Beiträge und Ergänzungen zum Kommentar-Thread in keimform: 42 Thesen zu Geschichte, Weltraum und Kommunismus

Beiträge und Ergänzungen zum Kommentar-Thread in keimform: 42 Thesen zu Geschichte, Weltraum und Kommunismus

18.02. Abschnitt D. über Dominanz und Ungleichzeitigkeit hinzugefügt


Ursprüngliche, erste Beiträge im thread selbst: (der eigentliche Text vom 16.02. steht unterhalb der kursiven Passage)

Erste Anmerkungen zu diesem Text (Bennis 42 Thesen):

1. X-THEORIE unterscheidet sich von X-PHILOSOPHIE (mit X= zB Geschichte) dadurch… (mein Vorschlag)…, dass Theorie begrifflich zu fassen versucht, was am X-bereich wichtig („wesentlich“) ist; Philosophie versucht zu zeigen, was daran in welcher Hinsicht notwendig so sein muss, damit es Sinn macht (damit wir daraus und damit Sinnvolles machen können; damit solche Versuche, aus etwas und mit etwas Sinnvolles zu machen, ihrerseits sinnvoll erscheinen).
2. Eine erste Unterscheidung der kulturellen und der biologischen Evolution: Zwar könnte man beide ein LERNEN nennen (die Gemeinsamkeit könnte irgendwo in dieser Richtung liegen); aber das kulturell Gelernte breitet sich ohne notwendige Verdrängung  der Träger „zurückgebliebener“ Standpunkte aus, kann es zumindest. Weswegen ja auch so etwas wie „Meme“ für die (?) kulturell evolvierende Einheiten ausgegeben wurden. „Konkurrenz“ ist auch in der Biosphäre nicht unbedingt der wichtigste Entwicklungs-Faktor; „Rückschritte“ und Mehrfachentwicklungen gibt es auch in der biologischen Evolution (und auch dort ist es schwer, Determinismen oder Teleologie zu behaupten, obwohl es offensichtlich etwas wie „Gerichtetheit“ gibt. Für all das gibt es weder für biologische noch für kulturelle Evolution derzeit zulängliche theoretische Konzepte.)
3. Der Punkt 7 spricht im Wort Lebensweise das theoretisch wahrscheinlich unerschlossenste aller Themen im ganzen Text an; die (?) eigentlich kulturell evolvierende Einheit ist hinsichtlich ihrer relevanten Momente, geschweige denn „kategorial“ derzeit nirgendwo auch nur annähernd erfasst. Das beginnt (aber endet noch lange nicht) mit grundlegenden theoretischen Schwierigkeiten der „Philosophy of mind“ bzw Handlungstheorie. Dieser Mangel, wenn es denn einer ist, setzt sich weiter in alle Überlegungen hinein fort, die weitergehende Aussagen über dies mangelhaft verstandenen Themenfeld machen. Das gilt selbstverständlich auch für jede „Kritik“, die nicht aus sicheren Bestimmungen auf diesem Feld abgeleitet ist (also meine, jetzt, hier).
4. Ich möchte auf diesem Hintergrund einige Einwände vorbringen:
a) Ob nun die neolithische und/oder industrielle Revolution in einem einschlägigen Ranking als die grössten Umbrüche von allen angesprochen werden, ändert nichts daran, dass es noch etliche ähnlich eingreifende Übergänge (mit zunehmender Komplexität bedeutet das auch: Integrationsleistungen) gegeben hat:
Der Übergang zur organisierten Erzeugung von Mehrprodukten in „hydraulischen Gesellschaften“ (nicht in „Tälern“, sondern eher Flussebenen: geographisch privilegierte Zonen));

Staat (Verwaltung);

Integration des Kults;

Stadt/Fernhandel, Logistik, Flächenstaat (bis Ende Bronzezeit);

„Grossreich“: Ausdehnung bis an Naturraum-Grenzen (Assyrer usw, Streitende Reiche+Qin usw) und seine Verwaltung – Eisenzeit ;

Schichten-übergreifende „Kultur“ in einem Gross(reichs)raum (Hellenismus, Han);

Legitimität, Recht (Rom; ebenfalls Han);

„Hochreligion“ (Christentum, Buddhismus; Zoroastrismus; Islam);

produktive Erschliessung nicht-privilegierter Naturräume (die „geschichtliche Tat, (dort) Gebrauchswerte zu entwickeln“) im und benachbart zum hochreligiös geprägten Grossreichs/Kulturraum (Frühmittelalter);
Aufschliessen zum und Überholen des vormals auf „privileguierten“ Grundlagen möglichen Kulturniveaus in der Fläche (Hochmittelalter; Song);

Fernhandel, beginnende Ausbildung eines Weltsystems (Renaissance usw; Ming, Zheng He);

Entwicklung der Produktivkräfte (Modernisierungs-Diktaturen; Aufklärung, Moderne).
(Ich setze fort:
Beziehung der kollektiv-arbeitsteiligen Produktion auf kollektive Zwecke: Bedürfnis, Biosphären- und allgemeine Naturanforderungen, Abbau kultureller Gefälle).

