4. Lernregeln allgemein, und die Lernregeln des optimierenden Versuchens

1.
Wer aufgrund von Normalerwartungen lernt, lernt schon darum nicht durch Erfahrung allein, weil dabei die wichtigste Vorgabe seine Ausgangspraxis mit ihren Normalerwartungen ist; und die hat eine unübersehbar lange Vorgeschichte, die ihm gewiss nicht zur Gänze vor Augen stehen dürfte. – Da wäre also bereits etwas, was sich nicht unmittelbar, sondern nur im Prinzip auf reine Erfahrung reduzieren lässt. Das zugestanden, gilt allerdings: Die gegenwärtige Praxis ist, wenn schon nicht sicher erfahrungsBEGRÜNDET, so doch, nach allem, was die Planenden aufgrund von Normalerwartungen uns sagen werden, erfahrungsABHÄNGIG, weil durch Verlaufs-Erfahrungen mit dem Gebrauch der so vorgegebenen Normal-Praktiken und -Erwartungen in jeder nur erdenklichen Hinsicht KORRIGIERBAR (man kann UMlernen, wo sie fehlerhaft war, oder die Welt sich ändert; und: man kann sie erweitern, wo sie zu einfach und beschränkt war – man kann DAZUlernen).

2.
Freilich ist die Reichweite dieser Korrekturen begrenzt: Weil jede korrigierende, und unter diesem Gesichtspunkt überhaupt beachtete Erfahrung sich in das Rezept-Schema einfügen lassen muss – und, noch genauer, in die Rezept-Schemata der existierenden Normalpraxis.
Nämlich folgende:
– „(relevante, interessante) Situationen“, auch längere Ketten von ihnen (ganze Vorgeschichten), sind allenfalls interessant als „Umstände“: „Mittel“ bzw. „Könnensbedingung“ (wenn daran von uns gekonnte Handlungen zum Bewirken von Effekten ansetzen) oder „Anzeichen“ (wenn darin sich, von uns künftig (aber jetzt noch nicht, weil erst noch abzuwartende) zu ergreifende Könnensbedingungen (Chancen) oder zu berücksichtigende Schadensmöglichkeiten (Risiken) ankündigen); sie sind dies aber exakt für die Aufgabenlösungen, die in unserer Normal-Praxis nun einmal vorkommen – und vorkommen müssen, weil diese ja zu grossen Teilen Reproduktion und reproduktiver Kreislauf ist, und von daher nicht wesentlich unterbrochen werden darf;
– „(zu können lohnende, darum bei Bedarf auch zu versuchende) Handlungen“ sind immer nur Aufgabenlösungen, bezogen auf die nächstanstehenden Ziele (produktiv, reparativ), unter den gegebnen Umständen (Mittel, Anzeichen);
– „was zu erwarten ist“, über eine erfolgreiche Handlungsausführung (innerhalb der Schwankungsbreite aufgrund bekannter Risiken und Chancen) hinaus, ist allenfalls positive oder negative Nebenfolge dieses Handelns (ein Aspekt davon ist zugleich, was durch ein Handeln unterlassen wird, und die Folgen dieser Unterlassung); oder das was unabhängig von unserm Handeln als von selbst eintretend mit gewissen (u.U. bedingten) Häufigkeiten erwartet werden muss. (Man beachte auch hier die Abhängigkeit der handlungsbezogenen Erwartungen von der vorgegebenen Aufgabenstruktur!)

3.
Es lohnt sich, dieses praktische Kategoriensystem des „Rezeptwissens“ noch etwas genauer zu betrachten; denn in die Kategorien dieses Systems werden beim „Lernen aufgrund von Normalerwartungen“ alle anfallenden Erfahrungen eingeordnet.
Die allgemeinste Einteilung erfahrener Ereignisse, die dort vorkommt, dürfte die in folgende zwei Kategorien sein: wie erwartet (wie bisher, wie gewohnt, normal; das fällt alles zusammen)= Erwartungen bestätigend; und: anders als erwartet – genauer: ausserhalb dessen, womit man hätte rechnen sollen; und deswegen die Frage aufwerfend: Soll man, und wie, zukünftig mit „derartigem“ rechnen?
Hier wird die erste, wichtige Unter-Kategorie eröffnet: nämlich das zu Ignorierende – das, womit man nicht rechnet, auf dessen relative Häufigkeiten, Anzeichen, Ursachen man (noch) nicht aufmerksamzu sein braucht; und das aus bezeichnenderweise zwei völlig unterschiedlichen Gründen: a) weil es unberechenbar ist, oder b) weil es keinen Einfluss auf uns (in unserer vorgegebenen Praxis) Wichtiges hat.
Im Rahmen des Berechenbar-Einfluss-auf-Wichtiges-Ausübenden haben wir unterschiedliche Stufen der Kontrollierbarkeit (bzw. (Er)Kennbarkeit):
c) relative Auftretens-Häufigkeit oder -Verteiltheit als Ereignis (in gewissen Schwankungsbreiten, zu bestimmten Zeiten, an bestimmten Orten: als Disposition zu, bedingten oder unbedingt-spontanen Ereignissen des Eintretens oder Sich-Finden-Lassens, wenn wir mit bestimmter Intensität suchen, oder bestimmte (Maximal-)Fristen abwarten). Diese objektiven Schwankungsbreiten des Da- oder Soseins innerhalb gewisser Grenzen können ihrerseits an Bedingungen geknüpft sein, die nächsthöhere bis hin zu höchsten Kontrollierbarkeits-Niveaus begründen:
d) Einengung von Schwankungsbreiten oder Verteiltheit (räumlich, zeitlich), dh. erforschbare relative Häufigkeiten wie in c), können speziell auftreten  in Abhängigkeit von Erwartungs-begründenden Bedingungen= Vor- und Anzeichen , im folgenden Sinn: die Art der Anzeichen begründet, ohne dass erst Erfahrungen dieser Art gemacht werden müssten, die berechtigte Erwartung einer (relevanten, überdurchschnittlichen oder überhaupt beobachtbaren) Häufung von Ereignissen nach c)); Anzeichen sind früher und leichter zu finden als das Angezeigte, oder gehen ihm in einer Weise voraus, die Vorbereitungen ermöglichen (ein Spezialfall ist das Sich-Selbst- bzw. seine eigene Fortsetzung Anzeigen eines bestimmten, präzisen Verteilungs- oder Verlaufs-Musters);
e) bedingte, ein- oder zweiseitige Beeinflussbarkeit (Unterdrückbarkeit; oder Verstärkbarkeit; oder beides): einige Anzeichen nach d) sind überdies Dispositionen, derart, dass, wenn sie durch uns oder Spontan-Einwirkungen über bestimmte (kennenzulernende) Grenzen hinaus verändert werden, dies die relative Häufigkeit des ohne solche Veränderung regelhaft auf sie Folgenden (und deshalb durch sie zugleich Angezeigten) herabsetzt oder es ganz zum Verschwinden bringt (das ist wichtig zur Schadens- und Risikobekämpfung); oder aber Eintreten oder Erhöhung der Auftretenswahrscheinlichkeit eines oder mehrerer Ereignisse einer erwünschten Sorte herbeiführt; oder beides. Das Bestehen oder Aufhören der Dispositionen selbst kann von uns nicht beeinflusst, sondern muss abgewartet und an den, ihr Bestehen anzeigenden Merkmalen erkannt werden (bestenfalls gibt es Vorzeichen für ihr Eintreten oder Aufhören, oder Anzeichen, die die Suche nach ihnen erleichtert);
f) Kontrollierbarkeit („Gekonntheit“; jederzeit mögliche Beeinflussbarkeit): Fähigkeiten (i.w.S) sind bedingt dauerhafte Dispositionen; die Bedingungen ihrer Dauer oder (Wieder)Erzeugung sind Bedürfnisse (oder Reproduktionsanforderungen für Fähigkeiten) i.w.S. Die Gesamtheit der Fähigkeiten macht unseren technischen Handlungsspielraum oder (wenn wir den Gesichtspunkt betonen wollen, dass wir darum wissen müssen) unser  „Wissen-wie“ aus. Alles andere: Ereignisse, Zustände und spontan auftretende und verschwindende Dispositionen im Rahmen von Schwankungsbreiten und Verteilungen, bestenfalls angezeigt durch Vor- und Anzeichen, sind als solche unbeeinflussbare und „von selbst so seiende, entstehende, sich ändernde“ „Umstände“ oder Rahmenbedingungen. (Die Kunst der Reproduktion besteht darin, solche Anteile unserer Gesamt-Fähigkeiten auszuwählen, deren Nutzung, im Verbund mit den zum jeweiligen Zeitpunkt tatsächlich herrschenden (und durch Suchen (oder aufmerksames, „suchendes“ Warten und Beobachten am richtigen Ort), oder anhand An- und Vorzeichen zu erkennenden und erwartenden) Rahmenbedingungen, Effekte hervorbringt, durch die die Bedingungen der Dauer oder (Wieder)Erzeugung (am rechten Ort, zum richtigen Zeitpunkt) eben dieser Fähigkeiten erfüllt werden.)

