161.
Die soweit durchgeführte Deutung des drei-fältigen „eigentlichen“ Gesamt-Erwartungsaffekts als Indifferenz- und Differenz-Mass bei unerwartet (dh. durch bis dahin Rest-Unbekantes) verursachten Ausfällen und Abänderungen von Stellen, Regionen, Branchen in Reproduktion und (geplantem) Fortschrittspfad, sie mögen kompensierbar oder neutralisierbar sein, oder nicht; und das mithilfe von Reserve-Wissen oder Reserve-Ressourcen, oder beidem – diente nur als Vorbereitung; wir wollen uns jetzt nämlich endgültig die Leit-Frage (die schon Ende 141 anklang) stellen: WIE kann eine „differente“ „gefühlte“ Enttäuschung, speziell, da sie rein quantitativen Charakter hat, zum Anlass einer mit ihr „begründeten“ Überführung einer Ausgangs-Normalpraxis in eine „den Tatsachen, so wie erfahren, besser angepasste“ dienen – so wie eben in Abs. 160 angedeutet?
Zu den Wissens-Reserven unterhielt die linke Kolumne, also der dreifache Erwartungsaffekt, nur ein indirektes Verhältnis, und hatte nur indirekten Zugriff auf sie – eben über das Stellen-System, die Regionen usw. der mittleren Kolumne, der ihrerseits dreigliedrigen aktuellen Normalpraxis. Da wäre vielleicht zunächst zu fragen: Wie greift denn die Normalpraxis auf Erfahrungs-Wissen und Erfahrungs-Reserven zu – welches ist IHR Verhältnis zur rechten Kolumne – der ihrerseits dreigeteilten Erfahrungs-Menge? (1. Teilfrage zur Beantwortung der Leit-Frage)
Mit Sicherheit gibt es kein Prinzip des Normalplanens, das es dazu bringen könnte, mutwillig auf die Verwertung offenkundig nutzbaren Wissens zu verzichten. So hatten wir bereits in 8/34 gesagt: „… gilt die je etablierte Praxis als die hypothetisch „beste“, zumindest durch keine andre, unter gegebnen Umständen, in dieser Umgebung, bei diesem Wissensstand, überbietbare. Sie ist ein zu diesen Umständen usw. relatives, quasi „regionale“, „momentanes“ Optimum.“
Es wäre ja auch verrückt, wenn grundlos, absichtlich suboptimale Problemlösungen anstelle der optimalen gewählt würden, obwohl wir alle nötigen Kenntnisse (und auch Mittel zur unmittelbaren Umsetzung) besitzen; in DIESEM Sinn wird eine Praxis nie grob mangelhaft sein. Eher schon mag es zu vielen Verfahrensformen und Produktions-Linien, Ressourcen-Aufteilungen usw. Alternativen geben, deren Einsatz anstelle der tatsächlich gewählten Lösungen die „Risikostruktur“ der Gesamtpraxis nicht wesentlich verschlechtern oder verbessern würden.
161.a
(EXKURS) Hier sehen wir dann auch gleich, wie verschiedene Erscheinungsformen ein „Erfahrungswissen“ annehmen kann:
– die tatsächliche „Erfahrungsgrundlage“ im Fall des periodisch, womöglich alltäglich, im Rahmen des reproduzierten „Könnens“ verwendeten Wissens-wie liegt vor in Gestalt eben dieser fortgesetzten Anschauung (wann und wie dies alles je erstmals beobachtet, wie erprobt, und woran eingeübt wurde, ist meist vergessen – selbst für die Aneignung des betreffenden Wissens in den individuellen Lern-Biographien einzelner Mitglieder des sich reproduzierenden Kollektivs);
– von den meisten Reserve-Wissens-Gehalten wird vermutlich behauptet, dass sie ähnlich verlässlich zur Anschauung gebracht werden könnten, wenn sie nur angewandt würden (und nicht einfach, wie es tatsächlich mit ihnen geschieht, nur in Gestalt von Beschreibungen und Rezepten tradiert würden, allenfalls unterstützt durch selten wiederholte Realisierungen und Beobachtungen, um zu sehen, ob der bekannte Zusammenhang, das Verfahren usw. noch so funktioniert wie tradiert);
– Wissen-dass mag sich – je in Abhängigkeit vom Grad seiner Regularität – mehr oder weniger häufig, oder an bekannten Orten, zu bekannten Zeiten, beobachten und so immer wieder (bis zur Langeweile, alltäglichen bis alljährlichen Routine) bestätigen lassen;
– allzu Seltenes, Irregularäres, vorerst nur Vereinzeltes (Ausnahme-Ereignisse) schliesslich, das vielleicht doch noch irgendwann mit anderm zusammen in eine Reihe gebracht werden kann, oder Anlass zu Neugier oder Bestürzung und Ratlosigkeit gab, wird vielleicht nur erzählt, und zunehmend vage oder entstellt erinnert.
– Mancherlei Praktiken wiederum, insbesondere Abwehr- und Vorsorge-Praktiken, hinter denen „warnende“ kontrafaktische Konditionale stehen (würde X unterlassen, hätte es Schaden Y zur Folge), werden regelmässig vollzogen, ohne dass nach Art ihres Zustandekommens, oder der Fortdauer ihrer Berechtigung oder Zweckmässigkeit (angesichts veränderter Umstände) gefragt würde.
Speziell das, was „immer schon so, und nicht anders“ gemacht wurde, erweist sich als abhängig von Erfahrung oft nur noch in dem Sinn, dass Anlässe in der Erfahrung existieren können (und für eine Änderung auch eintreten müssten), bei denen die betreffende Regularität oder das Verfahren usw. als definitiv unsinnig oder unzweckmässig aufgegeben, zumindest aus dem Inventar der aktuell genutzten Wissensinhalte entfernt würde; niemand braucht, ohne solche Anlässe, aber auch nicht mit ihnen, zu wissen, welche konkreten Erfahrung je im einzelnen früher einmal zur Ausbildung dieser Wissensinhalte geführt hat.
162.
(EXKURS FORTS.) Die Art der Begründung mit Erfahrung oder der Bestätigung durch sie ist also höchst unterschiedlich auf einzelnen „Stellen“ der Normalpraxis (und das setzt sich so in die Kombinationen zu „Regionen“ und „Branchen“, die Ressourcenteilungen, fort); das gilt dann auch für die
A. „Widerlegungen“ (und die durch grundsätzliche „Widerlegbarkeit“ oder „erlebte Unbrauchbarkeit“ definierte „Erfahrungsabhängigkeit“ einer Praktik, oder eines Regularitäts-Wissens). Manche dieser Widerlegungen sind „schlagend“ – „es“, eine Praktik, funktioniert auf einmal in dramatischer Weise nicht mehr, wir sind bestürzt und ratlos, wissen erst mal nicht weiter, sollten es aber, und machen uns auf die Suche nach einer „Erklärung“, vielleicht auch nach Ersatz. Das Gegenstück zu dem so negierten „positiven“, und als solches ständig reproduzierbaren Wissen – normalerweise: Rezeptwissen – ist die in der Aufzahlung des letzten Abs. zuletzt genannte Schadensabwehr, wo wir es vielleicht lieber nicht drauf ankommen lassen, die zugrundeliegende kontrafaktische Überzeugung „Wenn nicht.. getan wird, dann geschieht folgendes Schlimme…“ zu überprüfen. (Die Aufdeckung, dass sich dabei etwas verändert hat, ist dann oft zufällig, man vergisst die Abwehr-Praktik, oder ist nicht imstande dazu – und nichts von der Art des Befürchteten ereignet sich…)
B. Erfahrungsabhängigkeit und -bestätigtheit/widerlegbarkeit kann somit – in dem genannten Sinn -„positiv“ oder negativ sein; die Regularität mag von selbst eintretende, natürliche sein, oder aber eine technische, in dem Sinn, dass sie sich nie „von allein“ realisiert, sondern immer irgendwo Handlungen von uns dazukommen müssen, um sie überhaupt zustandekommen zu lassen (wichtig im Zusamenhang mit Reserve-Wissen-wie);
C. des weiteren unterscheiden sich die erfahrbaren Regularitäten stark durch den Grad ihrer Präsenz (unabhängig von ihrer Handlungs-Abhängigkeit oder Relevanz) in unserer Alltags-Erfahrung: So, wie gewusst, unbeeinflussbare, nützliche (Homöostase-Bedingungen) oder auch indifferente und unverwertete Natur-Tatsachen können allgegenwärtig sein (Tag-Nacht-Rhythmus, Gestirne, Wetter), oder selten, an seltene Auslöse- oder Beobachtungs-Bedingungen und -Konstellationen geknüpft, zum Beispiel nur an abgelegenen, selten oder zufällig aufgesuchten Orten lokalisiert (so dass eine Veränderung nur zufällig und verspätet bemerkt wird).
D. Das Wissen, auch als Wissen-wie, mag ein mehr oder weniger präzises sein – die in der Regularität wahrgenommenen relevanten Beobachtungs-Parameter und ihre Verläufe mögen sich mehr oder weniger exakt, genau so, wiederholen (wenn sie stattfinden; andernfalls findet garnichts, jedenfalls nichts ähnliches, statt); oder in einer gewissen Schwankungsbreite variieren (die aber ihre präzisen Grenzen hat); oder zwar einen oder mehrere Häufungsschwerpunkte aufweisen, um die sie streuen, um sich in verschiedenen Randzonen abnehmender Ähnlichkeit mit den paradigmatischen Durchschnitts-, häufigsten oder mittleren Formen ihrer Ausprägung zu verlieren (dementsprechend mögen Erklärungen für Unzulänglichkeit bestimmter Einzel-Exemplare oder Einzel-Anwendungen aussehen: Es konnte nicht so wirken oder verlaufen, es war nicht die typische Form von…; man probiert es entsprechend öfter, um den Effekt eventuell kumulativ doch noch halbwegs zustandezubringen usw.); Ähnliches gilt für förderliche und ungünstige Randbedingungen, Konstellationen, „Einflüsse“, die einen Effekt oder Verlauf modifizieren, oder auch einmal komplett unterdrücken usw.
