenden Inhalte – ergibt sich hier nicht aus der Komplexität entsprechender subjektiver Antriebe („Bedürfnisse“, Neigungen), die sich mit Fähigkeiten zu ihrer Realisierung zusammentun, sondern aus den, die Reaktions-Mechanismen reizenden und zur Auslösung bringenden objektiven Verhältnissen – spezifischen Stimuli.
Die Alternative, die sich mit diesen beiden Reihen (innere, äussere) von je vier Handlungs-Gründen abzeichnet, ist die von Aktivität und Passivität, Selbsterzeugen/herbeiführen und Widerfahren. Die Frage, was Grund unseres Handelns und vor allem auch, unseres Unterlassens (im Erfolgsfall wie im Fall eines zulang ausbleibenden Erfolgs) sein könnte, ist nicht aus Prinzip zu beantworten, sondern von Fall zu Fall.
Tatsächlich können wir hinter unseren Forschungsaktivitäten ein Grundbedürfnis nach Erklären und Erkennen (Klassifizieren, Abwandeln, Ausschöpfen der Abwandlungsmöglichkeiten) vermuten, das, im Fall, dass sich zuwenig von selbst tut, uns explorierend und experimentierend tätig werden lässt. Aber ebenso dürfen wir eine unspezifische Reaktionsbereitschaft unterstellen, die uns auf ungewöhnliches ebenso wie überraschend, ungewohnt regulär-Neues anspringen und es klären wollen lässt – derart vielleicht sogar, dass wir ursprüngliches Forschen und Experimentieren dafür unterbrechen.
Ob etwas sich anbietet oder von uns in rastloser Abwandlungs- und kreativer Ideen-Produktionsarbeit her- und dargestellt wird, hängt auch in den drei anderen Kultur-Domänen (technische Entwicklung, dauerhaft funktionierende Reproduktions-Einrichtung, ästhetisch ansprechendes Erleben) vom Einzelfall ab; und die Doppelung von Such- und Versuchsantrieb, wenn sich nichts darbietet, ebenso wie die Ablenkbarkeit durch Anregendes, das ein vielversprechendes Aussehen hat, liegt auch in den drei anderen Fällen in uns.
Somit dürfen wir uns einschlägige Reaktionsbereitschaften ebenso unterstellen wie ursprünglich, ohne Vorgabe, an- und einsetzende Handlungsweisen, die dann als bedürfnis-getrieben und aus sich selbst heraus wirkend angesehen werden dürfen.

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Also was sind wir, und was bestimmt unser Handeln, bzw. welche Gründe bestimmen es im einzelnen?
Sind wir im Kern solche, und ist unser Handeln immer wieder bestimmt durch den zentralen Antrieb (die Neigung, das Interesse), Interessantes zu erleben und vor uns zu haben, bis wir gelangweilt sind?
Oder sind wir im Kern solche, oder ist unser Handeln immer wieder bestimmt durch – wenn auch hochkomplexe – Systeme von Gewohnheiten (Praxis-Routinen), fein aufeinander abgestimmt, derart dass unsere zyklisch auftretenden Leistungsbereitschaften und damit alternierende Bedürfnisse und Erholungsanforderungen präzise ineinandergreifen und sich sinnvoll abwechselnde, je in sich erfüllte All- und Feiertage erzeugen?
Oder sind wir rastlose Problemlöser, die nicht minder komplex und hierarchisch aufgebaute Aufgabenkataloge abarbeiten, wo frühere Lösungen nur bessere oder notwendige Ausgangsbedingungen für die nächste Problemstufe oder -gruppe liefern? Finden wir darin unsere Befriedigung? Oder ist es erfahrungs- und kenntnis-begründete Einsicht (und entsprechende Reaktionsbereitschaft in uns) in Notwendigkeiten, die uns hier treibt und nicht stillstehen lässt?
Oder sind wir am Ende doch unermüdliche Forscher und Wissenschaftler, die sich dem Meer der unübersehbaren Fakten entgegenwerfen, suchen, sammeln, vergleichen, klassifizieren und auf jede Weise überschaubar machen, die Übersichten nach Regelmässigkeiten absuchen und hypothetisch gefundene solche Regelmässigkeiten auf weitere mögliche Anwendungsfälle als deren Erklärung beziehen, um die Grenzen der Anwendbarkeit solcher Regelmässigkeiten auszuloten? Und auch hier liesse sich fragen, ob dies aus Neigung/ Bedürfnis, oder aus (aus sich selbst heraus wachsender) Einsicht in seine Notwendigkeit geschieht – oder ob es einfach eine etablierte Praxis ist, die gut zu unserer Gesamtpraxis und ihren Routinen passt, weil selbst eine Unterroutine in ihr darstellend, die sie stützt und trägt und ihrer gesamten Ausrichtung entspricht?
Zu allen vier Motiv-Gruppen gehören bekanntlich anthropologische („der Mensch ist an sich, eigentlich, ein X“) Gemeinsprüche, in denen sie sich zusammenfassen:
Alle Menschen sind (von Haus aus, ursprünglich, eigentlich) Künstler, Kreative usw.
Alle Menschen sind (…) Wissenschaftler, Forscher (es ist das, was den Menschen überhaupt auszeichnet: universelle Lernbereitschaft, Neugier, eben Intelligenz).
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.
Menschen sind, mangels Instinkt, (…) zu ständig neuem Sich-Anpassen an die Welt oder Sich-Assimilieren der Welt gezwungen, mithilfe der Technik und technischer Verfahren kompensieren sie die relative Mangelhaftigkeit ihrer physischen Ausstattung in der Auseinandersetzung mit der Umwelt. (Wir sind von Natur aus Techniker, Techniker und homo faber zu sein macht unsere Menschennatur aus – dies nur gesteigert durch Vergesellschaftung, hohe Niveaus der Arbeitsteilung und gesellschaftlichen Koordination von Produktion, Wissenserwerb, Wisssenstradierung.)
usw.
Oder aber alles zusammen, in bestimmter Gewichtung.
Oder eben doch nur bestimmtes, als eigentliches, grundlegendstes, das andre daraus nur als Spezialfall sich herleitend:
In den Ergänzungsfragen, die das jeweilige Motiv noch präzisierten, ist nämlich die Möglichkeit der Verkettung aller Motive mit allen enthalten – genauer, jedes Motiv könnte zum speziellen INHALT eines anderen werden:
Treiben wir nicht alles und jedes überhaupt nur solange, KÖNNEN wir es überhaupt länger treiben, als bis zu dem Punkt, wo die Langeweile beginnt uns zu lähmen?
Zeigt dies nicht das Grundlegende unseres dringenden Bedarfs nach Interessantem?
Ist nicht ALL unser Tun eingebettet in eine sich nur je und je selbst optimierende Praxis, die sich aufbaut aus (zyklisch Bedürfnisse befriedigenden) Routinen aller Art – und in der eben als Routine auch das (nur) Interessante, das Forschen und Problemlösen seine routinemässigen Anlässe oder Zeitpunkte, und seine routinemässigen jeweils ihm gewidmeten Energien und Bedürfnisquanten hat? Ist nicht dieser kunstvolle Wechsel zwischen bedürfnisgerechten Aktivitäten, derart dass eine zugleich auch die Erholung von der je andern gestattet, die höchste Form erfolgreicher Lebens-Einrichtung und Bedürfnis-Befriedigungsorganisation?
Und ist nicht das Niveau unserer Erfahrungskenntnisse, all dies schon vorhandene Wissen um uns drohende Gefahren, aber auch nützliches und verwertbares, ständiger Anlass zur Sorge, aber auch hoffnungsvoller Ansporn, solches Wissen zu vertiefen und vervollständigen? Wobei der ständige Antrieb zum Weitersuchen sich so einfach wie effizient leiten lässt von der Frage nach Art der Zusammengesetztheit und Bedingtheit des bereits ge- und bekannten Vorhandenen. Das Erklären und Anwenden neu gefundener bedingender Regelmässigkeiten, wie oben schon angedeutet, dient dann der Ausweitung und der Suche nach Grenzen für Geltung von Bedingungen, bis zur Geltung anderer Bedingungen – was die Suche provoziert nach der Bedingung des Hin- und Herschaltens zwischen den Bedingungsgruppen, sodass man sagen kann, das Wissen und die Einsicht in seine Nützlichkeit und unumgängliche Notwendigkeit sei der wichtigste Antrieb seiner eigenen Ausweitung durch weiteres Suchen und Forschen?
Und stellt nicht, in all ihrer Unvollkommenheit und Beeinträchtigbarkeit, unsere gesamte Praxis geradezu ein System von Herausforderungen dar, sie zu bessern oder auch nur stabil auf dem erreichten Stand zu halten, den sie erreicht hat? Gibt es überhaupt eine Tätigkeit, die nicht, ganz von selbst, die Frage nach dem Wie macht man es, wie macht man es besser, wie macht man es wieder wie zuvor, nachdem es versagt hat? aufwirft, und ist nicht unser Leben durchzogen von solchen Einbrüchen und Versagensmomenten unserer Art zu handeln, dass man sagen kann, der Kern allen Handels ist die Vorbereitung seiner eigenen Verbesserung und Effizienzsteigerung? (Arbeitsroutinen, gezielt suchende und experimentierende Wissenserwerbe, ungezieltes Herumprobieren mit interessanten, aber nicht unmittelbar zielführenden Lösungsansätzen können da nur als untergeordnete Mittel zum Zweck angesehen werden.)

32.
Doch all diese Alternativen, dies Nebeinander- und Gleichzeitig-Beeinflusstsein einer Handlung(sweise) durch Motivarten ebenso wie die Reduktion aller andern auf jeweils eine bringt eins nicht zustande: den Zusammenschluss und die Integration der im Entstehungsprozess der Moderne getrennten Wertsphären – die Angabe, wie auch nur zwei dieser Werte-Arten ein und dieselbe Handlung gleichzeitig bestimmen sollen, und wie sie dabei zusammenwirken könnten, sich zusammenfügen könnten zu EINEM Wert, der klare Handlungsvorgaben macht. Denn so sehr fallweise jedes MOMENT im Vollzug aller andern Motive ist, so sehr ist es dann auch wieder Selbstzweck (die andern blosse Momente seiner; aber alle sind auch in der Selbstzweckrolle).
Tatsächlich weisen die modernen Wertsphären, als End- und Selbstzwecke (und nicht blosse Momente) dem Handelnden klar voneinander wegführende Wege:
Wer technische Problemstellungen, sei es in innovativer, sei es in reparativer und einen Status-quo sichernder Absicht, zu lösen hat, und mit vorhandenen Wissensbeständen konstruiert, kann nicht gleichzeitig zielfrei-offen forschen und suchen, mit allem (s.o.) was dazugehört – und umgekehrt.
Mag auch die Lösung technischer Probleme immer wieder ein Zwischenschritt der Forschung sein – die Erfindung von Geräten, um zu messen, zu beobachten, Befunde zu erheben – das Sehen, was sich tut, was es gibt, was passiert, egal was es auch sei, ebenso wie das versuchsweise Fortschreiben von Regelmässigkeiten nach allen Seiten bis an die Grenze der Erschöpfung aller Erklärungsmöglichkeiten – sie sind kein Problemelösen, helfen es allenfalls vorbereiten; umgekehrt, das Problemelösen mag eine kurze Exkursion in sinnvoll erscheinende, umgrenzte Erfahrungsbereiche erfordern, um eine ganz bestimmte Reihe von Kombinationen (dann aber immer bekannter) Elemente auszuprobieren, um eine gesuchte und benötigte Materialeigenschaft zu realisieren (je grösser das Wissen um Materien, Dispositionen, Verläufe, desto mehr erübrigt sich solches problembezogene Forschen) – immer ist doch dies in eine technische Entwicklung eingelagerte Forschen Episode, wenn es zu lang wird, muss die Problemstellung abgeändert, die Lösungsstrategie verändert werden, oder aber aufgegeben; man mag sich dann dem Forschen als reinem Forschen zuwenden, aber Problemlösen ist es dann nicht mehr.
Wer aber fragt, ob eine Technik zu finden oder zu erfinden, oder dies oder jenes Forschungsgebiet zu betreten und mit Kenntnissen auszufüllen, für ihn von Interesse ist, auf SEINEM ganz speziellen Erfahrungshintergrund, und ihm spezielle Erfüllungen und Befriedigungen von Erlebenswünschen gewähren wird – der hätte jeweils seine Aufgabe verfehlt. Denn die Problemlösung und das Forschen befriedigen nun einmal nur die Forderungen, die man mit einem empfundenen Defizit an Kontrollmöglichkeiten, einem gewussten Unwissen (soweit es überhaupt möglich ist zu wissen, was man nicht weiss; meist ist es generelle Unzufriedenheit mit dem unzulänglichen Stand unserer Kenntnisse) verbindet: dass einer oder eine Gruppe gerade DIES im Gegensatz zu jenem zu erleben als besonders Sinn machend (nämlich kompensatorischen) empfindet, resultiert aus der voraufgehenden ebenso besonderen Erfahrung (und ihren Einseitigkeiten, und empfundenen Defiziten); Probleme und (unzureichende) Forschungsstände hingegen sind allgemeiner Natur. Umgekehrt schliesst Erfüllung, ästhetischer Genuss geradezu per Definition alle Kernbestimmungen der andern drei Sphären aus: Sie dürfen kein Mittel zum Zweck sein, sie dürfen (wie eben schon gesagt) nicht sinnvoll erweiternd anschliessen an objektive, sondern nur an subjektive Erfahrungsbestände (indem sie deren „Anderes“ realisieren), und sie dürfen zugleich nie in – sei es auch in Gestalt noch so komplexer Abwandlungen – Routinen und Zyklen führen – denn das bedeutet: Langeweile. – Auch technische Innovation  und neues Sach-Wissen sind das Gegenteil von Routine, dürfen nie stehenbleiben. Zwar mag man in einem abgezirkelten Antriebs- und Bedürftigkeits-Haushaltsregime allen dreien den gebührenden Platz einräumen; das hindert nicht, dass ein FREMDER Gesichtspunkt (Bedürfnis nach dem oder jenem, Leistungsfähigkeit zu dem oder jenem) das An- und Abschalten von Aktivitäten im Sinne der jeweiligen Wertsphäre regelt – und nicht die Vorgaben, die aus dieser Sphäre selbst stammen. Sie würden keine Rücksicht auf Bedürfnisse, Appetite, Geschmäcker und wiederkehrende Wachheiten und Einsatz-Bereitschaften erlauben – sei es der Zeit nach, denn jede Unterbrechung der Arbeit des Forschens, technischen Konstruierens und Erprobens, Wunschbild-Entwerfens oder -Suchens, ist eben ein vorläufiger Abbruch dieser Arbeit; sei es der Qualität nach, denn all diese Aktivitäten erfordern die ständige Neu-Einübung passender Kompetenzen und Leistungsprofile. Sie sind eben das Gegenteil von Routine.

33.
Innerhalb der inneren und äusseren Fakten, die wir hier so ausufernd aufzählen, tut sich freilich noch eine viel tiefere Kluft auf, als das Auseinanderstreben der Handlungsmuster unserer vier verschiednen Wertsphären: Von einigen dieser Fakten sind wir nämlich faktisch die Urheber, wir machen sie, wir ändern sie, wenn sie uns (noch) nicht passen – unsere Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit ihnen, unser Befund, dass hier Vollständigkeit oder (noch) Unvollständigkeit, Perfektion oder Mangel herrscht, bestimmt, ob sie bleiben, wie sie sind (und zur Not gegen ändernde Einwirkungen geschützt werden), oder ob weiter an ihnen gearbeitet wird.
Andere Fakten sind solche (und kaum welche bleiben, für die dies nicht gilt), zu denen wir uns immerhin stellen, die wir bewerten können: wollen wir sie so oder anders? – wenn wir sie auch derzeit vielleicht nicht beeinflussen, so oder anders gestalten können. Ist dieses unser Uns-Stellen zu etwas ein Faktum – oder etwas andres? Und wenn das eine oder andre – welches wäre sein Grund?
Das Verhältnis von Gründen und begründeten Handlungen stellt sich in den vier verschiedenen Sphären ganz unterschiedlich dar – vor allem aber gibt es keine weiteren übergeordneten Gründe (oder Regeln), die das Hin- oder Herschalten zwischen den Sphären und den dort je gültigen Gründen regulierte.
Tatsächlich gibt es ja ein ursprüngliches Sich-Verhalten-zu Fakten – jenen, in denen wir Regularitäten suchen oder aus denen heraus sie sich uns aufdrängen (spätestens, nachdem sie uns zu Such-Anstrengungen herausgefordert haben). Um hier „erfolgreich“ zu sein, muss uns aus der Welt auch etwas entgegenkommen – Regularitäten müssen sich finden lassen, um auf Dauer sinnvoll immer weiter nach ihnen zu suchen (in die Breite, also NEBEN anderen, wo noch keine sind – oder in die Tiefe – Regularitäten „hinter“ bekannten, die sie begründen und erklären – als dispositionstragende Elemente, die zu den zu erklärenden Regularitäten als Komplexen zusammentreten, derart dass sich die Dispositionen zu denen der erklärten Regularitäten überlagern).
Nur soweit letztlich sich etwas finden lässt, und gefunden wurde, macht Weitersuchen Sinn, und bekommt es eine Richtung (indem es sich am bereits Gefundenen abstützt).
Ganz ähnlich stützt sich die zu optimierende Lebens- und Alltagseinrichtung (von modern Berufstätigen) am Inventar bekannter und zu ermittelnder Bedürftigkeiten, die zu berücksichtigen sind, ab. Dabei wird freilich zugleich in den Inventaren nutzbarer Techniken und Kompensationen gesucht, bisweilen auch einmal ein Auftrag an die betreffenden Abteilungen erteilt (oder sie erteilen ihn sich selbst), Passendes zu erfinden und zu finden, das eine Lücke im Gefühlshaushalt relevanter Gruppen Berufstätiger schliesst. Insofern dabei natürlich nicht schmerzliche Lücken bestehen bleiben dürfen, die das Leben, in dem sie vorkommen, auf Dauer nicht mehr lohnend erscheinen lassen, kann tatsächlich das Bedürfnisprofil einer speziellen Arbeits- und Reproduktionsform als das je leitende für die ihr optimal angepasste Lebenseinrichtung angesehen werden. Der reproduktiv effiziente Alltag muss auf Dauer erträglich, wenn nicht angenehm sein. Ob er, jenseits davon, Sinn macht für die in ihm sich Aufhaltenden, ist eine ganz andre Frage.
Das Ausgangsmaterial des Problemlösens wiederum ist Wissen um Regularitäten: Elemente, deren Dispositionen und Verhalten in Zusammensetzungen, auch ihre Zusammensetzbarkeit; ebenso die Zerfällbarkeit bekannter Komplexe in Elemente, Abspaltbarkeit von Elementen; Randbedingungen; Bedingtheiten von Dispositionen. Die Frage, was man damit machen KÖNNTE, ist uferlos, ebenso das Fragen, welches von dem, was zu können vorstellbar sein könnte, mit dem bereits Gewussten (oder nahebei Liegendem) realisierbar sein könnte. Von beiden Seiten her arbeitet sich das konstruierende technische Entwickeln zu möglichen Lösungen vor – ob sie unter den Praxisbedingungen existierender oder denkbarer Lebenseinrichtungen praktikabel, nützlich, und lohnend einsetzbar sind, ist damit noch nicht entschieden. Das Ausgangsmaterial, wenn es nur eine gewisse Mannigfaltigkeit aufweist (und wann hätte es die nicht aufgewiesen, selbst unter vormodernen Bedingungen? das sprunghafte Anwachsen dieses Regularitäten-Wissens ist ja wesentliches Moment des Übergangs weg von traditionalen und religiös umrahmten Lebensformen), lässt ein Meer an Möglichkeiten erkennen – und das heisst hier auch: Wahl-Möglichkeiten eines lohnend erscheinenden Konstruktions- und Experimentalprozesses. Die Arbeit des Konstruierens, gleich ob zusammensetzend, Neues entwerfend; oder im engeren Sinn (selbstaufgeworfene, entworfene, gewählte) Problemstellungen lösend – sie analysierend, vorhandene Regularitäten und mögliche Konstruktionen aus ihnen unter Teil-Aufgaben subsumierend, als deren mögliche Lösung – , findet sich, spätestens angesichts der Materialfülle (selten einmal wird auch Knappheit an bestimmtem Material oder enge Sonderbedingungen zum Ausgangspunkt einer kreativ-konstruktiven Suche nach Lösungen), durch ihr Material kaum determiniert, eigentlich garnicht: Das Wählen der Entwurfsrichtung oder des Problems, dessen Lösung probiert und erwogen werden soll, ist FREI.
((Verwechsle dies freie technische Entwickeln nicht mit Routine-Reparatur- oder Abwandlungs-Problemlösungen zur Wiederherstellung punktuell beschädigter oder mit leicht abgewandelten Bedingungen konfrontierter Lebenseinrichtungen: Hier ist immer vorausgesetzt, dass es das Gewusst-wie gibt, und es allenfalls zu suchen wäre, das den kurzzeitig aufgetretenen Bedarf stillt. Ansonsten wäre die Einrichtung abzuändern, weil etwas nicht mehr funktioniert. Anpassung der Einrichtung an Möglichkeiten ist die Logik DIESER Abteilung, Schaffung und Erweiterung von Möglichkeiten die der technischen Entwickler. Letzteres ohne primäre Rücksicht auf „Anwendungen“ (oder die Gesamtheit der Anwendungen)).
Dem technischen Entwickeln steht das ästhetische Suchen und Erfinden nahe; aber mit charakteristischem Unterschied.
Während in der Technik die Beschränkung im Material liegt (oder dem Nicht-Zusammenpassen von möglichen Material-gemässen Konstruktionen, und Anforderungen des zu lösenden Problems), ist die Wahl der primären Problemstellung, oder der Konstruktionsrichtung frei – neu entwickelte Verfahren wuchern in alle Richtungen, gelöste Probleme, die sich die Ingenieure (spätestens aus Anlass einer konkreten Aufgabe) stellten, folgen ihnen darin mit wenig Rückstand nach. Jede neue Technik gilt als Errungenschaft und wird vorrätig gehalten, sie erweitert die Vielfalt unseres Werkzeugkastens – man weiss nie, wo man sie einmal (und womöglich exklusiv sie) brauchen wird. In gewissem Sinn könnte man ja technisches Neu-Zusammensetzen und Abwandeln von Vorhandenem als die Emanzipation vom „von selbst“ vorhandenen, unbearbeitet sich darbietenden Werkzeug (oder produktiv für uns nutzbaren Situationen) ansehen.
Im ästhetischen Entwickeln verhält es sich gerade umgekehrt: die Freiheit in der Wahl des Materials ist gross, zwischen realem und erfundenem, erzeugten, „gespielten“ bis hin zu fiktivem (bloss in bestimmten Realitäts-Dimensionen, womöglich rein sprachlich, bildlich, unbeweglich-skulpturhaft vorgestelltem) ist im Ausgang kein Unterschied; erst die Berücksichtigung der sehr präzisen Geschmacksanforderungen an die Effizienz der Kompensationswirkung verengt die Möglichkeiten dramatisch auf wenige, die zu finden und aus einer durch oft rasende Produktivität erst einmal zu erzeugenden Reihe von Versuchen (oder Suchen im Vorhandenem) auszuwählen sind. Gemeinsam mit Technik aber ist die Unbestimmtheit des Vorgehens im Ausgang; das ästhetische Produzieren erscheint somit als ähnlich FREI, verglichen mit dem vom bekanntermassen vorhandenen Realstoff und seinen Grenzen zum Unbekannten überwältigten (sich daran notwendig abstützenden; dort notwendig seinen Ausgangspunkt nehmenden) und beherrschten Forschen, und dem vorrangig mit Bedürfnissen und Leistungsgrenzen, sekundär auch Produktiv- und Genussmitteln (zur Schliessung dauerhaft gelingender Reproduktionszirkel einzelner Produzentengruppen) konfrontierten Alltags- und Lebenseinrichten: sie sind vergleichsweise DETERMINIERT.