Anm. Besinnung auf Kriterien für eine sinnvolle Definition von „Epoche“ als (weltweit! sonst Eurozentrismus-Gefahr!) historischer „Konstante“ (notwendiges (?) Durchgangsstadium?) wäre wünschenswert.

b) Transpersonale Beziehungen existieren womöglich bereits in grösseren Stämmen; erst recht ab der Ausbildung erster antiker Staatswesen. Umgekehrt spielen interpersonale Beziehungen in „Eliten“ bis heute eine grosse Rolle; sie spielen auch vorübergehend eine Rolle in Verhältnissen, in denen bestehende kulturelle Gefälle aufzuholen sind (zB den nicht-privilegierten Naturräumen des „feudalen“ Mittelalters; in Kolonialgebieten und Territorien „nachholender Modernisierung“).
Diese sehr abstrakten Beziehungsformen sind mE nicht geeignet, um allgemeinste Epochen-Merkmale zu definieren (speziell „Produktionsverhältnisse“).
c) Das („dialektische“) Wechselverhältnis von „Produktivkräften“ und „Produktionsverhältnissen“ (prekäre zusammenwirkend in einer „Produktionsweise“) ist theoretisch, über gewisse Gemeinplätze von Marx/Engels hinaus,  nicht hinlänglich geklärt; dazu kommen die sog. „Überbau“-Kategorien (wie relevant sind die?). Eine ganze Begriffs-Schicht und vor allem: eine Ebene des Erklärens historischer Zustände (ihrer Stabilität, „Totalität“) und Vorgänge (Dynamik, deren Beschleunigung und Retardierung) ist hier unaufgeklärt. (Eine weitere, neben der kategorialen „Anthropoloigie“.)
d) Die Kategorie „Elementarform“ ist verführerisch einfach; ich halte sie für extrem irreführend, und mit Bezug auf die Kpaitalanalyse für VERKEHRT. (Ich halte die Aussagen des 1.Kapitels Kapital für unsagbar unglücklich; diese Auseinandersetzung muss gewiss geführt werden, aber nicht hier; daher dies nur fürs Protokoll vermerkt.)


Das, worum es hier geht, ist kein Streit um Worte; sondern um Begriffe und ihre Zusammenhänge (für die freilich Worte geprägt werden müssen); also eigentlich darum, was wichtig (wesentlich) ist bei einem Thema oder Gegenstand(sbereich), und was nicht.
————–
Die Elementarform (verstanden so wie in These 15 erklärt) der derzeit „mittleren“ Phase der Geschichte („imperial“) sei „die von gewaltsamer privater Aneignung und hierarchischem Kommando“ (These 14)
(Frage: Aneignung und Kommando IST da also nicht die El.form? Sondern die El.form VON ihnen ist DIE Elementarform in dieser imperialen Lebensweise? Welche ist das dann?)Etwas wie Marxsche Theorie kommt in bzw ab These 17 vor.
Und… dort, interessanterweise, eine Umkehr der Erklärung: die Produktivkraft-Explosion in der industriellen Revolution ist demnach eine FOLGE der fundamental veränderten Elementarform; für die neolithische Revolution wird der Zusammenhang andersherum behauptet.
Im Detail würde man da vielleicht sogar zu einer Formel finden, die das Gemeinsame der beiden „Revolutionen“ benennt. (Aber dann vielleicht auch noch mancher anderer; ich hatte ja Kandidaten aufgezählt.)

Die wichtigste Frage an deine Darstellung aber resultiert aus der Erinnerung an den Begriff „Arbeitsteilung“. Dein Begriff von „Privatheit“ bzw privater „Aneignung“ setzt ja etwas Aneigenbares voraus; wie wird dessen Produktion organisiert, derart dass sie „kollektiv arbeitsteilig“ zuverlässig funktioniert, dh so, dass sie überhaupt koordiniert und wiederholbar ist, regelmässig, regelhaft wiederholbare Praxis aller Beteiligter wird, derart dass sie sich genau dadurch (zumindest die in diese Arbeitsteilung Einbezogenen) REPRODUZIEREN? Dazu dürfen die Handlungen, die gemäss These 15 einer Elementarform genügen, nicht einfach nebeneinander herlaufen, nicht sich einfach in einer Fläche verteilen, wo sie mal mehr, mal weniger werden und einander möglichst nicht in die Quere kommen: So wie es im Idealfall nochmal gedacht wurde für Einwanderer, US-Farmer bei der Ausdehnung nach Westen. Um tatsächlich für das oder die betreffenden Kollektive reproduktiv zu sein (in den betreffenden Umgebungen), müssen die vielfältigen Elementar-Handlungen INTEGRIERT sein, zueinander passen.