E. Dies alles berührt sich wiederum eng mit einer weiteren bekannten Unterscheidung, derjenigen zwischen implizit („vorbewusst“, leicht und jederzeit, bei Bedarf, Anlass, gegebnem Motiv „explizierbar“) und (jederzeit, ohne besonderen Anlass) explizit Gewusstem (hinsichtlich dass, und wie); manches kann ZU präsent sein, um gewusst zu werden, obwohl es ständig handelnd verwertet wird; diese Unterscheidung gilt dann auch für die Erfahrungsgehalte, und ihren Bezug zur Praxis; das heisst, selbst der Bestätigungs- oder Begründungsbezug zwischen bestimmten Erfahrungen, und Praktiken muss nicht feststehen oder bewusst sein, und eigens sich bemerkbar machen, oder thematisiert werden.
Zuletzt dürfen wir eine wichtige Tatsache nicht vergessen: Die meisten, auch relevante Praktiken, werden nur als solche tradiert; selbst die Entdecker und Erfinder selbst müssen ihren Adressaten die „Erfahrungsgeschichte“ ihres Entdeckungsweges nicht zur Gänze mitteilen; wieviel weniger spätere Überlieferer des tradierten Wissens: Hauptsache, „es“ funktioniert!
163.
(EXKURS FORTS.) Der Zusammenhang zwischen rechter und mittlerer Kolumne ist deshalb prekärer und vertrackter, als es auf den ersten Blick scheinen mag. – Schon die begriffliche Trennung der beiden Sorten Gehalt (die in einem Kernbereich des praktischen Rezeptwissens, dem des „ständig praktisch Betätigten und sich dabei Bestätigenden“ (und ausserhalb der Praxis, schon wegen der Handlungsabhängigkeit, garnicht selbständig beobachtbaren), spätestens für Normalplaner, kaum zu trennen sind) macht in manchen Bereichen Schwierigkeiten, produziert, wie wir zu zeigen versuchten, höchst unterschiedliche Verhältnisse zwischen „zugrundeliegendem Erfahrungswissen“ und der Art seiner „(Nicht)Anwendung“ oder (Nicht)Beachtung, Präsenz in der Praxis.
Die rechte Kolumne kann zunächst nur rein fiktiv, und in einem im einzelnen unbestimmt zu lassenden Sinn als Inventarisierung des „gesamten Erfahrungswissens gleich welcher Art“ angesehen werden, „von“ dem eine Normalpraxis abhängt, „durch“ das sie begründet und bestätigt ist, oder von dessen Modifikation oder Änderung sie möglicherweise tangiert, modifiziert oder sogar „widerlegt“ und beeinträchtigt wird. Weniger prekär als die Inventarisierung des ErfahrungsBESTANDS (den wir oft genug im Detail bloss postulieren) nimmt es sich aus, wenn wir die rechte Kolumne als Inbegriff der Erfahrungs(wissens)ZUWÄCHSE, zusätzlich zu einem mehr oder weniger zu erhebenden Ausgangs-Bestand an Erfahrungswissen, betrachten. Aber auch hier gibt es Probleme der Unterscheidung: Was erregt überhaupt die Aufmerksamkeit der betreffenden Normalpraktiker? Was SOLLTE sie (aus unserer Sicht) erregen, und inwiefern ist umgekehrt für uns nachvollziehbar, woran und wofür sie in dem, was ihnen begegnet, Interesse zeigen?
Und: Gehört die Umsetzung von Erlebtem und Widerfahrendem in „Wissen“, die Einordnung und Klassifizierung, noch der rechten, rein „kognitiven“ Kolumne an? Ist sie von den Gesichtspunkten der Relevanz (der praktischen Verwertbarkeit, und sei es auch bloss eines ästhetischen Interesses) abzutrennen? Und woher stammen solche Gesichtspunkte, wenn nicht eben auch, und ganz wesentlich, aus der bestehenden Normal-Praxis?
Man sieht, wie prekär sich dann auch der praktische Zusammenhang (und die ihm zugrundeliegende Trennung) darstellt, den wir zwischen den Gehalten der rechten und der mittleren Kolumne sehen; in vielen, wenn nicht allen Fällen gehören Zuweisungen von Gehalten zu bestimmten Kategorien nur unserer „rekonstruierenden“ Analyse an. – Aber vielleicht nicht nur; denn auch der Normalplaner unterstellt, wie virtuell und fiktiv auch immer, eine kumulierende Vor-Geschichte aus Erfahrungszuwächsen und -gewinnen von der Art derjenigen, wie sie auch ihm begegnen – eine Vor-Geschichte, auf der (unbekannt, wie im einzelnen) seine Praxis „beruht“. Auch er teilt mit uns die Auffassung, dass zumindest „im Prinzip“ die REGELN und Rezepte seiner Praxis, mit ihren Erwartungen, analytisch-regressiv in einen „zugrundeliegenden“ Erfahrungsstoff (von selbst sich aufdrängend, oder gesucht; mit mehr oder weniger Aufmerksamkeit und Interesse registriert, mehr oder weniger differenziert beschreibbar) und seine mehr oder weniger bewusste, begrifflich-klassifizierende, bewertende und konstruktiv-verknüpfende sekundäre BEARBEITUNG müssten zerlegt werden können; und dass diese regressive oder fiktiv-rekonstruierende Zerlegung wenigstens im Prinzip den Weg in umgekehrter Richtung zurücklegt, auf dem man zu dem betreffenden Praxis-Bestandteil (Stelle, Region, Branche) gelangt ist.
Zumindest liegen solche prinzipiellen „Fiktionen“ AUCH der Art und Weise zugrunde, wie man neu hinkommende Einzel-Erlebnisse, die er als modifizierende, oder gar widerlegende, vielleicht auch bestätigende „Erfahrung“ ansieht (auf die doch der Normalplaner, in unserer Darstellung sich ständig beruft!), an den schon vorhandenen, wie virtuell, implizit, analytisch und prekär auch immer sich zeigenden ErfahrungsBESTAND anschliesst. Und damit: Wie diese Zuwächse sich, vermittelt über das Trägheitsmoment der unbestimmt grossen Erfahrungsmasse, die sie ergänzen, sich auf die tatsächliche Praxis auswirken sollen. (Genau davon handelte ja die Neu-Deutung der Rahmen-Werte in Abss. 157ff.)
((Anm. In diesen einfachen begrifflichen Prinzipien mag die Vorstellung des Normalplaners wurzeln, dass seine Praxis das Resultat eines unübersehbar langen historischen Lern- und Erfahrungsprozesses sein müsse, „hinter“ dem ein im einzelnen nicht mehr einholbarer Gesamt-Wissenszuwachs und eine entsprechend ausgiebige Welt-Kenntnis steckt. Wenn er dies dann noch besonders naiv denkt, stellt er sich seine Praxis als aggregierte SUMME dieser Einzel-Wissenserwerbe und End- und Gipfelpunkt dieser Entwicklung vor, und sie sich zustandegekommen durch Zuwächse von der Art derer, mit denen ER seine gegenwärtige Praxis KORRIGIERT (in unbekannter Reihenfolge), deren Inhalt er sich durch Weglassen einzelner Stellen, Regionen, Branchen dieser seiner Praxis veranschaulicht. Er gerät dann auch in ein nicht geringes Staunen darüber, wie seine weniger weit gediehenen Vorgänger mit solchen Bruchstücken dessen, was bei ihm so rund und integriert erscheint, ihr Überleben sichern konnten. In einer weniger naiven Version desselben Gedankens macht er sich klar, dass auch sie wohl einen reproduktiven Ausgangspunkt gehabt haben müssen – vielleicht irgendwo „ausserhalb“ der jetzt bewohnten Region, die von dort aus langsam exploriert wurde. Aber auch in dieser Version vergisst er, dass seine Wissens-Verwaltung und die den Vorgängern unterstellte auf nichts weniger gerichtet ist als auf die Aufbewahrung von Erfahrungen und Erfahrungswissen als solchem – wieviel also an zwischenzeitlich erworbenem Wissen, auch und gerade um Eigenschaften der von ihm bewohnten Umgebung, wieder verloren gegangen ist, weil es (vorübergehend) nicht „gebraucht“ wurde. Zuzugestehen ist aber allen historischen Gesellschaften (und gilt das nicht bis heute?), dass Wissens-Speicherung und -Tradierung, kostspielig, und der Zugriff auf gerade „passende“ und für aktuelle Problemlösungen verwertbare Wissensbestände, und die Suche und Auswahl in solchem passiv behaltenen Wissen unter je sich ändernden Relevanz-Gesichtspunkten keine einfache Sache ist. Anm.Ende))
164.