34.
Aber auch dieser Unterschied von frei und determiniert trägt nicht sehr weit.
Zwar muss sich das Forschen ans Vorhandene und Bekannte als Ausgangspunkt fürs Weitersuchen (auch: Messen, Klassifizieren, Zerlegen, Erklären) halten; und natürlich muss es die Material-gerechten Formen beachten, wenn es Bedingtheiten (Elemente) HINTER oder NEBEN dem Bekannten sucht. Insofern ist es gebunden. Aber die unendliche Masse an erforschbaren Themen und Gegenständen, denen es sich zu- und von denen es sich abwenden kann, kommt dem Niveau an Freiheit, wie es in den zuvor als eigentlich frei bezeichneten Domänen herrschte, sehr nahe und übertrifft es womöglich. Diese Freiheit der Aufmerksamkeit auf dies oder jenes steigert sich dann noch, zu einem Zwang ganz anderer, nämlich negativer Art: der Unmöglichkeit, der Fülle des Wissbaren je gerecht zu werden.
(Nur scheinbar gibt die sich verengende Richtung auf immer kleinere Elemente, immer elementarere Gesetze und Dispositionsträger, eine Art auf dem Kopf stehenden Kegel als Bild des Wissens vor, so als hätte man in Gestalt der Elemente das Wissen um ihre Zusammensetzbarkeit und faktisches Zusammengetretensein in Händen; eher eröffnet die Aufgabe, in der Analyse von allem und jedem bis auf diese sehr elementare Ebene hinunterzusteigen, immer weitere Forschungsfelder.)
Ebenso gerät die Freiheit des ästhetischen Schweifens und entwerfenden Produzierens leicht in Nähe der Leere und Sinnlosigkeit, wenn nicht produktive Vor-Auswahlen und Richtungsvorgaben bereits in Richtung der Erfüllung von Geschmacks-Anforderungen drängen. Zwingend sind die Anforderungen, die überlagernde Gewohnheitseffekte (als Geschmacksdimension: Sehgewohnheit, Hörgewohnheit) und „Raffinierungs-Anforderungen“ (Abnutzung, Langeweile, bei fortbestehender Kompensations-Bedürftigkeit in dieser Richtung) dem ästhetischen Fortschritt und Produzieren auferlegen: Genre- und Stilanforderungen – die erfüllt werden sollen bei gleichzeitig weitergehender Originalität in der Ausführung des Musters. Und noch eine Ähnlichkeit mit dem vermeintlichen Gegen-Typus „Forschung“ tut sich auf: der ERDRÜCKEND werdenden Fülle der möglichen Fragestellungen entspricht hier die immer wahnwitziger gesteigerte Fülle und Dichte der Genüsse, die allenfalls noch die zugleich hochgedrehte und einseitig überdrehte, ermüdete Aufmerksamkeit der aus ihren Hochleistungs-Tätigkeiten ausbrechenden modernen Menschen bedienen können; das Anforderungsprofil der Geschmäcker verengt sich mehr und mehr, zugleich individualisiert es sich. Die Masse der Genussangebote und die extreme Spezifität des Einzelprofils finden nicht mehr zusammen. Aber nicht anders als in den Frühzeiten der Moderne, können in den meisten Fällen die Rezipienten des ästhetischen Angebots ihre Anforderungen nicht benennen – genau darüber sich bewusst zu sein (und Produktionsbedingungen für die gewünschten Effekte zu kennen und zu erkennen) macht ja die spezifische Leistung der auf diesem Feld (des ästhetischen Wählens und Produzierens) Arbeitenden aus.
Die Freiheit hingegen der Ingenieure scheint unbegrenzt, so wie der Alltag von Berufstätigen eine Abfolge von Zwängen.
An der durchgehenden Unbeschränktheit der einen und der kompletten Bestimmtheit von Notwendigkeiten der andern scheint nichts zu deuteln zu sein; aber auch dieser Schein trügt.
Denn den Ingenieuren und technische Entwicklern ist eine klare Marsch-und Fortschrittsroute vorgegeben. Alle Technik ist Erweiterung und Steigerung vorhandener Handlungsspielräume (Fähigkeiten, Kräfte, Könnensmomente): diese Richtung bleibt dieselbe, egal wie weit man in ihr bereits vorgedrungen ist. Wo wäre denn der Stand erreicht, auf dem zu sagen wäre, es genügt – weitere Überbietungen sind sinnlos? Das gilt für die Entfesselung der Antriebe… die Vielfalt der Effekte…  die Perfektionierung des bereits recht Perfekten: noch schneller, höher, weiter, und was noch alles an Komparativen sich denken lässt; aber es dringt auch hinter die vorhandenen Wirkmöglichkeiten vor, zu deren Bedingtheiten, will sie abwandeln und diese Abwandelbarkeit ausschöpfen lernen, bis zurück zu kleinsten und winzigsten Elementen, die wir nach ihren Besonderheiten trennen und konzentrieren können, um sie, neu zusammengesetzt oder angereichert, zu gigantischen Wirkungen anzustacheln.
Was ist diese Selbst-Überbietung in der immer gleich bleibenden Richtung? Ein Trieb, ein Drang, eine Neigung, ein Bedürfnis, ein Reagieren-auf den erreichten Stand, von dem sich das je nächst folgende Entwickeln auf der Stelle abstösst wie Raketen von ihrem eigenen Ausstoss? Oder gar – eine (aber was soll das denn bedeuten?) rationale (und darum, angesichts unserer Reaktionsbereitschaften, also der Art, wie wir funktionieren, unvermeidlich zu entsprechenden Handlungen führende) Einsicht in eine Notwendigkeit?
Und dann noch: der Berufstätigen-Alltag. Solang man sich in einem befindet, ist er nur Fron, Hamsterrad, Rattenrennen, bornierte Wiederkehr des Ewiggleichen, die man auch noch bejahen soll. Aber… warum denn DIESER Alltag, und nicht ein anderer… oder derselbe, aber hier oder da, mehr oder weniger deutlich, abgewandelt, abgeändert, neu eingerichtet, bis er nicht mehr wiederzuerkennen ist? Ein Alltag ist ein Alltag so gut wie ein anderer, so verschieden sie sein mögen. Die Möglichkeit einer unendlichen Vielfalt der „individuellen Lebensstile“, die am Anfang der Moderne (angesichts unüberschaubar zahlreich hereindrängender fremder und neuer Befriedigungen, Lebens-Praktiken, Werten und Zielen, denen man sich verschreiben könnte, und angesichts der unendlich vielen Produktionsweisen, Techniken, Verfahren, mit denen man diese Praktiken hätte umsetzen und verbessern können) stand – sie hatte ja erst in die Zertrümmerung der religiösen Ordnung, des transzendenten Sinn- und Erklärhorizonts des Glaubens einerseits, der traditional feststehenden (und bestenfalls in Ständen ihre Arbeitsteilung organisierenden) Produktions- und Lebensweise geführt. Ohne das keine Moderne. Also ohne das auch keine unendliche Vielfalt der Alltags- und Lebensentwürfe, jederzeit abänderbar, jederzeit anders einzurichten, als es die Vorbilder, Nachbarn, Kollegen, Eltern oder der Nachbarbetrieb, die Angehörigen der Nachbarabteilung, tun.
Alles könnte auch ganz anders eingerichtet sein. Was immer auch Einrichtung ist und als solche feststeht und funktioniert – es steht dennoch ständig auf dem Prüfstand. Wo ist da Bestimmtheit (ausser aus gesellschaftliche Macht- und Zwangsverhältnissen, die das Weltverhältnis, das die Moderne begründet, garnichts angehen)?

35.

Wie kommt es zu all diesem verworrenen Hin und Her – woher kommen die Fragen, auf die diese Grübeleien eine Antwort sein wollen?
Wir bewegen uns mit den Themenstellungen der letzten Absätze auf dem Gebiet des VERSTEHENS – des Verstehens (und Erklärens) seiner selbst, als auch anderer um einen herum. Wie wir andre verstehen, begründet, was wir glauben ihnen vorschlagen und nicht vorschlagen zu können, was wir glauben ihnen erklären zu sollen; oder glauben nicht erklären zu können oder zu müssen; wo wir glauben, auf sie eingehen zu können, und unsre Vorschläge ohne Mühe abändern zu können, um ihnen entgegenzukommen; wo wir glauben, ihnen NICHT nachgeben zu dürfen und auf unseren letzten Kompromissen, ab da als Forderungen, zu beharren; und schliesslich hängt vom Verständnis unserer selbst wie auch anderer ab, was wir (gleich, was wir gefordert haben) von den andern ERWARTEN und nicht erwarten (dass sie zustimmen, oder unter welchen Bedingungen sie zustimmen werden).
(Alles das gibt es auch in der Gegenrichtung, nämlich als – auf unseren Verständnissen beruhendes -Verhältnis unsererseits zu Vorschlägen, Kompromissen, Forderungen, Erwartungen.)
Auf diesem weiten Feld des Verstehens gibt es ein Kerngebiet, und das ist, wie wir uns uns selbst erklären – wie wir unser Handeln vor uns selbst begründen.
Zunächst werden wir unsere Begründungsart auf andre übertragen; oft wissen oder vermuten wir, dass andre noch nicht wissen, was wir wissen, und dass schon darum Entwürfe auf beiden Seiten, wie vorzugehen wäre, unterschiedlich ausfallen können. Aber oft überschauen wir nicht, was wir alles wissen; wir lösen nicht unser Begründen auf in Gewusstes und die Regeln, mit denen wir Gewusstes (auch unsicher Gewusstes, Erfahrenes, Gelerntes, Gehörtes usw.) verarbeiten. So wissen wir nicht ohne weiteres, was die andern von uns hören müssten, um uns zuzustimmen, wir wissen ja selbst nicht einmal, warum und nach welchen Regeln wir wollen, was wir wollen, und in welchen Fällen (sie komplett aufgezählt) wir anderes vorschlagen würden. Und selbst wenn wir es sagen könnten und sagen wollten, die andern wollen das oft nicht hören, können so Vorgetragenes und Gehörtes nicht ins Verhältnis setzen zu ihrem eigenen, und die Kontroverse auf der Ebene aufnehmen, wo sie ihren Ursprung hat.
Damit ist erst einmal eine Erklärung geliefert für den Sachverhalt, den fast alle aus ihrer eigenen Erfahrung kennen: Verständigung, nämlich die Erarbeitung eines gemeinsamen und gleichen Verständnisses in allen relevanten (Streit)Fragen, ist kaum je, und nicht einmal unter relativ Nahestehenden möglich.
Der erste und wichtigste Mangel besteht bereits darin, dass die meisten nicht einmal sich selbst verstehen, ihr Wissen nicht überschauen, nicht die Konsequenzen, die sie daraus ziehen oder ziehen würden, nicht die Regeln, nach denen sie es (gegenwärtig) tun, noch, unter welchen Umständen sie ihre derzeitigen Absichten, Vorschläge, Kompromisse, Forderungen und Erwartungen, und die gegenwärtigen Regeln für deren Ableitung abändern und neu bestimmen würden.
In einer zugespitzten Formel könnte man demnach sagen: Leute können sich nicht verständigen, weil sie weder sich noch die andern verstehen; und sie verstehen sich selbst letztlich schon darum nicht, weil sie sich nicht BESTIMMT haben – weil sie nicht umfassend die Regeln benennen, nach denen sie vorgehen oder unter andern Umständen vorgehen würden. Sodass sie auch nicht die Andersartigkeit der Regeln der andern benennen und erkennen können; erst recht nicht die Umstände, unter denen womöglich diese andern zu denselben Regeln übergehen würden wie man selbst; und, ob es dafür bei Menschen, vernünftigen Wesen (oh – sind Menschen denn solche?) prinzipielle Grenzen gibt, oder nur (wenn auch für historisch lange Zeiten) vorübergehende.
Die einfachste, um nicht zu sagen: naivste Version des Verstehens ist, das eigne Verständnis (Einordnung, Beziehung auf Regeln) der Situation der andern, und die darauf beruhenden Vorschläge (spätestens Kompromisse, Forderungen) an sie als solche anzusehen, die die andern EIGENTLICH teilen MÜSSTEN.
Der Irrealis „müssten“ zeigt: Etwas passt nicht; denn die andern scheinen unser Verständnis (ihrer Situation; oder unserer, wenn es um Vorschläge oder Forderungen der andern an uns geht) immer wieder nicht zu teilen.
Und das selbst dann, wenn man sich Mühe gegeben hat, ihnen etwas zu erklären.
Das beendet unter Umständen dann ganz schnell die Verständigungsbereitschaft, wenn und weil wir auf unsern Verständnissen und Erklärungen beharren: Wer sie nicht einsieht, ist eben nicht einsichtsfähig, nicht vernünftig, womöglich gestört, nicht zurechnungsfähig oder dumm. Man muss ihn behandeln wie einen, mit dem an nicht reden kann, wie etwa ein böses Tier, das man zwingt, besticht, belohnt, bedroht, bestraft. Oder, wenn das nichts fruchtet, muss man ihn wehrlos und unschädlich machen, gefügig machen, zwingen, beeinflussen, lenken usw. Wenn man kann.
Das ist der Weg der Gewalt, und ihrer Fortsetzungen; in primitiven Verhältnissen ist er der normale.
Aber der moderne Mensch im eigentlichen Sinn (nicht der auf primitive Weise moderne; was allerdings wiederum der Normalfall ist; wie das möglich ist, wird später zu erklären sein) ist nicht gewalttätig. Sein usprüngliches Selbstverständnis (seine Selbstbestimmung) läuft nicht auf Gewalt zu. Aber worauf dann?

36.
Ein naives Eigen- und Selbstverständnis (fast möchte man den Kalauer wagen und sagen: ein Denken, worin alles selbst-verständlich ist) hat zwei Wege, auf denen es reifen und sich ausdifferenzieren kann.
Der es aufweist, kann über sich und alternative Handlungsmöglichkeiten, auch seine Handlungsabsichten unter verschiedenen Bedingungen, reflektieren: Was könnte ich AUCH tun anstelle dessen, was ich tue? Was liefe aufs selbe hinaus, und was würde (welchen?) Unterschied machen? Was würde ich tun, wenn die und die Randbedingungen anders wären? (Auch hier: Welche Alternative unter dem, was ich dann tun könnte, würde welchen Unterschied für mich machen?)
((In dem, was einer hier überhaupt für erwägenswert hält, spiegelt sich natürlich seine Auffassung (auch hier: sein Verständnis) dessen, was ihm wichtig und unwichtig vorkommt. Mit den Überlegungen der Einleitung gesprochen: Es zeigt sich hier auch sein Begriffssystem; oder das, was seinen Begriffen und ihrem System, seiner Aufmerksamkeitsorganisation zugrundeliegt. Aufmerksamkeitsorganisation: Woran er denkt, wenn er überhaupt denkt.))
Ein anderer Weg aber ist: Mit Alternativen zum eignen konfrontiert werden – in Gestalt der von eignen abweichenden Vorschläge usw. anderer.
Natürlich kann man sich dazu (grundlos, ohne Nennung von Gründen) aburteilend verhalten: Alles ausser dem eignen ist verrückt, dumm, abwegig, gestört usw. (der Weg der Gewalt).
Oft genug aber und wenn zugehört wird, ergibt sich: Die Vorschläge der andern, obwohl man sie erst einmal nicht befürwortet, haben AUCH etwas für sich. Sie sind begründet, wie die eignen; mit Gründen einer Art, an die man selbst noch garnicht gedacht hat. Man müsste diese Gründe überhaupt erst einmal erwägen.
Gründe sind hier: Gesichtspunkte, was einem wichtig oder unwichtig sein könnte; Regeln, worauf beim Handeln und Planen (und seiner Vorbereitung), auch dem gemeinschaftlichen, zu achten und nicht zu achten ist. (Ein weiterer Kalauer: Jemanden achten heisst wesentlich, seine Gesichtspunkte, worauf zu achten ist, zu berücksichtigen, als wären es eigne.)
Indem ich mir diese Gesichtspunkte, zumindest ERWÄGEND: Könnten, sollten es meine eigenen sein?, ZUEIGEN mache, arbeite ich an meinem EIGENEN Begriffssystem und seinen Anwendungen, den Planungsgrundsätzen (regeln), Situations- und Selbst-Verständnissen.
Die anderen führen mir vor, was und wie ich auch sein könnte; und fordern mich heraus, die Frage zu beantworten: Mit welchen Gründen bin ich nicht so?
Diese Gründe, wenn ich sie triftig finde, kann ich ihnen sagen. (Und so die andern mir.)
Mag sein, dass sich dann dasselbe wie zuvor, auf höherem Niveau wiederholt; und sich das Hin und Her der Erklärungen, warum und warum wiederum nicht, im Dunkel undurchschauter Selbstbestimmungen, verworrener Begriffssysteme und Selbst- wie Fremdverständnisse (Selbst/Fremd-Unverständnisse, -Missverständnisse) verliert. Wir haben soviel andres zu tun; unsre Anliegen an andre und ihre an uns sind oft dringend. Kein Wunder, dass die Beteiligten ungeduldig sind. (Als Ungeduld gilt hier im weiteren Sinn alles, was nicht zu einer klar durchschauten Bestimmung von Gemeinsamkeit und Unterschied vordringt, der alle Beteiligte zwanglos und von sich aus zustimmen. Also einem Zustand vollständiger Verständigtheit. Wann wäre der je irgendwann bisher erreicht worden? Gibt es das überhaupt?)


1c. Verschiedene moderne Selbstverständnisse: Wie sie auseinander hervorgehen, wie in ihnen die modernen Wertsphären sich verknüpfen

37.
Modern denkende, ebenso wie vormoderne (hier wieder religiöse und vorreligiöse) Menschen haben Verständnisse oder Begriffe bestimmter Art ihrer selbst oder der Andern ihresgleichen, die sich aus ihrer jeweiligen Art, Handlungen aus (unvollständigem) Wissen über die Welt abzuleiten, ergeben. Wie alle, übertragen sie dies ihnen selbst unhintergehbar vernünftig und richtig Erscheinende auf andre; wie immer, treffen sie früher oder später auf diese, ihresgleichen – ihresgleichen insofern, als sie dasselbe wie sie tun, nämlich das eigne übertragen. Nur, dass die Inhalte andere sind. Und wenn sie dann nicht alle einander aufgrund dessen völlig verachten und nicht mehr ernstnehmen (für verrückt, schwachsinnig, unkorrigierbar gestört, böse) erklären – dann gibt ihnen dieser Sachverhalt zu denken.
Wir haben im Anschluss an die voraufgehende Überlegungen zu fragen: Wie sieht das moderne Selbstverständnis aus? welche Fragen wirft es auf – spätestens, wenn seine Träger mit anderen Selbstverständnissen, anderen Standpunkten, anderen Arten zu begründen (etwa religiösen) konfrontiert werden? Wie verhalten sie sich zur Andersartigkeit der Andern? Welche Rolle spielt es, dass der moderne Standpunkt kein ursprünglicher ist, sondern (wenn historisches Wissen nicht völlig verloren oder unzugänglich ist) für seine Träger erkennbar aus einem früheren, anderen Standpunkt sich entwickelt hat (wenn auch nicht unbedingt so klar ist, wie; die hier vorgetragene Erklärung dafür ist ja nicht allgemein anerkannt, kein Grundbaustein modernen Selbstverständnisses) – zumindest SPÄTER kam. Oder doch nicht?
(Ein Verständnis für Religion wäre: Sie existiert neben dem, was in der Moderne übrig bleibt, und immer schon vorhanden war; hat es vielleicht behindert oder überlagert; verschwindet allmählich, sodass sich der moderne Gehalt im Leben auch der ehedem Religiösen oder gar Vorreligiösen endlich unverfälscht und unbehindert zeigen kann; er als das eigentlich Dauerhafte und Beständige, das anthropologisch Fundamentale. Aus religiöser Sicht stellt es sich natürlich anders dar..)
Die Behandlung des modernen Selbstverständnisses ergibt einen zweiten und genaueren Durchgang durch die Überlegungen in 1b.; die bislang eher wie eine Material- und Ideensammlung anmuten, in der das Prinzip und die Reihenfolge der (immer wieder schmerzhaft scheiternden) Standpunkte, die in der Gewinnung des modernen Selbstverständnisses durchlaufen werden, sich allenfalls schemenhaft andeuten. Indem besser als bisher geklärt wird, wie diese Standpunkte und ihr Scheitern im Selbstverständnis moderner Menschen selbst erscheint, werden hoffentlich auch die Standpunkte selbst (die bei dieser Gelegenheit nochmals genauer zu erörtern sind) sich deutlicher als in den bisherigen Überlegungen darstellen.
So geht es beim Überlegen nun einmal zu: Die fertige Struktur zeigt sich erst zuletzt, davor ist alles nur Material, neben einigen starken Anhaltspunkten, wie es gehen könnte.
Der erste dieser Anhaltspunkte war:.
Die drei Prinzipienpaare des Abs.9 sind nur anwendbar, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind.
Der Katalog der Bedürfnisse (und der Leistungsgrenzen, also speziell Erholungsbedürfnisse) beispielsweise, denen genügt werden muss, um normalerweise Reproduktion zu sichern, schliesst jene Bedürfnisse ein, die zyklisch, mehr oder weniger variiert (und mit gewissen Abwechslungen im Detail) wiederkehren, aber auch jene, deren Nichtbefriedigung durch Langeweile und Überdruss angezeigt wird. Nur wenn BEIDE Bedürfnisgruppen gleichzeitig befriedigt werden, kann Bedürfnisbefriedigung Leitfaden sein. Nur dann ist ein solchen Bedürfnissen gerecht werdender Alltag auch Masstab für Abweichungen von ihm, also für Störungen, deren Entstehungsbedingungen zu vermeiden eine „Gesundheitsbedingung“ genannt werden kann.
Die Prinzipien zur Vermeidung von Zielkonflikten im Alltag wiederum, die sich jenseits der genannten Bedürfnisse aus der Berücksichtigung von Sorge um sich (Gefahren bekämpfen um JEDEN Preis – auch den, Reproduktion aufs zu Spiel zu setzen? nein!) und des bekanntermassen Unbekannten (sich nie dorthin vorwagen, und lieber stagnieren mit dem, was man hat? nein!) ergeben können, sind nur anwendbar, wo es einen solchen nachweislich reproduktiv wirksamen Alltag gibt – ihn, und sein Verhältnis zu aus ihm heraus zu vermuteten (besorgt machenden), ihn bedrohenden Gefahren, und möglichen Forschungs- und Technik-Entwicklungsprogrammen (also Fortschritts-Strategien aus IHM heraus), die die Bedingungen des als zuverlässig und bewährt Gewussten in IHM erkundet. Nur darauf schliesslich sind dann auch die Konstanzerwartungen und die Regeln für Suche nach Bedingungen neben und hinter bekannten Regularitäten des dritten Prinzipienpaars gerichtet.
So ergibt sich ein zusammenhängendes Ganzes, in dem die vier Praxis- und Ziel-Kategorien der Moderne zusammengeschlossen WÄREN – wenn sie sich denn so zusammenschliessen liessen: Für Bedürfnisse ALLER Art wird ohne Überforderung gearbeitet, mit solchen Techniken und Prognostiken (prognostischem Wissen um Zyklen, An- und Vorzeichen, das auch zum technischen Wissen-wie gehört) und passenden Problemlösungen, die allesamt zur Befriedigung dieser Bedürfnisse vorerst zureichen, und deren Hintergründe zu erkunden Sinn macht, um vorhandene Technik und Prognostik zu perfektionieren, wo noch Lücken sind, und sie robuster und vielseitiger anwendbar zu machen.