4.
Diese sogenannten Unterkategorien, nennen wir sie: Modalitäten, kommen nun aber in beiden Hauptkategorien für Einzelerfahrungen (erfahrene Episoden: Ereignisse, Dauern) vor: Sowohl in „wie erwartet“, als auch in „anders als erwartet“. An den Ereignissen „wie erwartet“ greifen naturgemäss die Regeln bzw. Pläne unserer Normalpraxis an (die damit, genauer, als System von praktischen Regeln (nach dem Rezept-Schema) bestimmt ist: als System des „Wissens-wie“, angewandt auf einen Bestand momentan bekannter Rahmenbedingungen oder Umstände („Wissen-dass“)); an den anderen solche, die wir als LERNREGELN bezeichnen wollen: Sie besagen, was getan werden soll, wenn etwas anders kommt als erwartet. Woraus ersichtlich ist, dass Lernregeln, so definiert, ein System von Erwartungen voraussetzen.
Man könnte darin einen Mangel unserer Definition sehen; denn ein wichtiger Teil von Lernregeln („Regeln des Forschens“) müsste sich doch auf solche Situationen beziehen, in denen man einfach noch nichts weiss, also auch nichts bestimmtes erwarten kann. Diese Diskussion werden wir später zu führen haben, aber nicht hier; denn die vorliegende Art zu lernen ist ja – ob zurecht oder nicht, das ist noch nicht endgültig entschieden – dadurch ausgezeichnet, dass sie immer Erwartungen, eben „Normalerwartungen“ hat; solche also, die positiv oder negativ enttäuscht werden können; derart, dass Lernregeln für diese Art zu lernen, dh. Wissen zu erwerben, existieren sollten, die sagen, wie man in diesen Fällen weitermacht.

5.
Der wichtigste Unterschied innerhalb der Kategorie „erfahrene Episode, anders als erwartet“ wäre: „andere Modalität, als erwartet“; vs. „anders als erwartet, in der gleichen Modalität“.
Damit verbinden sich jeweils unterschiedliche „Enttäuschungen“: Im zweiten Fall vor allem eine der Gewissheit und Gewusstheit – hier wird die Frage aufgeworfen: Wieso waren wir uns so sicher? Sollen wir uns jetzt sicher sein? Ist die überraschende Erfahrung eine Ausnahme, oder eine neue, und ab jetzt gültige Regel (bzgl. zu erwartender Schwankungsbreite, Anzeichen, Verhinderungs- und Erzeugungs-Bedingungen); und wenn: darum, weil sich in der Welt etwas geändert hat (woran hätte sich das erkennen lassen (Anzeichen)? Wäre die Veränderung (falls unerwünscht) unter Umständen (welchen?) zu verhindern? oder (falls erwünscht) herbeizuführen? Oder waren wir bloss voreilig sicher? Und wenn: Welche Folgen soll das für unseren zukünftigen Umgang mit Gewissheit und Ungewissheit haben (wieviel wollen wir, etwa in Gestalt von unspezifischer Reservenbildung für den Fall, dass es eben doch anders kommt oder ist, als es scheint, in Zukunft aufwenden?)?
Im ersten Fall aber steigen wir zusätzlich, durch die überraschend andere, neue Erfahrung, wenn sie sich als dauerhaft bestätigen sollte, in der Skala der Berechenbarkeit „unerwarteterweise“ auf oder ab, werden somit (im Aufwärts-Fall) positiv oder (im Abwärts-Fall) negativ enttäuscht.
Im zweiten Fall ist die Überraschung verbunden mit einem Verlust an Gewissheits-Sicherheit – verbunden mit praktischen Konsequenzen der genannten Art (veränderte Reserven- oder Aufwands-Kalkulation für verlängertes (weil u.U. länger, als bisher, für lohnend zu haltendes) Versuchen (das kann, speziell beim „versuchsweisen“ und experimentellen Umgang mit Risiken, sich darstellen als „grössere Vorsicht“).
Im ersten Fall ist das eigentlich garnicht anders; nur, dass hier – je nachdem, welche Bedeutung die betroffenen Praktiken für unsere Reproduktion und Produktion haben – die „gestörte“ Gewissheit mit einem Dringlichkeitsfaktor gewichtet wird: Mehr zu wissen, vor allem mit mehr Sicherheit, kann entscheidend sein – weil eben jene Grenze überschritten wird, ab der plötzlich sehr viel weitergehende Projekte lohnend, also mit unsern Ressourcen erreichbar scheinen; oder, weil Aufwände und Risiken sonst in einem Mass wachsen könnten – Schwankungsbreiten oder Verteilungen ungünstige Extreme aufweisen, oder sich verlagert haben; Vorhersehbarkeit unsicherer, Unterdrückbarkeit, Erzeugbarkeit ­sich als soviel schwieriger herausstellen, als erwartet – , dass wir unsere Vorstellung von Lohnen und dem bestenfalls für uns Erreichbaren deutlich zum Schlechteren korrigieren müssten.

6.
Hier ist nun zu erinnern an das, was unter dem Stichwort „INTERNE Verknüpfung der Entscheidungsparameter“ in 3/21 gesagt wurde. (So, wie dies alles hier das Ende Kap.2 über den Umgang mit Überraschungen Ausgeführte vertieft und präzisiert.)
Es stellt sich dann eigentlich so dar, dass der alle andern bestimmende und an Bedeutung überragende Entscheidungsparameter der des „Lohnens“ ist: im Sinne des – sei es mit mehr oder weniger Gewissheit, sei es hypothetisch – für maximal mit vorhandenen Mitteln und Ressourcen, unter – mehr oder weniger gut bekannten, oder hypothetisch einstweilen angenommenen – Umständen, Randbedingungen MAXIMAL, BESTENFALLS ERREICHBAREN.
Dazu gehört auch das im schlechtest anzunehmenden Fall einer solchen Maximal-Option eben noch Erreichbare – das Mindest-Maximum oder -Optimum; wenn nicht sogar (bei maximal vorsichtiger Planung) dies Mindest-Maximum der eigentlich Wert ist, an dem sich die Wahl des best-möglichen Plans orientiert. Denn der Begriff des Best-Möglichen oder Best-Vorstellbaren (unter gegebnen Umständen und Ressourcen) ist, wie sich hier einmal mehr zeigt, mehrdeutig und unmittelbar abhängig gemacht von Risiko-Überlegungen; und obendrein von Gewissheits-Schätzungen – Schätzungen des Ausmasses der Bekanntheit, Ignorierbarkeit, Häufigkeit, Vorhersehbarkeit, Beeinflussbarkeit, Erzeugbarkeit in unserer Umgebung, der subjektiven Sicherheit, mit der dies gewusst wird, und der objektiven Verlässlichkeit dieser Grössen und Praktiken; schliesslich ihre Bedingtheit bzw. Beherrschbarkeit durch ebensolche Grössen und Praktiken zweiter Ordnung, die ihre Veränderung regulieren usw.).
(Un)Gewissheits-Schätzungen im weitesten Sinn aber schlagen, wie bereits die Überlegungen oben zur „rein epistemischen“ Überraschung (dem zweiten Fall“ im vorhergehenden Abs.) zeigten, als Aufwands- und Reserven-Bildungs-Regeln zu Buche; und wirken sich, durch die „interne“ Verknüpfung mit dem „lohnenden“ (dh. zur Zeit gültigen Minimal-Besten bereits verbundenen) Gesamtaufwand, auf die Frage aus, ob mehr oder weniger Bestes gekonnt wird und also dem Planen als Ziel vorzugeben ist als bisher.