(EXKURS FORTS.) Ganz gleich, ob nun der mittleren „Kolumne“ oder Seite, oder der rechten man es zuweist: Es gibt ein breites Übergangsfeld zwischen dem Gehalt der sehr präsenten, realen Normalpraxis, der „mittleren“ Kolumne, und dem mehr oder weniger realen bis fiktiven Bestand an „zugrundeliegender“ und „neu hinzukommender“ Erfahrung – der rechten Kolumne; dies Übergangs-Feld wird gebildet von den bereits mehrfach angesprochenen, mehr oder weniger „gereiften“ Stadien einer sekundären, klassifizierenden, bewertenden und technologisch, problemlösend-konstruktiven BEARBEITUNG des vorhandenen Erfahrungsstoffs; umgekehrt können wir die Abwandlungs-“Stellen“ jeder Ausgangspraxis ALS Problemlösungen, Resultat von Bewertungen und beruhend auf Klassifikationen auffassen, und die Abwandlungsmöglichkeiten auf diesen hintereinander gestaffelten („vertikalen“, von der der Mitte nach rechts hin angeordneten) Ebenen analysiert und artikuliert denken, bis hin zum eigentlichen, reinen (auch nur fiktiv darin enthaltenen) Erfahrungsstoff der rechten Kolumne. ((EXKURS ENDE))
Genau an dieser Stelle kann nun auch der Haupt-Gedankengang wieder aufgenommen werden, wo wir ihn am Ende von Abs. 161 unterbrochen hatten; denn hier ist anzumerken, dass in den „Stoff“ (neu hinzukommenden, oder ständig bewährten, oder kontrafaktisch unterstellten) der „Problemlösungen“, Bewertungen und Klassifikationen, soweit nur die Begründung oder Abwandlung der gegenwärtigen Praxis damit bestritten wird, die „Erfahrungen mit Belastungsspielräumen (durch Unerwartetes)“ noch nicht einfliessen: Selbst die ökonomische Risiko-Reserven-Kalkulation im Rahmen der Ausgangspraxis beruht nämlich auf ERWARTETEN Möglichkeiten, auf die man sich dann auch so einrichtet, dass Belastungen im Sinne der obersten Erfahrungs-Abteilung der rechten Seite nicht zu erwarten sind, nämlich der „Erfahrungen, dass es anders kommt als erwartet“ (8/86ff.), derart, dass es dann auf die „Stärke“ einer Angst oder Hoffnung (oder der Angst um das Gelingen eines gefährdeten Hoffnungs-Projekts) sehr ankommt, weil Reserven (Anstrengungen und Verzichte, vorübergehende Rückschläge der Reproduktion, verlängerte Risiken usw.), unter Umständen bis zum Zusammenbruch, mobilisiert werden müssen, wenn man weiter „durchhalten“ will. Nie würde man wissentlich, planmässig und „ohne Not“ eine solche Erwartungsaffekt- und Reserven-Ökonomie, Inbegriff des Unerwarteten, der Nicht-Routine und der Art des Umgangs mit ihr, der Gestaltung des NORMAL-Zustands und der gewöhnlichen Selbst-Erhaltung (solange sie „funktioniert“, und sei es auf noch so elementarem Niveau) zugrundelegen. Vielmehr beugt man (wie schon Ende Abs. 161 festgestellt) – soweit eine Normalpraxis überhaupt geplant werden kann – darin solchen Belastungen (sofern man sie kennt, nämlich hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit) vor – durch vorweg angelegte (und nicht erst nachträglich zu mobilisierende) Reserven. Umgekehrt gesagt: Man setzt eine Reproduktion oder einen Fortschrittspfad nicht von vorne herein so sehr unter Druck, dass sie/er nur durch solche „Mobilisation“ von Reserven überhaupt realisierbar ist. Warum nicht? Weil die „mobilisierten“ Reserven prinzipiell in längerer oder kürzerer Frist die Reproduktion des Kernselbst beschädigen – es sind „Überschüsse“ auf Kosten oder unter Niveau-Einbussen der Reproduktion des Kernselbst – ihre Inanspruchnahme mithin (vorübergehende, hoffentlich reversible) Annäherung an die Grenze der Reproduktivität des Kernselbst; zwischen das aktuelle Reproduktionsniveau und diese Grenze stabil und dauerhaft eine Distanz zu legen und sie zu vergrössern, ist aber das Ziel jeder Fortschrittsplanung – ein Fortschritt, der PLANMÄSSIG solche Einbrüche inkaufnehmen würde, würde sich selbst widersprechen.
165.
Er würde es tun, weil im Begriff der stabilen und als solche erhaltungswürdigen Reproduktion – genauer: Reproduktion des Kernselbst; denn um die geht es hier – die grundsätzliche Wiederholbarkeit, ohne Befristung, gedacht ist; Fortschritt, wie einmalig-produktivitäts- oder robustheitssteigernd (dies aber dauerhaft) er auch geplant sein mag, ZIELT auf die Sicherung dieser Wiederholbarkeit, ein Anheben der Wahrscheinlichkeit, dass sie gelingt; ohne Not (etwa zu vermeidender Stagnation) darf diese Basis und dies Ziel allen Fortschritts in ihm selbst also nicht aufs Spiel gesetzt und beschädigt werden, erst recht nicht plan- und routinemässig wiederholt.
Nun muss man zugestehen: Auch die Reproduktion des Kernselbst, die IN jeder erweiterten Reproduktion, dh. in der Reproduktion jedes erweiterten Selbst, mitenthalten ist, beruht auf Unwissen, und hat ein Verhältnis zum Rest-Unbekannten, und zu nicht gewussten und kontrollierten Bedingungen ihres Gelingens auf Dauer. Im Unterschied zu dieser erweiterten Reproduktion gilt sie aber TROTZ dieses Mangels an Kontrolle und Wissen als „HINLÄNGLICH“ fundiert, vor allem das ihr zugrundeliegende Wissen immer als „zureichend“ – zumindest, solange „es funktioniert“ (vgl. dazu nochmals die Bemerkung Ende 8/113: „Reproduktivität… wird sicher erwartet; Konvergenz hingegen gilt noch als keineswegs erreicht; dass neues Wissenswürdiges… zum Bestehenden hinzukommt, ist hingegen an gewisse Bedingungen… (sc. Anlässe usw.)… geknüpft.“) Das heisst, die fehlende Kontrolle ist nicht Ausgangspunkt tiefer Besorgtheit oder Vorsicht im Umgang mit Ressourcen, einer ständigen Alarmiertheit oder Wachsamkeit und Gefasstheit auf Katastrophen: Erst, wenn solche wirklich eintreffen, kommt es zu „Bestürzung“ und „Ratlosigkeit“ (8/88) (den Enttäuschungs- „Affekten“ (einem Angst-Sorge-, und einem „kognitiven“) im Zusammenhang mit dem Erwartungsaffekt im weiteren Sinne namens „Grundvertrauen“ in die reproduktive Richtigkeit (Zweckmässigkeit, Angemessenheit) unseres Tuns, unseres Wissen-wie, und unsrer Umgebung (8/87)).Warum ist das so? – Die Antwort hätte schon früher, im Umfeld der Erörterung des zweiten E/O-Paares (3E, 4O) (8/73-84) und des darin involvierten Erwartungsaffekts (8/87ff.), gegeben werden können, und wurde auch angedeutet; aber erst hier, nämlich im Zusammenhang mit der Frage, wie eigentlich die vertikalen Abteilungen der mittleren, und die der rechten Kolumne verknüpft sind – also eine Ausgangspraxis und das Erfahrungswissen, in dem sie (angeblich) fundiert ist, oder die Abänderungen dieser Praxis, und die Zusatz-Erfahrungen, mit denen diese Änderungen (vermeintlich) begründet werden können – : erst hier hat diese Antwort ihren angemessenen Ort.
(Stellen im vorausgehenden Teil dieses Kap., deren Gehalte im folgenden vorausgesetzt sind, wären zB. 42; 75; 77 Anfang (Nützlich, Schädlich); 87 Ende (2 Inhalte des „Grundvertrauens“) u.a.).
166.
Wir haben eigentlich zwei Zyklen, die in der Reproduktion sich verbinden, und über deren erfolgreiche Wiederholung (Erhaltung) wir im grossen ganzen KEINE Kontrolle ausüben: Sie muss einfach VON SELBST stattfinden.
a) Der eine ist die Erhaltung unseres Könnens und Wollen-Könnens (Handlungsspielraum, „Arbeitskraft“) ohne es zu beschädigen, überfordern, oder aussergewöhnlich zu belasten, durch die Art seiner Nutzung, bis hin zur Befriedigung von Bedürfnissen, dh. der Erfüllung der Reproduktions-Anforderungen (objektiv, subjektiv) dieses Könnens und Wollen-Könnens, und des Achtens auf die Grenzen seiner Nutz- und Verausgabbarkeit auf Dauer, mit gewissen Belastungs-Intensitäten, ohne Schaden (oder aussergewöhnliche Erholungs- und Regenerations-Anforderungen). Diese Leistung des Zusammenschlusses von Befriedigung oder auch „mit Wohlgefühl vereinbaren Lebensbedingungen“ und „für Wiederholung dieser Befriedigung, Aufrechterhaltung dieser Bedingungen zulänglicher Handlungsfähigkeit“ „im grossen ganzen“ wird, ganz ohne unser Zutun und Kontrolle, von unserem Organismus erbracht – zumindest im Zustand seiner „Gesundheit“, ja selbst im Fall seiner Krankheit, sofern er sie überwindet.
b) Der andre besteht in der „Selbst-und Konstant-Erhaltung“, zumindest des „durch keine uns mögliche Entnahme sichtlich auf Dauer Erschöpfbarseins“ aller Roh- und Ausgangsprodukte, vor allem auch der von uns benutzten Energiequellen, und der allgemeinen Rand-, vor allem Homöostase-Bedingungen unserer Umgebung, sowie der Bedingungsgefüge, auf denen unsere technischen Verfahren beruhen; man muss hinzusetzen: Konstant-Erhaltung „so wie uns bekannt“ – und falls nicht das, dann wenigstens: Veränderlichkeit nur innerhalb solcher Grenzen und Geschwindigkeiten, dass unser Wissenserwerb rechtzeitig angestossen wird und folgen kann (vgl. 4/4ff. (Wechsel der, und in einer Modalität); 5/1: die Welt „darf es den Änderungswilligen nicht zu schwer machen“ usw.).
c) Und diese beiden für sich bestehenden Zirkel erst werden durch unser Tun – in einer Weise, die ihrerseits höchst prekär und gefährdet ist – aufeinander bezogen: Derart, dass ein bereits weitgehend aus der Welt PRIMÄR Entgegenkommendes für eine Nutzung und Konsumtion durch uns SEKUNDÄR noch bearbeitet wird, dabei oft genug nur noch „zubereitet“ und verfeinert, angereichert, konzentriert, modifiziert werden muss – weil es, roh, grob, unmodifiziert auf- und weggenommen, da wo es „von selbst“ und natürlich vorkommt (und nur aufgesucht, eingeholt, abgenommen werden muss), auch schon genutzt oder konsumiert werden könnte: Früchte, (Heil)Kräuter, Fleisch, Äste, Höhlen, Stein- „Werkzeuge“, Pelze, Pigmente, Wärmequellen u.a.). Schliesslich wird, TERTIÄR, uns selbst und diese unsere Mittel Beschädigendes, Zerstörendes, oder ihr Von-Selbst-Zustandekommen und Wachsen Behinderndes unterdrückt, zurückgedrängt und möglichst dauerhaft beseitigt (die ersten Abss. des 1. Kap. handelten davon; grob und trivialerweise lässt sich all unsere Produktion auf solche allgemeinsten Momente zurückführen).