38.
Aber genau so funktioniert das moderne Praxis-System eben nicht.
Was wir hier eben beschrieben haben, ist nur die Vormoderne, wenn und soweit sie glückt – traditionale Lebensform; mit charakteristische Zusätzen. Nämlich so, wie sich Leben im Übergang weg vom traditional-religiösen Leben, also der Modernisierung, und der Frühzeit der Moderne, dargeboten haben mag.
Traditional wird NICHT die Gesamtheit der Bedürfnisse bedient: Alles, was mit Expansion über gegebne Verhältnisse hinaus zu tun hat, und positiv ausgedrückt, Neugier befriedigt, negativ, Langeweile, Öde und Borniertheit der eingerichteten Alltagsverhältnisse (gerade dann, wenn sie GUT eingerichtet sind) verhindern soll – alles das steht unter Bedingungen des Glaubens, wird früher oder später bezogen auf die Möglichkeit, ihn in seiner gegenwärtigen Gestalt aufrechtzuerhalten. Wenn da Zweifel auftauchen, wendet sich der wahrhaft vormodern-religiös Denkende sofort eben diesem Glauben zu, und passt sich oder den Glauben der neuen Situation an. Das mag auch noch im Übergang geschehen – aber nur solange, wie die Angebote noch überschaubar sind (und durch theologische Operationen und institutionelle Tabus beherrscht werden können). Dasselbe gilt für das hereinströmende Wissen, und die neuen Techniken: vor allem jenes und jene, die Herausforderungen darstellen, Experimente zu ihrer Übertragung auf andre Verhältnisse erfordern, und neue Lebensformen (Berufe, Kenntnisse, Spezialisten-Fähigkeiten) begründen. Vor allem vieles Wissen und Wissensmöglichkeiten, das und die erst einmal garnicht in technische Anwendungen zu übersetzen sind, sondern vorerst bloss gesammelt, geordnet und auf mögliche (technomorph gedacht, heisst das: Elemente, deren Dispositionen, und Komplex-Dispositionen als Resultat einer Zusammensetzung aus Elementen) Regularitäten darin geprüft werden muss: Es bindet Aufmerksamkeit so vieler so lange, und erzeugt, andererseits, eine solche Flut neuer Denk- und Handlungsmöglichkeiten (bis hin zu veränderten Alltags- und Lebensformen in Landwirtschaft, Handwerk, Manufaktur, Seefahrt, Militärwesen usw.), dass auch von dieser Seite her Religion dem sprunghaft anwachsenden Anpassungsdruck nicht mehr gewachsen ist, und sich vor dem neuen und mit ihr konkurrierenden Anspruch auf Welterklärung auf sich selbst zurückzieht. Da hat sie dann schon verloren. Denn im Prozess der Modernisierung ist es die MASSE neuer tatsächlicher und möglicher Lebensformen, und Wissens- und Anwendungsmöglichkeiten, die das traditionale Leben für immer aus seinen ruhigen Kreisbahnen heraustreibt und damit zerstört. Ab dann ist „Bedürfnis“, was die unübersehbar wuchernde Masse individueller Existenzen und „Lebensstile“ (erst von Gruppen, schliesslich von Einzelnen) an affektiven und emotionalen Ansprüchen (Routine-mässig wiederkehrenden und in Grenzen variierenden, ebenso wie expansiv gegen Langeweile gereichtete) zur lohnenden Weiterführung ihrer Berufstätigen- und Techniker- oder Wissenschaftler-Existenz benötigt. „Technik“ ist ab dann nicht mehr, was vorhandene Produktionsweisen verbessert, sondern das, was hereinströmendes Wissen-dass aller Art auf mögliche neue Anwendungen prüft – ohne Schranke durch ein vorgegebenes Niveau oder gar Inventar einzig zu lösender Probleme (während andere nicht beachtet werden). Jedes Problem kann hier gestellt (und seine Lösung durch Kombination und Zusammenbau geeigneter Elemente angegangen) werden, jede mögliche Anwendung auf ihre Konstruierbarkeit (Zusammensetzbarkeit) aus bekannten Elementen (oder Abwandlung von Komplexen) hin geprüft werden. Die Suchaufträge, die sich von daher an die Wissenschaft ergeben, vervielfältigen dann die ohnehin schon unternommenen Anstrengungen, in das Chaos der Einzeldaten System und Übersicht zu bringen: Wissenschaft wird zur eigenen Disziplin, zum Selbstzweck. Analog für die Ablösung der nicht-zyklischen, nicht durch technische Alltags- und Produktions-Routinen angehbaren „Bedürfnisse“: Würde IHRE Expansion (die sich unvermeidlich aus den gestiegenen Lebens-Beschleunigungs- und Material-Anreicherungs-Niveaus, Bildungsniveaus usw. ergibt) mit der Entwicklung von Routine-Befriedigungen beantwortet, wäre das Missverhältnis offenkundig: Routine in DIESEM Bereich erzeugt Langeweile. Tatsächlich kann man den Anforderungen aus diesem Bedürfnis-Feld (obschon auch dort von Handwerk, Produktion, Techniken gesprochen wird, und es solche Aspekte, als untergeordnete und unentbehrliche auch gibt) niemals gerecht werden nur mit dauerhaft berechenbaren Effekten, Zusammensetzungen von kulinarisch wirksamen Elementen, blossen Abwandlungen eines immer Gleichen innerhalb gewisser Grenzen. (Umgekehrt wäre eine Technik überfordert, die sich STÄNDIG und in jedem Akt ihrer Anwendung zugleich mit neuen Situationen, und Herausforderungen zur innovativen Anpassung konfrontiert sähe, mit einem Ingredienz von Unberechenbarkeit: Wiederholbarkeit und Erprobbarkeit (auch: Übertragbarkeit auf Vergleichbares, berechenbare Abwandelbarkeit für bekannt-berechenbar variierte Anwendungssituationen) sind die Fundamente dessen, was seriöserweise Technik genannt werden darf. Was jenseits davon liegt, wäre (wenn es auf reale Effekte bezogen wäre) Magie und technische oder prognostische Anwendung religiöser Wissenschaft (Alternativmedizin, Alchemie, Astrologie) – die im Einzel(!)fall innovativen Techniken schlechthin (betrachte die „Erklärungen“ dafür, wenn sie nicht gewirkt haben!); auf ästhetische „Effekte“ bezogen hingegen spricht man von Originalität und Kreativität, in der sich einschlägig innovative PRODUKTIVITÄT mit GESCHMACK, dem Spüren und Wissen darum, um welche ästhetische Problemstellung (in quasi-technischen Termen gesprochen) es sich überhaupt handelte, untrennbar verbindet: Erst im Produkt zeigt sich hier, wo ein Bedürfnis lag. Nicht, dass ästhetische, „kreative“ Produktion auf EINZELFÄLLE zielt, unterscheidet sie dabei so fundamental vom eigentlich technischen Problemlösen (gibt es nicht die geniale Brücke, wo niemand sie mit gegebnen Mitteln für möglich hielt?): Ungewöhnliche Antworten auf Einzelfall-bezogene Problem-Herausforderungen kennt auch der Ingenieur; ungewöhnliche, von niemand bis dahin verlangte Anwendungen findet auch der Erfinder. Die regelmässige Verbindung aus „technisch“ kreativer Einzelfall-Lösung und originell-präzise bedürfnis-„problem“-bezogener (das „Problem“ zugleich mit seiner „Lösung“ findender und erfindender) Anwendung ist das Kennzeichen ästhetischer Produktion. Für sie gibt es keine eigene, ihr die Arbeits-Instrumente liefernde technische Innovations- und Entwicklungsabteilung. Nichts aber drückt besser die Zerreissung von modernem „Bedürfnis“ (in all seinen unendlichen Filiationen und Varianten in Gestalt individueller Lebens- und Gruppenstile) in zwei völlig verschiedene Gruppen oder Orientierungen (in Routinegrenzen variierende „Appetite“, Grundbedürfnisse, Erholungs- und Kompensationsbedürfnisse einerseits; Neugier, Erfahrungshunder andererseits) aus als dieser Bezug zur innovativen, aber berechenbar einsetzbaren Technik. Ästhetische Errungenschaften sind das im Rahmen des bereits Gefundenen und Bekannten Nicht-(Ganz)-Berechenbare schlechthin.

39.
Das technisch nicht unmittelbar in Konstruktionen und Problemlösungen umsetzbare, das blosse Wissen-dass löst sich ab vom Auftrag, untergeordnetes Material zu sein für Verbesserungen, Anpassungen, Abwandlungen, Reparaturen der Elemente einer traditionalen Produktionsweise, in einer Region, für eine Berufsgruppe usw.
Es liefert sich selbst seine Fragestellungen nach Systematiken, Klassifikationen, Ordnungen seiner Stoffe; nach Mustern und Regularitäten, die in ihm sichtbar werden, nach Bedingungszusammenhängen; dabei fragt es zurück nach Elementen, immer kleinerem, einerseits; und nach der „Erklärbarkeit“ von Komplexen aus bekannten Elementen und deren hypothetischen Dispositionen (deren Verhalten in Zusammensetzungen vorläufig als konstant unterstellt wird, sodass Wirkungen der (speziell bestimmten geometrischen oder Material-)Zusammensetzung berechenbar und vorhersagbar sind: was experimentell zu erproben ist!), andererseits.
Aus dem anschwellenden Strom experimentell erprobten Wissens von „erklärenden“ Elementen und ihrer Interaktion in Komplexen (die einzigen beiden Erklärweisen, die diese „Natur“-Wissenschaft kennt) filtert das technische Problemlösen und Anwendungs-Erfinden sein Ausgangsmaterial; aber unter ganz eignen Gesichtspunkten: Aus Elementen und den von ihnen aufgewiesenen Dispositionen werden NÜTZLICHE und NUTZBARE Elementar-EFFEKTE. Sie sind bezogen auf produktive Effekte komplexerer Art, Aufgaben, die wir lösen können, in dem wir das Nutzbare und Nützliche in die Hand nehmen und damit arbeiten: Gerät, Stoff, Material, mit den und jenen Eigenschaften, die sich in unseren Händen, durch Einwirken anderer Stoffe, Materialien, Geräte formen und in ihren Eigenschaften zweckmässig beeinflussen lassen: Produktions-VERFAHREN; oder auch, die sich selbst formen, wenn die Ausgangsbedingungen stimmen, oder FUNKTIONIEREN ohne unser Zutun: als Automaten. (Als Automat, wenn auch einen schlecht, nämlich nicht ohne weiteres auf unsern Nutzen, Nutzbarkeit, Bearbeitkeit, Kontrollierbarkeit mit unsern Mitteln und Fähigkeiten hin konstruierten, sieht das moderne agrar-, bio- und vor allem medizin-technische Denken alles im eigentlichen Sinn Natur-hafte, Belebte an (s.o.). – bis hin zu den menschlichen Körpern: es funktioniert, wenn auch eben nicht optimal, stattdessen stark verbesserungsbedürftig, von selbst und ohne unser Zutun. Manchmal sogar in schädigender Weise. Was bei den besten Automaten vorkommen kann, und behoben werden muss.)
Durch diesen Gesichtspunkt der Nützlichkeit, zerlegt in: geeignet, im Verbund mit (spätestens geschulten) Arbeits-Schritten unsererseits zuverlässig weiter nutzbare Effekte hervorzubringen, oder aber von selbst (als Automat), unterscheidet sich der technische Bezug auf gewusste Regularitäten vom wissenschaftlichen.
In dieser Formel zur Beschreibung der Differenz zeigt sich aber auch eine weitere Eigentümlichkeit von Technik: Während Wissenschaft auf eine ultimative Grenze, sie mag Weltformel heissen, oder anderes, zielt, schafft Technik mit jedem erreichten Horizont einen neuen: Im technischen Sinn Nützliches und Gekonntes ist nützlich, weil es Mittel ist für noch weitergehend Nützliches, komplexeres Können. Technik und Wissenschaft haben definitiv entgegengesetzte Orientierungen. (Wissenschaft durchsucht das VORHANDENE und „erklärt es, dh. sein So-Sein, aus seinen Elementen“. Von-selbst-Vorhandensein ist ihre Grenze; hingegen Forschung, die Konstruktionen und Problemlösungen auf ihre Regularität also Zuverlässigkeit hin untersucht, ist Wissenschaft technischer Artefakte (eines Vorhandenen, das erst erschaffen sein muss, nur eben nicht in jeder Hinsicht kontrolliert, um in all seinen Aspekten untersucht werden können): sie ist Technologie.)
Aber in ganz ähnlicher (um nicht zu sagen: symmetrischer) Weise trennen sich die Wege von ästhetisch anspruchsvoller Produktion (und ihren „niederen“ Derivaten für die gröberen, weniger raffinierten und gebildeten oder auch fortgeschritten-kennerhaften Geschmäcke) und Alltags-Einrichtung, als Routine:
Die vielfältig neuen Alltage im Zuge der Modernisierung mit ihren je eigenen Beschränkungen, beschränkten Erfahrungshorizonten (deren Beschränktheit sich für sie selbst ergibt durch unmittelbaren Vergleich mit anderen, die immer haben, was sie selbst nicht haben – vermeintlich ZUSÄTZLICH zu ihrem Eigenen, nicht ANSTATT seiner) entfesselt zunächst eine Flut an Sehnsüchten, im wörtlichen Sinn: Erleben, wovon man ausgeschlossen ist; kompensieren, genau auf den (Zeit)Punkt gebracht, und in der Intensität, wie es in den Alltag, als Feierabend, Freizeit, Urlaub, Wochenendvergnügen, auch für Rentner, Genuss des „Lebensabends“, passt. Kompensatorische Bedürfnisse, die sich der Einseitigkeit von Berufstätigkeit, technischer und wissenschaftlicher Arbeit verdanken, bilden Ausgangspunkt des Genre-Ästhetischen: hier sollen Lebens- und Erlebenssphären simuliert, und in gesteigerter Dosis denen verabreichbar sein, die durch ihre Lebensführung vom entsprechenden Lebens-Genuss-Sektor ausgeschlossen sind; mit darin eingeschlossen: Utopien und unverhohlene Regressionen, worin man sich für die Entbehrungen und Entsagungen des modernen Arbeitslebens entschädigt. Aber auch hier scheidet sich das Anspruchsvoll-Originelle ab vom mehr oder weniger begrenzten Sättigen der wechselnden APPETITE (wie in der Kochkunst, so in den andern Genre-Künsten: die eben darum zurecht noch zur Alltags-Bewältigung der nicht-ästhetischen Sphären gerechnet werden, indem sie auf jene Form des Nicht-Überdrusses, Nicht-Ekels zielen, die auf pure Abwechslung innerhalb eines begrenzten Spektrums von Möglichkeiten zielen, nicht hingegen auf fortwährende Steigerung und Überbietung erreichter Standards, wo Stillstehen auf einem, und sei es noch so abwechslungsreich und bunt sich gebenden Angebot an Varianten ohne Neuerung als Versagen an der Aufgabe gilt.)

Nicht anders als in der Wissenschaft (und dann in der Technik), gibt sich diese Sphäre bald selbst die Ansprüche vor, arbeitet nicht auf Bestellung mehr von aussen (schliesst vielmehr selbstbewusst solches Auftragsarbeiten von sich aus). Der Vergleich mit Technik und Wissenschaft, diesen anderen beiden Wachstums- und Innovationssektoren der modernen Praxis, zeigt: Deren Wachstum weist Mängel auf. Die Errungenschaft des ästhetischen Produzierens ist, aufzudecken und darzustellen, welche. Jedoch: Ästhetisches Erleben ist NICHT zweckmässig, keine „erfüllende“ Alternativversion von Technik, ebensowenig ist sie darauf aus, systematische Erkenntnis-Defizite der Wissenschaft aufzudecken. Moderne Wissenschaft, Technik, Lebenseinrichtung sind aus Sicht des ästhetischen Erlebens (oder Darstellens) unvermeidlich und notwendig. Was es danebenstellt, will nicht konkurrieren und enthält keine Erkenntnis weder der Welt, noch der modernen Menschen, die zu ihr die Verhältnisse der drei anderen Sphären eingehen. Ebensowenig will es Praxis sein, und strebt nicht Überbietung und Vervollkommnung einer existierenden Praxis an. Die Frage ist nur: Was will es dann? Vor allem aber muss angesichts der Originalitäts-Besessenheit und zugleich Selbst-Überbietungs- und Ausweitungsoption dieser Wertsphäre die Frage gestellt werden: Was ist es, das sich systematisch und immer wieder den anderen beiden Sphären entzieht, dabei nicht welt- oder praxisbezogen, nicht könnens- oder wissens-orientiert ist, und dennoch schier ohne angebbare Grenzen wachsen will, nicht anders als moderne Technik oder Wissenschaft?
Fast entsteht der Verdacht, dass Wachstum im ästhetischen Produzieren andres bedeutet als in Wissenschaft oder Technik; nicht jedenfalls „Aufbau, Ausbau, bei erhaltenen Fundamenten, die nicht mehr verlorengehen“. Letzteres lässt sich vielleicht behaupten von sich entwickelnden Stilen oder Gattungen; wer IN diesem Stil oder der Gattung Neues bieten will, darf nicht hinter Erreichtes zurückfallen. Aber.. bauen Gattungen selbst aufeinander auf? Verweist nicht die Rastlosigkeit ästhetischen Produzierens auf eine unbestimmte Leerstelle im modernen Projekt – etwas, das genau die Art eines wachsenden Erlebens-Korpus hat, das aber eben durch technische Selbstüberbietung hin auf ein Können ohne Grenzen und Wissens-Wachstum hin auf ein Alles-Kennen ohne Grenzen (zumindest nicht solchen, die zwischen uns, als kennenzulernenden Welt-Dingen neben andern auf der einen Seite, und den „Elementen“ aller Komplexe, auf der andern Seite, liegen) immerzu verfehlt wird? Ästhetisches Interesse ist Ausdruck und Mass unseres DESINTERESSES an dem, was wir in Berufstätigkeit, technischem und Wissens-Fortschritt erleben könn(t)en – selbst dann, wenn wir an ihnen, was niemand kann, mehr Anteil hätten, als selbst nur der einzelne Angehörige seiner Berufsgruppe, Technik-Disziplin oder Wissenschaft. Die Fülle all dieser Sphären selbst ist keine Verlockung, eher abstossend: Technik, Wissenschaft, Berufsarbeit sind Formen der ENTSAGUNG; ästhetisches Produzieren und Erleben aber auch – in seiner rastlosen „Unendlichkeit“ und, wie zu befürchten steht, Vergeblichkeit.

40.
Die Färbung, die dieses allgegenwärtige Vergeblichkeits- und Entsagungsgefühl angesichts des modernen Tuns als Ganzem in nüchtern-rationaler Sprechweise annimmt, ist: All das ist NOTWENDIG. Modernes Handeln auf gleich welchem Gebiet ist erfolgreich darin, dass ihm das aus seiner Sicht Notwendige (und es ist auf allen Gebieten letztlich ein Wachstum, eine Zunahme, Fülle, Ausdifferenzierung, ein Fortschritt) gelingt. All dies Fortschreiten kennt freilich kein Ende; obschon die Strecke, die das wissenschaftliche Entdecken und seine technische Verwertung in Form von Ingenieurs-Grosstaten und heroisch vereinseitigter Spezialisten-Berufsarbeit, wie eben bereits ausgedrückt, von den Elementen bis hin zu uns, als Weltbestandteilen gedacht, zurücklegt, keineswegs als eine „unendliche gedacht“ und auch nicht für nicht bewältigbar gehalten wird.
Das Anfangsfaktum, dass von den zentralen Elementen moderner Praxis, technisch ausgestatteter (Re)Produktion (Berufstätigkeit im engeren Sinne) und technischer Entwicklung auf gegebnem Stand der Wissenschaft, an die flankierenden Anteile „ästhetisches Erleben“ und „Wissenschaft“ quasi Aufträge vergeben werden (soweit diese sich nicht längst, aus vormodernen Vorläufer- und Ausgangsbeständen hervorgehend (sakrale Kunst; vormoderne Naturwissenschaft), selbst auf den Weg gemacht haben) – dies Anfangsfaktum wandelt sich bald in das grundsätzliche Versprechen: dass wissenschaftlicher Fortschritt den technischen nähren wird; und dass das Ästhetische, wie auch immer, ergänzen wird, was dem Berufstätigenalltag zur Sinnerfüllung noch fehlt. (Dessenungeachtet verfolgen Wissenschaft und ästhetische Erlebnisproduktion autonome Ziele; die Lieferbeziehungen zur Nachbarsphäre sind (zunächst; das ändert sich bald!) ein Nebeneffekt, der keinen zusätzlichen Aufwand kostet.)
Das zentrale Versprechen allerdings der Moderne ist ausgedrückt in der (hypothetischen) Erwartung, wie sie oben in den Vorüberlegungen von 1a. erschien, nämlich dass die aus wissenschaftlicher Fülle gespeiste technische Selbstüberbietung die immer bessere Kontrolle oder „Beherrschung“ der Natur als Inventar an „Gesundheitsbedingungen“, angefangen mit denen in unserem eigenen Körper, ermöglichen wird – bis hin zum (bio)technischen („transhumanen“) Umbau und zur Perfektionierung unserer selbst bis zur Selbstabschaffung.
Dabei wird vergessen, dass eben genau die Fülle und ständige Selbstüberholung der technischen Entwicklungen in vollmodernisierten (Industrie)Gesellschaften eine entsprechende Masse sich ständig umwälzender oder vorwärtswälzender Lebensformen (Berufstätigkeiten) erzeugt, die jede denkbare Definition von „Gesundheit“, verstanden als bewährte, eingerichtete und gelingende Normalität von Bedürfnisbefriedigung durch eigene (ihrerseits befriedigende Tätigkeit) wie Hohn erscheinen lässt.
Aber nur durch dies Versprechen – das Zentralversprechen der Moderne (flankiert durch die andern beiden im Anfang dieses Abs. eben genannten) – kann sich ein moderner Mensch einreden, dass er – wie es dem allerersten Anhalts- oder Ausgangspunkt seines Selbstverständnisses entspricht – ein LERNENDER und Wissens- und Erfahrungs- und Erlebenszuwächse Verarbeitender ist; dass spätestens die Gesellschaft, der er angehört, so ist, und er von nichts wesentlichem dabei ausgeschlossen wird.
Und hier greifen dann die produktiven und korrigierenden Effekte des Abs. 36 an, die ein modernes Individuum nötigen, sich von dieser naiven Anfangsposition zu entfernen.
Kein moderner Mensch, sei er Produzent ästhetischen Erlebens, Berufstätiger, technischer Entwickler oder Wissenschaftler, sieht sich, erstaunlicherweise, ernsthaft von irgendeiner für ihn, als modernem Menschen, entscheidend wichtigen Lebenschance ausgeschlossen. Die irrwitzige Arbeitsteilung, die sich in und zwischen den Sphären alsbald auszubreiten beginnt, scheint nichts AUSSCHLIESSENDES zu haben: In der ein oder andern Weise, so scheint jedes moderne Individuum zu denken, wird es an dem, was wirklich zählt, beteiligt sein, kann nichts versäumen. Und tatsächlich ist Teilhabe an den modernen Aktivitäten, die all die grossartigen Kontroll- und (Natur)Beherrschungs-Möglichkeiten erzeugen, nicht besonders anziehend: Soll einer, der berufstätig ist, in seiner Freizeit…
(ein Wort aus der Berufstätigensphäre; echte Künstler, Ingenieure oder Erfinder und Wissenschaftler haben die nicht, sind eigentlich immer im Dienst, und finden Erfüllung eben darin, nicht jenseits; allenfalls nach einem Zusammenbruch, zur Wiederherstellung ihrer eigentlich unerschöpfbaren Arbeitsfähigkeit, gehen sie zur Zerstreuung über…)
…auch noch Technik-Bastler sein, oder sich mit Romanen, für die Schublade geschrieben, abquälen? Oder Wissenschaftler sein und sich in Details der Physik oder Chemie einarbeiten (jenseits dessen, was ihm der Wissenschaftsteil der Tageszeitung oder „Populärdarstellungen“ oberflächlich genug davon erzählt – mehr, um ihn davon zu überzeugen, dass es dort immer weiter, und wie!, vorangeht, als ihm zum Verständnis der erzielten Fortschritte zu verhelfen; das wäre ausschliessend und „professionell“, verlangt AUSSCHLIESSLICHE Beschäftigung mit dem Thema. Gleiches gilt ja nach kurzer Wissenschaftsemtwicklung, bereits für nebeneinander herarbeitende Fachgenossen untereinander.)
Da, wo ALLE Tätigkeit zwar AUCH Erfüllendes bringt, aber eben vor allem Entsagung verlangt, ist Ausschluss zu verschmerzen. Alle moderne Tätigkeit zielt auf Bereitstellung von Materialien und MITTELN – die Moderne ist die Kultur des aufgeschobenen (allenfalls hygienisch, kompensatorisch, als Nietzsches „Lüstchen für den Tag und die Nacht“ eingeplanten) Genusses schlechthin; entsprechend gross ist das Unbehagen, das die an diesem Epochenprojekt Beteiligten empfinden, das im wesentlichen drauf hinausläuft, sich durch leidvoll angestrengte, vereinseitigte und konzentrierte Arbeit über Generationen weg von genau dieser Arbeit endlich ein für allemal zu befreien. Welcher modern Entsagende soll da welchen andern beneiden?