7.
Betrachten wir das noch etwas mehr im Detail, und fragen uns, anhand unserer Unterteilung, welche möglichen Arten von Überraschung welche mögliche Konsequenzen haben könnten.
Bereits Änderungen innerhalb einer Modalität ((also zB. der spontane, innerweltliche Übergang zu einem Zustand, worin sich ein Ziel(-Ereignis, -Zustand, -Disposition) nur mit einer alternativen Technik, also einem alternativen Wissen-wie und Können produzieren lässt)) sind ja zunächst von einem Verlust der Kontrollfähigkeit mit Bezug auf dieses Ziel (diese Aufgabe) nicht zu unterscheiden. Der Unterschied zu einem solchen Verlust zeigt sich erst angesichts von Versuchen, die frühere Kontrollfähigkeit, das frühere Können wieder herzustellen; man hat die alternative Technik entweder bereits jederzeit erprobbar bereitliegen, oder muss sie konstruieren, und dann erproben; und in diesem Fall wird sie sich erfolgreich benutzen lassen. Dennoch stellen solche Fälle eine Einbusse in unserem Können dar; VOLLKOMMENE Kontrollfähigkeit hätten wir erst, wenn wir nach Belieben sogar noch die Situationen, die die Anwendung der einen, oder anderen Technik erfordern, wählen und herstellen könnten (es erlaubt uns eine etwas grössere Wahlfreiheit, auch gegenüber Verlusten: stärkt ein klein wenig unsere passive Robustheit in dieser Hinsicht); etwas geringere, wenn wir Bedingungen finden, die wir aber nicht selbst herstellen können, unter denen wir solche Übergänge bei Bedarf auslösen können, wenigstens in eine Richtung; noch geringere, wenn wir einen solchen Übergang (der vielleicht auch eine Umstellung erfordert, auf die wir nicht ständig vorbereitet sein wollen) dauerhaft verhindern können, oder spätestens, wenn er sich anzeigt; noch geringere, wenn wir den Übergang nicht verhindern, aber anhand von Anzeichen (auch in Gestalt von Mustern für Häufung, also Erhöhung oder Verringerung der Wahrscheinlichkeit solcher Übergänge, in Abhängigkeit von früheren) wenigstens annähernd rechtzeitig vorhersehen können, sodass wir dann die alternative Technik vorbereiten können, und es keine allzu langen Unterbrechungen gibt; und noch geringere, wenn wir halbwegs bescheid wissen darüber, wie oft wir überhaupt mit solchen Übergängen rechnen müssen.
An sich mögliche Kontrollfähigkeit tritt hier unter Bedingungen, die wir im besten Fall kontrollieren können, im schlechteren Fall aber nicht. In jedem Fall werden uns durch spontane Übergänge in derselben Modalität Nachforschungen und Versuche für Umlernen abverlangt, um die Art der Beherrschbarkeit auf neuen Grundlagen herauszubekommen; selbst wenn es solche Grundlagen gibt, kostet uns das Zeit (was es üblicherweise in solchen Fällen an Aufwand kosten kann, den jeweiligen Ausgangszustand auf neuen Grundlagen wieder herzustellen, ist selbst eine empirische Grösse); selbst im Fall des einfachen Abwechselns zwischen nur zwei Formen haben wir Grund, die Bedingungen des Übergangs in der beschriebenen Form unter Kontrolle zu bekommen oder wenigstens vorhersehen zu lernen (das gilt auch für Übergänge auf Modalitäten unterhalb der Stufe der Kontrollierbarkeit). Und je häufiger sie werden, je öfter dabei immer wieder auch unbekannte (wenn auch immer noch in derselben Modalität gelegene) und allererst zu ermittelnde Grundlagen für dieselbe Art Beherrschung von Effekten im Rahmen einer Aufgabenlösung eintreten: desto mehr nähert sich dieser Verlauf einem völlig unkontrollierten, unberechenbaren und unbeherrschbaren an.

8.
Um so mehr gilt dies für Abstiege in der Modalitätenreihe, also überraschende Verluste an Kontrollfähigkeit. Wo vorher jederzeitiges und beliebiges Können war, treten auf einmal einschränkende, nicht kontrollierte Bedingungen ein; wo vorher wenigstens noch Bedingungen (und Anzeichen dafür) waren, haben wir plötzlich immer wieder überhaupt keine Einwirkmöglichkeiten (auf Günstiges, um es herbeizuführen, auf Ungünstiges, um es zu verhindern), nur noch Vorzeichen, um uns darauf einzustellen; wo Vorzeichen waren, die sicher warnten und anzeigten, müssen wir uns auf einmal auf Warten und Suchen einstellen – können uns nur noch auf Wissen um die relative Häufung  von Schäden, oder erfolgreicher Suche an bestimmten Orten, zu bestimmten Zeiten verlassen; oder wo solche zeitliche, örtliche Häufung auftrat, sehen wir uns zuletzt konfrontiert mit einer völligen Unberechenbarkeit ausser in der einen Hinsicht: dass die betreffenden Ereignisse sich noch immer innerhalb gewisser Fristen des Wartens (egal wo) oder Suchens eingestellt haben, sofern sie überhaupt auftreten. Jenseits dieser letzten Art von Erwartungen herrscht nur noch Unberechenbarkeit: Wir wissen nicht mehr, ob überhaupt, und wenn, wie häufig wir mit Ereignissen der betreffenden Art rechnen sollen.
Die Verschärfung gegenüber dem Übergang IN einer Modalität besteht hier darin, dass unser Können dabei jedesmal ab-, und unser Risiko (Risiko des Fehlschlags, des Nichtzuwegebringens einer benötigten Aufgabenlösung und der damit verbundenen Aufgabenzweige unseres Plans) zunimmt. Wir können dann Mittel anderswo abziehen; oder das Risiko tolerieren; in jedem Fall erleiden wir Einbussen gegenüber dem früheren Zustand, die die Frage aufwerfen, ob wir – zurückgeworfen in unserem Reproduktionsniveau – eine andere Strategie verfolgen sollen, oder das frühere Niveau wiederherzustellen versuchen – aber mit wieviel Aufwand?
Denn hier erst recht sind wir gezwungen, uns der Bedingungen zweiten Grades zu vergewissern, die den Verlust eines uns vormals Möglichen ermöglichten und ihn ERKLÄREN: Warum wird etwas plötzlich häufiger oder seltener? warum verschwindet es, oder häuft sich plötzlich an bestimmten Orten oder Zeiten? Warum ist die Verbindung zwischen einem Anzeichen und dem Angezeigten verschwunden? usw. Und die einzige Hoffnung gegenüber einem ganz offenen und hoffnungslosen Experimentieren ist dabei: dass es ja früher einmal möglich war, und sich vielleicht wieder so einrichten lässt. – Aber wie sehr soll uns das motivieren (immer mit Blick auf mögliche Aufwände für solche Wiederherstellungs-Forschungen und Experimente)?

9.
Wir sagten: Modalitäts-Abstiege sind Verluste; Beherrschung von Bedingungen höheren Grades bedeutet in gewissem Umfang Eingrenzung und Beherrschung des Risikos solcher Verluste; freilich nie ohne Steigerung des Aufwands; wie immer im Fall zu beherrschender Risiken.
Modalitäts-Aufstiege sind Zugewinne an Produktivität, Beherrschbarkeit, usw. Auch hier gibt es Fragen nach Bedingungen zweiten Grades, wenn wir an innerweltliche Änderungen für den Aufstieg glauben; schon allein darum, weil jede Besserung auch Fragen nach ihrer Verlässlichkeit, den Bedingungen ihrer Aufrechterhaltung, aufwirft. Aber die Frage kann hinsichtlich all unserer Errungenschaften gestellt werden, ganz gleich, wie lange wir schon darüber verfügen: Könnte nicht alles wieder verloren gehen? Könnte nicht alles unter Bedingungen stehen, deren wir uns vergewissern, die wir kennen- und beherrschen lernen sollten? Es ist eine Frage, die durch die schiere Veränderlichkeit unserer Verhältnisse aufgeworfen werden kann – und das in unmittelbar verallgemeinerbarer Weise:
Auf welche Zugewinne an Beherrschbarkeit dürfen wir hoffen?
Mit welchen Änderungen (Variabilität in den Randbedingungen gleicher Modalität unserer Produktion und Reproduktion) sollten wir rechnen?
Auf welche Verluste in der Beherrschbarkeit dieser Randbedingungen müssen wir uns einstellen?
Es ist dabei  ganz gleichgültig, ob wir Zugewinne, Änderungen, Verluste innerweltlichen Änderungen (mit dahinterstehenden, kennen- und beherrschenzulernenden Bedingungen), oder aber (noch) mangelhafter Bekanntheit mit vorhandenen Bedingungen zuschreiben: Immer stellt sich, parallel zu den genannten drei Fragen, die entsprechende praktische:
Wie lohnend wäre Aufwand für weiteres Nachforschen und Versuchen?
Wie nötig ist Aufwand, um Variabilität zu beherrschen?
Wie vorsichtig müssen wir uns angesichts der möglichen Labilität, Unsicherheit, Ungewissheit all unserer Verhältnisse verhalten – wieviel Reserven zurückhalten, und wofür?