((Und was vom Herstellen, Kontrollieren und Unter-Kontrolle-Bringen des Sich-Selbst-Hervorbringens und -Erhaltens der Dinge gilt, gilt in fast gleichem Mass auch vom WISSEN, das solcher Kontroll-Fähigkeit vorausgehen müsste: Das meiste Wissen besitzen wir nicht (und wissen, über weite Strecken, nicht einmal, was wir da alles nicht wissen – was es zu wissen, was es zu kontrollieren, und was herzustellen gälte, um Vergleichbares, wie das Wetter, oder eine Tierart, selber zu „machen“). Wir wissen nicht, kontrollieren nicht, und stellen es auch nicht her; und die Natur, über die längste Zeit unserer Geschichte, ernährt uns DOCH…
„Die mannigfachen Gebrauchsweisen der Dinge zu entdecken ist geschichtliche Tat.“ – und zwar keine geringe; nur, dass wir auf diese mannigfach zu gebrauchenden Dinge und ihr Nachwachsen, und Von-selbst-Vorkommen (und so immer wieder Auffindbar-sein, wenn sich bisher genutzte Lagerstätten erschöpft haben) „auf Gedeih und Verderb“ angewiesen sind, solang wir sie nicht selber herstellen können – und selbst wenn wir es könnten, würde doch nur die Grenze weiter hinausgeschoben, zu Rohprodukten eigener Art, von denen dann nur zu hoffen ist, dass immerhin SIE in gebührender Masse vorhanden sind, und sich rechtzeitig regenerieren oder durch passend andre ersetzen lassen, „wenn sich bisher genutzte Lagerstätten erschöpft haben“. Wobei anzumerken bleibt, dass auch unsere Kapazitäten, alles (einschliesslich uns selber) aus allem, zumindest allem reichlich vorhandenem Elementarem, selber herzustellen, irgendwann an ihre Grenzen stossen…))
((Die wichtigsten (Handwerks- und Manufaktur-)Technologien auf den (noch immer vor-industriellen) Niveaus oberhalb von diesen sehr Naturstoff-abhängigen einfachsten Produkten drehen sich dann um die Gewinnung und Präparation formbarer Materialien, geeignete Formgebung, und Nachbearbeitung für die Nutzung: Metallgewinnung aus Erzen, Schmieden, Härten/Schleifen; Keramikgefässe, Ziegel; Kalkbrennen, Mörtel; Glas; Leder gerben; Garne spinnen und verweben; Konservierungstechniken; Bodenbearbeitung, Erhaltung und Wiederherstellung von Bodenfruchtbarkeit usw Die industrielle Technoligie ergänzt diese Vorgehensweise, abstrakt gesehen, durch wenige Zusatzmomente: Substitution von Naturvoraussetzungen durch „Kunststoffe“, Energiegewinnung, Maschinerie (die Arbeit ersetzt).))
167.
Das Grundvertrauen in unsere Umgebung: dass sie, mit IHREN Zyklen, und IHREN Anforderungen an uns, sich nicht feindselig und bizarr verhält, sondern uns, mit UNSEREN Zyklen (Rhythmen) und Bedürfnissen, entgegenkommt und sich kennenlernen lässt – dass es eine grundsätzliche, vorbestehende und von uns nicht erst zu schaffende ANGEMESSENHEIT von Welt und Kräften gibt – dies Vertrauen, das sich tagtäglich bewähren muss, oder diese Hoffnung, wo Zweifel aufkommen, ist Voraussetzung allen Produzierens und Sich-zu-Reproduzieren-Versuchens. Was hätten wir denn in einer tückischen, regellosen Welt zu suchen, mit der wir uns gewissermassen im permanenten Kriegszustand befinden? – Auch ohne dass wir uns schon vorab ganz bestimmt und selber kennengelernt haben, müssen wir uns drauf verlassen können: Dass, unsere Bedürfnisse zu befriedigen, wenigstens ungefähr auch unsere Handlungsfähigkeit erhält, und unser Weiterleben sichert; und ebenso: Dass die Natur um uns herum keine Sprünge macht, und auch ohne unser Zutun sich in ihr ungefähr das findet und immer wieder findet, was wir zum Leben brauchen; sich auch, ohne allzu grosse Umwege, als solches identifizieren lässt. Nur im Rahmen dieses „ungefähr“ kann unser Lernen und Arbeiten stattfinden – nur als Feinanpassung an die Umstände, und den (bei weitem, noch) nicht (vollständig) bekannten oder gar beherrschten Lauf der Dinge – nur als geschicktes Füllen NOCH bestehender Lücken, Lenken von ohnehin Stattfindendem zu unseren Gunsten, ein Noch-Günstiger-Machen des ohnehin Günstigen; auch als Ausweiten von Möglichkeiten gegen unnötige Einengungen, und als einfaches Ausschalten von Behinderungen und Beschädigungen – mithin als VERBESSERUNG einer Ausgangssituation, die für sich bereits uns, im grossen ganzen, ein Überleben ermöglichen würde. (Es ist nicht so, dass wir uns erst ein Überleben mühsam aus Einzelteilen zusammensetzen müssten; sondern umgekehrt: Da und dort bessernde Eingriffe in eine Umgebung, oder unseren Organismus, vornehmen, und an einzelnen Bedingungen angreifen – Nutz- und Schadbedingungen – ; während das grosse Ganze von selber weiter läuft, entweder gleichgültig gegen uns, oder zu unseren Gunsten; aber nie im selben Masstab gegen, wie für uns; nie chaotisch, und nie so, als müssten wir uns einen Körper, und die Umgebung als eine bewohnbare, allererst aus den Elementen heraus erschaffen und einrichten.
Dazu gehört auch: Dass wir, was immer geschieht, wieder müssen von vorne anfangen können, und uns, gerade auch im Neu-Anfang nach Zusammenbrüchen, auf dies Entgegenkommen der Welt, und unser grundsätzliches Zu-ihr-Passen, verlassen dürfen; erst das begründet die Zuversicht (oder besser: Sinn-Bedingung): Es funktioniert, wir wissen (vorerst) genug, und selbst wo nicht, kann uns nichts GANZ Schlimmes geschehen – wenn unsere Umgebung Sinn, und wir aus und in ihr etwas Sinnvolles machen sollen.
Anm. Es versteht sich, dass dies „urwüchsige“ Naturverhältnis einige einschneidende Modifikationen durchläuft, im Mass wie die umgebende Natur uns nur noch kulturell zugerichtet und bearbeitet begegnet (zunächst etwa in Kulturlandschaften; bis hin zur (bis auf Parks und Zoos) ausschliesslich mit Industrieprodukten gestalteten modernen Stadt). Sich zu solchen Modifikationen weiter wie einer Quasi-Natur verhalten, verlangt nach einer Beschreibung der Art: „…als ob es sich (noch immer) um Natur (im urwüchsigen Sinn) handeln würde“.
168.
Während Optimalhypothesen, welchen Inhalt auch immer sie haben mögen, gewissermassen am oberen Ende unseres Erwartungs- und Begriffshorizonts angesiedelt sind (oder auch dies Ende geradezu MARKIEREN), stellt die genannte „Zuversicht“, die gewissermassen all unsere Versuche einer Reproduktion und deren Erweiterung begleiten (können) muss, das in allen Optimalhypothesen, wie hoch auch immer sie zielen, als mit enthalten zu denkende geringst-mögliche Sub-Optimum dar – die Randbedingung schlechthin allen Lernens: dass wir dabei nicht vernichtet werden, und immer wieder eine Zukunft bleibt, in der wir unsere begriffenen Fehler unterlassen können. – Diese minimal „erlaubten“, oder vielmehr notwendigen Erwartungen („Postulate“) handeln von einem VERHÄLTNIS zwischen Umgebung – die sich, im Idealfall, als Teil einer mit unseren Mitteln durchschaubaren, und durch uns mögliche Handlungen technologisch „beherrschbaren“ Natur erweisen wird -, und Selbst – das sich, hoffentlich immer genauer, als eines mit bestimmten Fähigkeiten und Anforderungen an SEINE und seiner Fähigkeiten Reproduktion erweisen wird.
Die Umgebung wird, soweit Natur, diesen Regularitäten (Reproduktionsbedingungen und -fähigkeiten) des Selbst, soweit es reicht,
– erstens, schon als unerkannte weitgehend entgegenkommen – das (noch nicht in ALL seinen notwendigen Bestimmungen und (Reproduktions)Bedingungen erkannte) Selbst (soweit es reicht, mit seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen – letztere als Leitschnur für das, was es zu seiner Reproduktion tun muss und (physisch und mental) tun kann) wird auch von selbst sich in fast allen Wechselfällen seiner (Lern)Geschichte wenigstens am Leben erhalten, weil es (als Resultat eines Evolutionsprozesses; aber das ist nur Präzisierung, und braucht nicht bereits zur Formulierung des groben praktischen Prinzips, um das es hier geht, erwähnt werden) mutmasslich zu fast allen Umgebungen, in denen es sich findet (vorkommt), PASST;
– zweitens, diese selbe Umgebung (soweit usw.) wird eben diesem Selbst (soweit usw.) sich durch Dazulernen immer besser zu erkennen geben;
– wobei als drittes Prinzip noch hinzugefügt werden könnte: Beide Versprechen stehen nicht im Widerspruch – es ist, in diesem Verhältnis, und durch es, auch dafür gesorgt, zumindest darf es erwartet werden: dass die Lernprozesse (weder des Um-, erst recht nicht des Dazulernens) nie so schmerzlich sind, dass das Selbst dabei vernichtet wird; und: dass das bereits über die Welt (als Natur), und ihr implizites (dem Kernselbst (aber auch nur ihm!)) Entgegenkommen, Gelernte diesem Kernselbst nie solche Anforderungen auf Dauer stellen wird, dass es ebenso auf Dauer am weiteren Dazulernen gehindert wird, obwohl solches Dazulernen, durch die „Wiss- und Erforschbarkeit“ der Welt des zweiten Punktes, an sich möglich wäre.
Mit anderen Worten: Welt oder Umgebung, soweit Natur, und Selbst, soweit es reicht, stehen (das darf bis zur Widerlegung erwartet werden) von vorneherein in einem solchen Verhältnis, dass der ökonomische Anteil der Praxis, die unmittelbaren Tätigkeiten zu zweckmässiger, auch notwendiger Reproduktion und Produktion im Rahmen bereits vorhandenen Wissens, und der epistemische, die Art und auch Durchführung des Wissenserwerbs, einander nicht beeinträchtigen, vielmehr auf Dauer NEBENEINANDER möglich sind.
169.