41.
Nein – moderne Menschen haben, ganz gleich, wo sie sich betätigen, und womit sich vereinseitigt abquälen, einander nichts voraus; die conditio humana moderna dürfen sie ohne weiteres als dieselbe unterstellen, wo immer sie sich befinden – zumindest, was das MASS der nötigen Verzichte angeht; in der ART mag es auch für sie erkennbare Varianten geben.
Worin besteht aber die Gemeinsamkeit, und wo sind die Unterschiede für die in den verschiedenen Wertsphären Arbeitenden?
Es ist schon gesagt worden: Alle genuin modernen Menschen sehen sich als Beteiligte an einem arbeitsteilig betriebenen Projekt – Teilnehmer dieses Projektes zu sein, ist ihr erstes, naives Selbstverständnis; es gibt auch nicht sehr viel daran zu verstehen ausser, dass und wie dies Projekt als sinnvolles gedacht werden kann (dass sie daran teilnehmen, daran besteht ja kein Zweifel – wenn sie es nur wollen, und sie nicht durch sekundäre gesellschaftliche Verhältnisse („Arbeitsplatzverlust“), die aber der Moderne eigentlich nicht gemäss sind, gegen ihren Willen davon ausgeschlossen bleiben). Die eine Seite dieses Sinn- und Selbstverständnisses besteht in den (in jeder historischen Stufe vorauszusetzenden) 6 minimalen Sinn- und Praxis-Postulaten; aber diese Minimalität genügt nicht. Um diese Minimal-Hypothesen oder Postulate auf eine noch nicht ganz bekannte Umgebung oder Welt und die zugehörigen (Versuchs-)Prinzipien anwenden zu können, bedarf es, unter modernen Vorgaben, der erwähnten drei Zusammenschlüsse (3faches „mit“: Ästhetik mit Berufstätigkeit mit Technik mit Wissenschaft). In diesen Zusammenschlüssen wird gedacht, wie sich moderne Menschen ihr Lernen vorstellen – im Bezug worauf sie Wissen erworben sehen wollen im Rahmen ihres gemeinsamen Projektes: Menschen sind BEDÜRFTIG (unmittelbar von ihnen empfunden, und durch Erfahrung (in Gestalt von Gesundheitsbedingungen) gelernt), befinden sich in einer unbekannten und von ihnen noch kaum gekannten, geschweige denn kontrollierten (was aus modernem Verständnis heraus pauschal mit Bedrohlichkeit gleichgesetzt werden darf) WELT; zu beidem müssen sie sich produktiv-defensiv („selbst-erhaltend“, ums Dasein „kämpfend“) verhalten, indem sie Muster, Regularitäten, Wirkzusammenhänge in beiden Bereichen suchen und aufdecken, auf die sie mit immer weitergehend „beherrschten“ Umgebungsbedingungen (prognostisch, technisch) antworten können. Während sie sich immer besser und weitergehend gegen akute Bedürftigkeit und Leid sichern, und darin fortschreiten, müssen sie sich bereits mit den beschränkten vorhandenen Mitteln sichern; diese reproduktive Arbeit ebenso wie der Fortschritt in ihrer Perfektionierung können und müssen (2.Postulatgruppe) sich nicht ausschliessen, sondern sie laufen nebeneinander (und zwar arbeitsteilig) ab. Zu jedem Zeitpunkt und Zustand dieses Wachstumsprozesses aber gibt es eine Fülle an ästhetisch Erlebbarem, das die – durch einseitige Beschäftigung in einer der drei Real-Erfahrung verarbeitenden Sphären – verarmte Erfahrung gezielt um Erlebnisse genau der Art bereichert, die gerade am meisten vermisst werden.
Alle Teile der WELT bis hin zu unserem eigenen Organismus sind, soweit sie von sich aus ein gewisses Funktionieren (Automatismen) aufweisen, dann so etwas wie unvollkommene AUTOMATEN; die Welt als ganze ist solch ein Automat. Wir müssen sie kennenlernen und unseren Zwecken gemäss umbauen.
Dies Selbst- und Weltbild, worin sich moderne Menschen mit ihresgleichen zusammenschliessen und gemeinsam wiederfinden wollen (als arbeitsteilig organisierte Betreiber des grob so verstandenen Projekts der Moderne), hat, wie sich bereits andeutete, einige problematische Implikationen.
Zur Bedürftigkeit wollen sie sich verhalten, als sei sie eine einfach, so wie sie sie antreffen, VORHANDENE.
Dabei ist sie eine durch (vorausgegangene, vormoderne) Kultur, Produktionsanforderungen, aber auch Einschätzung, Bewertung, Kenntnis (und auch Unkenntnis) von Genussmöglichkeiten (generell: Chancen, Risiken) durch und durch kontingent gestaltete und geformte.
Eben die Aktivitäten im Rahmen des Selbstbildes, das ein solches Nur-Vorhandensein behauptet, lassen die Bedürfnisse nach Art und Intensität explodieren – erst recht ihre Kombinationen in den zufälligen Positionen, die die einzelnen modernen Individuen im Rahmen ihres Produktions-Projektes einnehmen.
Die funktionellen Verknüpfungen, die es erlauben würden, hier zwischen einem Bedürfnis-Substrat und seinen tätigkeits-gemässen, kompensations-bedürftigen Abwandlungen zu unterscheiden, sind nicht einmal im Ansatz zu prüfen. Daher lautet das moderne Dogma: Bedürfnisse sind unendlich, und jeder ist anders.
Aber all dem will ja die moderne Produktion und ihr Fortschritt unter dem Titel „Bedürfnisbefriedigung“ (verstanden als Notwendigkeit) gerecht werden.
Dafür erschliesst und mobilisiert sie (angeblich) alles verfügbare Wissenswerte über den Weltautomaten, dessen Teile wir sind, und destilliert daraus das für den „bedürfnis“-gerechten Umbau nötige Anwendungswissen. Da „Bedürfnisse“ (und damit das „Risiko“ der Bedürftigkeit ) nach eben skizziertem modernen Verständnis unbegrenzt und unermesslich sind, ist erklärt, warum unsere Fähigkeiten schnellstmöglich ensprechend ausgebaut werden müssen – ebenso unbegrenzt und unermesslich. Zumal neben die Bedürfnisse die Risiken aus Gefahrdrohungen von seiten der noch unbekannten, unbeherrschten Welt treten – dagegen wappnet uns, neben der technologischen Ausschöpfung aller Könnens-Reserven, zu denen wir die Chancen kennen und erkennen, das prognostische Weltwissen von Gefahren, da, wo wir keine oder nur unvollkommene technologische Kontrolle ausüben können.
Bedürfnisse und Gefahren sind unermesslich, unsere Fähigkeiten zu Kontrolle (Ausnutzen von Chancen) und Prognose (von Ort und Zeitpunkt der Realisierung von Risiken), und das ihnen zugrundeliegende Wissen, müssen es daher schnellstens werden.

42. (Angleichung Wissenschaft > Berufstätigkeit und umgekehrt)
Wir verhalten uns, so besagt es dieser moderne Fundamentalgedanke, zur Gefahr des Bedürftigwerdens – jener, die direkt aus uns selbst erwächst, als auch jener, die aus unserer Umgebung (als von aussen entstandene Krankheit, Versehrtheit, Verletzung)  entstehen könnte.
Im einen Fall ist der Erfahrungsinhalt ein innerer – ein GESPÜRTES, das uns unmittelbar betrifft (und für Abhilfe sorgen lässt).
Im andern Fall ein GEWUSSTES, das wir erst einmal finden müssen, wo es sich uns nicht aufdrängt.
Das Bedürfnis trägt eigentlich diesen Drang, ihm Abhilfe zu schaffen, schon in sich; während eine objektive Gefahr erst einmal verstanden und auf unsere leiblichen Anforderungen und Empfindlichkeiten (oder ihnen vorgelagerte Bedingungen) bezogen sein will, um uns SORGE oder gar ANGST zu machen (die man im weiteren Sinn, aber erst dann, wenn sie entstanden sind, auch Bedürfnisse nennen kann, die nach Hilfe und Abhilfe drängen).
Die Deutung, die uns die unmittelbare Bedürftigkeit (der Appetit usw.) direkt aufdrängt, wird im Falle der objektiven Bedürftigkeitsursachen durch einen inneren Akt erst erzeugt; das Abhilfe-Schaffen-Wollen ist zwar in beiden Fällen Resultat (auch, wenn es sich erst einmal umsetzt in einen Drang); doch die Übersetzung einer Beobachtung oder Erfahrung in solch einen („sorge“- oder „angst“-artigen) Bedürfnis-Drang gelingt nur durch eine gesonderte Reaktionsbereitschaft, die wir uns, als unmittelbare, ebenso zuschreiben müssen, wie die Bedürfnisse. Im Unterschied zu den Bedürfnissen, die zum gegebnen Zeitpunkt oder unter passenden Bedingungen uns direkt unter Handlungsdruck bringen, ist diese Bereitschaft angewiesen darauf, mit ihrem Auslösereiz konfrontiert zu werden: einer im Erfahrungs- und Erlebensstrom sich anzeigenden Gefahr, zumindest Regularität, die uns möglicherweise Kontroll- und Prognosechancen eröffnet, und wichtig genug ist, um andere Reize, die für sich genommen und allein unsre Aufmerksamkeit genug fesseln würden, in den Hintergrund zu drängen (ich versuche mich so mechanistisch wie möglich auszudrücken). Als Dauerzustand könnte man sie allenfalls Aufmerksamkeit oder Wachheit nennen. (Akuter Bedürftigkeitsdrang schränkt diese unspezifisch wartende und präsente Bereitschaft mehr oder weniger ein, steht also sogar im Gegensatz zu ihr. Ein spezieller Gegenstand dieser Aufmerksamkeit auf Regularitäten wäre etwa eine Bedingung, unter der ein Drangzustand (der womöglich keine erkennbare Ursache seiner Aufhebung verspüren lässt – der somit kein Drang-NACH Bestimmtem ist) verschwindet – nach Realisierung dieser Bedingung bestünde dann wohl ein BEDARF.)
Ab da scheint der Verlauf derselbe.
Wir haben Bedarf nach Abhilfe gegen verschiedenste Drangzustände und Bedürftigkeiten, wollen vorbereitet sein auf absehbar eintretende Gefahrfälle.
Akute Bedürftigkeit treibt uns manchmal, aber überlegtes, geduldiges Vorgehen ist dabei nicht möglich.
So muss man sagen: Die wirksamsten Vorkehrungen (Problemlösen, technisches Entwickeln und geduldiges Experimentieren) gegen solche Zustände treffen wir, wenn wir nicht in ihnen sind. (Die Frage ist: Was treibt uns DANN? Bedürfnisse? Reaktionsbereitschaften?)
Das eigentlich Verrückte dabei ist aber die Auffassung, wir verhielten uns im Fall der Bedürfnisse irgendwie ebenso wie im Fall der Gefahr-drohenden oder Chancen-bergenden Fakten. Ein Bedürfnis, ein Drang sind nichts weniger als Fakten, sie setzen uns unter unmittelbaren Handlungsdruck (wie allenfalls das gefährliche Tier, das auf uns zukommt, sodass wir weglaufen wollen). Aber soweit es Fakten sind – solche, denen einfach ihren Lauf zu lassen uns Angst macht – benötigen wir eben doch die (kognitiven) Reaktionsbereitschaften, mit denen wir uns auch den Nichtbedrohungs-Gefahren oder -Glücksfällen zuwenden (je nachdem, als was uns das Bedürfnis und der Drang, und die Handlungen, zu denen wir aufgrund ihrer neigen, erscheinen: harmlos, gefährlich; oder gar als Glücksfall: Wut, in die wir geraten sind, gegen einen gefährlichen Angreifer eingesetzt, stärkt uns.. auch wenn er erst garnicht die Ursache war..)
Und erst die Reaktionsbereitschaft, mit der wir von vorneherein (oder nach gewissen Lernschritten) ausgestattet sind, nämlich unsere BEURTEILUNG und BEWERTUNG erfahrener und erlebter Fakten, übersetzt sie, wie eben gesagt, in einen Drang, oder etwas wie ein Bedürfnis (den Angstgegenstand aus der Welt zu schaffen, unschädlich zu machen usw.).
So wie sie aus einem Bedürfnis ein (besorgnis-, hoffnungs- oder eben nicht besorgnis-weckendes) Faktum macht, bei dem die ursprüngliche Antriebsenergie erst einmal ausser Kraft gesetzt, gehemmt wird.
Aber auch ein Umgekehrtes tritt ein. Denn in unserm Verhalten-zur-(unbekannten) Umgebung warten wir nicht immerzu ab, bis ein Reiz sich zeigt, der unsere Reaktionsbereitschaft (eigentlich Urteils- und Bewertungsdisposition) auf den Plan ruft. Wenn nichts in diese Richtung geschieht, machen wir uns von uns aus auf die Suche nach solchem – wir erforschen, durchsuchen, beobachten unsere Umgebung, bis etwas uns (als Gefahr oder nutzbarer Sachverhalt) erscheint; dann – wenn die Herausforderung interessant genug ist – durchbricht das so gesetzte Angst- oder Erwartungsbedürfnis (Bedürfnis ihm entsprechend zu handeln) das Such-Bedürfnis und wird stärker.
Mannigfache Bedürfnisse – Appetite, Drang- und Erschöpfungszustände, ebenso wie solche nach Erkundung des Unbekannten, Suchen, Erproben, Experimentieren – zusammen mit „(kognitiven) Reaktionsbereitschaften“, die sich auf sie ebenso wie auf beim Suchen und Versuchen gefundene Gefahrsituationen und Chancen beziehen und sie in sekundäre Bedürfnisse übersetzen (die die erstgenannten sogar ganz ausschalten und unterdrücken, ebensogut aber auch gewähren lassen können und für spezielle Zwecke einsetzen können), wirken somit in unserm Verhalten zur Welt (letztlich: unserm Wissenserwerb, systematisch und gesellschaftlich organisiert und institutionalisiert (auch professionalisiert): Wissenschaft (Forschung)) sowie zu unserer Lebens-Einrichtung, wo die Bedürfnisbefriedigungen ineinandergreifen müssen, zusammen.

43. (Angleichung Technik > Ästhetik u.u.; hier: Einfache Grundbestimmungen von Technik)
Aber, so wurde eben schon gefragt: Unser technisches Problemlösen… oder Konstruieren; erst recht unser Erfinden ästhetisch wirksamer Erlebnisse – auf welchem Drang, Bedürfnis, Reaktionsbereitschaft (zu Beurteilungen und Bewertungen), kurz: auf welcher Abteilung unseres Uns-Verhalten-zur Welt, und unserer selbst, soweit wir welthaft-objektiv sind, sollten denn SIE beruhen?
Ich beginne mit dem technischen Entwickeln.
Es arbeitet mit (bekannten) Routinen, ist aber selbst keine; dennoch führt es zu (neuen) Routinen, an denen es erneut ansetzen kann: Fortschrittsspirale.
Technisches Erfinden und Problemlösen weist gewisse Analogien zu Klassifikationen und Beurteilungen auf: Die Zerlegung eines Problems in Teile (oft ganz buchstäblich: Teilkomplexe, die man zu einem ganzen Apparat zusammenbauen wird) führt auf Elemente, die irgendwann als Anwendungsfälle existierender Verfahren, oder Bauteil-Muster (allenfalls leicht abgewandelt) eingeordnet und beurteilt werden können (sie können unter diese Muster – ähnlich wie unter Regeln oder Begriffe – „subsumiert“ werden.)
Man könnte das Entwickeln von Anwendungsfällen (die in gewissem Sinn als sehr lösungsnahe Probleme angesehen werden könnten; insofern ist das Probleme lösen eben doch die technologische Fundamental-Aktivität) dann mit dem Begriffe- oder Regel- und Musterbilden vergleichen: Ein zu einfaches Element, Material, Disposition, wird in Kombination mit andern (mit ihnen gemischt, zusammengebaut etc. – was immer der der jeweiligen Substrat-Kategorie angemessene Modus der technischen Aggregation ist – ) zu einer universell einsetzbaren Vorrichtung, Instrument, Substanz mit einer oder mehreren Eigenschaft etc.: Ein Teil-Problem komplexerer Probleme wäre damit jeweils, in welchen grösseren Zusammenhängen immer es auftaucht, zu lösen. Umgekehrt können wir, wenn wir in unserer Problemzerlegung auf eine SOLCHE Aufgabe stossen, sie sofort unter dieses Verfahren (Vorrichtung, Substanz) als ihre Lösung (allenfalls leicht abgewandelt, der speziellen Verwendung angepasst) „subsumieren“, oder sie darauf beziehen (eventuell passen Aufgaben auch zu mehreren Lösungen (oder mehrere Lösungen zur Aufgabe), und wir können uns sekundär Optimierungsgesichtspunkte ausdenken, unter denen wir die bestmögliche oder bestmögliche Kombination für bestimmte Verwendungen auswählen könnten.
Eine Technik ist somit die Verbindung aus einem zuverlässig reproduzierbaren EFFEKT…

(sei er (weitgehend) automatisch reproduzierbar, so dass er, einmal eingerichtet oder angestossen, nur noch der Beaufsichtigung, Unterhaltung und Stoff- und Energiezufuhr, Feinjustierung und Korrektur, ev. Reparatur bedarf): AUTOMAT, Vorrichtung, Gebäude, Gefäss; zyklischer chemischer Prozess, der sich selbst erhält, Energieerzeugung; technische Gebrauchsgegenstände für Laien, die deren Funktion nicht kennen ua.) und/oder für sein jedesmaliges Zustandekommen auf Zusammenwirken mit Arbeitshandlungen angewiesen: APPARAT, Gerät, Verfahren, applizierbare Substanz, Werkstoff/Material, Werkzeug/Instrument),

…der sich als spezifische, beliebig „anwendbare“ Aufgabenlösung deuten lässt, mit dieser Aufgabe (dem Problem); diese Eigenschaft macht seine Nützlichkeit oder Nutzbarkeit aus.
Anwendungen finden und erfinden ist dann, nochmals gesagt, die Suche nach möglichen Nutzungen (Aufgaben, Problemen) für einen Ausgangseffekt, für den die Art seiner Nutzbarkeit (nämlich Zusammentreten mit andern Effekten oder Zusammenfügung mit bekannten Teiltechniken, so dass ein dadurch jeweils möglicher Nutzeffekt entsteht) noch nicht feststeht; Problemlösen die Zerlegung einer Komplex-Aufgabe oder -Anforderung in bekannte Anwendungen (Nutzeffekte), so dass die Lösung der Komplexaufgabe sich als Art der technischen Aggregation (Zusammenbau, Hintereinanderausführen von Verfahrensschritten, geeignete Mischung oder Verbindung von Ausgangssubstanzen in Reaktions-Gefässen etc.) der Teilanwendungen ergibt.
Ist das technische Entwickeln nun selbst irgendwie Teil eines übergeordneten Handlungsmusters – Muster, das seinerseits begründet wäre durch eine Reaktionsbereitschaft, die durch „Reize“ stimuliert und ausgelöst wird – oder durch einen Drang oder ein Bedürfnis? In welchem Verhältnis steht es zu den bereits analysierten Bedürfnissen und Reaktionsbereitschaften in Wissenschaft und reproduktiver Alltagseinrichtung?
Aus beiden bezieht technisches Entwickeln seine Probleme; aber ebenso die Ausgangseffekte zur Entwicklung seiner Anwendungen.
Probleme (technische Aufgaben) ergeben sich aus Mangelzuständen: Das, wonach man im Bedürfnis Bedarf hat, ebenso das, was dem Drang abhelfen (oder, manchmal, wenn er erwünscht wäre, ihn erzeugen) würde, ist nicht oder nicht genug da, oder nur mit zu hohen Kosten (Risiken, Verzichten=Aufwänden); oder rührt her aus Gefahrdrohungen in der näheren oder weiteren Umgebung – der Bedarf besteht darin, dass sie verschwinden oder bewältigbar werden; oder aus dem weiten Bereich dazwischen, wo es um Erhalt oder Wiederherstellung NORMALER Leistungsfähigkeit (Erschöpfbarkeit) und Bedürfnisse geht, im Gegensatz zu „krankhaften“ – also um Erhalt von „Gesundheitsbedingungen“. All diese Zustände und Zusammenhänge sind Inhalt eines Wissen-dass (im Gegensatz zum technischen Wissen-wie), das vortechnisch, auch vorwissenschaftlich gewusst (vor allem sich aus der unvermeidlichen Erfahrung im Zusammenhang mit der eigenen Lebenserfahrung, etwa der Erfahrung mit dem eigenen Körper und den Empfindungen, die wir an und aus ihm haben, ergibt), und spätestens von der Wissenschaft, nach ihrer eignen Systematik verfahrend, ermittelt wird. Es ist Sache des technischen Denkens, in solchem ihm vorgelagerten, vorausgehenden, vorgegebenen Wissen Ausgangspunkte für mögliche Nutzeffekte (Anwendungen) zu sehen – oder Möglichkeiten, durch technisches Aggregieren (Zusammenbau, Mischung, Hintereinanderschaltung etc) bekannter Effekte (und ihrer Träger) einen komplexen Nutzen zu schaffen – und damit ein „Problem“ als solches zugleich zu sehen und zu lösen.
Nutzbarkeit und Nützlichkeit, wenn da etwas gelänge, ist nur die eine Seite der Technik; die andere Seite ist Machbarkeit (mit bekannten oder für erreichbar, herstellbar gehaltenen Mitteln; im weiteren Sinn zählen dazu auch Aufwendigkeit und Zuverlässigkeit, auch Anfälligkeit gegen Schäden, leichte Reparierbarkeit etc.). Hier werden Ausgangseffekte oder Aufgabenstellungen nicht auf mögliche Wünsche (Bedürfnisse, Ängste, Hoffnungen) bezogen, sondern (das kann ohne Wunsch geschehen) auf Handlungs- oder Realisierungsmöglichkeiten; von dieser Seite her emanzipiert sich bekanntlich Technologie von der Anbindung an unsere Zweckstruktur und wird zum Selbstzweck: Erreichte Könnens-Niveaus bilden Ausgangspunkte für die nächsten. (Die technischen Basis-Kategorien Beherrschbarkeit, Bewältigbarkeit, Bewährtheit sind gegen Ende des derzeitigen Fragments mit dem Titel „Grundlegende Ideen“ auf der Startseite behandelt.)
Alles das ist absolut banal und Inhalt des grundlegendsten Alltagswissens aller, die in modernen, also entwickelten Industriegesellschaften leben.
Wo ist das Nicht-Banale?

44. (Vergleich Technik+Technologie mit Wissenschaft; wie Technik sich auf Wissenschaft bezieht)
Zunächst ist etwas anzumerken über die Wissenschaft. Die Parallele zum Problemelösen und Anwendungen-Finden der Technik ist das Erklären von Komplexem durch Einfaches und die Suche nach dem Vorkommen von gefundenen Elementen in Komplexen (oder ihrer Verteilung und Verteilung in Räumen usw., deren Bedingung). Damit sind eigentlich die beiden vor-technischen und Technik-vorbereitenden Hauptrichtungen der Wissenschaft benannt: Elemente suchen und Verteilung und Verbreitung von Komplexen (als Trägern von Komplex-Dispositionen) bestimmen. Die abgehoben-akademischen Funktionen der Wissenschaft, in denen sie so richtig zweckfrei werden darf, markieren nur den Randsaum ihres Gesamtbestands, der definitiv nicht technisch verwertbar werden wird: Das Erklären von „Spuren“ von Vergangenem oder umgekehrt der rekonstruierende Rückschluss auf vergangene Ereignisse (zu fern, als dass jemand sie hätte beobachten können), sofern sie solitär sind und kein Muster bilden, aus dem immerhin prognostische technische Regeln zu erschliessen wären (wie in der Klimaforschung); und: dasselbe für Verhältnisse, die zu fern oder zu unbeeinflussbar (zu gross, zu klein) sind, als dass sie im Horizont irgendeiner technischen Beherrschung liegen.
(Dies gilt als das Eigentliche, das Herzstück der Wissenschaft – als ihr ureigenstes Feld, das ihr vom Anspruch der religiösen Glaubenssysteme, Welterklärung zu sein (Antwort auf die Frage: Warum ist etwas da, was war früher, wo ist unser Platz im Ganzen etc.) vererbt wurde. Ein Rest vom religiösen Nimbus scheint da um die Wissenschaft zu schweben – als hinge gerade von solchen Erkenntnissen unser Wohl und Wehe mehr als von allem andern ab. Immerhin erzählt die Wissenschaft noch unglaublichere und erhabenere Schöpfungsgeschichten als je ein Offenbarungsmythos, sie dringt ins Kleinste vor, das die Welt zusammenhält, kennt das Universum in- und auswendig, und weiss zu sagen, was war und sein wird – freilich in so grossen Fristen, dass wir uns selbst darin nie wiederfinden werden. Die tatsächliche Hoch- und damit Überschätzung dieser Themen gehört in die Erörterung der Phänomene, die entstehen, wenn genuin moderne Praxismuster zurückfallen in Rahmen-Umgebungen einer anderen Epoche – hier derjenigen des religiösen Denkens.)
Wissenschaft sucht Elemente, rein dargestellt und in Komplexen, ermittelt für beides die Verteilung und Verbreitung im Raum (incl. Häufigkeit), zusammen: sie erkundet das ohne uns Vorhandene und seine Eigenschaften, erschliesst prognostisches Wissen und klärt in ihrer eigenen (Forschungs-Ökonomie und Rationalität ermöglichenden) Systematik die Ausgangstatbestände, an die technische Problemlösung mit ihren spezifisch auf Nutzen („Problem“: Beherrschung überhaupt) und Nutzbarkeit (Bewältigbarkeit, Anwendbarkeit, Anwendung im Rahmen unserer Mittel) orientierten Bewertungen, (Problem)Analysen bzw. (Anwendungs) Konstruktionen (und den darin involvierten „Subsumtionen“, Beurteilungen: der Teilaufgabe des Problems unter eine vorhandene Anwendung, durch die sie zu lösen wäre; des gegebnen Effekts als eines Beiträgers und Mitwirkenden zu einem Nutzeffekt, als einer universell einsetzbaren Anwendung ) anknüpfen können. Diese Systematik aufeinander aufbauender technischer Elemente ist eine andre, als die der Wissenschaft; sie arbeitet grundsätzlich mit bereits bearbeiteten und auf Nutzeffekte eingerichteten Anwendungen (s. die Aufzählung oben im vorigen Abs.: Automaten ff. vs. Apparate ff.) – im Jargon meiner Überlegungen wird diese Systematik immer wieder die eines „Werkzeugkastens“ genannt. (Eine Übersicht über die organischen Verbindungen und ihre Eigenschaften muss anders aufgebaut sein als eine über die Mittel zur Konservierung von (Nutz)Materialien aller möglichen Arten zB. gegen Witterungseinflüsse im Aussenbereich, oder der Oberflächenbehandlung verschiedenster Materialien zu verschiedensten Zwecken.)
Was besagt das über die Technik?
Die heuristisch-hypothetische und vernünftig-kategorial (nämlich durch das Prinzipienpaar, das sich auf den Umgang mit Wissen, bekanntem wie erst noch zu gewinnendem) durchaus begründete (wenn auch zu abstrakte) Erwartung, dass die Wirklichkeit (das Vorhandene und mehr oder weniger Dauerhafte)) als räumlich verteilter Komplex aus je elementareren Entitäten (welche immer es auf der jeweiligen Stufe der Zusammensetzungs-Hierarchie sein mögen) aufgebaut ist, begründet auch ein EINSETZEN des Forschens der Wissenschaft auf jeder Stufe dieses Vorhandenen, ebenso wie die Möglichkeit, technologisch orientierte Problemanalysen und Anwendungskonstruktion auf jeder dieser Stufen zu betreiben.
Das technische Bild von der Welt, das dazu gehört, ist das von der Welt als einem Automaten iwS. (oder einem Inventar von Automaten, soweit diese untereinander nicht verbunden sind), soweit sie von sich aus schon beobachtbare Funktionsweisen ohne unser Zutun aufweist, und als einem Inventar von Apparaten iwS., nämlich Teilen von ihr, die sich entweder von selbst (nach einem Anstoss) oder spätestens durch innovativ-technisches Handeln unsererseits in etwas verwandeln lassen, das mit produktiven oder reproduktiven Tätigkeiten zusammenwirkend, Nutzeffekte hervorbringt.
Die Horizonte der Wissenschaft sind vergleichsweise determiniert einerseits durchs Vorhandene, an dem ihr ebenso unmittelbares Suchen, Beobachten, Erfassen, (Zählen, Vermessen, Klassifizieren), „ökonomische“ Hypothesen (Regularitäten als möglichst einfach und universell unterstellend) bildend, ansetzen kann; soweit sich da etwas gefunden hat, geht es weiter: Zurückfragend nach den Elementen der Komplexe dieser Stufe (die Stufe erklärend), vorwärts fragend nach dem, was an komplexeren Komplexen sich mit und aus den Eigenschaften der Entitäten dieser Stufe erklären lässt.
Aber die Technik ist nicht ans Vorhandene gebunden. Sie setzt ihre eigenen Horizonte. Wo etwas gekonnt wird, könnte DAMIT noch mehr gekonnt werden (bekannt ist es ja – anders als in der Wissenschaft muss nicht gefragt werden, wie es ist, wir haben es ja selbst gebaut, sind selbst Urheber seines Da- und So-Seins). Wo eine Zerlegung eines Problems in Teilprobleme bekannt ist, bestehen Anregungen, die bestehenden Anwendungen in Richtung auf diese vorzutreiben (oder die Zerlegung noch weiter zu treiben). Und wie wäre es denn zu zerlegen – wo gibt es denn ZWINGENDE also ausschliessliche Realisierungen einer Funktionsweise? Die Lücke zwischen letzter Teilproblem-Front und ihr entgegenkommenden Anwendungen wird durch technologisches (nicht wissenschaftlich-systematisches) Suchen, Experimentieren und Probieren zu schliessen versucht: Hier hat man wieder den auf Schliessen einer praktischen Lücke abzielenden Wissenserwerb, wie er schon vor Einsetzen der modernen Wissenschaft weit verbreitet war – nur eben „systematisch“ betrieben und völlig losgelöst von den Beschränkungen durch IRGENDEINE spezielle Lebensform und durch sie vorgegebene Zwecke.
Die Masse der Probleme und Teilprobleme, möglichen Anwendungen, und Lücken dieser Art explodiert mit jedem Stückchen systematischen Wissens, das die Wissenschaft erarbeitet. Ihr vergleichsweise zwingender (wenn auch auf mehreren Zugangsebenen historisch einsetzender) systematischer Gang hat schon darum kein Pendant am technologischen Werkzeugkasten und seinem Aufbau, weil Technologie historisch andere Felder besetzt hat als Wissenschaft, und ihr dabei im allgemeinen voraus, eigentlich auch nicht auf sie angewiesen ist: Ihr geht es nur ums zuverlässige Funktionieren, „Erklären“ übersetzt sie in ‚Wissen, wie und woraus „es“ zu bauen (mischen usw.) wäre‘. Das Ideal der jederzeitigen Reproduzierbarkeit aus allen Ausgangslagen als Kriterium auch des wissenschaftlichen Gelingens lautet: Verstanden ist, was nachgebaut werden kann. (Die Konsequenzen sind am Umgang mit der Biosphäre zu besichtigen.) Technologisches Forschen ist sich so auf weite Strecken selbst genug, die Ergebnisse der Wissenschaft sind ihm nur eine weitere Quelle, um die Masse an Ausgangsmaterial weiter aufzublähen.