10.
Wo nichts verlässlich ist, ist alles Entscheiden willkürlich; aber die Lernregel aufgrund von Normalerwartungen unterstellt, dass wir aus unserer Willkür mit zunehmender Erfahrung ein immer tauglichers Mittel für die „richtigen“, der Welt immer besser angepassten Entscheidungen machen können. Und besser heisst: Auf immer weniger durch versäumte Möglichkeiten enttäuschbare Erwartungen bezogen. – Die Denkweise, die wir rekonstruiert haben (das Kategoriensystem des Rezept-Wissens), reduziert unsere gesamte Lern-Problemstellung auf die eben genannten drei Fragen; die ihrerseits eine Aufspaltung entlang der grundlegendsten praktischen Kategorien darstellen, die wir haben: Lohnend (möglich), nötig, ungewiss (aber erprobenswert).
Es geht um Aufwand – Aufwand für Versuchen; es geht, weil es immer auch darum geht, um Risiken – Versäumnisrisiken, in beide Richtungen: Zuviel für das falsche, zuwenig für das richtige investiert. Versuchen scheint eine Tätigkeit zu sein, deren Effizienz durch zunehmende Erfahrung gebessert, zumindest immer besser eingeschätzt werden kann, wie die anderer Tätigkeiten auch:
Alles Bessere, als erwartet, lässt uns fragen, warum wir es nicht längst früher versucht haben; alle erfolgreichen Versuche bestätigen die Nützlichkeit des Versuchens. Jeder unvorhergesehene Verlust an Beherrschbarkeit, und alles Versuchen, das zu nichts führt, wirft Fragen auf, wieweit der Spielraum objektiver Beherrschbarkeit der Welt überhaupt reicht: Frage nach der Wahrscheinlichkeit von Erfolg und Misserfolg bei Versuchen. Aber wir können auch weitergehen, und nach (erforschbaren) Bedingungen gehäufter Erfolge und Misserfolge von Versuchen fragen; nach Vor- und Anzeichen solcher Bedingungen; nach Bedingungen und Art der Beeinflussbarkeit, oder gar nach Formen der vollen Kontrollierbarkeit von Erfolg und Misserfolg von Versuchen einer Art. Unberechenbarkeit in all diesen Hinsichten schliesslich würde bedeuten: Wir haben überhaupt keine Lernregel.

11.
Nun müssen wir noch einmal zurücksehen zum Abs. 4, wo wir den Begriff Lernregel ungefähr eingeführt hatten als Rezept für die Fälle, wo es anders kommt, als wir erwarten – zumindest als wir es erwarten im Rahmen der dort so genannten Regeln der Normalpraxis. Das Dumme ist: Wir können in gewissem Umfang sehr wohl erwarten, dass es anders kommen könnte, als die Normalpraxis unterstellt; der Zustand, in dem wir solche Erwartungen haben, heisst eben: Ungewissheit; und er IST der normale. Er hat im allgemeinen eine quantitative Seite – ein Mass. Diese quantitative Seite bekommt der Begriff der Ungewissheit jedoch nur, weil darin eine Aufwandsschätzung für Versuchs-Praktiken enthalten ist, für den Fall, dass es anders kommt, als die Normalpraxis unterstellt; soviele Hinsichten, in denen wir uns unsicher sind, soviele Arten, wie es anders kommen könnte, sehen wir offenbar auch, und soviele Richtungen, in denen wir (lohnende, nötige, zu unterlassen riskante) Versuche anstellen könnten; die Aufwandsschätzung liefert zugleich einen Grenzwert, bis wann wir unsere Versuche treiben, und wann wir uns für gescheitert erklären. (Diese Aufwandschätzung und dieser Grenzwert werden freilich durch eine zweite, und einen zweiten ergänzt, die und der in JEDER Versuchs-Hierarchie, neben dem erwartbaren Versuchs-Erfolg, eine Rolle spielt: die Einschätzung der Dringlichkeit  (s. Abs.5) von Versuchen, sie mögen noch so verzweifelt und windig sein; dieser Faktor, mit dem die „objektive“ Erfolgserwartung oder Erfolgswahrscheinlichkeit zusätzlich gewichtet wird, wird unmittelbar abgeleitet aus der Wichtigkeit, die die durch Versuche zu lösende Aufgabe im Rahmen unserer Gesamt-Reproduktion hat: Einschätzung des Schadens, den es bedeuten würde, sie nicht zu lösen – wieder (ein)geschätzt in Gestalt des (Versuchs)Aufwands, den wir bereit sind, dafür zu treiben, bis wir resignieren…)

12.
Jede Praxis, jeder Praxis-Ausschnitt ist also „Normal-Praxis“ UND „Lern- oder Versuchs-Praxis“ zugleich; und sie ist das eine bzw. andre im Mass, wie und in den Hinsichten, in denen Reserven zurückgestellt werden für (spezifizierbare) Fälle, in denen es anders kommt als erwartet.
Aber dieselbe Ungewissheit, der man durch solche Reserven-Bildungen und Versuche Herr zu werden versucht, bestimmt ja bereits diese Aufteilung – die Versuchspraxis, und den Anteil, den man ihr im Rahmen der Gesamtpraxis, dh. des Gesamt-Budgets, zugesteht. So ist also diese Praxis selbst ein Versuch; man versucht, zu versuchen, und damit erfolgreich zu sein, und wandelt – angesichts der Erfahrungen, die sich dabei ergeben – seine Versuchspraxis und ihre Anteile an der Gesamtpraxis ab.
„Ungewissheit“, „Versuchspraxis“ bedeutet (soweit es überhaupt um etwas für wichtig Gehaltenes geht – allgemeine Randbedingung für jede der hier genannten Bewertungen): Man lässt noch etwas offen; die Alternative zur Ungewissheit ist: RESIGNATION, angesichts der für unbeherrschbar (undurchschaubar) und/oder (weil Pläne resigniert angepasst werden) unwichtig erklärten Phänomene; eine andere Alternative aber wäre: (Erfolgs- und Erwartungs-)Gewissheit; wir sehen, bestimmte Erwartungen zu haben, als NORMAL und hinreichend bestätigt an, verlassen uns darauf, halten keine Reserven mehr zurück, sind nicht mehr vorsichtig – oder, im Fall, dass es sich um Schadens- und Misserfolgserwartungen handelt, versuchen wir nichts mehr.
Keine Reserven für Versuche mehr zurückhalten ist in beiden Fällen das Resultat.

13.
Negativ-resignative und positiv- „normale“ Normal-Erwartungen stellen beide in gleicher Weise den „Gewissheits“-Pol auf einer Skala dar, auf der von diesem Pol ausgehend sich alle andern gerade gültigen (und mit zur Normalpraxis gehörenden) Erwartungen, entsprechend ihrer abnehmenden Gewissheit bzw. zunehmenden Ungewissheit anordnen lassen. Für Praktiken im Rahmen der Normalpraxis, die mit ungewissen „Normal-Erwartungen“ in wenigstens einer Hinsicht verbunden sind, ist entsprechender Versuchsaufwand reserviert; im Fall, dass es, wie für möglich gehalten, anders kommt, als die Normalerwartung vorsah, wird im vorgesehenen Rahmen weiter versucht, die betreffende Aufgabe zu lösen. In der Aufwandsschätzung kommt zunächst eine Grund-Erwartung hinsichtlich der Versuchs-Erfolgs-Wahrscheinlichkeit zum Ausdruck: der Dauer im Maximalfall, dem Ressourcen-Verbrauch im aufwendigsten Fall; das wird dann mit dem Aufwandsbudget aus Gründen der Dringlichkeit abgeglichen. All dies ähnelt einer Risiko-Schätzung – das Risiko, das aus der relativen Unbekanntheit mit Randbedingungen erwächst, wird hier, in Gestalt von Aufwandsschätzungen, eingeschätzt. (Zusammen mit den Aufwandsschätzungen für die BEKANNTEN Risiken, die der betreffenden Praktik bzw. Aufgabenlösung drohen, ergibt sich etwas wie eine Einschätzung der Gesamt-Unzuverlässigkeit oder Unsicherheit des Erfolgs – ein Gesamt-Risiko, bei dem wir uns fragen können, ob es sich lohnt – angesichts des Gesamtaufwands, der – entsprechend den Normalerwartungen – für alles zusammen bei dieser Aufgabenlösung (auch und vor allem das, was direkt auf diese Lösung zielt) zu treiben ist.)
Wer unter Normalerwartungen, in diesem Fall: unter ungewissen, (reproduktive und produktive) Aufgaben löst und Ziele verfolgt, der weiss, wann er von seiner direkt zielerwartungs-bezogenen Praxis zu einer nur noch indirekt zielbezogenen VERSUCHS-Praxis übergeht; so, wie er ja auch weiss, wann seine zielerwartungsbezogene Praxis von einem der Schäden betroffen ist, mit deren Eintreten er, als Risiken, zu rechnen hatte, und wann er somit zielbezogen nur noch insofern arbeitet, als er die ursprünglichen Normal-Bedingungen der Aufgabenlösung oder Zielverfolgung mit den dafür vorgesehenen Reserven wiederherstellt.
Das Verrückte am Lernen und Versuchen unter Normalerwartungen ist: dass das Versuchen diesem Umgang mit Risiken völlig angeglichen ist.