Wenn wir das über das „minimale Suboptimum“ Gesagte weiter zuspitzen, läuft es auf folgendes hinaus: Wir und das Rest-Unbekannte, im besten Falle zu seiner eignen Erhaltung in seiner Umgebung befähigtes Selbst, und Natur, steuern zu dem GANZEN, das sie in ihrem (bis auf weiteres, als minimale Bedingung allen produktiven Tuns zu unterstellenden) Verhältnis bilden, je unterschiedliches bei: Das Selbst verkörpert die von Anfang an bestehenden und als solche bestehen-bleibenden SINN-BEDINGUNGEN, Bedingungen SEINER Erhaltung – nur so lässt sich ja überhaupt sagen, welches SEINE Bedürfnisse sind, denen es nachkommen, welches SEINE Fähigkeiten, die es nutzen kann, und welches wiederum deren Grenzen sind, die es beachten muss; es definiert dadurch auch, welches die Struktur oder ihr vorgelagerte Erhaltungsbedingungen sind, die ES erhalten (und die es allmählich genauer kennenlernen muss).
Natur, soweit die Umgebung eine ist, kommt IHM genau darin entgegen: erhält es, auch schon ohne sein Wissen und Zutun, und kann in diesem ihrem Entgegenkommen, ihren nutz- und bearbeitbaren Regularitäten allmählich kennengelernt werden, derart, dass noch verbliebene Gefahren ausgeschaltet, und das Basis-Entgegenkommen ausgebaut und optimiert werden kann.
Das Grund-Verhältnis beider ist ihr Zueinander-Passen; das von selber und mit „naturwüchsigen“ Mitteln bereits sich halten und erhalten Können des Selbst. WAS erhalten wird und dabei sich gleichbleibt, indem es die BEDINGUNG verkörpert dafür, dass „es“ „sich“ reproduziert: das ist das Selbst, die Sinn-Bedingung; das, was durch Dazulernen immer besser beherrscht und genutzt werden kann, obschon es von sich aus bereits einen haltbaren Ausgangspunkt darbietet, ist die noch unbekannte Umgebung (man erwartet nur, DASS sie es macht, aber in den allermeisten Hinsichten noch nicht, WIE).
Bei dem Selbst, von dem hier gesprochen wird, kann es sich allerdings nur um das Kernselbst handeln; denn wenn das Kernselbst ERWEITERT wird, dann immer um Stücke erst (durch Dazulernen) kennenzulernender Natur, für die andere Postulate gelten als für das Selbst.
Oder anders gesagt: Das erweiterte Selbst mit dem Kernselbst gleichsetzen oder damit verwechseln, heisst, die Grenze (den Unterschied der Postulate) zwischen Selbst und Natur IN DER NATUR SELBST ziehen; dem Selbst Natur-Bestimmungen oder Postulate zubilligen, und der Natur, soweit sie dem Selbst, als dessen Erweiterung, zugeschlagen wird, zu postulierende Selbst-Eigenschaften.
Wo genau man dann diese fehlerhafte Grenze innerhalb von (mutmasslicher) Natur, die sich nicht mehr an den ursprünglichen Abgrenzungs-Kriterien zwischen Selbst und Natur orientiert, ziehen soll, ist auch fraglich. – Nun finden wir uns ja eigentlich nie als nacktes Kernselbst, sondern „immer schon“ als erweitertes vor; und dann haben wir, durch die Möglichkeit der Verwechslung beider, auch das Auskunftsmittel zur Beantwortung der Frage.
Denn:
170.
Wir erweitern das Kernselbst zum erweiterten Selbst, indem wir ein Stück Natur (die empirischen Regularitäten, von denen wir Reproduktion und Fortschritt abhängig machen – zumindest zum Teil) hinzufügen. Dann wird, WAS es ist, und WAS Grundlage „seiner“, des Selbst Erhaltung, über das ABSOLUTE Kernselbst hinaus (für das nur eine absolute „Grenze der Reproduktivität“ gilt), durch weiteres Dazulernen bestimmt werden: Denn das ist, was Natur, nach dem Gesagten, zu einer solchen Struktur beisteuern kann. Jedoch statten wir, im selben Schritt, dies Was-immer-es-ist (als was und wie immer es, durch Dazulernen, immer genauer bestimmt werden wird) mit der „Würde“ aus, Moment des absolut erhaltungswürdigen Selbst zu sein. SEINE Mit-Erhaltung wird zur (jeweiligen) Sinn-Bedingung, und zum (jeweiligen) BEDÜRFNIS, an der sich alle produktive Aktivität (mit) zu orientieren hat; SEINE (jeweiligen) Potentiale (oder die durch es ermöglichten) zum verlässlichen Ausgangspunkt allen Planens; SEINE Erhaltungsbedingungen werden immer rechtzeitig (wie die Kernselbst-Reproduktionsbedingungen) gespürt und erkannt werden – ja, sie sind das Nächst-Kennenzulernbare, uns Meist-Bekannte überhaupt…
Denn die wichtigste Bestimmung kommt auch an dies Hybrid-Gebilde (in der jeweils letzten Gestalt, die es durch optimierendes Dazulernen angenommen hat): DASS es so, wie es ist, in SEINER Umgebung, erhaltungsfähig ist, auch ohne dass die Erhaltungs-Bedingungen bekannt oder beherrscht werden; die Rest-Natur (das Rest-Unbekannte) wird sich diesem, dem Selbst zugeschlagenen Bestandteil ihrer selbst, gegenüber ebenso entgegenkommend verhalten wie gegenüber dem reinen Kernselbst; zumindest ist dies, die Verwechslung einmal gemacht, „allgemeinste Sinnbedingung, Postulat, hypothetisches (Sinn)Minimum, Ausgangspunkt und Ausgangs-Voraussetzung allen (Dazu)Lernens“. Wenn aber nicht – wenn es mit dem so garantierten DASS nicht so geht, wie erwartet – hat man (im selben Schritt) hinsichtlich des WAS (nämlich wo die Grenze verläuft des erweiterten Selbst, das zugleich mit Kernselbst-Eigenschaften ausgestattet ist) wieder etwas dazugelernt…
171.
Erinnern wir uns nun wieder kurz an die Ausgangsfrage dieses Abschnitts unserer Überlegungen, nämlich in 8/161: „Da wäre vielleicht zunächst zu fragen: Wie greift denn die Normalpraxis auf Erfahrungs-Wissen und Erfahrungs-Reserven zu – welches ist IHR Verhältnis zur rechten Kolumne – der dreiteiligen Erfahrungs-Masse?“ („1.Teilfrage zur Beantwortung der „Leitfrage“) Soweit die Normalpraxis Kernselbst-Reproduktion und deren Erweiterung ist, entnimmt sie der „zugrundeliegenden Erfahrung“ (oder was als solche fingiert wird, vgl. 8/162) vor allem NOTWENDIGKEITEN: Homöostase-Bedürfnisse, Regularitäten, aus denen sich über Ketten von Handlungen regulär (wiederholbar) Befriedigungs-Quellen produzieren lassen, sekundäre Anforderungen solcher Produktionswege an äussere Bedingungen und Absicherung gegen Stör- und Schadensquellen. Innovation findet über – in diese unvollständige, aber verbesserungsfähige Reproduktion, oder besser in die Nischen an freier Zeit, mit frei nutzbaren Ressourcen ausgestattet, eingelagerte – Such- und Versuchsprozesse statt – also genau in der maximal-vorsichtigen Manier, die in 6/7-8 als typisch für Wissenserwerb unter einer Optimalhypothese beschrieben wurde; und tatsächlich können wir im nachhinein und aus der jetzigen Sicht die Reproduktion unter einer Optimalhypothese als beschränkt auf Kernselbst-Reproduktion, deren Erweiterung und Vorbereitung durch maximal vorsichtiges Forschen, ansehen – mit der maximal-vorsichtigen Zuversicht, die sich auf diese Reproduktion bezieht: das Kernselbst wird zur (ebenfalls unbekannten) Natur, dem Regulären und Erklärbaren in der Umgebung, soweit passen, dass auch Rückschläge nie zur gänzlichen Vernichtung, oder in Stagnation führen (es wird weitergehen, es wird wieder funktionieren, Stagnation kann überwunden werden); und: die Bedingungen, mit denen solche Rückschläge und Stagnationssituationen erklärt (und durch deren Unterdrückung sie vermieden) werden, werden sich früher oder später erkennen lassen; dies Erkennen und dafür nötige Forschen wird nie auf Dauer zur jeweiligen Reproduktion in solchen Widerspruch treten, dass die Wahl nur noch sein wird zwischen Vernichtung oder Unterlassen der Forschens (das wäre erst eigentlich das, was unter Stagnation zu verstehen wäre).
Betrachten wir jetzt die „horizontalen“ Abteilungen der Kernselbst-Reproduktion, und ihren „Zugriff“, im Sinn der Frage aus 8/161, auf Erfahrungsmaterial: Dann sehen wir, dass alle drei Abteilungen, das Wissen-wie, die gegenwärtige Kernselbst-Reproduktion, und eventuelle Fortschrittspfade, einschliesslich der in sie eingelagerten Forschungen, ausschliesslich zugreifen auf Regularitäten im Sinne von 1E und 3E; wohingegen die früheren Erfahrungen im Umgang mit „affektiv bedeutsamen“ (nämlich positiv oder negativ enttäuschenden) Überraschungen völlig unverwertet bleiben. Das Verhältnis, das die maximal-vorsichtige Erweiterung der Kernselbst-Reproduktion durch Forschung (über 1E- und 3E-Themen) zum Rest-Unbekannten, der mutmasslichen Natur, und damit zum Wissenserwerb (dh. der Forschungs-Tätigkeit) unterhält, ist nämlich durch die genannten „schwachen praktischen Postulate“ oder minimalen Suboptima oder Sinn-Bedingungen erst einmal hinreichend reguliert – in genau derselbenWeise, in der die Seite des „maximal vorsichtigen Sich-Reproduzierens“ unter Optimalhypothesen geregelt ist: Nämlich so, dass die „uneigentlichen Erwartungsaffekte“ (mit IHREN Formen der Enttäuschung: Staunen, Neugier; Bestürzung und (zugehörige) Ratlosigkeit) bereits den angemessenen emotionalen Rahmen bilden.