45. (Vergleich Technik – Ästhetik)
„Frei“ und nicht restringiert erscheint technologisches Fortschreiten nur durch die Fülle indifferenter, ebenbürtiger Anwendungs- und Problemlösungsmöglichkeiten.
Die indifferente Fülle und nur sie erschafft den Schein einer Spontaneität, die eigentlich nichts anderes ist als das Fehlen von Präferenzen (oder einer Regel der Präferenzenbildung).
Je mehr Lücken im ursprünglichen Werkzeug-Patchwork gefüllt sind, desto mehr fliessen die Lösungen zu flächendeckenden Anwendungs- und Verfahrenslisten zusammen, die an der Ordnung denkbarer (Teil)Aufgaben entlang die möglichen Verfahren (u.U. für bestimmte Randbedingungen, Sorgfalts-Anforderungen, mögliche Aufwände, Rohstoff-Reichtum oder -Armut usw.) ausbreiten – wenn man in diesem Wuchern und Sich-Vernetzen von Technologien jeder Art noch eine Ordnung erkennen kann.

Aber sehen wir uns kurz nach der andern Form kreativer Spontaneität um, dem ästhetischen Erleben; rein formell betrachtet, wiederholt sich an ihm eine Figur, die wir bereits an der Engführung von Bedürfnis und Reaktionsbereitschaft oben (Abs.42) beobachtet hatten; nämlich die folgende.
Diese Form des Spontanen und Willkürlichen ist noch mehr ein Wählen und Zurückweisen, als es das Problemlösen (Problemwählen) und Erfinden (Ausgangsmaterial für Anwendungen wählen) der Techniker ist  – das Fällen von Geschmacksurteilen, Aussprechen von Bewertungen. Es kommt zur Not ganz ohne Produzieren aus, während die Techniker nach ihrer Wahl erst einmal tätig werden müssen, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden.
Ästhetisches Geschmacks-Betätigen aber führt durch Reihen suboptimaler Vorentwürfe oder Erlebnisse hindurch, die zwar als (noch) unzulänglich aussortiert werden (in dieser Zurückweisung zeigt sich der entwickelte Geschmack, die Geschmacks- „Bildung“, die als ein Anspruchswissen (anstelle blasierter Anspruchshaltung ohne Inhalt, die vor allem im grundlosen Verwerfen, endloser Mäkelei sich erschöpft) aufzutreten hat, um beglaubigt zu sein) aber durch ihre Probe-Wirkung auf das wählende Subjekt Annäherung ans regionale Optimum gestatten – regional, denn es wird immer vorläufig bleiben, und Gipfelprodukt nur in einer Region des Ästhetischen sein (auch wenn Durchschreiten mehrerer solcher ästhetischer Regionen Verfeinerung (etwa: Abfolge von Stilen) bedeuten mag, Ausdifferenzierung einer Erlebensweise aus ihren einfachen Anfängen heraus (die – auch für den späteren Nachvollzug noch plausibel – ihre eigenständigen Spitzenleistungen hervorgebracht haben mögen).
Wenn nun durch einfaches Absuchen und Registrieren (ganz konkret etwa als Reisen, Aufsuchen Erlebnis-trächtiger Regionen im geographischen Sinn) sich Erlebnisse nicht oder nicht mehr finden lassen, mag Produktion von Inhalten und Gegenständen hinzutreten, in einer für die jeweilige ästhetische Erlebnisweise hinreichenden Form der Konkretisierung (Theater muss nicht „realistisch“ sein).
Hier möchte man beinah von Analogien zur technischen Problemwahl oder Anwendungserfindung sprechen, die auch auf universell anwendbare „Solitäre“ führt  – nicht anders als das regionale ästhetische Maximum (das herausragt, excelliert), das es wert ist, mit andern geteilt, vorgezeigt, technisch reproduziert zu werden usw.
Im Fall des Paares des Abs.42, Forschung und (re)(produktiver) Routinealltag, gab es das Hinzutreten der Basis-Kategorie des je andern zum einen: Bedürfnis veranlasste, dass Forschung stattfand, auch wo keine überwältigende Faktenfülle die einschlägige Reaktions- und Verarbeitungsbereitschaft (dieser Erfahrungs- und Faktenfülle) stimulierte oder anschaltete; die spezifische Reaktionsbereitschaft der Bewertung eines Einzelbedürfnisses im Rahmen der Gesamtbedürftigkeit (dessen oder derer, der oder die einen Alltag zu gestalten und leben hat oder haben) machte aus diesem Bedürfnis ein Faktum, zu dem man sich (gestaltend, lebend) stellen konnte, indem man es zum Zuge kommen liess, seine Befriedigung aufschob oder ganz verwarf, oder gar es auch einmal, durch bekannte Auslöser, allererst absichtlich provozierte, um von der dadurch thematisch gebundenen Energie für einen externen Zweck zu profitieren („sich künstlich in Ärger und Aufregung hineinversetzen, um kämpferisch zu sein“); erst diese kühl planende Gesamtbetrachtung liess aus einem infantil hin und her flottierenden Bedürfnischaos eine geordnete Abfolge zweckmässiger Motive zu Arbeit und Erholung werden, die mit ihrem sinnvollen Abwechseln zugleich es möglich machten, dass man den Anforderungen (re)produktiver Routinetätigkeit gerecht wurde.
Der frei schweifenden ästhetischen Aufmerksamkeit auf und Suche nach nicht überbietbaren regionalen Anspruchserfüllungen korrespondiert dann die Möglichkeit einer ihr vorgelagerten, ähnlich verfassten, mögliche Gegenstände für solches Suchen und Durchsuchen hervorbringenden Produktivität (Kreativität), da, wo sie nicht in Wirklichkeit (obschon die dazu anregen kann) anzutreffen sind; dem noch voraus geht die WAHL einer ästhetischen Region (Erlebnisweise (ästhetische Gattung, Stil), oder die einer Ausgangserfahrung, die „anspruchsvoll“ werden und zum Erfüllungserlebnis gesteigert werden könnte. Die Analogien zur Technik ergeben sich, aber genau anders herum, als es die gewählte Ausdrucksweise vermuten lässt: Das Pendant zur zu wählenden Gattung im Ästhetischen ist in der Technik der Roh-Effekt, der durch Einbau in anderes oder Mischung mit anderem, Verwendung an bestimmten Stellen zur tatsächlich konkret nutzbaren Anwendung „veredelt“ und in diesem Sinn näher bestimmt (konkretisiert) wird; der ästhetische Stoff, das Material, die Ausgangserfahrung aber, die geformt, bearbeitet, „geschliffen“ und perfektioniert werden sollen, stellen das zu lösende ästhetische „Problem“ dar: das Einzigartige, „Originelle“, nicht wiederholbare, das durch Ausrichtung auf die bekannten und gültigen Gattungen und aktuell gültigen Empfindungs-, Wahrnehmungs-, Deutungs- und Bedeutungskonventionen (in diesem Sinn: Effekte) für Adressaten rezipierbar wird.
(So wie ein technisches Problem die Suche nach und Erfindung einer Fülle neuer Anwendungen und Lösungen provozieren kann, so ein neuer Erfahrungsstoff, der es verdient, dazu, neue, ihm gemässe Ausdrucks- und Darstellungsmittel zu finden. Umgekehrt können Anwendungen, abstrakt, wie sie sind, und so effizient sie auch sein mögen, für sich genommen nutzlos bleiben, wenn sie nicht an unsere Problemebenen heranreichen.)

46. (Ästhetik näher bestimmt in Analogie zum bislang über Technik Festgestellten)
Ein Erfüllungserleben findet sich also nicht minder in der Technik als im Ästhetischen. Nur dass, wenn die eben im letzten Abs. aufgestellte Behauptung über die korrekte Analogie stimmt, die Erfüllungsrichtung im einen Fall die entgegengesetzte zur andern ist.
Die Erfolge der Technik gehen in Richtung einer Anreicherung: Komplettierung und Perfektionierung (auch Universalisierung, Vielseitigkeit) von Anwendungen, ebenso wie der Steigerung von Handlungs- (und damit, indirekt, Erlebens-Fähigkeit, im Anschluss an die gelungene, technisch ausgerüstete Handlung) Fähigkeit in Richtungen, wo unsere natürlichen Handlungsspielräume an Grenzen stossen: grösser, kräftiger, schneller macht uns die Technik, und versetzt uns in neue Körper mit unendlich überlegenen Möglichkeiten (was Wahrnehmung, Belastbarkeit, Wirksamkeit anlangt); sie lässt uns ins Kleinste und Fernste vordringen, schliesslich auch ins Komplexeste: unser eigenen biologisches Fundament, mithin in die gesamte Natur als Biosphäre bis hinein (wörtlich!) in unsere Körper.
Was dabei schneller und schneller wächst und schliesslich alle andern Technik-Dynamiken überholt, ist dann aber vor allem die eine Qualität: Kompliziertheit. („Konkretheit, Konkretisiertheit“ im Gegensatz zu den abstrat-einfachen Elementen…)
Ästhetisches Gestalten geht aus vom individuellen, einzigartig Besonderen, das ein Maximum an Empfindungs-, Wahrnehmungs-, Deutungs- und Bedeutungsqualitäten (in diesem Sinn: FÜLLE) in EINEN zusammenhängenden (als solchen identifizierbaren, als solcher Sinn machenden) KOMPLEXEN Erlebnisinhalt bannt.
Fast möchte man sagen: Sein Ausgangspunkt ist ein Stück (als ob es zu zerstücken wäre?), eine Episode eines gelungenen (Einzel)Lebens.
Aber dieses Stück weist eben nicht dieselbe Lebens- und Erlebnistiefe auf für andre wie für seinen „Urheber“ (oder sollen wir sagen: Leber und Erleber?) – nur im Rahmen SEINER singulären Vorerfahrung macht es eben diesen ganz speziellen Sinn, kann es eine so umfassende Erfüllungsqualität annehmen.
Schön für ihn, möchte man sagen.
Aber eine solche private Erfüllung ist eben keine ästhetische, deren „Anspruch“ darin besteht, an eine unbestimmte Vielzahl von Erfahrungstypen anzuknüpfen (die nach einem hinreichend bezeichenbaren Erfüllungstyp verlangt, ihm in dieser, spätestens empirisch, durch „Erfolg“ beim Publikum, beglaubigten (und dadurch „gültigen“) und darum auch artikulierten (von der begleitenden „Kritik“ begriffenen und auf Begriffe gebrachten) Hinsicht entgegenkommt, und ihm Anhaltspunkte für Verallgemeinerbarkeit (und damit Geltung, Anspruchs-Fülle) verschafft: eben das sind die spezifizierten Genres, Stile, Motive, technischen und handwerklichen Mittel („auf der Höhe der Zeit, auf dem erreichten Stand“), mit denen der übers Private hinausgehende ästhetische Gestalter arbeitet; und „unter die“ er seinen hoch-komplexen Stoff (oder auch mehrere, die er dafür aufbereitet, zerlegt, neu zusammensetzt) „subsumiert“, vgl. die entsprechende Formulierung bei Technik oben).
Ästhetische Exzellenz ist dann die Qualität eines künstlich geschaffenen oder (für andre) hervorgehobenen, (vor)gezeigten, reproduzierten Typs von Erlebnisinhalt, ein in einer Ziel- und Rezipientengruppe bestehendes Erlebens- und Erfüllungsbedürfnis so zu bedienen, dass der Effekt sich – trotz des Anschlusses an verschiedene Vorerfahrungen – der privaten Erfüllungsqualität, diesem ganz besonderen Passen, für alle dieser Rezipientengruppe Angehörigen zuverlässig annähert. – Dies ist bereits auf den ersten Blick eine widersprüchliche Aufgabenstellung. Die Zuverlässigkeit, das hässlichere Wort wäre: Konventionalität (oder gar: das Konvenieren, Gefälligsein, erprobte Gefallen, „Ankommen“) einer ästhetischen Verallgemeinerung beruht auf einer gewissen Verarmung – vom konkreten Lebens-Vollzug und -Eindruck (und optimal zu IHM Passen) müssen Züge weggeschliffen werden, die zu spezielle, zu einzelne Bezüge herstellen würden. Erst das erzeugt jene Punktualität, Konzentration auf die eine ästhetische Dimension der jeweiligen Gattung, auf die es, reproduzierbar, verlässlich abrufbar, ankommt; diese verarmte Lebens-Qualität mag der Preis für zugleich gesteigerte (aber auch nur so steigerbare) Intensität sein.

(Die ästhetische Neben-Qualität, die zwischen diesem Maximal-Anspruch der Anschliessbarkeit an spezifische Erfahrungsstände und der „niederen“ Kulinarik der Genres steht, ist das Überrumpelnde, Überraschende eines so nicht Erwarteten; das freilich Bestand hat nur, wenn sich in seinem Kern am Ende etwas Sinnhaftes für den Rezipienten zeigt. Sonst verpufft die Wirkung.)

Aber in letzter Instanz ist es nicht der platte Erfolg, der den ästhetischen Anspruch begründet; in ihm macht sich ein Wissen darum geltend, dass modernes Leben, wie es ausserhalb der ästhetischen Sphäre geführt wird, NOTWENDIGE Lücken im Lebensvollzug erzeugt – punktuelle Ausfälle und Lücken, deren Füllung Anschluss halten muss an die aufs äusserste gesteigerte (Anspruchs)Qualität der Rest-Existenz solcher vom Ausfall Betroffenen. Genau das ist der Anteil des BEGREIFENS (damit der Erkenntnis, des Wissenschaftlichen) im Ästhetischen.
Die Zuspitzung auf eine Gattung (die ästhetisches Erleben in Qualitäten zerlegt, die von Spezialisten-Branchen zu bearbeiten sind, aber die jeweiligen Rezipienten auch gezielt (nach Erlangung einer gewissen Grundbildung) auf ihnen Fehlendes zugreifen lässt) führt zur Spezialisierung, zur Abstraktion, die nach dem gesagten, durchaus erwünscht ist; Lücke für Lücke, Ausfall für Ausfall in möglichen modernen Lebensläufen wird so von der ästhetischen Sphäre, selbstzweckhaft, durchgearbeitet. Ein WACHSENDER Anspruch ergibt sich zwanglos von selbst, durch die fortlaufende Selbstüberbietung im Zuge einer Stil- und Gattungsentwicklung – sie hält mit den Intensitäts- und Raffinierungsansprüchen der Rezipienten mit, legitimiert sich immer wieder aufs neue dadurch (verliert den Anspruch nicht).
Aber Erfahrung wächst; ein Leben, das sinnhaft und Sinn-erfüllend nur geführt und reicher werden kann durch Mit-Führen, Mit-Leben in einer ästhetischen Sphäre, erlegt dieser eben diesen Wachstums-Zwang auf. Indem, gerade für die Kenner (und wer wäre avancierter in Kenntnis des fortgeschrittenen Standes einer Disiplin als deren produzierende Spezialisten? Zumindest diejenigen mit ANSPRUCH..), die Gattung immer reichhaltiger und vollständiger wird, tritt das typische und musterhafte, das ihr von Anfang an unabdingbar einbeschrieben war, immer eindrücklicher, schliesslich schmerzlich hervor: Das Lebens- und Erlebensbedürfnis, dem hier auf künstliche Weise abgeholfen werden sollte, erweist sich als uneinholbar reichhaltig, konkret, fülle-bedürftig, und ist, spätestens als kennerhaft gebildetes, der ästhetischen Produktion immer mehr voraus; wenigstens der Mangel des ästhetisch gebildeten und seiner selbst schmerzlich bewusst werdenden Erfüllungs-BEDÜRFNISSES wird auf diese Weise ERLEBBAR – als Enttäuschung, uneingelöste Erwartung, Erschöpfung, Ausschöpfung und Verschleiss des Effekts, Materials, schliesslich ganzer ästhetischer Gattungen. Gerade die durch die Gattung und die historisch oder systematisch sich darbietende Ausstellung ihrer Spitzenprodukte Erzogenen, Gebildeten wenden sich am Ende ab. Blasiertheit und Langeweile auf höchstem Niveau, Wiederholung des Immer-gleich Unbefriedigenden, des systematischen BETROGENWERDENS ums eigene, die Nicht-Einholbarkeit der Beschädigungen im eigenen Leben, stehen am Ende.