14.
Die Aufwendungen, die fällig werden, wenn es – zwar nicht völlig unerwartet, aber doch nicht für wahrscheinlich gehalten – anders kommt als erwartet, erstrecken sich nicht nur auf die dabei nötig werdenden Neu-Anpassungen unseres Wissens (Ermittlung der neuen, gültigen Werte nach einer Änderung (überhaupt erstmal: Feststellung, WAS anders ist als zuvor); Versuch einer Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands; Ausweitung von Versuchen im Fall der erwartet-unerwarteten Verbesserung; Versuch einer Beherrschung der Bedingungen usw. 2.Stufe, die die Änderungen hervorrufen könnten usw.), sondern im Fall von Modalitäts-Sprüngen auch auf die Bewältigung der Folgen: geringere oder vermehrte (wie sich herausstellte) Optionen, verglichen mit dem Ausgangsplan. Diese neuen Optionen, sobald wir uns über sie im klaren sind, gehen wir bereits wieder mit technischen Mitteln und Verfahren an, hinsichtlich deren wir „Normalerwartungen“ (Wissen-wie) haben: Beispielsweise zeigt sich, dass wir  unerwarteterweise (wenn es auch nicht ganz ausgeschlossen war, und dafür auch Reserven bereitgestellt wurden) eben DOCH über Kontrollfähigkeit verfügen, weil wir plötzlich lernen, Bedingungen zu kontrollieren, auf deren spontanes Zustandekommen wir zuvor angewiesen waren. – Was eben bereits verrückt genannt wurde, ist, dass die Wissenserwerbs-Praxis – im wesentlichen die durch Experimentieren, Versuchen – als technisches Verfahren gilt, mit technischen Parametern eigener Art, für die Normalerwartungen durch Erfahrung ausgebildet werden können – spezielle (auf Versuche mehr oder weniger eingegrenzter Art, unter eingegrenzten, spezifizierten Bedingungen einer Art), oder generelle; und das hauptsächlich durch horizontales Generalisieren – „Erfahrungen“ mit dem Versuchen generell, oder in speziellen Fällen; verstanden als eine zweck-bezogene Tätigkeit wie andere auch.

15.
Nur so ist es überhaupt möglich, dass aufgrund von Normalerwartungen Planende sich zutrauen, die Erfolgschancen von Wissenserwerben (Experimenten, Versuchen; a fortiori: Such-Prozessen) in Gestalt von Aufwandsschätzungen quantitativ zu bestimmen, und davon sogar allgemeine (Unzuverlässigkeits-)Risiko-Schätzungen, unter Einbeziehung des so für beherrschbar erklärten Ungewissheits-Risikos, abhängig machen können.
Nur so ist erklärlich, dass „Versuchs-Aktivitäten“, also alle, die NICHT unter den zunächst gültigen Erwartungen abgewickelt werden, als technische, zweck-bezogene Tätigkeiten gelten können, auf die von der ursprünglichen, unmittelbar zielerwartungs-bezogenen Tätigkeit „umgeschaltet“ werden kann, wenn dabei etwas anders kommt als erwartet; zweck-bezogene, nämlich „indirekt“, „verlängert“ zielbezogene (und auf das ursprüngliche Ziel beziehbare) Tätigkeiten, für die, wenn auch vielleicht deutlich UNGEWISSER, als für das Haupt-Aktivitätsprogramm, „gültige“ Erwartungen ausgebildet werden können – Erwartungen, die es uns gestatten, dafür geschätzte Aufwände bereitzustellen, wie für andere, für beherrschbar gehaltene  Schadens-Bewältigungsfälle auch – denn als solcher stellt sich der Fall „anders als erwartet“ dar – selbst im Fall des unerwartet Besseren, auf das wir nicht hinreichend eingerichtet waren (so, dass wir es eben nicht gleich, nicht ausgiebig genug ausschöpfen und ausnutzen können).
Und es ist also NICHT so, wie man aufgrund der undeutlichen Formulierung im ersten Satz von Abs.12 oben es hätte AUCH verstehen können: dass, angesichts der All-Gegenwart von Ungewissheit, der Unterschied von ursprünglicher Praxis einerseits, und fakultativ eintretender Versuchs-Praxis andererseits, entfällt, und ALLES als Versuchen aufgefasst wird: Gerade das Umgekehrte ist der Fall – die Versuchspraxis wird vielmehr als eine alternative Normalpraxis, mit alternativen Erfolgs-, Risiko- und Gesamt-Aufwands-Bedingungen behandelt; bis hin zu der Möglichkeit, die schon erwähnt wurde: Dass Bedingungen des Erfolgs von Versuchen versuchend ermittelt, und künftigen Erwartungen bei Versuchen bestimmter Art zugrundegelegt werden.
Und genau das ist, was man Aberglauben nennt: Aberglauben verstanden als eine epistemische oder Wissenserwerbs-Strategie (oder auch: Strategie, Lernregel, im rückblickend-interpretierenden Auswerten und Neu-Bewerten bereits vorhandener Erfahrung, im Lichte der neu hinzukommenden).

16.
Insofern und soweit nun aber in Wahrheit unsere gesamte Praxis von Ungewissheit betroffen ist, IST sie in ihrer Gesamtheit objektiv ein Versuchen, oder Hypothesentesten; und der Fehler der Planung aufgrund von Normalerwartungen ist demnach ein viel weitergehender; denn er betrifft eben nicht nur den auch von den „Normal-Planern“ explizit als „Versuchen“ gestalteten Anteil (der als alternative Normal-Wirkpraxis mit eigenen Erwartungswerten aufgrund von Erfahrungen, Risiken, Bedingungen ersten und zweiten Grades usw. behandelt wird), sondern auch den anderen Anteil, der zwar objektiv nicht weniger ein Versuchen und Hypothesentesten ist, aber von Normalplanern implizit als Normal-Wirk-Praxis (mit Normal-Erwartungswerten aufgrund von Erfahrungen, Risiken, Bedingungen ersten und zweiten Grades usw.) behandelt wird.
Der Versuchs-Charakter der Gesamt-Praxis in Gestalt des Lernens aufgrund von Normalerwartungen wird nun aber auch nicht ganz vergessen: Indem, wie wir in Kap.3 versucht hatten zu zeigen, die leitenden Erwartungen in allen wichtigen Dimensionen der Planung einem fortlaufenden Probieren und Optimieren unterworfen sind; und das gilt sowohl für die Normal-Wirk-Erwartungen, als auch die (diesen letzteren jeweils untergeordneten) Versuchs-Erwartungen. Die Leit-Erwartungen der Gesamt-Praxis werden optimiert, und betreffen dann auch, nämlich in Gestalt der „Dringlichkeitsvorgaben“, den explizit zum „Versuchs“-Anteil dieser Praxis erklärten Aktivitätstyp, der sich anschliesst an Erfahrungen, dass etwas anders gekommen ist als erwartet. Wie wir Ende des letzten Abs. sahen, stellt das Praktizieren dieses explizit dafür erklärten „Versuchs-Anteils“ der Gesamt-Praxis zugleich, in den teils weiten, teils engen Spielräumen, die ihm durch die Dringlichkeitsvorgaben (und die eingeengten Fragestellungen, die sich daraus ergeben) eröffnet werden, ein eigenes Feld der praktischen Erfahrungsgewinnung dar – Erfahrung mit der Tätigkeit des Versuchens, seien es Versuche von etwas bestimmtem, oder Versuchen generell – Versuchen unter bestimmten Bedingungen, oder generell; dies Lernen begründet dann auf Dauer immer differenziertere Erwartungen bezüglich Erfolgen und Misserfolgen von Versuchen bestimmter Art; Versuchen, die, um es noch einmal zu sagen, grundsätzlich nur in Situationen als solche deklariert und unternommen werden, in denen etwas anders gekommen ist als erwartet.
Entlang dieser Sorte Erfahrung bildet dann auch der „Versuchssektor“ der Gesamt-Erfahrung Normal-Erwartungen aus – in Analogie zu denen des andern, also Nicht-Versuchs- oder, wie wir ihn ab jetzt nennen wollen: Routine-Sektors.