(Anm. Erst hier zeigt sich also, was in 8/99 angedeutet wurde: Dass der Unterschied von Kernselbst und Erweitertem Selbst auch anhand des Unterschieds zwischen uneigentlichen und eigentlichen Erwartungsaffekten erklärt werden muss/kann.)
172.
Ganz anders für ein erweitertes Selbst.
Bei der Reproduktion eines Kernselbst wird eigentlich garnichts erwartet; die minimalen Suboptima der vorläufigen Reproduzierbarkeit, auch ohne fortgeschrittenes Wissen, und der grundsätzlichen Erforschbarkeit der Welt, sind keine Erwartungen, dass es so (wie dann auch?) kommt; sondern vielmehr sind es objektive, quasi „transzendentale“ Randbedingungen (der Möglichkeit des) des Weitermachens, und wenn sie nicht erfüllt sind, muss man eben aufhören, und hat keine Chance mehr: Dann nämlich, wenn die Grenze der Reproduktivität des Kernselbst unterschritten wird.
Hingegen die Erweiterung über das Kernselbst hinaus, die ein erweitertes Selbst ausmacht, besteht geradezu in der Erwartung, dass ein bestimmter Fortschritt, ein bestimmtes vorläufiges („regionales“) Optimum erreichbar sein müsste, mit den Mitteln, über die dieses Selbst verfügt.
Ein Kernselbst hingegen, das sich nicht mehr vornimmt als, sich maximal vorsichtig weiter zu reproduzieren und seine Umgebung zu erkunden, mag über soviele Mittel verfügen, wie es will, und bei seinem vorsichtigen Versuch des Weiterlebens beliebig hohe technologische Niveaus erreicht haben – es wird sich der Möglichkeit jederzeitiger Rückschläge oder gar seiner Vernichtung, die aus dem Rest-Unbekannten drohen, bewusst bleiben – und sich entsprechend verhalten; treffen solche Rückschläge ein (in einem kognitiven Sinn: unerwartet), wird es sehr wohl bestürzt und ratlos sein; aber nicht ENTTÄUSCHT; denn es war darauf eingestellt.
Ein erweitertes Selbst hingegen ist auf Rückschläge eines bestimmten Ausmasses oder einer bestimmten Qualität nicht eingestellt, und nicht darauf vorbereitet, selbst wenn diese Rückschläge mit seiner Weiterexistenz vereinbar sind. Ein erweitertes Selbst ist enttäuschbar.
Man könnte dann sagen: Als Normalplaner erwartet man, von vorneherein mehr sein zu dürfen, als nur ein Kernselbst; die Frage ist nur: wieviel mehr. – Für Normalplaner macht diese Frage Sinn.
173.
Ich sage: Die Reproduktion und produktive Erweiterung eines (von vorneherein, als wäre es das Kernselbst) erweiterten Selbst ist, im Gegensatz zu derjenigen eines Kernselbst, enttäuschbar, positiv wie negativ; oder besser eben doch: überraschbar; denn zwischen dem ersten Anders-Kommen-als-erwartet, und dem endgültigen Sich-für-enttäuscht-Erklären liegen, oder können liegen, die für die eigentlichen Erwartungsaffekte typischen Belastungs-Anpassungen – der Einsatz der Reserve- und Belastungs-Spielräume aller Art; und das gilt für positive wie negative Überraschungen.
(Positiv: Ich bin auf bestimmte, sich plötzlich öffnende Optionen nicht eingerichtet, muss improvisieren; langfristig mag ich die kurzfristig zu mobilisierenden Reserven freimachen, indem ich Risiko-Vorsorge weniger streng betreibe, und in der Risiko-Vermeidung gebundene produktive Ressourcen freisetze.)
Nun unterscheidet sich die Reproduktion eines erweiterten Selbst darin nicht von derjenigen eines Kernselbst, dass in ihr solche Überschreitungen der Normal-Spielräume, die wir „Belastung“ nennen (und die ausserordentliche, nicht auf Dauer durchhaltbare Anpassungen, wie die der affektiven Reserve-Ökonomie erfordern), vermieden werden, wenn man vorher darum weiss; auch die Reproduktion und produktive Erweiterung eines erweiterten Selbst arbeitet mit den jeweils als verlässlich und dauerhaft reproduzierbar vorhanden unterstellten Ressourcen und Spielräumen – die Reserven werden NIE ohne Not genutzt. Das „überraschende“ Auftauchen einer solchen Not wirft deshalb die Frage auf, wie man sich auf Dauer angesichts der Überraschung verhalten soll. – Natürlich kann man sie ignorieren, und weitermachen wie bisher; und dies Ignorieren und immer wieder aufs neue die Reserven-Ökonomie in Anspruch Nehmen kann man sehr weit treiben – soweit, bis die Überraschungen eben keine mehr sind, sondern Ausdruck einer Regularität, auf die man sich einzustellen hat. Und man stellt sich ein, indem man sein erweitertes Selbst neu bestimmt; und dieselben Erwartungen hinsichtlich Haltbarkeit-auf-Dauer mit diesem – gegenüber dem ursprünglichen optimistisch erweiterten, oder pessimistisch geschrumpften – neuen erweiterten Selbst verbindet, wie mit dem ursprünglichen.
174.
Ich kann für die in der Enttäuschungsanfälligkeit zutagetretende Unter- oder Überforderung meines bisherigen erweiterten Selbst einzelne „Stellen“ (und deren Gestaltung) darin verantwortlich machen, oder grössere oder kleinere Teile und Branchen meines aktuellen Plans, bis hin zu „meiner ganzen Art zu planen überhaupt“ – meiner Art nämlich, angesichts von sich (im Verlauf des Dazulernens) ändernden Möglichkeiten immer wieder neu festzulegen, welche auf (erwartete) Fortschritte oder auch nur auf (erwartete) Dauerhaftigkeit zielende Produktionsweisen ich so behandeln will, als wären sie Anteile meines Selbst, nämlich als (bis auf weiteres) Sinn-Bedingung und unersetzliche Voraussetzung all meinen Planens.
Grundsätzlich habe ich zwei Möglichkeiten, auf Überraschungen (positive, negative Enttäuschungen) zu reagieren, nämlich durch – (hoffentlich nur) „vorübergehende“ – Anpassung im Rahmen des bisherigen erweiterten Selbst, oder durch Wahl eines neuen – eines entsprechend Richtung und Ausmass der Überraschung expandierten, oder geschrumpften. (Die Wahl muss dabei noch garnicht durch „Widerlegung“ des früheren Selbst erzwungen sein, also der Moment garnicht abgewartet werden, wo eine „neue“ Regularität es, nach vielen Anpassungsversuchen, „definitiv“, dh. „endgültig und hinreichend erwiesenermassen“ (in diesem Sinne „endgültig (nicht) bewährt“) unmöglich erscheinen lässt, das frühere Selbst als das „richtige“ zu behaupten, es vielmehr offensichtlich wird, dass dies frühere Selbst über- oder unterfordert war).
In beiden Fällen von Überraschung ist das Ausmass, in dem Belastung im Zusammenhang mit ihnen akzeptiert wird, ein Schätzmass: im Negativ-Fall das Ausmass (noch) tolerierter Belastungsaufwände zur Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung des ursprünglichen Zustands (um den man zwischenzeitlich fürchten muss); im Positiv-Fall das zur Herstellung der neu sich öffnenden Option (auf die man hoffen darf); in beiden Fällen zeigt somit die Bereitschaft zu ausserordentlichen Verzichten, Risiken und Anstrengungen das („gefühlte“) Mass der Lohnendheit des jeweiligen Zielzustands, des wieder oder des erstmals herzustellenden, an – und das Mass der Dringlichkeit (aber eben auch des Glaubens an die Möglichkeit), ihn zu erreichen.
Und nach dem, was wir oben in Abs.157-160 zur Deutung von „Lohnendheit“ gesagt haben, kommt in diesem unserem „Drang“ hin zu, oder unserem fortwährenden Beharren auf dem Zielzustand unsere Erwartung zum Ausdruck, dass sich aus ihm heraus sicher (die Ressourcen reichen unter allen Umständen) und gewiss (das Wissen reicht unter allen Umständen) ein Fortschrittspfad begehen lassen wird, der aus den gegebnen Umständen (um die wir wissen) das Beste macht. – Indem wir für diese Überzeugung verzichten, (vorübergehend) riskieren und uns anstrengen, zeigen wir, dass es sich hier eben nicht um eine Hypothese handelt, sondern um die nach unserer Auffassung den gegebnen Umständen am besten angepasste ERWARTUNG.
175.
Diese Erwartung und den zugehörigen Affekt (Erwartungsaffekt im eigentlichen Sinn!) haben wir natürlich immer noch, wenn wir den Zielzustand erreicht haben; die Belastungen, die wir auf uns nehmen, um ihn erstmals (wieder) zu erreichen, verwandeln sich dann in Inhalte von Anstrengungs- usw. -Bereitschaften für den Fall, dass etwas uns wieder aus diesem Zielzustand verdrängen und schlechter stellen möchte. Aber Ziel ist und bleibt dieser und gerade dieser Zustand nur, weil sich mit ihm die Erwartung einer für die gegebnen Umstände optimalen und letztlich haltbaren Stabilität verknüpft – einer, die uns auf Dauer die Begehung des zu ihr gehörenden Fortschrittspfades ermöglicht, OHNE ständigen Belastungen und Rückschlägen ausgesetzt zu sein. Finden solche dennoch statt, und häufen sie sich, dann ist diese unsere Erwartung natürlich in Frage gestellt; aber wie sehr, wie schnell? Wie lange sehen wir in diesen wiederholten Belastungen noch etwas Irreguläres (nicht hinreichend Reguläres, nicht hinreichend Relevantes), und ab welchen Ausmassen, welchen Auftretensraten eine Regel, genauer: eine Widerlegung unserer Annahme einer unter gegebnen Umständen (Randbedingungen) optimierten Robustheit zweiten Grades des gewählten erweiterten Selbst – Widerlegung der Annahme einer relativ optimalen Haltbarkeit der mit ihm sich verbindenden Erwartungen, was Ressourcenverwendung und relevanten Wissensvorrat (Kontrollniveau) angeht?