47. (Am Beispiel von Technik entwickelt: Einbeziehung des Gegen-Wertsphärenpaars im Zuge der Expansion aller Wertsphären )
Die anfangs behauptete Analogie zur Technik (wenn sie Sinn macht), weiter durchgeführt, würde helfen, das technologische Pendant zu diesem Vorgang , wie er für die ästhetische Sphäre besprochen wurde, zu finden.
Das Versprechen einer universellen Nutzbarkeit kann die spezielle Anwendung, das spezielle Verfahren nur um den Preis einer gewissen Standardisierung einlösen; Standardisierung, die ihrerseits quantitative Vervielfachung, Massenproduktion und Massen-Verwendung, Übertragbarkeit des betreffenden Stücks Technik, gestattet. (Pendant zur Intensitätssteigerung als Effekt der Anpassung ans Nichtprivate, Öffentliche, im Ästhetischen.)
Einfachen, wenig zusammengesetzten Problemlösungen, die auf Zusammensetzungen aus wenigen Teil-Lösungen (und damit Anwendungen, technischen Nutz-Effekten) basieren, sieht man das Gewaltsame der Anpassung des besonderen Falls an die Standard-Verfahren, die allenfalls zu seiner Lösung bereitgestellt werden, nicht an. Es sei denn, die Gewalt wird behoben durch „liebevolle“ Nachbearbeitung und Individualisierung des gelieferten Standard-Verfahrens-, Geräte- Stoff-Materials.
Aber auch Technik unterliegt der modernen Wachstums- und Fortschrittspflicht zur Komplizierung; sei es durch ihre unsere Spielräume weit überschreitende Grösse oder Kleinheit, Geschwindigkeit, Entferntheit, oder Unüberschaubarkeit ist avancierte Technologie nicht mehr unserer eingreifenden Überwachung und Kontrolle unterworfen: Wir arbeiten nicht mehr an und mit ihr, sondern sie beginnt, sich, in Gestalt von Automatismen, selbst zu beaufsichtigen und zu berichtigen.
Sie wird lebensähnlicher.
Zugleich wird sie unreproduzierbarer, die hoch-komplexen Zusammensetzungen aus MASSEN der Art nach gleichartiger, aber an höchst unterschiedlichen Stellen (in unterschiedlichen Zusammenhängen) eingesetzter und in ihrer Masse und an ihren Orten nicht mehr hinsichtlich möglicher Modifikationen (Beschädigtheit, unbeabsichtigte Beeinflussung aus der Nachbarschaft) beobachtbarer Elemente nehmen zu. Technik-Fertigung, speziell von Prototypen und Einzelanfertigungen (Grossanlagen), ist nicht mehr reproduzierbar, das zuverlässige Verhalten der Elemente in Komplexen kann nur noch durch nacheinander ablaufende Versuchsläufe (das „Verhalten“ der Grosstechnologie wird geprüft) annähernd ausgelotet werden.
Auch hier der Widerspruch, wie im Ästhetischen, aber in umgekehrter Richtung: das Ursprüngliche, hier: das Allgemeine und Verallgemeinerbare der Anwendung, verliert durch das Fortschreiten aufs unkontrollierbar, einzigartig und unwiederholbar Komplexe seine Ausgangsqualität. Es wird unberechenbar im gigantisch angewachsenen Verbund.
Der Fortschritt, der dabei doch unvermeidlich über die naturhaften Ursprünge, uns selbst eingeschlossen, hinausführen und alle Beschränkungen durch „unbeherrschte“ Natur wegsprengen sollte, führt in schlecht-naturähnliche technologische Unbeherrschtheit – aber OHNE die Vorteile, die wir von Haus aus mitgebracht hätten: Wir mitsamt unserer Verwurzelung in der uns tragenden, uns hervorbringenden und reproduzierenden Natur, weisen eine erfolgreich von sich aus sich selbst erhaltende, wenn auch für uns technisch uneinholbare, nämlich nicht nach Element und Zusammensetzung kontrollierbare, freilich auch nicht kontrollbedürftige Komplexität auf. (Die völlig neue und bislang unbeantwortete Epochen-Frage würde dann lauten: Was hiesse, sie zu unserem NUTZEN zu perfektionieren und einzusetzen – ohne sie technisch zu beschädigen und misszuverstehen?)
In diese ihre erfolgreich bis zur Absurdität gesteigerte Selbst-Vervollständung, Selbst-Überbietung und Selbst-Perfektionierung werden die beiden Sphären aber nicht dadurch getrieben, dass das wesentliche Antriebsmoment ihres Gegenstücks jeweils in und an ihnen selber wirkt (das ist für sie sogar notwendig, um überhaupt erst einmal mit dem Wachsen und Sich-Ausdehnen anzufangen); sondern zu den eigentlichen Höchstleistungen, die die Sphäre grade durch ihr Ausmass an ihre Grenze bringen, werden sie durch die Mitbeteiligung der Motive getrieben, die ursprünglich dem anderen Wertsphären-Paar zugeordnet waren:
die Expansion des Ästhetischen ist Konsequenz des Begreifens (Reaktions-Bereitschaft!) eines ganzen Inventars an Typen von Mängeln oder Ausfällen im Erlebens- und Lebens-Bedürfnis der modern Lebenden (ihrer Alltags-Organisation) insgesamt;
die Expansion des Technischen ist Ergebnis der Interpretation (Verständnis, des Begreifens oder der grundsätzlichen (Reaktions-)Bereitschaft, sich in verschiedensten Fällen dementsprechend zu verhalten) „sowohl von Bedürftigkeit, speziell Nicht-Ausdauer oder Erschöpfbarkeit einer einmal gezeigten Leistungsfähigkeit als auch Erhalt unserer Gesundheitsbedingungen (Selbsterhaltung)“ als „Mangel an Kontrolle über den gesamten Natur- und Weltautomaten, die endlich herzustellen wäre als Minimalvoraussetzung für ein „normales“ (Alltags-)Leben“ (womit dann, aus Sicht der zu immer grösseren Natur-Beherrschungsleistungen vorwärtsdrängenden Techniker überhaupt erst die Voraussetzung geschaffen wäre, um den sechs Minimal-Postulaten eine legitime Grundlage ihrer Anwendung zu verschaffen).
Dasselbe geschieht in den jeweiligen Expansionsbewegungen von modernem Alltag und Wissenschaft.
Denn durch seine Hochrüstung mit Spezialistenwissen und technischen Verfahren aller Art, die mit menschlicher Arbeitskraft zusammenwirken sollen, kommt in den Alltag ein Element des Unbekannten herein: Während die verwendete Technik (soweit sie noch anwendbar ist), vollkommen durchschaut und beherrscht ist, sind die Anforderungen an oder Rückwirkungen ihres Gebrauchs auf den Organismus ihrer Verwender (der mit ihr Produzierenden, als auch derer, die den indirekten Nebenwirkungen („Emissionen“) der Produktion ausgesetzt sind) völlig undurchschaut; allerdings auch erst durch den Gebrauch aufzudecken. Die Lebensführung selbst wird zur Wissenschaft: Zwar sind möglicherweise alle Elemente vorhanden, aus denen sich ihre Optimierung zusammensetzen liesse (Regeln, die man beachten sollte, Experten-Ratschläge, die zu befolgen wären) – andernfalls müsste man bestimmte Produktionen und Lebenseinrichtungen fürs erste befristen oder unterlassen; aber man muss diese Regeln erst in der praktischen Anwendung finden. Doch die Technik wartet ja nicht, und hat in der Zwischenzeit längst weitergehende Beherrschungsinstrumente an die Hand zu geben; deren Verwender sind erneut Pioniere einer erst noch auf Lebbarkeit hin zu erprobenden Alltagspraxis, und Gegenstand sorgenvoller Begutachtung durch jene „Wissenschaft für sich“, in die sich moderne Lebensführung zunehmend verwandelt, die, weil diese Lebensführung grundsätzlich immer im Verdacht steht, „krank“ zu machen (wiederum im modernen Sinn: als Krankheit gilt, moderne Lebensverhältnisse als unerträglich zu empfinden oder ihnen „körperlich“ auf Dauer nicht gewachsen zu sein), „Medizin“ heisst. Zurichtung des eignen Körpers als Automat (funktioniert ohne Eingreifen) und Auftrainieren zum perfekten Apparat (perfektes Instrument für unsere willentlichen Handlungen) wird zur Grundlage moderner Lebenspraxis und als solche für schier unentbehrlich erklärt. Entlang von „Bedürfnissen“ kann man in einem ständig umgewälzten modernen Arbeitsleben ja nicht mehr definieren, was Gesundheit heisst. Eher stören sie, müssen sich jedenfalls an den Ratschlägen der Bio-Technologen relativieren (manchmal lauten die dann auch: „Hören Sie ruhig mal auf Ihren Körper..“) Gesundheit wird zur technologischen Schwachstelle, das Unbeherrschteste und Unbeherrschbarste im gesamten Produktionsprozess. Dass sie am Individuell-Komplexen, das sich auf keine Regeln mehr bringen lässt, scheitern wird, ist dieser „Wissenschaft“ und ihren „Studien“ noch mehr als allen andern Technologien und experimentellen Grundlagenfächern gewiss. (Gemeinsamkeit mit dem Ästhetischen). Wissenschaft ist sie dennoch: denn soviel sie auch am Körper herumdoktert, muss sie ihn an ihren Grenzen doch immer als „Vorhandenes“ nehmen und hinnehmen, als überlegenes und ausser fragmentarisch technisch simulierbares Stück Natur, so wie alle andern natürlichen Lebensbedingungen: von Nahrungspflanzen und ihren Wuchsbedingungen bis hin zum Klima.
Die eigentliche (Natur)Wissenschaft schliesslich expandiert in Richtung dieser Wissenschaft der Lebensführung, weil sie ihre Erfüllungs- nämlich je nächst-höhere (komplexe) Anschlusserfahrung in Richtung auf den technomorph gedachten Körperautomaten, oder den Körperapparat (und seine Teilapparate) sucht: Das unreduzierbare, und zugleich uns maximal Interessierende Einzelne (dessen zunehmende „Erklärung“ wir uns von der Wissenschaft, als deren Erfüllung, am meisten wünschen müssten), das als Komposition aus Bauteilen oder Kombination, Überlagerung, Realisierung von Gattungs-Schemata soll begriffen werden können (in DIESER Art des Erklärens besteht in diesem Fall, nämlich dem der Wissenschaft, „Erfüllung“), wird in ausschliesslich technomorphen Kategorien gedacht, und nur deren Besetzung (mit Bauteilen und schliesslich „Elementen“) zur Erklärung gesucht und aufgesucht: Das ist das Muster einer Suche nach Erfüllungs-Erfahrung (also einer wie der ästhetischen), die sich das technologische Denken einverleibt hat.


1d. VIER STANDPUNKTE, die durch die bislang gefundenen vier Selbstverständnisse definiert werden

48.
Natürlich sind hierzu sehr viel detailliertere Ausführungen zu machen; aber der Kern dieser Überlegung muss erst einmal deutlicher herausgearbeitet werden.
Es gab in der bisher besprochenen Abfolge drei Standpunkte, von denen her sich moderne Menschen ihr eignes, als notwendig behauptetes Tun erklären konnten:
der ERSTE STANDPUNKT (vgl. Abs.37) war der, wo sich die moderne Einzelexistenz darstellte wie eine (nach dem Bruch) wieder eingerichtete traditionale Lebensform: Zusammenschluss von (um kompensatorisches ästhetisches Erleben erweiterten) Kernbedürfnissen der Person mit einer Alltagseinrichtung, in die Weltwissen (von Gefahren und technischen Chancen) kontrolliert und langsam einfliesst und sie kontinuierlich verbessert; dabei musste vergessen werden, dass dieser Alltag, durch den Überfluss an verfügbaren Alternativen für seine beiden Zentralkategorien, Technik-Entwicklung und Bedürfnis-Ökonomien, eben keine von langer Hand erprobte und eingerichtete Lebensform war, sondern immer wieder prekäres Projekt von homogenen Berufsgruppen oder Einzelnen, für das kaum mehr Erfahrung zur Verfügung steht als sich in ein, zwei Generationen erwerben lässt; die Zeitspanne für individuelle Anpassungsmassnahmen (zweite Versuche usw.) verkürzt sich im Verlauf der Moderne dramatisch.
Aber es ist eben keine homogene Gruppe (auch nicht ständisch-arbeitsteilig gegliedert), die diese Lebensform praktiziert, sondern bestenfalls ein winziger Sektor der sich explosionsartig in Spezialistengruppen und Einzel-Lebensentwürfe zerlegenden modernen Gesellschaft. Alle zusammen sollen das Tun der Andern als in ihrem Sinne mit-betriebenes Projekt verstehen können – als GEMEINSAMES; jeder betreibt, an seiner Stelle, das Geschäft und Interesse der Andern (in diesem Sinn scheint die Entwicklung der Errungenschaften jedes Experten Bedingung der Entwicklung aller zu sein).
Aber auf dieser Ebene, die nicht mehr die des individuellen Zusammenschlusses ist, sondern die der ganzen, zunehmend in modernen Formen lebenden Gesellschaft, bricht dann das auf der Ebene von Individuen und kleinen Gruppen noch haltbare Selbstbild zusammen: Auf der Ebene der Gesellschaft sind die vier Wertsphären, wie die Soziologen es ausdrücken, deutlich voneinander differenziert – im Mass, wie moderne Lebens- und Arbeitsformen sich ausbreiten und entwickeln. Das ästhetische und das Alltagsbedürfnis lassen sich nicht mehr unter dem Titel „Bedürfnis“ zusammenschliessen, angesichts der explodierenden Vielfalt von Berufen und Spezialistentätigkeiten, und ihren jeweils ganz speziellen Weisen, mit den Anforderungen ihrer Tätigkeit umzugehen (nicht einmal die Angehörigen derselben Fachdisziplin oder Berufsgruppe weisen notwendig gleiche Lebenseinrichtungen, Vorlieben und Abneigungen auf (es sei denn, ein kontingenter Bourdieuscher „Habitus“ habe sie, dann aber mehr als eine „Klasse“ (ein der Moderne eher fremdes Phänomen) sekundär vereinheitlicht); schliesslich erweisen sich die systematischen Ordnungen, die Praktiken und Zielsetzungen von (bald sog. Grundlagen-)Wissenschaft und Ingenieurs- und Erfinder-Aktivität als divergent. Die einleuchtenden einfachen Rationalitätsregeln, die jeder weitergehenden gesellschaftlichen Lern- und Versuchspraxis unterlegt werden müssen (und die wir als sechs Postulate grob und einfach angeführt haben), sind auf diese zerrissenen Projekte nicht mehr anwendbar. Jeder einzelne Angehörige der Moderne muss sich dann, angesichts der andern, fragen, warum er sich diesem Projekt auf gesellschaftlicher Stufenleiter, nachdem es einmal gestartet wurde, verschrieben hat – welchen Sinn für sich oder andere (Einzelpersonen) er darin erkennen soll – wie sich das Projekt der Moderne aufs Interesse einer Einzelperson überhaupt (oder auch so verschiedener, wie sie sie durch ihre eigene Dynamik hervorbringt) soll beziehen lassen.

49.
Zwischen dem „Lernen“ (Wissenserwerb, Erfahrungsverarbeitung) der „modernen Gesellschaft“ und der ihres einzelnen Angehörigen tut sich eine Kluft auf.
In der Vormoderne gab es eine andere solche Kluft – die zwischen (religiös experimenteller, gelassener) Diesseits- und (Glaubens-artiger) Jenseitsorientierung. Aber diese beiden Orientierungen waren, dem Inhalt nach, im wesentlichen der gesamten Gesellschaft in all ihren Angehörigen präsent; die „Arbeitsteilung“, die sich darunter auftat – zwischen Angehörigen weltlicher Stände, oder diesen und den religiösen „Virtuosen“ und Klerikern – , bezog sich immer auf Lebensmöglichkeiten und Werte, die nicht nur von allen geteilt und in gewissem Sinn stellvertretend füreinander mitgelebt wurden – vor allem gab es keine Sondersphäre in dieser Wertorientierung, von der notgedrungen ALLE Einzelpersonen als solche ausgeschlossen waren: Nicht DIE Gesellschaft war fromm, heilig oder fleissig, und der einzelne nicht; allenfalls die Kirche (in den westlich-mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaften) besass (sakrale) Eigenschaften einer INSTITUTION, die keiner ihrer Angehörigen, nicht einmal die Kirchen-Führung, qua besondere Einzelperson besitzen konnten (sondern allenfalls, dem Glauben zufolge, für bestimmte Gelegenheiten, zur Amtsführung, von höheren, nicht-menschlichen Instanzen verliehen bekam).
Das Verwirrende in der Moderne hingegen ist: dass personale Eigenschaften, vor allem die gesamte Kategoriengruppe, die sich auf Erfahrungsverarbeitung und Wissenserwerb (über für Reproduktion wesentliche Fakten) bezieht, sowohl auf die „arbeitsteilig“ erfahrungsverarbeitende dh. lernende Gesellschaft als ganze bezieht; andererseits auf einzelne der ihr Angehörenden.
Die Kluft zwischen gesamtgesellschaftlichem Fortschritt in diesem Lernprozess und dem des Einzelnen ergibt sich dann immer so, dass die moderne Einzelperson die Fortschritte der Gesellschaft nicht mehr auf sich beziehen kann – obwohl sie, an ihrem Platz, DURCH eine Praxis, die in allen wesentlichen Dimensionen der der gesamten Gesellschaft gleicht (auch der Einzelne erwirbt in der Moderne tendenziell Wissen, ihm stehen Techniken zur Verfügung, er hat einen Spezialisten-Alltag und geniesst Errungenschaften, die die ästhetische Sphäre für ihn erkundet, darstellt, oder erfindet), zu diesem über alle einzelpersonalen Horizonte (Biographien, Lebensentwürfe) hinausreichenden (gesellschaftlichen; kulturellen, historischen) Fortschritt ihren Beitrag leisten.
Das eigentlich Verwirrende ergibt sich daraus, dass der modernen Gesellschaft, also der Gesamtheit aller Einzelpersonen, Errungenschaften DERSELBEN Art zugeschrieben werden sollen wie einer Einzelperson; das MATERIAL, über das die Gesellschaft als ganze verfügt, ist in Fragmenten und (winzigen) Ausschnitten, hochselektiert, dem Einzelnen zugänglich, und passt zu ihm als Einzelnem, Handelnden, Bewusstsein: nämlich als Arbeitsstelle, erworbene berufliche Kompetenz und Verfügung über Geräte und Materialien; er mag an der Perfektionierung von deren Gebrauch beteiligt sein, und mannigfache Lektüren, Reiseerlebnisse oder interessante Anschauungen zugänglich gemacht bekommen haben. Aber das ist nichts verglichen mit dem, worüber die fortgeschritten moderne Gesellschaft als ganze (und ihre professionellen Experten, in ihrer Funktion) verfügt.

50.
Der Einzelne (oder, in Zwischenphasen, die homogene Berufsgruppe) kann dann nicht umhin zuzugeben, dass das moderne Projekt, zu dem er unbestreitbar in seiner Sphäre, an seinem Platz, beitragen soll und will, ein um Grössenordnungen mehr AUSSCHLIESSENDES als ihn beteiligendes ist. Zur Tatsache ihrer derart massiven Ausgeschlossenheit müssen sich moderne Menschen stellen. Nicht, dass der erste Standpunkt seine Geltung ganz verliert: Sie schränkt sich nur ein aufs absolut vereinzelte Sonderleben von Einzelnen oder homogenen Gruppen. Jenseits davon beginnt, was nach einer neuen Erklärung verlangt, nämlich als alle Individuen überschreitende und dennoch übergreifende gemeinsam betriebene Praxis, in der sie ihre eigenen Interessen und Fähigkeiten, ihre Antriebe und Verständnisse (Beurteilungen, Bewertungen) wiederfinden können. Kurz: Die modernen Individuen müssen die Frage beantworten können, warum sie das moderne Projekt, so verschieden sie auch sind, doch als gemeinsames und von der absoluten Unterschiedlichkeit ihrer einzelnen, vereinseitigten Tätigkeiten noch als IHRES sollen ansehen können.
Was dem Einzelnen als Ausgeschlossenheit erscheint, bekommt in der Draufsicht von aussen, aus keiner speziellen Perspektive, den Charakter der ZERRISSENHEIT wenigstens der vier Wertsphären (deren jede in sich wenigstens noch durch eine gewisse Systematik, die innere Logik einer (Kategorien-?) Ordnung, zusammengehalten sein mögen: einheitliche Kategorien, Werte-Ordnungen, Klassifikationen (in denen sich die Materien und Resultate ordnen lassen) mögen so alles ästhetische Erleben, Berufstätigenalltage und Arbeitswelten, technischen und Erfindungs-Tätigkeiten und „die Wissenschaft“ verbinden, in wieviel Einzel-Abteilungen und gesonderte Sorten und Varianten ihrer selbst sie auch zerfallen mögen.)
Die Individuen müssen diese Zerrissenheit sich selbst zuschreiben, und behaupten, sie in sich wiederzufinden, um diese höchst schmerzhafte Eigenschaft der modernen Praxis, die sich spätestens nach einer ersten Anfangsphase immer eindrücklicher zeigt, als sinnvoll, und die Praxis als ganze und ihre Stellung darin noch länger als Sinn machend begreifen zu können.
Diese Zuschreibung der Zerreissung an sich, also den oder die Menschen allgemein, als anthropologische Konstante, ist der ZWEITE STANDPUNKT, nach dem Scheitern des ersten Selbstverständnisses moderner Individuen, das ihre persönliche Situation als mit dem modernen Projekt (angesichts dessen überbordender Materialfülle) inkompatibel, und ihre Beteiligung daran, als aus ihrer persönlichen (oder homogenen Gruppen-)Situation heraus unbegründbar, erscheinen liess. Dabei müssen moderne Menschen keine grossen kognitiven Anstrengungen erbringen, um die gestörte Verträglichkeit (um nicht zu sagen: Identität) ihres Selbst (als Menschen) mit der Gesamt-Praxis der modernen Gesellschaft, also aller, wieder herzustellen: Sie müssen sie nur einfach, angesichts des offensichtlichen (vgl. Abs. 38f.) Faktums der Zerrissenheit ihrer Gesamtaktivitäten (die nicht mehr unter EINEM sie verbindenden Regelsystem vereinbar sind), weiter behaupten, also sich als selber als bereits von (ihrer Menschen-)Natur aus Zerrissene begreifen; Ausschluss von menschlichen Möglichkeiten (die in der Moderne sich vervielfachen) scheint unser Schicksal zu sein – ein Mangel, der sich, nach der Erkenntnis des Endes vom Abs.40 verschmerzen lässt, da die Ausschliessungen einander äquivalent sind, keine ist der andern vorzuziehen; sie rückgängig zu machen, und in jeder Sphäre ein wenig zu dilettieren (wie in der Mitte des Abs. 40 kurz angedeutet), wäre nur möglich bei, für moderne Menschen, angesichts des entwickelten Standes ihrer jeweiligen Disziplin und der grandiosen Errungenschaften und Aussischten, die sie vorzuweisen hat, unerträglichem Einbussen an INTENSITÄT, PERFEKTION und FÜLLE. Die sind in allen Sphären vergleichbar; warum also eine für die andre aufgeben? (Die Opfer, wie schon oben festgestellt, sind auch vergleichbare – die Entsagung, als Preis der Intensität und Steigerung übers normalmenschliche und Laien-Ausgangsniveau hinaus.)

51.
Der objektiven (Ein)Teilung in vier Wertsphären, in die sich die moderne Praxis grob zerlegt, nachdem sie hinreichend ausdifferenziert und gewachsen ist, um diese ihre Grundtendenz zur „Zerreissung“ an den Tag zu bringen, entspricht dann eine genau analoge subjektive Teilung der individuellen Psyche in vier Grund-Motive fürs Handeln, die in den jeweiligen Wertsphären den Antrieb für die entfesselte Produktivität und Perfektion liefern.
Dabei darf unter modernen Vorgaben behauptet werden, muss aber nicht, dass grundsätzlich jeder Mensch (normalerweise, anfangs: Mann; heute ist das obsolet), als Mensch, die Voraussetzungen zur Kultivierung aller vier Motivgruppen mitbringe; ob nun unterschiedliche Begabung (von Anfang an, also angeborene Konstitution) oder sekundär darauf wirkende Kultivierung (in langen Ausbildungs- und Zurichtungsprozessen erworbene; die Anlage zeigt sich dann etwa als mehr oder weniger starke Tendenz zur Berufs- und Fächerwahl) verantwortlich gemacht werden, ist fürs Resultat zunächst gleichgültig: Eben dies Resultat, die Einseitigkeit der, aber darum befriedigenden, professionellen Standards genügenden Arbeit in nur EINER Sphäre, ist eben das „natürliche“ und menschengemässe, der Dilettantismus des Hin- und Herwanderns zwischen Sphären hingegen gilt ab da als schrullig, unernsthaft, letztlich arbeits- und leistungsverweigernd und die eigentliche Lebensaufgabe verfehlend. Eben darin, nicht dilettantisch sein zu wollen, sind sich dann die Spezialisten aller Fächer, wie unterschiedlich ihre Ausrichtung auch sein mag, einig: Sie SIND, was sie als Vertreter ihres Fachs sind, Inhaber ihres Berufs (sie SIND Künstler, Sportler, Techniker, Biologen, Ärzte, Forscher, Industriearbeiter usw.); es macht ihr ganzes Leben aus, und sie finden Erfüllung darin, dies zu sein, was sie sind.
Dass sie dann andres nicht sind, und nicht zusätzlich sein können, macht ihnen nicht im geringsten zu schaffen.
Das Projekt der modernen Gesamtgesellschaft wird dann unterhalten und vorangebracht von ihnen allen, die solche sind, die „etwas“ (geworden) sind – jeder an seinem Platz leistet seinen Beitrag, und niemand hat andern etwas für Menschen Entscheidendes voraus. Eine privilegierte Position gibt es nicht; kein moderner berufstätiger Mensch beneidet einen andern seinesgleichen.

52.
Zwar sind das in seine Sphären und Abteilungen zerrissene moderne Projekt oder Praxis, und ihre Resultate, und die jeweiligen allgemeinmenschlichen Motive, die, wie ausgebildet und kultiviert auch immer, auf sie hinwirken, nicht mehr gleich oder vergleichbar; ihr Verhältnis ist vielmehr das des ZueinanderPASSENS:
Der Fortschritt der Wissenschaft wird dann vorangetrieben durch die Reaktionsbereitschaften der Intelligenz, des Verstehens, Klassifizierens, Übertragens auf andere Fälle etc. kurz der Lernfähigkeit im Umgang mit objektiver Erfahrung, wie sie seit je in jedem Menschen an sich (erst recht nach einer entsprechenden Ausbildung) bereitliegen;
die Entwicklungen und Erfindungen der Technik durch eine Tendenz (Begabung? Fähigkeit? Anlage?) zum Problemelösen und Konstruieren (Entwerfen, Zusammenbauen, Experimentieren ua.);
die Ausdifferenzierung der Berufe und (reproduktiv wirksamen) Lebensformen wird ermöglicht durch das wechselseitige Anpassen von Bedürfnisprofilen und ihnen entsprechenden Lebenseinrichtungen, Lebensführungspraktiken, Alltagsroutinen und Gewohnheiten;
die wachsende Vielfalt und das Angebot an Interessantem auf so vielen Feldern ästhetischer Befriedigung wird erzeugt durch die fixe Kombination von (und Begabtheit mit) Neugier, Geschmack, „Kreativität“.
Der objektiven Realität der Produktionen, Produktivitäten, Produkte der vier Sphären entsprechen somit grobe subjektive „Anlagen“ (Konstitutionen), die im Einzelmenschen bereitliegen, und, spätestens nach ihrer einseitigen „Ausbildung“ (nicht zuletzt, um auf den zuletzt erreichten gesellschaftlichen Stand zu kommen), und die Ein- und Zurichtung des Menschen (und der in ihm vorfindlichen Anlage) auf seine jeweilige Spezialaufgabe, ihn befähigen und bereitmachen, auf dem erreichten Niveau am Fortschritt der jeweiligen Sphäre mitzuwirken.
Genau hier findet dann der Schritt statt, der wenn schon nicht grade zu einem Scheitern dieses Konzepts, so doch einer entscheidenden Modifikation führt.
In den Abss. 42 -Anfang 47 ist diese Erfahrung einer grundlegenden Verbindung der Motive je zweier Paare von subjektivem Antrieb und objektivem Resultat rekonstruiert – das Motiv des Berufstätigenalltags tritt auch in der Wissenschaft auf, und umgekehrt; das technologische Motiv des Problemelösens (nämlich als Stoff-Bearbeitung) und der konstruktiven Realisierung eines Einfachen in mannigfachen komplexen Realisierungen (nämlich als kreative Ausgestaltung oder Umsetzung eines feststehenden Stil- oder Gattungs-Merkmals/Schemas/Musters, einer Erlebens-Konvention etc.), so wie umgekehrt der Fortschritt vom Einfach-Allgemeinen zum Maximalkomplex-Solitären (und als solches nicht mehr Beherrschbaren) eine erschöpfbare und an Grenzen (des Nichtweiterkönnens, Nichtmehrsteigern-Könnens) stossende Abfolge von Erfüllungserlebnissen liefert.
Die Modifikation lässt sich auf diesem Standpunkt zwanglos beschreiben als inner-psychischer Dualismus von DETERMINIERTSEIN (sich Vorhandenem, Zwängen, Fügen; in Wissenschaft und Berufstätigkeit) vs. FREISEIN (Willkür-wahl-befähigt; Spontaneität, Kreativität) (in Technischem Erfinden und Ästhetischem Erschaffen).
Über den Begriff des Determiniertseins gelangt das moderne Selbst dazu, sich ins Gefüge des bekanntermassen Vorhandenen (und als solches Wissbaren und Erkennbaren) einzufügen; während der Status der Subjektivität auf dem Standpunkt zuvor (Entsprechung psychischer Grundmotive und objektiver Tatbestände, künstlich geschaffener wie von selbst vorhandener) offenbleiben konnte, ist hier das Bewusstsein wenigstens mit seinem kausal, eben determiniert funktionierenden Anteil in den Bereich des Daseienden und technisch Modifizierbaren, des „Weltautomaten“ (oder auch: Weltapparats) verwiesen.
Mit seinem andern Anteil freilich steht es ausserhalb.