17.
Von den Abteilungen unserer Gesamt-Praxis, die wir unterschieden haben, lassen sich dem Routine-Sektor zuordnen:
a) die (funktionierende) Reproduktion,
b) ihre (mit Risiko-Prognosen) vorherzusehende Reparatur mit  bekannten Mitteln; und
c) ihre produktive Sicherung mit bekannten Mitteln;
dem Versuchs-Sektor:
d) alle innovative Produktion, sei es unmittelbar zur Erweiterung (Erst-Installation eines aktive Robustheit steigernden Teil-Kreislaufs; Investitionen zur Erzeugung von dauerhafter passiver Robustheit), oder
e) speziell dies nach der unerwarteten („besser als erwartet“) Eröffnung von Chancen, die ausgenutzt werden sollen;
f) oder als Ersatz unerwarteter („schlechter als erwartet“), oder unerwartet grosser, Ausfälle in der Reproduktion,
g) speziell beim Versagen von Routine-Mitteln in der Reparatur beschädigter Reproduktionsanteile.
Betrachten wir nun die Versuchs-Abteilung d), „innovative Produktion“. Hier drängen sich – auf  einer einzigen Stelle – drei Sorten Erwartungen zusammen:
erstens, die Erwartungen, die sich an die bekannten technischen Profile der verwendeten Mittel knüpfen (und die Effekte, die sich aus ihrer kombinierten Anwendung „erwarten“ (berechnen) lassen);
zweitens, die Erwartungen, die wir generell an Versuche (Versuche einer bestimmten Art („horizontal generalisiert!), unter bestimmten Randbedingungen (Aberglaube!), egal zu welchem Zweck (s.o.d)-g) ), knüpfen (sie waren es, von denen Ende des vorhergehenden Abs. die Rede war);
drittens, die „Bereichserwartungen“ (wieder generell, oder themenbezogen, oder gebunden an bestimmte Bedingungen) der Praxis-Abteilung „innovative Produktion“.
Wahrscheinlich werden wir die Mittel-bezogenen Erwartungen für die „bestbestätigten“ erklären, und uns „im Normalfall“ an sie halten; aber nicht immer haben wir so gute Kenntnisse hinsichtlich dessen, worauf wir beim Versuchen, speziell bei Innovationen, als „Mittel“ zurückgreifen; dann treten vielleicht die allgemeinen Erfahrungen ein, die wir mit Versuchen generell gemacht haben; oder es machen sich unsere „traditionellen“ Vorurteile und Vorgaben hinsichtlich Innovationen geltend (optimistisch, pessimistisch, speziell bezogen auf bestimmte Zielsetzungen).

18.
Die gleichen drei Erwartungssorten, nur ganz anders gewichtet, finden wir in den anderen Abteilungen (e, f, g) des „Versuchssektors“:
in e) beispielsweise stehen wir ganz im Bann der neu-eröffneten Spielräume: Wir sind optimistisch, wir generalisieren die neue Erfahrung wahrscheinlich, und übertragen sie entweder auf ähnlich gelagerte Bereichs-Erwartungen, oder generalisieren die Versuchssorten, die sich auf Möglichkeiten „dieser Art“ richten – dann können technische Profile auch einmal sehr schlecht bestätigt sein, wir haben einfach Lust, etwas zu erproben;
in f) und g) muss eine der ursprünglichen Bereichserwartungen „darüber“ stehen bleiben, damit man es noch länger versucht: „Es“ kann doch nicht an einem solchen unerwarteten Rückschlag scheitern (ist doch bisher immer gutgegangen, warum nicht weiter so…) – sie liefert, vor allem, wenn grosse Teile unserer Gesamtstrategie auf dem Spiel stehen, die oben immer wieder erwähnte „Dringlichkeitsvorgabe“ für unsere Versuche – die mögen noch so abwegig sein (man versucht es doch, nach der Logik der bei Unterlassung versäumten Chance); dem kann aber von seiten der „Erfahrungen mit Versuchen“ etwas entgegenkommen – ein Grund zum „Optimismus“ (es ist in anderen verzweifelt scheinenden Situationen dann auch wieder gutgegangen, man darf halt nicht aufgeben); schliesslich kommt auch noch ein gewisses Zutrauen in die zu erprobenden Mittel zum Tragen: Es KÖNNTE gutgehen (daundda hat sich auch einmal ein Fall ereignet, wo man derartiges probiert hat usw.)
Aber selbst die Fälle b) und c), ja sogar a), können in den „Bann“ einer abergläubischen, horizontal generalisierten Angst oder Hoffnung geraten: im ersten Fall scheinbar grundlos aufgegeben und reduziert werden, im zweiten ebenfalls: Reproduktions-Ressourcen und -Reserven werden für ein vermeintlich jedes Opfer lohnendes Projekt (eine lockende Chance, die man sich auf keinen Fall entgehen lassen darf) eingesetzt usw.

19.
Das Schema, das hinter diesen allgegenwärtigen und simultanen Vorkommnissen aller drei Erwartungs-Arten (für Mitteleinsätze, Versuche, Plan-, Teil-Plan- und Einzel-Aufgabenlösungen unter gegebnen Randbedingungen) steht, stellt sich so dar:
1. Den Kern bilden die „Normal“-Erwartungen bezüglich der Mittel; sie sind entweder selbst unzulänglich (vor allem, wenn innovativ repariert, also eigentlich: improvisiert wird = Fälle f) und g) oben), oder werden unter nicht vollständig bekannten Randbedingungen eingesetzt; ihr Einsatz ist somit immer auch ein Versuch, wofür eigene, und zusätzliche „Normal“-Erwartungen gelten. Alles Versuchen ist aber Versuch, eine durch die Normalpraxis und den in ihr vorgegebenen Plan vorgegebene Aufgabe zu lösen (innovativ, oder wie-erwartet- oder anders-als-erwartet-reparativ); die dafür gültigen „Normal“-Erwartungen bilden dann noch einmal einen Rahmen für dies Versuchen. Da alle Aufgabenlösungen als Mittel bezogen sind auf die nächsten, oder die Endzwecke des Plans, können sie ihrerseits als Mittel aufgefasst werden usw.
2. Die Normal-Erwartungen bezüglich Mitteln sprengen gewöhnlich nicht den vorgegebenen Rahmen des Versuchens, ebensowenig sprengen Normal-Erwartungen bezüglich Versuchen den Rahmen der Aufgaben- und (Teil-)Plan-Bereichs-Erwartungen. Wie die Überlegungen am Ende des vorhergehenden Abs. zeigen, kann dies aber doch geschehen; eine eigentlich „gerahmte“ und untergeordnete Erwartungssorte, vor allem, wenn sich Änderungen „horizontal“ auf sie übertragen, korrigiert dann die Werte der „rahmenden“ Erwartung.
3. Wenn etwas anders (besser, schlechter) kommt, als erwartet, brauchen wir dafür eine Erklärung, nämlich entweder a) etwas ist anders als vorher; oder b) wir wussten nicht genug. In beiden Fällen gilt es,
i) durch Versuchen Bedingungen 2.Grades für Änderungen, oder vollständige Bedingungen 1.Grades ausfindig zu machen.
ii) dabei speziell die ursprünglichen Bedingungen wieder herzustellen (nach unerwarteter Verschlechterung), oder neu sich zeigende Chancen ganz auszuschöpfen (nach unerwarteter Verbesserung);
iii) den Beitrag von Mitteln, Versuchsanordungen und Aufgabenstellung zu der neuen Erfahrung einzuschätzen, und angemessen zu verallgemeinern;
iv) alle Erwartungswerte, und damit auch Versuchs- und Routine-Wirkpläne (dh. übergeordnete Chancen-, also (Mitteleinsatz) -Reichweiten- und Könnens- sowie Risiko- und (in diesem Rahmen lohnende) Aufwände für Gesamt-Aufgabenlösungen (incl. mögliche Schäden an den beteiligten Mitteln mit Routine-Wirk-Mitteln und Aufwandsgrenzen für Reparatur-Versuche mit unkonventionellen Mitteln) der neuen Erfahrung, im Rahmen der Gesamterfahrung, anzupassen.
Das bedeutet speziell für die „obersten“ und zentralen Plan-bezogenen Erwartungswerte, nämlich Plan-Chance oder für erreichbar und möglich gehaltenes „Optimum“, tragbares Risiko, Angabe, wo wieviel Aufwände für experimentelle produktive und reparative Wissenserwerbe sich lohnen, dass sie teils nach Bedingungen aufgespalten werden und qualitativ an mehr und neue Bedingungen der Kontrollierbarkeit oder Beeinflussbarkeit, Vor- und Anzeichen gebunden werden, vor allem aber, je nachdem, wie weit die betreffende unerwartete Erfahrung (oder Erfahrungssequenz) nach „oben“ durchschlägt, in passender Weise „optimistischer“ oder „pessimistischer“ eingestellt, und entsprechend „höher“ (mehr kann erreicht, riskiert, versucht werden) oder „tiefer“ (weniger, dito) gesetzt werden.