Und genau dies Zueinander-Passen der kollektiv-arbeitsteilig stattfindenen elementaren (Re)Produktionshandlungen ist bereits in frühgeschichtlichen Gesellschaften durch einiges „vermittelt“, was notwendig transpersonalen Charakter hat und von auch nicht-linker Theorie durchaus genauer beschrieben wurde; die Stichworte lauten u.a.: Medien, Institutionen, Normen. Die sind durchwegs TRANSPERSONAL, und ich würde „Herrschaft“ nicht als solche bezeichnen, wenn nicht, welche Elementarformen des Handelns auch immer ihr zugrundeliegen mögen, sie so, nämlich transpersonal verfasst wäre.
Frage: Ist „Herrschaft“ (die erheblich mehr ist als „gewaltsame Aneignung“) „nötig“ oder nicht, um in frühen Gesellschaften, solchen wie den mesopotamischen Bewässerungskulturen zB., Koordination von (regelmässigen) (re)=produktiven Einzelhandlungen zu… „ermöglichen“?Eine weitere Frage: Interpersonale Beziehungen kommen über „Stufen“ verkettet vor (These 19) – ist das nicht auch die Vermittlungsform für transpersonale Verhältnisse? Geht es überhaupt anders? Und wenn: Wie geht es denn ohne solche Stufen in der Elementarform der warenproduzierenden Gesellschaften?
Wie soll es gehen ohne zirkulär verkettete (Re)Produktionsprozesse: Ein Warenproduzent tauscht sein Produkt gegen dessen Produktionsfaktoren; die müssen sich aber ua unter Mitwirkung seines Produkts auch wirklich im Rahmen der „Gesamt(re)produktion“ zuverlässig reproduzieren lassen. Müssen sich da nicht immer wieder Produktions-Ketten, wie prekär auch immer, schliessen, damit das Ganze regelmässig wiederholt werden kann? Und bestehen diese Ketten nicht auch aus Interaktionen (Kaufverträgen, Eigentumswechsel) „die immer direkt interpersonal vermittelt waren, wenn auch oft über viele Stufen“?
Soweit erste Fragen an dich, Benni.

PS: Die Frage, was eigentlich an Bedingungen hinzukommen muss, damit Warenproduzent zu sein, einen auch tatsächlich als solchen (also auch als Handlungsfähigen, Eigentümer) reproduziert, und überhaupt die gesamte hochkomplexe Reproduktion einer ganzen womöglich globalen Riesengesellschaft sich durch diese regelmässig wiederholten, und dabei reproduktiv den einzelnen wie die Gesellschaft reproduzieren sollenden Elementarhandlungen „ermöglicht“ – die finde ich bei Marx nur implizit, und in späteren Kapiteln, wo es  eben um Reproduktion (der Ware Arbeitskraft) geht, beantwortet. Sie sollte aber eigentlich viel früher gestellt werden, nämlich als nähere Bestimmung der Bedingungen, unter denen sich eine Einzelarbeit (regelmässig, wiederholbar, reproduktiv) als Teil der gesellschaftlichen (ebensolchen) Gesamtarbeit erwiesen hat, und DARUM auch als solche, die „Wert“ produziert hat.

Elementarform bei Marx – Elementarform bei Benni: Die Probleme, die ich damit habe, sind ähnliche; das sollte durch meine Bemerkung 4 d) oben angedeutet sein.

Benni, deine erste Antwort lässt ahnen, dass die Transpersonalität bei dir auch weiterhin eine Ausprägung sein soll dessen, was traditionell Produktionsverhältnis heisst; nur, dass dabei, anders als in der Tradition, der SACHBEZUG der Produzenten und die daraus erwachsenen Zwänge für ihre Beziehungen unerwähnt bleibt: Die Handlungen, die unter einer Elementarform regelhaft wiederholt werden, sind (re)produktive. Selbst das Wissen der Wissensgesellschaft (mit Fragezeichen) im transpersonal-kollektiven Quadranten deiner Skizze oben zählt dazu.

Und da ist der (traditionell marxistische) Gedanke zentral: Dieser Sachbezug ist es, der transpersonal-isiert. Die Arbeit, die AUFgeteilt wird (so, dass völlig unterschiedliche „Lebensweisen“ herauskommen); das Wissen, das AUFgeteilt wird; beides führt zu ABteilungen, ABtrennungen, die gigantisch sind verglichen mit dem mickrigen Rest dessen, was GETEILT wird (selbst für allgemein-menschlich gehaltene Care-Aufgaben werden an Dienstleister, Dienstpersonal, auch entsprechende Gender abgetreten).