(Eine ähnliche Frage stellt sich natürlich, wenn ein nur allzu stabiler Zustand mit einer ständigen Bedrücktheit, ständigem Verzicht und geringen Aussichten sich verbindet, und wir aus dieser Misere heraus immer wieder mit verführerischen, wenn auch gefährdeten oder nur sehr prekär zu erreichenden Möglichkeiten konfrontiert werden, ihn zu verlassen…).
Und das betrifft nur die Entscheidung, wie lange wir an dem gewählten Anspruchs-Niveau unseres erweiterten Selbst festhalten, die Frage des OB, und die RICHTUNG, in die wir uns verändern sollten; ebenso drängend ist dann die Entscheidung, wie weit wir uns „vorwagen“ oder „zurücknehmen“ müssen; und ob dem Mass, das wir angesichts unserer Erfahrungen gern wählen würden, auch tatsächlich ein Realisierungsniveau, ein angemessen expansiveres oder vorsichtiger angelegtes Selbst und Reproduktionsniveau entspricht, und nicht eines, bei dem wir uns fragen müssen: Wir wollen zwar ein bisschen mehr riskieren – aber gleich SO viel? oder, Wir wollen diese und jene Aktivität eigentlich lieber aufgeben – aber uns gleich SO weit zurücknehmen, uns SO verarmen? DANN doch lieber erst noch weiter verzichten – DANN doch lieber erst noch länger kämpfen, und sehen, ob sich das belastete niedrigere, oder höhere Niveau nicht noch ertragen lässt (angesichts der sprunghaft schlechteren Alternativen)…
176.
Wann hören wir dann doch auf? Und wie weit sollen wir uns angesichts der Widerlegung unserer bisherigen Praxis (oder Strategie) verändern? Und wie sicher wollen wir uns der neuen Situation dann sein? Und wieviel wollen wir vorübergehend riskieren, oder inkaufnehmen, um diese erwartete Sicherheit endgültig herzustellen? – Es ist ja nicht so, dass jeder Rückschlag, jeder Glücksfall uns gleich aus der Ruhe brächten – wir wissen das durchaus einzuordnen, es sind Ausnahmen, im Fall der Rückschläge reparieren wir den Schaden, finden womöglich die Ursache, und beseitigen sie, oder stellen uns (mit geringfügigen Abstrichen am bisherigen Niveau) darauf ein; im Fall der Glücksfälle lassen wir uns nicht irritieren, nicht in Versuchung führen, wissen einfach, wo unsere Grenzen sind usw… Wie oft muss sich derartiges wiederholen, damit wir grundsätzliche Erwägungen anstellen, uns grundsätzlich neu orientieren?
Frequenzen spielen eine Rolle; aber eben nicht von einzelnen Ereignis-Arten, es sei denn, sie fielen ins Auge, und verbänden sich mit erkennbaren, zumindest mutmasslichen Auslöse-Bedingungen. Sondern immer geht es um die relative Häufigkeit (relativ zu unseren Kräften und Regenerations-Fähigkeiten; relativ zum Zeitraum, der seit dem letzten Mal verstrichen ist) von Rückschlägen oder Glücksfällen einer gewissen Grössenordnung; eben auf die Grösse der Be- oder Entlastung kommt es hier an, nicht auf die Art; denn der Art nach sind diese Ereignisse ja bereits längst eingeordnet: nämlich als auf unser Interesse bezogene – als Rückschläge, Glücksfälle.
Den Grund für die Gleichgültigkeit gegen die Art der Einwirkungen (es sei denn, sie sei augenfällig, und lieferte eine Handhabe zu ihrer Bewältigung) kennen wir seit dem 5. Kap.: Wir denken eben ausgehend von knappen Ressourcen aller Art, solchen, die eine Regenerations- oder Reproduktions-Zeit benötigen, wenn sie verbraucht sind, also knappe Grössen darstellen pro Zeit, und von denen andererseits eine grössere Zahl von reproduktiven Einzelaktivitäten abhängen (die um diese Ressource „konkurrieren“); als eigentlicher Grund der „Knappheit“ stellt sich dabei natürlich die Tatsache dar, dass wir unser erweitertes Selbst, mit dessen Reproduktivität auf Dauer wir hier rechnen, hinsichtlich seines Verbrauchs dieser Ressourcen „knapp“, statt maximal vorsichtig und grosszügig ausgelegt haben. Es ist dann gleichgültig, was uns be- oder entlastet, denn alles, was (und sei es in der Summe) als Be- oder Entlastung zählt, weil es auf Schlüssel-Parameter unserer Reproduktion einwirkt (oder im Mass, wie es das tut, im Mass, wie es Schlüssel-Parameter sind), hat dann eben, durch die zentrale und Schlüssel-Stellung dieser Parameter, globale Auswirkungen auf die Rest-Reproduktion, ändert ihre Robustheit. – Unser Reproduktions-Interesse, speziell, es auf DIESE Weise, mit DIESEM erweiterten Selbst (das, wenn es erfolgreich ist, bereits sehr robust hinsichtlich der Reproduktion des Kernselbst, und insgesamt sehr produktiv ist, verglichen mit Alternativen) zu realisieren, mag mit vielfältigsten Verläufen und Abwandlungen ursprünglicher Randbedingungen fertigwerden (gerade diese Robustheit (ihres Ressourcen- und Wissens-Vorrats angesichts unterschiedlichster Randbedingungen und Verläufe) und „Indifferenz-Breite“ eines Reproduktions-Niveaus, einer Produktionsweise, eines erweiterten Selbst zu messen, war die Funktion, die wir in 157ff. den Erwartungsaffekten zuschrieben); nie aber dürfen wir für ein erweitertes Selbst dieselben weitreichenden Reproduktivitäts-Erwartungen haben wie für ein Kernselbst – derart, dass IHRE Enttäuschung gleichbedeutend ist mit Sinnlosigkeit. Und wir haben sie auch nicht; was wir, in Gestalt der mehr oder weniger „knappen“ und „optimistischen“ Definition eines (bereits jetzt, wie ein Kernselbst, reproduktionsfähigen) erweiterten Selbst und daran sich knüpfenden Erwartungen hinsichtlich seiner Haltbarkeit auf Dauer (bei vorläufig noch zu behebenden, aber allmählich verschwindenden Schwierigkeiten) eigentlich tun, ist gewissermassen eine Art Wette mit dem Rest-Unbekannten – und wir wetten erneut, wenn wir verlieren, und glauben, aus unseren Misserfolgen lernen zu können (das hatten wir früher als Konvergenz-Erwartung bezeichnet).
177.
Nun könnte man die Versuchs-Strategie des Normalplaners einfach auf diesen Nenner bringen: Er versucht, vermeidbaren Belastungen auszuweichen (bei zu hoher Belastung durch ein zu anspruchsvoll definiertes Selbst weicht er aus in Richtung auf ein weniger anspruchsvolles; den Belastungen durch zu geringe Produktivität und Verzichte weicht er aus in Richtung auf ein expansiver definiertes Selbst, sobald sich eine Option dafür abzeichnet). Leider ist die Sache nicht so einfach. Denn hier zeigt sich jetzt, was es heisst, Wirken und Lernen nicht auseinanderzuhalten – genauer, die Prioritäten beider zu verwechseln; noch genauer: diejenigen des zu wirken und zu lernen Versuchens. Denn der Normalplaner kann angesichts von Belastung INNERHALB des jeweiligen Selbst reagieren, und ihr entgegenWIRKEN (oder es versuchen) – sowohl beim momentan überforderten, als auch beim zu wenig expansiven, vorsichtigen Selbst; oder, er kann die Belastung für eine erklären, angesichts deren alles Wirken verkehrt ist, und die nur noch als eine LEHRE dienen kann dafür, was zu vermeiden ist. Aber wann das eine, und wann das andre? Zur Beantwortung dieser Frage können wir die nächste Lern-Ebene eröffnen – und Erfahrungen mit Erfolg und Misserfolg verwerten, als wir eine der beiden Richtungen einschlugen (aber unter welchen speziellen Bedingungen?), oder die andre…
Aber auch innerhalb der beiden Grob-Richtungen des Versuchens bietet sich eine unendliche Auswahl an Möglichkeiten – Möglichkeiten, die Belastung zu ERKLÄREN (und daraus eine Vermeidungs-Versuchsstrategie zu entwickeln: ansetzend an dem Problem, das sich aus der Erklärung ergibt); bleiben wir beim ursprünglichen Selbst, können wir beliebige seiner Teile (Stellen, Branchen usw.) „versuchsweise“ verantwortlich machen; oder aber bisher nicht berücksichtigte Randbedingungen – bei deren gebührender Berücksichtigung das Problem verschwindet (sie nicht beachtet zu haben, war der „Fehler“); gehen wir zu einem andern Selbst über, bleibt zu fragen, was an dem ursprünglichen Selbst verkehrt war – WELCHE Lehre wir daraus ziehen sollen (in welcher Hinsicht haben wir dabei übertrieben? Zuviel verzichtet, zu wenig gewagt? Zu viel gewagt, zu unvorsichtig kalkuliert? Und: Zuviel, zu wenig angesichts von…?)
Und wir begreifen endlich auch, was Normalplaner unter einem „Anlass“ verstehen: Eine Belastung wird SICHTBAR (unmittelbar, oder indirekt, angesichts von verführerisch-besseren Optionen); der „Anlass“ dieser Art lässt uns auf unsere GESAMTERFAHRUNG im Umgang mit „(in irgendeiner Hinsicht) vergleichbaren“ Belastungen (empirisches Material 5 (E), Abs. 86) blicken: ihre Vorgeschichten (relevante Unterschiede oder Gemeinsamkeiten?), unserer damaligen Umgangsformen (Vermeidungsversuche) damit, der Erfolge, die das hatte – und was man, angemessen verallgemeinert (klassifiziert!), daraus für „Lehren“ ziehen darf für den vorliegenden, oder künftige Fälle. Schliesslich verstehen wir auch die Klage (zu der er mit Hypothese 2 hofft niemals Gelegenheit zu bekommen) : „Das zu erwarten, hat es keinen Anlass gegeben…“; die Situation entscheidet dann nämlich für ihn, und lässt ihm keine Wahl (dieser Art) – sie lässt ihn nichts lernen, und keine Lehren ziehen, zerschlägt ihm vielmehr sein Selbst, und wirft ihn zwangsweise auf ein andres zurück.
178.