20.
Die ganze Praxis, Routine wie Versuch, Produktion wie Reproduktion, und produktive Innovation wie Reparatur, findet unter Bedingungen der Ungewissheit statt. Mit anderen Worten: Sie ist ein einziges, riesiges Experiment, der VERSUCH weitestreichender Reproduktion und produktiver Ausweitung der Selbsterhaltung mit gegebnen Ressourcen, speziell Kenntnissen, unter gegebnen Risiken, Chancen, unter Minimierung von Risiken und Aufwänden. Dieser Versuch, das zu erhaltende Selbst mit vorhandenen Mitteln möglichst weitestreichend zu erhalten, soll durch wachsende Erfahrung der Umgebung, in der er stattfindet, immer besser angepasst werden. Die Erfahrung mit dem Verlauf des Versuchs soll optimal und so geschickt wie möglich ausgewertet werden; dem dient die Wahl der Lernregel.
Was die QUALITATIVE Seite dieser Regel anlangt, also die Art und Weise, wie man Experimente oder ihre Anordnung leitende Hypothesen in Abhängigkeit von Erfahrung gestaltet, ist sie denkbar einfach: Sie arbeitet zum einen mit dem Begriff des Regulären, oder des (sich wiederholenden) Auftretens-Musters: reguläre Schwankungsbreiten (v.a. Minima, Maxima), Verlaufs-und Verteilungsmuster (verlässliche Fundorte, Zyklen), Dispositionen, jederzeit vorhandene Fähigkeiten (verlässliches „Können“ bzw. „Wissen-wie“) mit ihren Reproduktionsbedingungen. Zum andern, als dessen Gegenbegriff, der Begriff des Irregulären: des Reguläres günstig oder ungünstig verändernden, als solches nicht vorhergesehenen „verantwortlichen“ Ereignisses. Übergeordnete Dispositionen oder Gesetze, unter denen solche Ereignisse zur Ursache werden, und wie sie in die vormals regulären Abläufe eingreifen, werden dabei kaum thematisiert. Denkbare Kandidaten für möglicherweise verantwortliche, weil „ungewöhnliche“ Ereignisse werden im Vorfeld relevanter Änderungen gesucht (zu diesen Ereignissen zählen auch eigene Sequenzen aus Ereignissen und eigenen Handlungen), und nach generalisierbaren Merkmalen klassifiziert, also Hinsichten, in denen sie mit Ereignissen im Vorfeld früherer Vorkommnisse „dieser Art“ (das ist eine zweite Klassifikation) verglichen werden können. Sobald wenigstens ein Vergleichsglied gefunden ist (in dringenden Fällen kann dies sehr abstrakt sein), das sich in der Mehrzahl der „Vorkommnisse“ zuvor findet, haben wir ein „Muster“, das eine Versuchs-Anleitung (im Rahmen der oben genannten Sorten von Regel-Wissen; Vorzeichen, Beeinflussung und Kontrolle können übrigens auch in mentalen, also „Sinn“-Kategorien formuliert sein; für die Wirksamkeit macht dies ja keinen Unterschied ) liefert; mit anderen Worten: ein zu erprobendes Rezept.

21.
Diese Art des Vorgehens kann vermutlich als Routine angesehen werden (auch wenn man sie mehr oder weniger „geschickt“ und erfindungsreich im Finden von Ähnlichkeiten und Klassifikations-Schemata gehandhabt denken kann.)
An solchen klassifikatorisch-abstrahierend gewonnenen Versuchsrezepten jedenfalls besteht vermutlich kein Mangel; die Frage ist eher, welche davon wie lange wir ausprobieren; wieviel Irregularität wir, umgekehrt, tolerieren, bevor wir Konsequenzen ziehen; und: wie stark wir uns von Erfahrungen „besser/schlechter als erwartet“ beeindrucken lassen – wie weitgehend wir sie sich auf die zu verändernden Erwartungen auswirken lassen wollen. Jedes „Zuviel“ oder „zu wenig“ in jede der jeweils genannten Richtungen wäre ungut; mit anderen Worten: Auch die QUANTITATIVE Handhabung der qualitativ, als Verfahren selbst, festliegenden Lernregel könnte erfahrungsabhängig variieren, und, unter Umständen, differenziert nach Bedingungen (Thema, Zeitpunkt der Anwendung, Vorzeichen usw.) variiert werden; und so den Umständen, durch Probieren und Optimieren, immer besser angepasst werden. Diese Parameter der Lernregel sind also ebenfalls als möglicher Beitrag zu einer (durch ihre Schuld nicht rechtzeitig vorhergesehenen) unerwarteten Erfahrung zu werten, mit Konsequenzen, wie in 3., iii) und iv) angesprochen. – Die Tatsache, dass dies formal eine Lernregel 2.Grades voraussetzt, wollen wir schnell wieder vergessen; denn wie man die quantitativen Parameter der Lernregel 1. Grades „am besten“ optimiert, lehrt vermutlich, nach Meinung ihrer Anwender, die Erfahrung, und nur sie – also Erfolg und Misserfolg mit verschiedenen Abwandlungen von Maximen der Ausgangspraxis in der betreffenden Hinsicht, unter bestimmten Umständen, bei gegebnem Anlass.