53.
Nun sind die modernen Wertsphären, denen sich das moderne Selbst als entsprechend (oder die es, umgekehrt, als ihm entsprechend) denkt, keineswegs nur „zerrissen“, sondern obschon unterschiedlichen Wert-Ordnungen verpflichtet, arbeiten sie nach wie vor in den ursprünglichen Beziehungen zusammen (liefern, ohne diese Vereinigung, keine Handhabe für Anwendung der minimal-suboptimalen Postulate an Welt und Handlungserfolg, ohne die jeder Rationalität unserer Praxis die Grundlage entzogen wäre).
Noch immer sollen das Selbst und seine Motive lernend und dabei und zugleich sich reproduzierend bezogen sein auf eine als dazu passend zu unterstellende Welt oder Objektivität.
Dieser Bezug stellt sich auf dem jetzt erreichten DRITTEN STANDPUNKT dar als FREIES (spontanes, frei gewähltes und gestaltetes) Sich-Verhalten zu SICH SELBST ALS DETERMINIERTEM UND ZUR WELT als Verbund.
Aber wo in den zur Reihe geschalteten Abteilungen der Moderne (Wissenschaft beliefert Technik, Technik beliefert Routine-Produktion, Routine-Produktion begründet (wenn schon nicht „liefert“) der ästhetischen Sphäre ihre Konventionen und die zu behebenden Defizite; aber auch umgekehrt…) und ihren wechselseitigen Liefer- und Anforderungsbeziehungen (die im einzelnen sich erst bei voll entfalteter Moderne zeigen) das Determiniertsein aufhört und wo das Sich-zu-ihm-Verhalten beginnt, ist nicht auszumachen.
Die beiden „freien“ Abteilungen Ästhetik und Technik könnten verstanden werden als Ausdruck von Spontaneität; ihre Zusammenfassung stellt den Inbegriff freien Sich-Verhaltens zum in der Wissenschaft ermittelten Wissen und seinem Gegenstand dar – das Wissen selbst betrachtet als Inbegriff des nach vorab festliegenden „Intelligenz“- Determinanten erzeugten und von seinem Gegenstand und diesen determinierenden „Gesetzen“ des korrekten (oder evolutionär erfolgreichen) Verstehens (Klassifizierens, erklärenden Übertragens auf andere vergleichbare Fälle etc) nämlich LERNENS geradezu ÜBERWÄLTIGTEN Bewusstseinsinhalts; zu dem dann allererst man sich frei und „selbstbestimmt“ willkürlich verhalten kann und darf.
Oder aber, das Determinierte und „Reich der Notwendigkeit“ wird so verstanden, dass es bis zur Bitterkeit der Reproduktion geht, die als Abschluss der dreistufigen Kette von Produktions-Grundlagen zu sehen wäre: Wissenschaft wird umgesetzt in Technik wird umgesetzt in produktive Routinen zum Lebensunterhalt. Wenn der gesichert ist, im Mass wie er gesichert ist, können Sport und Spiel, Kunst und Unterhaltung, Neugier und Ausnahmeerlebnisse des ganz Anderen zu ihrem Recht kommen: Reich der Freiheit. Das eigene Determinierte im Verbund mit dem Determiniert-Determinierenden von Welt und Natur ist der grosse Welt-Automat (der sich zerlegt in das Fortbestehend-Automatenhafte der Natur, das wir gewähren lassen oder auch gewähren lassen müssen; und das Apparate-hafte, das im Verbund mit unserem zweckmässigen Handeln (bei Strafe des Untergangs) ebenfalls Selbsterhaltens-Automatenhaft sich dem Restautomaten einfügt).
Aber ganz gleich, ob da nun zwei Versionen einer Grenzziehung, zwei Versionen eines Freien und wiederum Determinierten existieren, und der mittlere Bereich des technisch sich aufrüstenden Alltags ALS Ganzes einmal dem einen oder dem andern zugeschlagen wird: Es ist ein noch viel grösserer Mangel im Spiel.
Denn, wo sich das Individuum als durchgängig einmal determiniert oder aber frei erklärt, müssen, aufgrund der Verbindungs- und Zusammenwirk-Beziehungen in der gesellschaftlichen Praxis, die dem modernen Projekt entspricht, je eine freie und eine (angeblich) determinierte Abteilung der individuellen Psyche, in Gestalt entsprechend konstituierter Spezialisten, einander zuarbeiten: Die Produkte des angeblich freien technischen Entwerfens und Problemelösens liefern ihre Erträge dem Bedürfnis-gebundenen Alltag; das „freie“ Sich-Verhalten zum, durch seinen Inhalt determinierten (und darin unfreien) Wissen nach evolutionär begründeten erfolgreichen kognitiven Gesetzen und Anpassungs-Dispositionen (Reaktionsbereitschaften) ist wiederum durchbrochen von Bedürfnis-Strukturen, die man nicht wählt (unter denen man allenfalls eine Prioritätenliste erstellt, getrieben von Sekundär-Bedürfnissen der Einsicht und umsichtigen Rücksicht, nein des angeborenen TRIEBS zur Selbsterhaltung usw.).
Also wie nun?
Wieder straft die faktische Praxis der Vereinigung oder Gesellschaft ALLER Individuen eine Stufe der Selbstdeutung des modernen EINZELNEN Individuums Lügen, wieder muss es sich fragen, wie es sich begreifen muss, oder als was sich denken muss (aber nein: wie es ist und sein muss), dass diese gesellschaftliche Praxis als ganze SEINE sein kann.

54.
Die Antwort für dies selbstgestellte Rätsel wird ihm geliefert durch die Weiterentwicklung dieser seiner Praxis selbst. SIE liefert ihm die Antwort, die ihm aus der Verwirrung über den Zusammenhang von Freiheit und Determiniertheit hilft, und es ist die, die in der zweiten Hälfte des Abs.47 oben skizziert wurde: ALLE überhaupt an irgendeiner der vier Abteilungen beteiligten Antriebs- und Begründungsarten (ist das denn dasselbe?) sind zugleich auch in allen andern präsent. Wenn der Schein einer exklusiven Verteilung von Motivarten auf Wertsphären entstehen kann, oder auch der einer paarweisen (Determinismen-Paar vs. Spontaneitäts-Sorten-Paar) Verteilung auf sie, dann nur, weil die je fehlenden Anteile nur im Hintergrund, schwächer, später manifest werdend, sich zeigen. Die Motive sind also immer präsent, nur in unterschiedlicher Intensität erforderlich – ein Unterschied, der freilich, wie sich am Ende von Abs.47 zeigte, mit fortschreitender Moderne immer mehr sich aufhebt. So ist, und zwar je fortgeschrittener desto mehr, immer der GANZE Mensch mit all seinen Antriebsarten erfordert, um den Anforderungen auch nur einer der modernen Wertsphären, speziell in ihren fortgeschrittenen und „späten“, hochentwickelten Versionen, gerecht zu werden: Dieses Selbstverständnis ist dann der VIERTE STANDPUNKT.
Und genau der kann nun spätestens (wenn es nicht schon mit den früheren Standpunkten versucht wurde) zum Ausgangspunkt einer POLITISCHEN Organisation der modernen arbeitsteiligen Gesellschaft werden – genauer, zum Inhalt des VERSUCHS, eine bestimmte solche Organisationsform zu LEIGITIMIEREN. Welche wäre das?
Um das zu untersuchen, gehen wir noch einmal zurück auf die in Abs.47 angedeuteten Konvergenz-Bewegungen in allen vier Sphären, und betrachten sie nochmals genauer. Dabei muss das Verhältnis zwischen dem gesellschaftlichen Projekt und seinem Fortschritt einerseits, und dem persönlichen Anteil der als Einzelne (oder allenfalls homogene Gruppe) in ihm Mitarbeitenden und es Betreibenden andererseits, genau im Auge behalten werden. Wie war es bei den bisherigen Standpunkten?
Der erste Standpunkt unterstellte: Alle tun dasselbe; was die (nicht sehr entwickelte) moderne oder sich modernisierende Gesellschaft (oder der betreffende Bevölkerungsteil) tut, ist nicht verschieden von dem, was der einzelne ihr Zuzuzählende, ihre Prinzipien Teilende und an ihr Mitarbeitende ihr Angehörige tut.
Und alle tun dasselbe.
Das liess sich für den zweiten Standpunkt nicht aufrechterhalten: Denn da waren von den Einzelnen je unterschiedliche Aktivierungen menschlicher Grundmotive (und Ausblendung anderer) gefordert. In jeder Wertsphäre aber taten die einzelnen Beteiligten Ähnliches, grundsätzlich Vergleichbares; ihre Beiträge akkumulierten zum Beitrag der Sphäre zum gesellschaftlichen Gesamtprodukt bzw. zur gesellschaftlichen Gesamtentwicklung. Davon durfte man sagen: Die Einzelnen, durch ihren Beitrag zum Beitrag ihrer Sphäre, durften sich mit an der Gesamtleistung der Gesellschaft, zu der auch viele andere, wenn auch auf vielfältig unterschiedliche Weise, beitrugen, beteiligt sehen. Die Errungenschaften der Sphären würden den in anderen Sphären Beschäftigten zugutekommen, die Vereinseitigung aller war zum Besten aller: Gedanke der explodierenden Produktivität durch ARBEITSTEILUNG (und äquivalenter Vereinseitigung).
Der zweite Standpunkt konfrontierte Subjektivität (subjektive Möglichkeiten, Antriebe, Fähigkeiten) mit Objektivität; aber er vergass, dass zwischen Subjekten und ihrer Umgebung dynamische Verhältnisse bestehen, die Gründe für Handeln keineswegs aus dem Subjekt alleine kommen, das Subjektive keineswegs hinreichender Grund für die Praktiken der modernen Menschen war – weder von ihnen als Einzelnen, noch als (arbeitsteilig organisierte) Gesellschaft (deren Errungenschaften sich aus den akkumulierten, individuell-subjektiv getriebenen Beiträgen der Einzelnen in den einzelnen Wertsphären speiste, und ihnen durch angemessene Verteilung allen zugleich zugutekamen.)
Die zunehmende Erfahrung mit den vier Wertsphären zeigte, dass nicht so sehr die Teilung subjektiv/objektiv massgeblich für die Erklärung des modernen gesamtgesellschaftlichen Handelns aus individuellen Beweggründen war; vielmehr zeigte sich sogar, dass, etwa in Wissenschaft und Alltagseinrichtung, subjektiver Antrieb (Bedürfnis) und objektives „Überwältigtwerden“ durch Sachverhalte…
denen man sich (angesichts der eignen Intelligenz und Lernbereitschaft, verstanden als quasi Verhaltensdisposition) nicht entziehen konnte und die quasi sekundäre Bedürfnisse schufen)
… durchaus nebeneinander wirkten; das Gemeinsame war dann nicht Subjektivität oder Objektivität als Grund einer Handlungsweise, sondern vielmehr die Tatsache der Determiniertheit, die, ebenso massgeblich, auch die Alltagssphäre zu bestimmen schien. Hingegen Technik und Ästhetik schienen subjektiv wie objektiv FREI und spontan, durch Willkürwahlen der Einzelnen, in ihnen Tätigen, begründet. Das war der dritte Standpunkt.
Für diesen Standpunkt hatten wir das Verhältnis zwischen individueller Psyche oder Konstitution, Kondition der Einzelnen, und der Eigenschaften, die sie sich alle zusammen zuschreiben konnten, nicht mehr recht in Betracht gezogen. Wie muss es gedacht werden?
Determinierbarkeit muss wohl als gemeinsame Eigenschaft aller angesehen werden, die Freistellung oder das „Freiwerden“ für die ebenso und nicht minder „angelegte“ Spontaneität als Problemlöser/Konstrukteur oder Kreativer müsste dann durch die arbeitsteilig organisierte „Abschirmung“ der in diesen Sphären Tätigen gegen „Determinismen“ und Notwendigkeiten stattfinden.
Das solchen Determinismen Ausgesetztsein oder Nicht-Ausgesetztsein des Einzelnen, mithin der objektive Abruf seiner Reaktionsbereitschaften gegenüber Objektivem, oder das Zulassen subjektiver Bedürftigkeit (oder ihres Drohens) als Antrieb für ihn, ist eines; das Tun der Gesellschaft als Ganzes, so wie es organisiert ist, kann nicht durch solche Partialsituationen (und sei es auch die ganzer Berufsgruppen oder Wertsphären) erklärt werden.
Man mag die Gesellschaft als ganze (alle Einzelnen, zusammen) im Morast der Kausalketten und Determinierungen stecken sehen, aus dem sie sich durch technischen Fortschritt mühsam befreit (um Freiräume für weitere Selbst-Befreiungstaten zu gewinnen): Dann bleibt das Problem, das oben zum Scheitern dieses Standpunktes oder Selbst-Deutungsversuchs (Versuchs, die eigene Stellung des Einzelnen und der Gesellschaft in der Moderne zu erklären) führte, bestehen, nämlich, dass der determinierte Teil des Gesellschaftskörpers, nach der EINEN der beiden möglichen Deutungen, nicht durchgängig determiniert ist, sondern eine zwischengeschaltete Station des Frei-Kreativen und Spontanen, nämlich die des technischen Erfindens und Problemewählens und -lösens, aufweist; in der ANDERN möglichen Deutung (wo nur die Wissenschaft als determiniert gilt durch Objektives, das jenseits davon Gelegene der gesellschaftlichen Praxis aber als frei) ist eine determinierte, nämlich die Bedürfnis-Abteilung des angelich freien Bereichs, dazwischengeschaltet.
Freisein und Determiniertsein, unabhängig vom Freisein durch Freigestelltsein und Determinierung-Zulassen, von dem der Einzelne, je nach seiner Stellung in der modernen Gesamtpraxis, betroffen ist (bei gleicher Disposition aller zu allem), lässt sich somit für die Gesellschaft als Ganze, die diese Freistellungen-von  und Expositionen-gegenüber Determinismen allererst an die ihr Angehörenden verteilt, nicht ohne weiteres aussagen: Sie ist beides, und in widersprüchlicher Weise. Sodass auch nicht klar ist, ob diese ihre Verteilungsweisen aus Freiheit oder Determinismen oder welcher Mischung beider begründet sind. Wie ist diese moderne Praxis aller und die Stellung des Einzelnen darin dann zu rechtfertigen? Noch immer ist diese Begründung nicht gefunden; der dritte Standpunkt ist an seinem Erkläranspruch ebenso gescheitert wie seine Vorgänger.
((Die erste Erklärweise (der erste Standpunkt) scheiterte, weil sie individuelle und gesamtgesellschaftliche (für alle Individuen in modern-arbeitsteiligen Zusammenhängen gültige) Bestimmungen umstandslos ineinssetzte, und den Unterschied garnicht beachtete (in Wahrheit war es der Standpunkt des Individuums, das von der schlichten Identität seiner Praxis mit der aller andern, also der „gesellschaftlichen“ (alle tun dasselbe wie ich) ausging). Die zweite Erklärweise berücksichtigte subjektive Anlagen und deren selektiv ausgebildete Vereinseitigtheit bei den Spezialisten der Sphären, und setzte sie in Beziehung zu den gesamtgesellschaftlich erschlossenen oder gestalteten objektiven Verhältnissen und zu den für das Tun des einzelnen in seiner Sphäre, an seinem Platz verfügbaren Materialien (dem vorhandnen Wissen; den gegebnen Problemen und Roheffekten auf dem erreichten Stand der Technik; den eingerichteten Berufstätigenalltagen (und ihren möglichen Alternativen, Erweiterungen, oder neu einzurichtenden); schliesslich den vorhandenen und sich anbietenden ästhetischen Stoffen, Gattungen und Stilen). Dabei zeigte sich das Tun in denselben Sphären bestimmt sowohl durch subjektives und objektives, die sich freilich in neue Motiv- und Ursachgruppen, das determinierende und spontan entschiedene, gruppierten; die Erklärung der gesamtgesellschaftlichen Praxis aus den aggregierten psychischen Dispositionen der Gesellschaftsmitglieder scheiterte somit. Die Erklärung der speziellen Stellung als Determinismen-Exponierte oder davon Freigestellte aus einer entsprechenden Zerlegung der Gesellschaft und ihrer durch arbeitsteilige Liefer- und Anforderungszusammenhänge zur als sinnvolles Ganzes organisierten Praxis in einen welt-artig determinierten, und einen personal-freien Anteil misslang ebenso, und damit der dritte Standpunkt. Formell: Der zweite scheiterte daran, das Individuum und seine Konstitution zum Ausgangspunkt der Erklärung zu nehmen, der dritte daran, die Gesellschaft.))

55.
Wie entsteht also nun noch einmal der in Abs. 47 angedeutete VIERTE STANDPUNKT – wie ist in ihm das Verhältnis von Einzelnem und moderner gesellschaftlicher Praxis bestimmt – warum kann es scheinen, dass er zur Legitimation einer bestimmten (welcher?) politischen Organsation dieser Praxis dienen kann?
Die Schwierigkeit mit der Erörterung dieses Standpunktes ist, dass er im Detail für alle vier Fälle durchgeführt werden muss, für die er formuliert werden kann: nämlich als Erkenntnis, dass alle subjektiven und/oder objektiven Ressourcen, die in IRGENDEINER der vier Wertsphären zuvor vorkamen, sich in JEDER von ihnen, freilich in spezieller Abwandlung und mit je unterschiedlichem Gewicht, wiederfinden.
Die Grundfigur dieser Erkenntnis stellte sich in Abs.47 so dar: In je zwei Paaren von Sphären (Wissenschaft (Vorhandenes feststellen, auf Arten/Muster/Regeln bringen und dazu Passendes (vor allem als Komplex von Einzelnem bekannter Art) unter die Regel oder das Muster subsumieren, dh. erklären) und Berufsalltag (Lebenseinrichtung als Berufstätiger, Routine-Produzent etc); Technik-Entwicklung (Problemlösung und Anwendungen suchen/erfinden) und ästhetisches Erleben (erfüllende, Meist-Fehlendes nach-, auf- oder einholende nächste Fortsetzung bestehender Erfahrung verfügbar machen)) schien sich das je eine immer mehr in sein Gegenstück im jeweiligen Paar zu wandeln:
Wissenschaft immer mehr in Routine;
Berufstätigenalltag immer mehr in eine Wissenschaft (der Lebensführung);
Technologisches Entwickeln immer mehr in eine Suche nach immer anspruchsvolleren, gewagteren Fortsetzungen und Selbstüberbietungen (quasi-ästhetisch);
ästhetisches Erleben in eine Technik der Gattungs- und Stil-Realisierungen und der angemessenen Einkleidung oder Präsentation von (rohen Erfahrungs-)Stoffen.
All das war bereits angelegt im Übergang vom ZWEITEN zum DRITTEN STANDPUNKT, als es sich bemerkbar machte, dass zu den subjektiven bzw. objektiven Antriebskräften, die die produktiven Leistungen einer Wertsphäre begründeten, die des jeweiligen Gegenstücks in diesen Paarungen ergänzend hinzutraten und immer beide zusammenwirkten (wenn auch mit unterschiedlichem Gewicht oder in je unterschiedlicher Relation zueinander) zur Erzeugung der Leistungen der betreffenden Sphäre.
Aber hier geht es nun nicht mehr nur um die Antriebe, sondern die Art der Leistung selbst; eine Leistung, die garnicht mehr der Sphäre als ganzes nur, sondern tatsächlich der Arbeit des Einzelnen in ihr und seinem Beitrag zu ihr abverlangt wird: Der Alltag jedes Berufstätigen in fortgeschrittenen modernen Verhältnissen ist „verwissenschaftlicht“ und eine „Wissenschaft für sich“; die technologischen Leistungen auf ALLEN Gebieten fordern von den Entwicklern solche Höchstleistungen an Komplexität und Vielfalt zu verwendender Technologien (Anwendungen), wie man sie zuvor nur von ihrem Werk besessenen Künstlern zutraute; die Wissenschaft muss, zu technisch-rekonstruierenden Beherrschung der von ihr zu Untersuchungs- oder Erklärungszwecken zerlegten und zusammengesetzten Komplexe immer längere Wege (zusammengesetzt aus Routine-Techniken und-Schritten) gehen, um den Aufbau des Komplexes aus seinen Elementen weiter zu kontrollieren; anfangs als unergründbar und ursprünglich-naturhaft angesehene Kreativität (Begabung) wird transparent und als hochkomplexes „Handwerk“, als Technologie und systematisches Aus- und Erschöpfen vorhandener kreativer Möglickeiten kenntlich.
Diese Entwicklungen werden freilich, so wurde in Abs.47 noch behauptet, nicht absolviert ohne die Mitwirkung von subjektiven und/oder objektiven Antrieben oder Ressourcen, die zunächst nur mit dem jeweiligen Gegenpaar assoziiert waren. Genau das soll nun nochmals (vor allem mit Blick auf die eingangs dieses Abs. angeführten Fragestellungen) eingehender betrachtet werden.