Um ganz genau zu sehen, worin die möglichen „Erfahrungen“ bestehen, auf die der Normalplaner hier zurückgreift, wollen wir noch präziser sagen, welche Elemente zur positiven oder negativen Enttäuschung oder Überraschung gehören:
a) Ein ursprüngliches erweitertes Selbst: eine „Ausgangspraxis“, mit zugehörigem Vorrat an Wissen-wie und konstruiertem Fortschrittspfad (der kann zur Not auch nur aus Prinzipien bestehen, wie man sich verhält, wenn Fortschritts- oder auch nur Lern-Möglichkeiten sich einem anbieten); dies Selbst ist so gebaut, dass „normalerweise“ weder in seiner gegenwärtigen Reproduktion, noch in den Fortschritten gemäss seinen Prinzipien, Belastungen erwartet werden;
b) es tritt ein „Anlass“ auf, das heisst, so nicht erwartete oder aus Perspektive dieses Selbst nicht erwartbare Zwischenfälle („DARAUF hätte man vorbereitet sein sollen?“ „DAS hätte man im vorhinein suchen und versuchen sollen – aus welchem Grund?“) mit affektiven Konsequenzen, nämlich im Fall der positiven Überraschung neu hinzutretende, zuvor nicht geahnte (erst recht nicht gewusste) produktive Optionen, im Fall der negativen (re)produktive Lücken und Ausfälle (nicht geahnte, nicht vorhergesehene Wissens-, und dann auch Könnens-Lücken);
c) zum ursprünglichen erweiterten Selbst tritt, aufgrund dieses Anlasses, ein virtuelles, alternatives Selbst hinzu, das man anstelle des ersten wählen könnte, vor allem bereits früher hätte wählen können (ein Vorgehen, wie es zu diesem Selbst gepasst hätte, lässt sich spätestens im nachhinein für einen früheren Zeitpunkt vorstellen); freilich muss dies alternative Selbst so vorgestellt werden, wie es ohne die jetzt erst aufgetretenen Erfahrungen, zu dem früheren Zeitpunkt, hätte definiert werden müssen; ohne die jetzige Erfahrung könnte eine solche Selbst-Bestimmung (Bestimmung seiner, als eines erweiterten Selbst einer bestimmten Art) dann allerdings nur aus einer veränderten MAXIME (oder Regel) erschlossen sein, wie man (auch schon bereits bei einem früheren Erfahrungsstand, ohne den jetzigen Erfahrungszuwachs) allgemein sein (erweitertes) Selbst bestimmen, und von Erwartungen welcher Art man grundsätzlich dabei in gegebnen Typen von Erfahrungsständen ausgehen soll; diese Maxime ist eine andre, als die der Konstruktion und Wahl des jetzigen erweiterten Selbst seinerzeit zugrundelag; und der entscheidende Gedanke des Normalplaners in dieser Situation ist, zu erwägen: Ob man nicht, angesichts der neuen Lage, damals schon die andere Maxime, und ihr folgend auch dies andere erweiterte Selbst hätte wählen sollen – eines, mit dem man angesichts der mittlerweile eingetretenen Anlässe NICHT in eine Belastungs-Situation geraten wäre.
d) Die Frage ist natürlich, ob sich das im Rückblick auch so darstellt, und das neue Selbst auch da schon so unbelastet gewesen wäre – abgesehen von der Frage, ob man das damals schon (und wenn: woran?) hätte vorhersehen können; und dieselbe Frage stellt sich natürlich für beide alternativen Selbste (ursprüngliches wie neues), für die nähere und fernere Zukunft. – Das Ausgangs-Selbst stellt sich angesichts des „Anlasses“ als belastet dar – entweder als faktisch spürbar, weil es (unvorbereitet) in Schwierigkeiten ist (durch eine plötzlich aufgebrochene „Lücke“, unvorhergesehenes Risiko); oder als UNNÖTIG vorsichtig oder robust, unproduktiv („suboptimal“), durch – im Licht des neuen „Anlass“- Erfahrungswissens – unnötige Verzichte, oder Vorsorge-Massnahmen – also Fehlverteilung von Ressourcen.
((Noch anders ausgedrückt:
Soll man die bestehende Hoffnung aufrechterhalten, oder aufgeben – was ist belastender?
Soll man die weitergehende Hoffnung fassen, oder darauf verzichten – was ist belastender?))
Es ist, für die „Anlass“-Situation, entscheidend, dass sich beide Arten von Belastungen nach allem, was man weiss, hätten vermeiden lassen, wenn man früher anders (nämlich nach einer anderen Maxime der Selbst-Bestimmung, oder Planung: einer anderen Maxime der Festlegung eines erweiterten Selbst (des Sich-Entwerfens als ein solches)) entschieden hätte; natürlich nicht im Wissen, dass die „Anlass“-Situation eintreten würde – aber unter einer Maxime, die das erweiterte Selbst, oder den Plan, und das mit ihm von vorneherein verfolgte (und erwartete) Optimum wenigstens so bestimmte, dass darin mit einem Anlass DIESER ART gerechnet worden wäre.
179.
Die nähere Betrachtung zeigt uns also, was hier eigentlich ständig stattfindet: Natürlich, zunächst einmal, der permanente (Wirk)Versuch, nach bestem Wissen und Gewissen Belastungen zu vermeiden; nur, dass das vorhandene Wissen dafür leider nicht vollständig genug ist. Also ergänzen wir es durch Maximen, mit Verläufen welcher Art künftig zu rechnen ist – unter zwei Gesichtspunkten: Werden die Ressourcen reichen? Werden die Wissensreserven reichen? Ist, somit, der jeweilige Verlauf belastungsfrei bewältigbar – darf es, alles in allem, erwartet werden? Und darum findet GLEICHZEITIG und zusammen mit dem genannten (Wirk)Versuch der (Lern)Versuch statt, das Inventar der Maximen zur Bildung von Erwartungen – oder sollte man sie am Ende Hypothesen nennen? – (dazu)lernend zu verbessern. Diese Maximen müssen, wie man aus der Betrachtung des letzten Abs. einsieht, in einem gewissen Sinn erfahrungs-unabhängig, zumindest erfahrungs-übergreifend formuliert sein; im Fall der „Anlass“-Situation soll ja eine Maxime erwogen werden, die man auch schon früher, ohne diesen jetzt eingetretenen Anlass (aber vielleicht aus früheren, die bereits gereicht hätten, wenn man mit einer NOCH übergeordneteren Maxime darauf reagiert hätte?), hätte haben können – eine Maxime, die somit allgemeiner formuliert ist, als nur passend zu diesem Anlass, und sowohl hätte früher gelten können, als auch über den jetzigen Anlass hinaus; allenfalls, dass sie nach Bedingungen ihres Geltens eingeschränkt wird, dh. in mehrere Teil-Maximen für bestimmte Verlaufsformen aufgespalten, also differenziert wird. – Man ändert also vielleicht Maximen; oder man belässt sie; oder man differenziert sie aus. Immer aber haben diese Maximen etwas mit einer Abstraktion zu tun, über verschiedenste denkbare Belastungs- und Bewältigungs-Situationen hinweg, denen ein erweitertes Selbst, oder seine Alternativen, früher, gegenwärtig, zukünftig ausgesetzt war oder ist – objektiv, durch (tatsächlich eingetretene, oder erwartbare, oder selbst wenn nicht eintretend, nicht ausschliessbare usw.) mögliche Randbedingungs-Verläufe, auf die man mutmasslich keinen Einfluss hat, gleich welches Selbst man nun wählt; und „subjektiv“, durch gewählte, zumindest inkaufgenommene Situationen, in die man geraten ist, oder geraten würde oder könnte, weil man sein erweitertes Selbst (also seinen Plan) nun einmal so, und nicht anders bestimmt.
180.
Der Witz an diesem Versuch zu lernen ist, dass er nicht einmal im Ansatz gelingen, oder auch nur konzipiert werden kann, wenn man nicht ständig Abstraktionen der genannten Art, nämlich über verschiedene Erwartungs-Situationen hinweg, vollzieht – schon die allererste „Erfahrung“ dieser Art, woraus die Lern-Konsequenzen in Gestalt verallgemeinernder Maximen und Erwartungen (über Bewältigbarkeit und ihre Kriterien) gezogen werden sollen, beruht auf einer solchen Abstraktion: Es ist genau jener Typ Erfahrung, den wir zur Formulierung der dritten Optimalhypothese (optimalhypothetischen Konstanzerwartung) des Normalplaners unterstellen mussten (5E, 8/86ff.). Aber um hier genau zu sein, muss hinzugefügt werden: Es handelt sich dabei um eine GESAMT-Erfahrung, einen ganzen ErfahrungsSCHATZ; eine Gesamterfahrung und Erfahrungsgeschichte, die immer wieder, in ihrem Anwachsen, und angesichts ihrer neuesten Wendungen, daraufhin befragt wird, was sie an (als solche fortschreibbaren) Regularitäten, nur eben im Zusammenhang mit affektiv nicht erwarteten „Anlässen“, hergibt, sodass daraus zu lernen ist. Das heisst, dem Anspruch nach handelt es sich hier um ein Dazu-Lernen – nicht um ein blosses Um-Lernen, und passives Sich-Anpassen an eine regellos variierende Umgebung.
Die (vor allem epistemische) Erwartung, die wir mit dem Begriff „Konvergenz“ gefasst hatten, rechnet mit einer – und sei es auch noch so komplexen – verborgenen „Enttäuschbarkeits“- oder „Bewältigbarkeits“-Struktur der Welt, die wir durchschauen und benutzen lernen können. Die Abstraktheit der Maximen, und ihre Gültigkeit (und sei sie noch so differenziert nach Geltungs-Bedingungen) über verschiedenste Anwendungs-Situationen hinweg, bildet dabei, nach der (epistemisch-ontologischen) Erwartung des Normalplaners, einen OBJEKTIVEN ZUG DER WELT ab, für den es nur seine genauen Ausprägungen im Detail kennenzulernen gilt; derart, dass man sich in der Festlegung seines erweiterten Selbst darauf einrichten, und im Mass, wie man es (dementsprechend) „korrekt“ bestimmt hat, auch (in seinen Erfolgs-, dh. Nicht-(umsonst-)-Belastungs-Erwartungen) verlassen kann.