22.
Es ist wichtig, an dieser Stelle noch einmal daran zu erinnern, dass dies alles eine LERNSTRATEGIE (und darauf beruhende Planung) ist; und keine Wirk-Strategie. Das Lernen auf Basis von Normalerfahrungen will nicht Unmögliches herbeiführen oder herbeizwingen; nur ganz bescheiden, mit diesen seinen Mitteln, herausfinden, wie es ist, ob gut, ob schlecht; und sich dann daran halten. Das klingt vernünftig, und dürfte auch eine ganze Zeit lang gut genug funktionieren, um keinen Anlass zu Fragen zu geben. Wo also ist der Fehler?
Die so bescheiden klingende Erwartung über, oder hinter diesem Lernen lässt sich auch so ausdrücken: Es muss nicht die Normalpraxis sein, von der wir ausgehen, die die richtige ist; nur IRGENDEINE Normalpraxis muss möglich sein; und die vorhandene Welt ihr Korrelat (sie „spielt mit“, in irgendeiner Form). Noch einmal gesagt: Diese Normalpraxis mag ihre Grenzen haben (wir wollen ja, als Lernende auf Basis von Normalerwartungen, mindestens ebensosehr vermeiden zu viel zu wollen, wie zu wenig); wichtig ist nur, dass wir sie kennen. Wenn es solche Grenzen gibt, wollen wir uns in ihnen aber auch ganz ausdehnen – keine wirklich bestehende Chance in diesen Grenzen ungenutzt lassen. Und bei alldem: das richtige Mass finden.
Das Korrelat, die „mit-spielende“ oder sich unsern Absichten verweigernde Welt, kommt dabei, wie man sich von Abs.2 her erinnern wird, in zwei Versionen vor: Als Ausgangs-Situation für eine zweckmässige, dh. einem Rezept gemässe Handlung; und als erwartetes Resultat (wir lassen die Feinheit ausser Acht, dass auch der Verlauf der Handlung seine objektiven (zB. leiblichen; Kräfte, Gesundheit, Übung etc.) Anteile hat, die begründen, dass er anders ausfallen kann als erwartet – und somit bereits auch zum „Resultat“ zu zählen wäre).
Abstrakt formuliert, könnte man diese, wie wir sie nannten: Rezeptstruktur, nämlich die Abfolge Situation S – (experimentelle) Handlung H(v) (v=versucht) – (zu erwartendes) Resultat E, als allgemeinste Fassung einer Durchführungs-Anleitung für Experimente, oder, im Falle hinreichend oft bestätigter Experimente, technischer Routinen ansehen; noch die quasi nicht-technologische, naturwissenschaftliche, rein prognostische Variante liesse sich so schreiben: S, und wenn wir nichts tun: R. Die Pointe der Rezepte beim Lernen unter Normalerwartungen ist nun aber nicht, dass es Rezepte sind; sondern dass für Experimente aller Art überhaupt nur solche Handlungen, und damit auch zu ihnen passende Ausgangssituationen und Resultate, gesucht werden, die mutmasslich eine Aufgabe im Rahmen der gegenwärtig gültigen Normalpraxis lösen.
(Ausserdem: Dass wir ohne „Anlass“ nicht suchend, versuchend aktiv werden – dass wir die Praxis bis auf weiteres für vollständig geregelt halten – und dass als Anlass nur zählt, was zu ihrer Differenzierung und Abwandlung führt, nicht aber einer anderen usw.)
Die „Mutmasslichkeit“, wenn es sich um Abwandlungen und Innovationen handelt, ergibt sich wesentlich aus der klassifikatorischen Abstraktion und Musterbildung, wie sie in Abs.20 beschrieben wurde. Und auch dort besteht zumindest der eine Bestandteil, nämlich die „Vorkommnisse dieser Art“, aus Praxis-Fragmenten – Episoden, die wesentlich durch das in ihnen angewandte (und zuvor funktionierende; das gehört mit zur Charakterisierung der betreffenden Art von Vorkommnis) Rezeptschema charakterisiert sind, das nun auf einmal andere Resultate liefert als erwartet – unerwartet besser, oder schlechter, gesehen im Licht der zugehörigen Aufgabenlösung oder gegebnen Normalpraxis (und nur dieser).

23.
Denn wie erklären wir dies Besser oder Schlechter, im Rahmen unserer Lernregel unter Normalerwartungen? Genauer: Welche Form nimmt eine Erklärung dafür an, WENN sie sich denn finden lässt (was auch unter Normalerwartungen nicht notwendig immer der Fall ist) – welche Art von Erklärbarkeit FORDERN wir unter Normalerwartungen? Die Antwort stand oben in Abs. 19, Punkt 3: Im einfachsten Fall ändert sich das technische Profil (Chancen, Risiken, nötige Aufwände unter bestimmten Randbedingungen= Ausgangssituationen) eines Mittels; im komplexeren Fall die Erfolgsbedingungen (wann günstig= Chancen, wann ungünstig= riskant, eher zum Scheitern verurteilt; nötige Aufwände; dies alles unter bestimmten Randbedingungen) einer Art von Versuchen; im komplexesten Fall die Ermöglichungsbedingungen einer Art von reproduktiver oder produktiver Aufgabenlösung oder Zielsetzung. Mit anderen Worten: Welches Wissen wir auch immer, suchend, versuchend, probierend, in unserer Welt, also der näheren und weiteren Umgebung erwerben: Es muss sich in diesen und nur diesen Kategorien darstellen lassen. Alle andern Sachverhalte, alles mögliche Wissen, das dieser Anforderung nicht genügt, entgeht uns; Hypothesen, also Versuchs-Durchführungsentwürfe, selbst wenn sie zunächst auf Beobachtungen „objektiver“ Zusammenhänge und Möglichkeiten beruhen, die sich nicht in diese Art von Gesamt-Versuchsanordnung fügen, die die gegenwärtige Normalpraxis darstellt, werden unterdrückt.

24.
Aber was daran wäre denn so schlimm? Das Lernen unter Normalerwartungen beharrt ja nicht auf dieser GEGENWÄRTIGEN Normalpraxis; es ist ja nur zu bereit, sie zugunsten einer „richtigeren“, der Welt und ihren Bedingungen besser angepassten, aufzugeben. Die Normalpraxis mit all ihren Mitteln, Versuchsstrategien, Zwecken und zugehörigen Plan-Erwartungswerten, bis hinauf zu den quantitativen Lern-Maximen (Abs. 21!) ist, so gesehen, nur eine einzige, riesige Hypothese – nichts, was darin nicht zur Disposition stünde.
Das einzige, was man dieser Lernstrategie vorwerfen kann, ist, dass sie ihre Fortschritte über immer neue, hypothetische Normalpraxis-Formen machen will; dass sie so optimistisch ist zu glauben, dass, so falsch auch die Ausgangspraxis gewesen sein mag, und über wieviele Zwischenstufen der mühsame Weg der Verbesserung auch läuft, am Ende doch eine Annäherung an die richtigen Mittel, die richtigen Versuchsstrategien, die richtigen Aufgabenstellungen und Plan-Parameter stattfinden wird – dass man, auf diese Weise, „auf Dauer“ immer besser lernen wird, sich mit seinen Ressourcen den tatsächlichen Chancen und Risiken in der Welt anzupassen, und immer seltener überrascht zu werden. Und ist diese Hoffnung denn verkehrt? Fällt sie denn nicht mit der Absicht, überhaupt zu lernen und zu experimentieren, zusammen? Müssen wir nicht einfach Versuche machen, und dabei nun mal irgendwo anfangen?
Das Problem des Lernens unter Normalerwartungen und seiner Regel bzw. Hypothese ist natürlich nicht, dass es den aller-allgemeinsten Bestimmungen dessen genügt, was Lernen ausmacht (auf die es sich hier, zu seiner Verteidigung, beruft); dass es überhaupt sich an korrigierender Erfahrung orientiert, überhaupt eine Hypothese hat, die auch falsifiziert werden kann, überhaupt allgemeine Kategorien für seine spezielle Begriffsbildung und Klassifikationen hat usw. Der Fehler, wenn es einen gibt, muss in der ART dieser Erfahrungsorganisation, Hypothesenbildung, Kategorialisierung und Klassifizierung liegen.

25.
Der plausible Gedanke, der der Lernstrategie aufgrund Normalerwartungen zugrundeliegt, ist: Die Ausgangs-Situation ist unsere Normalpraxis, mit all ihre Mängeln – irgendeine müssen wir ja haben; das Ziel allen Lernens wird eine – den Umständen maximal und unendlich besser, als die gegenwärtige, angepasste – Normalpraxis sein; und was immer wir im Laufe des langwierigen Anpassungsprozesses an Stadien und Fehlern durchlaufen – wir werden immer eine momentane Normalpraxis haben müssen, die Ausgangspunkt der nächsten Verbesserungen ist, und ihrerseits, und sei es auch nur ein klein wenig, spätestens nach sehr langer Dauer, verbessert ist gegenüber der Ursprungspraxis (ist nicht die gegenwärtige ein solches Resultat eines langen Lernprozesses unserer Vorfahren)?
Der Gedanke, einen Lernprozess als Abfolge immer besser an ein komplexes System von Umständen und Randbedingungen (spätestens 2., 3. usw. Grades) anzupassender Abwandlungen (aus gegebnem Anlass!) einer Normalpraxis aufzufassen, ist damit hinreichend begründet. Die Wahl der Ausgangspraxis, von der her man anfängt, und die nicht GÄNZLICH verkehrt sein kann, weil sie immerhin eine Strecke weit funktioniert hat, ist dabei letztlich beliebig; denn wir sind ja bereit, sie ebenso beliebig abzuwandeln oder auszudifferenzieren, wenn anderslautende und neu hinzukommende Erfahrung, als Anlass, dies nahelegt.
Und doch ist diese Lernstrategie falsch – so falsch, dass sie nicht einmal der Anforderung genügt, wie es doch auf den ersten Blick den Anschein hat: eine Lernstrategie zu sein.
Sehen wir uns das genauer an.