56.
Routinen breiten sich in der Wissenschaft aus, wird behauptet, Forschung bläht sich zu einem unüberschaubar wuchernden Universum an Forschungs-Projekten, die mit Untersuchungs-, Erhebungs- und Verarbeitungsroutinen betrieben werden müssen: Forschung wird Beruf. Aber – welcher Logik verdankt sich das? Welche Veränderung ereignet sich da in den Prozeduren und im Selbstverständnis von Wissenschaft im Verlauf ihres Wachstums?
Die moderne Wissenschaft hat zunächst eine Hauptverlaufsrichtung, nämlich die zu den „Elementen“ – im etablierten Sinn zu verstehen als chemische Elemente, und weiter zu Elementarteilchen (weil eben die Elemente doch nicht so elementar waren wie gedacht); sie liefern die Elemente allen Erklärens von Vorhandenem als Komplex, zusammengesetzt aus seinen Elementen – letztlich Molekülen, Atomen, Teilchen, und ihren bekannten Dispositionen.
Aber damit liefert sich die Wissenschaft ja zunächst nur das Instrumentarium für ihren weiteren Fortschritt. Denn mit diesen Elementen einer Analyse und Erkärung rückt sie nun wieder vor ins Komplexe, Zusammengesetzte, erklärt es als zusammengesetzt, woraus und wie (vor allem: räumliche Anordnungen, Geometrie der Zusammensetzung, daraus abgeleitet: Geometrie der sich überlagernden Wirkrichtungen und Dispositionen).
Das Finden von absolut Elementarem, mit dem sich „alles erklären“ liesse („Weltformel“ und dergleichen), gilt der modernen (Natur-)Wissenschaft somit nicht als Erfüllung ihres (selbstgesetzten) Auftrags. Die Horizonte der Erfüllung und Vollendung des modernen Wissens sind durch die einfache Kategorie Komplex und ihre Masse bezeichnet (welche Stufen und Zwischengrade es geben mag, darüber muss sie sich keine Rechenschaft geben – sie wartet einfach ab, was sich im Vorhandenen alles an – wie komplex auch immer – Zusammengesetzten findet). Aber welche Komplexe auch immer den Raum oberhalb der Elemente füllen mögen – eins weiss die Wissenschaft dann doch: dass alle Annäherung an UNS und das, womit wir in der Welt stehen, unsern Körper, erst ihren eigentlichen Fortschritt ausmachen wird. Womit wir nocheinmal zusammengebaut werden könnten, um noch komplexer zu sein, ist nicht zu sagen; so markieren wir, zumindest als Vorhandenes, wie wir (jeweils) sind, eine Grenze der Wissenschaft, die nicht sie (die doch nur mit Vorhandenem sich zufriedengibt), sondern allenfalls wir selbst überschreiten (wodurch wir neue Fakten schaffen).
Es nützt nun der Wissenschaft dabei nichts, Erklärungsansätze zu finden, die uns, das Komplexeste, oder Teile in und an uns, etwa bestimmte Funktionseinheiten, Regelkreise usw. auf weniger Komplexes zu reduzieren und es so zu erklären; ebenso unbefriedigend sind die in der Komplexitätshierarchie fortschreitenden Untersuchungen zum Verhalten zusammengesetzter, dennoch sehr Elemente-naher Objekte, wie etwa Enzyme. Erst die durchgehende Verbindung aller Strukturebenen, also vollständige „Aufklärung“ eines „Aufbaus“ eines Komplexes aus bekannten Teilen (mit bekannten Eigenschaften), würde die Wissenschaft an ihr Ziel bringen: Also dass sie der Besonderheit des Einzelnen voll gerecht wird, indem sie seine speziellen Eigenschaften und Verhaltensweisen erklären kann aus der Besonderheit der Zusammensetzung, und der ART (etwas allgemeines, in allen Zusammensetzungen Gleichbleibendes) der beteiligten Bauteile. (Nichts verrät die mörderische Kategorien- und damit Begriffsarmut dieser „Natur“-„Wissenschaft“ besser als ihre Unentschiedenheit darüber, wie sie uns, mit unserem hyperkomplexen Gehirn, im Verhältnis zu ebenfalls hyperkomplexen Ökosystemen aller Art (etwa „(belebte) Böden“; die sie mit ihren Mitteln kaum weniger analysieren kann als die Neurophysiologen ihren Lieblingskomplex) in die Komplexitäts-Hierarchie (nicht einfach als Masszahl, sondern als Hierarchie von tatsächlichen Strukturen) einfügen soll. Derzeit, so ist zu lesen, scheitern riesige Arbeitsgruppen bereits im Ansatz an der „vollständigen“ Analyse des Stoffwechsels von im Ausgang als „archaisch und primitiv“ bezeichneten Bakterien: Komplexer als gedacht, lautet der überraschte Befund.)
Und das Speziellste, eben weil Komplexeste, das sie sich vornehmen könnte (indifferente Spezialität, Besonderheit, die nicht von Interesse ist, kennt dieses Denken nicht), ist eben unser Körper zu jedem Zeitpunkt seiner Existenz (nicht nur der genetisch konstituierte, sondern auch in seiner Ontogenese mannigfach unerwartet gerpägte und veränderte) – letztlich zu jedem Zeitpunkt also, wo er durch Aufnahme, Abgabe, innere Umlagerung von Bauteilen und seien es kleinste, ein anderer ist als zuvor. Angesichts der langen Strecken, die die Routine-Labor- und Analyse-Verfahren hinsichtlich der eigentlich strukturellen (zB. Makromoleküle, Genome, Zellorganellen mit bekanntem (in allen Varianten?) Aufbau) mit den tatsächlichen funktionellen Elementen (eventuell auch nur Teilen von ihnen: Rezeptoren, Leitbahnen, Verteilungsräumen von Botensubstanzen usw.) verbinden, wird Wissenschaft zur heroischen Aufgabe; statt sich ihrer Vergeblichkeit zu stellen, tut sie mutig und voll Zuversicht erste Schritte, und die bestehen eben in der Anwendung der Routinen auf die Bauteile des (durch physiologische Variation von routinemässig messbaren Ausgangsbedingungen ermittelten) hypothetisch massgebenden funktionellen Elements. So häuft sie aus beiden Routine-Strategien stammende und miteinander in Beziehung gesetzte Datengebirge auf; ab und an kommt noch die ein oder andere technologische Neuerung in den Mess- und Analyseverfahren hinzu, mit denen der Aufbau und Augenblickzustand der untersuchten Bio-Automaten ermittelt wird. So aufgestellt, kann die Wissenschaft sich auf eine lange Lebensdauer einstellen. Von sich aus wird sie sich nicht überflüssig machen; ihr Fortschritt aber ist unaufhaltsam.
((Das verrückte Pendant zu Bio-Automaten und -Apparaten sind die nicht mehr überschaubaren Singularitäten, die Hightech und Grosstechnologie hart an den Grenzen zur technischen Unkontrollierbarkeit entlang baut: Sie müssen erprobt und geprüft werden wie eigensinnige Organismen – Gegenstand einer Forschung, die den Produkten als Produkten nicht mehr trauen kann, sondern sie, nach erfolgtem Zusammenbau, prüfen muss wie ein Vorhandenes; im Zweifel ist das entscheidende Experiment erst der Gebrauch in der Praxis. Nicht zuletzt Wissenschaft selbst, vor allem die Lebenswissenschaft, wird ihren Gegenständen (jenen, deren Erforschung sie sich eben noch vornehmen kann: archaische Bakterien etwa) immer ähnlicher; die Idee einer Wissenschafts-Wissenschaft, die die vorhandene Wissensproduktion (nicht anders als Ökonomen die vorhandene Reproduktion der Gesellschaft) als unbekannten Komplex untersucht, ist vor diesem Hintergrund kein Witz. Diese empirische (!) Wissenschaft existiert tatsächlich. Immerhin erfahren wir vielleicht eines Tages von ihr, was komplizierter ist – Mikrobiologie oder  Mykobakterien…))

57.
Wohlgemerkt: Verrückt ist das Programm dieser Wissenschaft aus Sicht dieser Rekonstruktion nicht aufgrund irgendwelcher behebbarer institutioneller oder menschlicher Mängel; verrückt, wenn auch für die in dem programmatischen Fehler ohne Alternative Befangenen, sind die vermeintlich rationalen Prinzipien, aus denen heraus es gedacht ist. Sehen wir zu, ob es mit technischem Fortschritt im Stadium seiner höchsten Entwicklung besser steht. Die Skizze in Abs 47 behauptete, dass in die Expansionsbewegung, die diesen Fortschritt treibt, erstens ein Etwas-als-etwas-Verstehen (wie es in der Wissenschaft am eindrücklichsten auftritt), dem man sich in seinem Handeln nicht entziehen kann (daher wurde ein Motiv dieser Art zuvor öfter auch eine „Reaktionsbereitschaft“ (verstehende Intelligenz usw.) genannt) eingeschaltet ist – und zweitens das Element Bedürfnis, Reproduktion (mit von anderswoher gegebnen Mitteln und prognostischem Wissen), Routine, Alltag usw., wie es in der gleichnamigen Wertsphäre sich am deutlichsten zeigt. Von diesen zwei Elementen hat das der Beurteilung, des Verständnisses insofern Nachrangigkeit, als es dem Alltag, der Reproduktion zum Inhalt dient, oder von ihm „einverleibt“ wurde, ähnlich, wie im Fall der Wissenschaftsexpansion von der Erfüllungserwartung oder -hoffnung gesagt wurde: sie habe sich die Kategorien des Technischen „einverleibt“. (Die Bedeutung dieser asymmetrischen Zusammenschlüsse wird bald zu erörtern sein.); abgesehen davon, dass es die Erfüllungshoffnung/erwartung der WISSENSCHAFT sein sollte, und mithin nicht ganz dieselbe sein kann wie die Erfüllungshoffnung und -erwartung par excellence, die ästhetische nämlich.) – Dasselbe also nun hier: Es gibt ein VERSTÄNDNIS des (von selbst, ohne unser Zutun) Vorhandenen (Natur, in diesem Sinn) vom Standpunkt des technischen Entwickelns, wie es sich spätestens seit dem ZWEITEN STANDPUNKT präsentierte (über den es ja schon hinausgewachsen ist), und dies Verständnis bezieht sich auf den fortgeschrittenen modernen ALLTAG, also die Routine-Reproduktion, Produktion des Lebensunterhalts der modernen Gesellschaft auf gegebnem technischen Niveau (incl. Prognosewissen) (Alltag dann ebenfalls wie er sich seither präsentiert).
Von diesem Verständnis wurde gesagt: Es liefert der technischen Fortschritts- also Selbstüberbietungs- und Ausweitungstendenz einen Problemhorizont, einmal in Gestalt unserer äusseren Verletzlichkeit, die derzeit prinzipiell auch von Asteroiden unseres Sonnensystems, Vulkanen, Erdbeben und Tsunamis (Kontinentalschelf-Abrutsche!) herrühren könnte, von Klimaschwankungen und den von uns selbstgemachten überlagernden Belastungen aller Art noch ganz zu schweigen, zum andern aus unserem Körperinnern, wo von freien Radikalen bis zu Killerviren, Autoimmunkörpern und bekannten wie unbekannten Giften ein Universum an Schadursachen darauf lauert, uns zu entkräften, krank zu machen und am Ende umzubringen. Mit anderen Worten: Weltkenntnis aus Wissenschaft wird wichtigstes Mittel unserer Reproduktion, durch Gefahrenkenntnis und -abwehr; also Problemkenntnis (die zum Startpunkt entsprechender Technik-Anstrengungen erklärt wird.)

Anm. Allgegenwärtige (Arbeits)Unfälle und die Art unserer „modernen“ Lebensführung (Ernährung, Nahrungsmittel und ihre Erzeugung nicht zum mindesten) kommen in dieser Aufzählung noch garnicht vor (es geht ja nur um Naturursachen, eben ohne unser Zutun noch oder immer weiter oder demnächst vorhandene, also „Natur“); sie sind im weiteren Sinne Inhalt jener Selbst-sorgenden „Wissenschaft“ seiner selbst, in die sich jeder Berufstätigen-Alltag im Zuge siener Expansion zunehmend verwandelt.

Der Vorteil von Technik-Entwicklung gegenüber Wissenschaft ist, dass Technologie und technologisches Wissen sich mit der Tatsache des zuverlässigen Funktionierens (auch in komplexen Anwednungen) eines technischen Elements begnügen darf, dass sie nicht die lange Strecke zu den echten Elementen zurücklegen muss, und das Funktionieren einfach als erprobte Ausgangs-Tatsache nehmen darf. Am Vorhandenen hat Technologie auch sich für nichts weiter zu interessieren als die Frage, inwiefern es Chancen oder Risiken für Problemlösungen und Anwendungen liefert – im Zweifel müssen die sich, als unerwarteter Anstoss für eine Entwicklung, oder Zwischen- und Störfall, von selbst bemerkbar machen, und werden nicht gesucht, wie in der Wissenschaft. Technik muss nicht das GANZE Vorhandene kennen, nur das technisch Relevante. Im Zweifel gilt für sie die Rationalität der minimal-suboptimalen ode hypothetischen Konstanzerwartung: Elemente funktionieren in Zusammensetzungen wie ohne Zusammensetzung, die Wirkungen von Überlagerungen sind berechenbar; ausserdem nach dem Prinzip: Probieren geht über Studieren, Stagnation und Fortschrittsmeidung aus Angst sind irrational. Das ist der Freibrief für unbefangenen Umgang mit Risikotechnologien – der Grundsatz wird vom vormodernen Alltag, dessen Produktivität zu steigern freilich risikoarm möglich war, übertragen auf die explodierte Vielfalt zu reproduzierender Strulturen, vor allem lebender (menschlicher, tierischer, pflanzlicher, und was unter dem Namen „Umwelt“ sonst noch an Biosphäre und ihren Existenzbedingungen zu berücksichtigen wäre), wie sie in der global-modernen Industriegesellschaft anzutreffen sind. Das Technomorphe ihrer heuristischen Kategorien ist, was technologisches Entwickeln/Problemelösen mit naturwissenschaftlichem Erklären und Analysieren-in-Elemente verbindet; beide machen sich zu schaffen am mangelhaften Grossautomaten (dem Sammelsurium solcher Automaten, sofern sie nicht zusammenwirken), das das von sich aus Vorhandene (und in dem Sinn Natur, belebt und unbelebt) ist (die Automaten können dann teilweise, so wie sie sind, auch als Apparate dienen, und uns von Nutzen sein, indem wir sie in unsere Handlungen, oder selbsterzeugte Vorrichtungen, als Werkzeug einbauen, oder sie sonstwie nutzen). Aber es ist eben eine andere Perspektive, ob man den Automaten nach Elementen zerlegt und deren Zusammengesetztheit in Komplexen nachweist, wie sie sich ohne unser Zutun vorfinden; oder ihn, mit Bauteilen, die in ihm selber vorkommen, als Material, verbessert. Dies Bessern ist nicht theoretisch, erklärend, feststellend, den Bestand dessen erhebend, was vorhanden ist, sondern ändert es massiv (ohne an der Grundtatsache der Automatenhaftigkeit (des Funktionierens) und/oder potentiellen Apparat-haftigkeit der Welt etwas zu ändern).
Die von fortgeschrittener Technik gebauten Problemlösestrukturen, seien es dauerhaft automatisierte, oder instrumentell, nur im Zusammenwirken mit Handlungen wirkende (also Apparat-hafte), zielen am Ende aufs Einzelne; diesen Körper, in diesem Zustand; diese potentielle Katastrophe, diese Schadursache. (Der Selbstschutz und Selbsterhalt des gesamten technischen Systems angesicht seiner eigenen Expansion und dabei vorkommender Grenzüberschreitungen ist dabei zunehmend selbst problematisch: etwa „die Energieversorgung der Zukunft“…) – Nun ist leider selbst bei fortgeschrittener Technologie nicht sicher, dass die Kette von erkannten Problemen (und die Welt ist randvoll von ihnen, bekannten wie noch unbekannten) zur Anwendungskombination geschlossen werden kann. So arbeiten sich, mit dem ewigen Versprechen, sich im Idealfall zu treffen, (bio)technologisches, also „medizinisches“, das Wissen um Bedingungen gelingender Berufstätigen-Existenz mehrendes Probleme-Erkennen einerseits (nur scheinbar eine Wissenschaftsabteilung, denn sie hat immer unseren Nutzen und Schaden im Auge, was der wertfrei-reinen Grundlöagenforschung als Gesichtspunkt fremd ist), und von jeder Rücksicht auf Anwendung freies Entwickeln prinzipieller Handlungsfähigkeit ohne Grenzen andererseits, unablässig entgegen; solang sie sich nicht treffen, und ein Problem „gültig“ gelöst, dh. ein für alle Mal aus der Welt heraus und in Routine-Reproduktion und Alltag hineingeschafft ist, gilt jeder Fortschritt aus beiden Richtungen hin zu dieser mittleren Begegnungszone als vorläufige Erfüllung. Als Arbeit an dieser versteht sich fortgeschrittene Technologie.

58.
Es ging im vorigen Abs. nicht darum, einmal mehr die hier schon öfter vorgetragene Rekonstruktion technischen Denkens um eine neue Facette zu bereichern; vielmehr aufzudecken, welchen Anteil an diesem Denken, in seiner bislang fortgeschrittensten Version (eventuell auch: seinem Selbstverständnis, soweit es sich um ein solches bemühen will) solche Motive haben, die auf früheren Standpunkten EINS bis DREI anderen Sphären oder Sphärenpaaren zugewiesen waren. Genau das zu zeigen, war Absicht der kurzen Skizze in Abs.47, und wird hier nur ein wenig ausführlicher als dort dargelegt; und zwar jetzt für die verbleibenden zwei Sphären, Alltag und Ästhetisches Erleben.
Der fortschreitend perfektionierte (produktiver werdende) moderne Alltag und die zugehörige Lebensführung würden quasi zur eigenen Wissenschaft, wurde behauptet. Aber das geschieht wieder nicht von selbst, durch einfache Weiterentwicklung von Standpunkten (Bedürfnis-Orientierung, verstehende Einordnung; Verständnis dieses Tätigkeitsfeldes als „determiniert“, wie immmer er auch mit den anderen drei Felder zusammenarbeiten mag). Sondern durch Einmengung von Einstellungs-Elementen, die zuvor nur mit Technik und Ästhetik assoziiert waren. Und dabei lässt sich nun eine Bemerkung über die asymmetrische Relation anknüpfen, die oben bereits aus Verlegenheit und vorläufig mit einem „Sich einverleiben“ verglichen wurde:
Denn auf dem ERSTEN Standpunkt wurde dem Alltag die Bedürfnis-Orientierung (eine inner-PSYCHISCHE Kategorie) zugeordnet; AUF die wurde dann (im ZWEITEN STANDPUNKT) das ursprünglich an und in der Wissenschaft beobachtete Verstehen (welches freilich das sponatn wirksame Bedürfnis zu einem blossen Faktum, zu dem sich erst einmal zu stellen wäre, neutralisierte) angewendet. Dieser kontrollierte und organisierte Umgang moderner Berufstätiger (reproduktiv Tätiger, auf gegebnem technischen Stand) mit ihren möglichen Bedürftigkeiten und Bedarfen ist Inhalt/ Gegegenstand/ wird einverleibt, wie auch immer, von… einer quasi-ästhetischen Erfüllungshoffnung und der Arbeit an ihr: nämlich der auf Selbstperfektionierung – die Utopie von idealen Alltag, in dem alle in IHM angesichts SEINER fundamental zu erfüllenden Anforderungen möglichen Leistungsreserven mobilisiert, alle kompensatorischen Befriedigungen, alle regenerativen Aktivitäten (als Bedingung aber leider auch Schranke der anforderungs-erfüllend produktiven) ideal verteilt und gestaltet sind. Und diese durchaus mit Recht so zu nennende KUNST einer versuchten ideal erfüllten Lebenseinrichtung wird zuguterletzt TECHNISIERT, als technisch zu definierende WEITERE Aufgabe begriffen NEBEN den Aufgabenlösungen, die die für Berufsarbeit abgestellten Apparate und Automaten bereits darstellen (dass an den versammelten Bedürfnissen erst einmal etwas zu verstehen ist, und sie nicht einfach für sich dastehen bleiben dürfen, wurde ja bereits im zweiten Schritt absolviert; die weiteren Schritte sagen nur noch, wie und was zu verstehen wäre): Die Selbstperfektionierung hat zum Ziel, sich selbst als das perfekte MITTEL im Verbund mit den eigenen zweckmässigen Handlungen hervorzubringen: Ich bin mein eigner, nächster und wichtigster Apparat, den ich brauche, um meinen Alltag Leistungs-, Regenerations- und Kompensations-mässig perfekt zu machen. Nichts, das unter einer dieser drei Kategorien Platz (heisst meist: eine Zeit in der ewig knappen Agenda des modern Routine-Tätigen) hätte und unterzubringen wäre, soll fehlen – nichts zumindest, was für den Weiterbetrieb und die Weiterverwendung meiner selbst als (optimal auf die zu lösenden Aufgaben bezogenes) Mittel meiner selbst benötigt wird. (Was das für meine Selbstbestimmung, meinen Begriff von mir bedeutet, dass ich mir selbst als einem Mittel gegenübertrete, und irgendwo in mir die Grenze bestimmen muss zwischen mir als Mittel und mir als Benutzer, wird noch zu erörtern sein.)

59.
Die in technologischen Kategorien gedachte Selbstperfektionierung muss sich freilich mit einem zentralen Mangel auseinandersetzen: Ihr Objekt ist leider kein Gerät, nichts selbstgebautes und entworfenes, keine und sei sie noch so hoch entwickelte odert komplexe „Problemlösung“. Ob man will oder nicht – man muss sich mit dem eigenen Körper als einem VORHANDENEN auseinandersetzen, so gern man ihn behandeln würde wie einen Apparat (um ihn mit all den andern Apparaten kurz- und zusammenschliessen zu können, an denen er eingesetzt wird, oder die AN ihm eingesetzt werden…) Der in diesem Sinn „wissenschaftliche“ Bezug auf sich ist also durchaus erzwungen, und nicht hintergehbar: Denn selbst wenn (wozu derzeit alle Mittel fehlen, selbst wenn Science fiction uns einen „transhumanen“ Zielzustand als erstrebenswert ausmalt) wir anfingen, uns in Teilen oder ganz durch technische Apparaturen oder Automaten zu ersetzen, müssten wir doch die Funktionsweise genau kennen, die wir simulieren; oder die Bauweise der Teile genauestens kopieren – wovon heroische Wissenschaft nicht weniger als alle Grenzen (im grossen, kleinen, Komplexen) überschreitende Technologie noch immer unendlich weit entfernt ist. Im Körper (zumindest den Teilen, die noch nicht mit modernen Kategorien, als technische Funktionseinheiten, voll durchschaut und begriffen sind; man darf fragen, für welche das gelten soll?) begegnet das letzte Stück Restnatur, mit der ihr zuzugestehenden (als vorhanden hinzunehmenden; im Einzelnen unverstandenen) Eigenlogik. Aber dieses zunächst nach allen Seiten abgegrenzte und in „künstliche“ Wohnräume wie in Raumkapseln gesperrte Einzel-Stück braucht nach ebendenselben allen Seiten hin plötzlich Anschlüsse: In Gestalt von mehr oder weniger „naturbelassenen“ Nahrungsmitteln (auch entsprechend zubereitet, oder optimal „ergänzt“), Freihaltung seiner „Lebens“-Räume von unguten Immissionen aller Art, bis hin zur physischen Reproduktion, sei es seiner selbst, durch die Art der (von selbsternannten „Experten“ auf Basis einer Springflut von „Studien“ angeratenen) diätetischen „Lebens“-Gestaltung („Mehr Bewegung! Mehr Obst!“) und der medizinischen Reparatur und Mängel-Kompensation (Blutfette! anti-aging!), sei es der „Gattung“ in Gestalt des Nachwuchses (in dessen Aufwachsen nicht minder besorgte Experten („Kinderärzte schlagen Alarm…“) hineinregieren); sei es der „Umwelt“, die ihr undurchschautes immer-schon „Vorhandensein“,  in Form immer neu aufbrechenden Regulierungsbedarfs, auf immer mehr Ebenen, unter Beweis stellt. Aber als WAS ist Natur vorhanden? Das technomorphe Denken sagt: Als eine Gerümpelkammer mehr oder weniger guter oder schlechter technischer Einfälle (potentielle Apparate und Automaten), die auf mögliche Brauchbarkeit zu prüfen wären. Was dies technologische Denken geradezu aus Prinzip, KATEGORIAL und kategorisch ausblendet, ist die Vorstellung von ZUSAMMENHÄNGEN – derart, dass EINGRIFFE unübersehbare Folgen haben können. Nicht dass dies Denken beim Nebeneinanderher-Benutzen zweier Apparate oder Automaten, oder auch der Einbau des einen in einen andern, ihre Nutzung ausserhalb der Toleranzbereiche ihres Funktionierens (Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Staub etc) nicht auch einmal mit Störungen rechnet: Aber die sind beschränkt und ebben ab. Dass etwas sich selbst verstärken könnte, oder ungeahnte FERNWIRKUNGEN erzeugt, eben weil man es bei „Natur“ mit mehr als nebeneinander herumstehenden Einzelstücken zu tun hat, nämlich einer ganzen BIOSPHÄRE, in die unsere Körper eingetaucht sind und VON der sie leben: Das ist technischem Denken so fremd, dass den Gedanken zu akzeptieren, in Selbstaufgabe führen würde.
Der Körper, die Körper, die Restnatur werden sorgenvoll begutachtet wie ein Gerät, von dessen Funktionieren „wir“ (wer ist das dann?) auf Gedeih und Verderb abhängen – nur leider ist die Gebrauchsanweisung verlorengegangen. So müssen wir durch Versuch und Irrtum die Bedienung mühsam erlernen, oder auf gut Glück Reparaturversuche machen, wo möglicherweise Funktionsstörungen („Krankheit“, „unnatürlich“) vorliegen. Da wir die Normalität (Gesundheit, Natur) nicht kennen, tappen wir bei der Bestimmung oder Belegung dieser Kategorien völlig im Dunkeln. Sollen wir auf einer Leistung, einem Bedürfnis, als angemessenen, bestehen – oder es als unnatürlich streichen, zurückdrängen, unterdrücken, unterbinden? Sollen wir Aufwand treiben für den Erhalt eines bestimmten Zustands unseres Körpers, sollen wir ihn gegen allfällige Beeinträchtigungen schützen und verteidigen – oder sollen wir nachgeben, und ihn als unnormal, unnatürlich, nicht menschengemäss aufgeben? Die „wir“, die das Mittel, das sie in Gestalt ihres Körpers mit sich tragen (sogar diese Trageleistung wird eigentlich von „ihm“ übernommen), haben am Vorhandenen, das LÄNGST kulturell völlig überformt ist (oder werden könnte) kein Kriterium. Das Vorhandene ist nur ewige Bedingung; wie zu entscheiden ist, bleibt bei ihnen. Und die Folgen ihres Entscheidens sind, angesichts der unbegriffenen Eigensinnigkeit alles Natürlichen, angefangen beim leiblichen, völlig undurchschaubar. Wie man da noch Reproduktion definieren, oder auch, wie man die minimal-rationalen Postulate oder Hypothesen über die Welt aus Abs.9 soll anwenden können, ist dann ein Rätsel.

(Der Vorgang wurde schon besprochen, durch den ästhetisch-kreatives Zurichten von individuell maximal Sinn-machendem Erfahrungsstoff für Gattungs- und Genre-spezifische Verallgemeinerungen, in Gestalt vervielfältigbarer WERKE, zu einer Technik wird: Es geschieht im Mass, wie die momentan fehlenden maximal Sinn-machenden Anschluss-Stücke für depivierte Biographien eines bestimmten Typs Gegenstand einer quasi wissenschaftlichen Bestandsaufnahme und begrifflichen Einordnung werden. Spätestens in Gestalt der elaborierten KRITIK des Scheiterns ästhetischer Produkte an einem solchen Anspruch wird diese Technisierung (als Spezifizierung der ANFORDERUNGEN, denen die Aufbereitung eines Stoffs zu genügen häte) vorangetrieben.)