Historisch finden wir eine Kritik solchen Auf-Teilens zentraler Lebensbereiche, zum Zwecke ihrer (professionellen) Vervollkommnung:

Frommsein (damals, bei vielen heute noch ein wichtiger Weltbezug) ist nicht einfach an Spezialisten delegierbar.

Oder (im Grundatz): Entscheiden über die grosse Richtung, die der Staat einschlagen soll.

Oder: Bescheidwissen, Experte sein (zB Arzt), wo es in Bevormunden übergeht.

Ich hatte den Bereich schon öfter genannt, wo solches Teilen gerade eben noch tragbar erscheint: im Gebrauch technischer Verfahren und Werkzeuge, die sichtlich funktionieren, auch wenn der Bediener nicht weiss, wie.
Aber wie, wenn das zu Nutzende die Fähigkeiten (Arbeitskraft, Lebenseinrichtung) einer Person, und nicht eines Dings sind?
Wie, wenn all das im Vor- und Umfeld der Werkzeug-Nutzung Liegende, die Nebenfolgen von Fertigung, (virtuosem) Gebrauch, Entsorgung sich aus dem Funktionieren nicht erschliessen, und nur zu haben sind als (mühsam zu erwerbender) Besitz von Leuten, die eben dadurch schon andre (die andres zu tun haben) von der Verfügung ausschliessen?

These 43: (Extreme) Arbeits- und Wissensteilung ist die Quelle der spätestens modernen (Extrem)Transpersonalisierung.

Anm. Marx ist mal gestartet AUCH als Kritiker solcher Arbeitsteilung.

 

These 44: Ihre Verlängerung in „den Weltraum“ (Produktivkräfte-Wachstum) vertieft das Problem, statt es zu lösen.

These 45: Die wichtigste Ressource, an deren Grenzen historische Gesellschaften in Krisen stossen, ist der begrenzte Handlungs- und Aufmerksamkeits-Spielraum ihrer Mitglieder; sie scheitern am Problem unbewältigbarer KOMPLEXITÄT (hierzu, zur Einführung, erneut empfohlen: Joseph Tainter).

These 46: Das Problem entsteht auf der Sachbezug-Ebene, aka der der Produktivkräfte.

 


Danke, Benni. Natürlich habe ich den Begriff Elementarform absichtlich verfremdet aufgegriffen; aber nur, weil es mir ebenso wie dir und wohl auch Stefan und Simon darum geht, „den Zusammenhang zwischen Individual- und Gesellschaftsebene verstehbar zu machen“.

A.

Dein Definitionsvorschlag nimmt eine sehr abstrakte Ebene in den Blick; eine Ebene, auf der uU gemeinsame Bestimmungen, die für ALLE Epochen Geltung haben, angesiedelt sind. Der Vorschlag ist aus meiner Sicht produktiv, weil er individuelles Handeln zum Ausgang nimmt: zwar Muster solchen Handelns, die massenhaft auftreten, und sich in der Zeit wiederholen; die aber eben auch zweckmässig sein können, und dies über weite Strecken auch SIND.  Und in genau diesen Worten, wie wir es tun, können auch viele so beschriebene, so handelnde Einzelne, wenn nicht sogar die meisten, ihr eigenes, und das Handeln der Leute beschreiben, mit denen sie zu tun haben.
Die Frage ist, wo diese ihre Einsicht, zB wg „transpersonaler“ Unübersichtlichkeit, an Grenzen stösst; die aber ein Ökonom (etwa ein marxistischer) überschreiten kann: SIE wissen es nicht, aber sie tun es – dh ER weiss, was sie tun.  Oder auch ein Historiker (etwa ein marxistischer): Sie waren sich der Y-Folgen nicht bewusst, aber sie machten X (bewirkten Y unbewusst, unabsichtlich, unwissentlich)…; oder auch: Sie machten X, weil sie noch nicht wussten, dass Y usw
In solchen Einstellungs-Zuschreibungen ist zweierlei enthalten:
1. die betroffenen Personen können sich die Einstellung zum Zeitpunkt der Zuschreibung von aussen nicht selbst zuschreiben (so wird behauptet): Sie können nicht sagen: Ich weiss noch nicht, dass ich damit Y bewirke, aber dennoch mache ich X.
2. Der Zuschreiber von aussen muss grundsätzlich angeben können, was er den Betreffenden voraushat – was sie somit erfahren, oder worauf aufmerksam sein müssten, um anschliessend sagen zu können: Wir wussten nicht, dass…(Y)…, aber jetzt wissen wir es; und darum machen wir jetzt X um so entschlossener, oder umgekehrt: ….darum unterlassen wir X, oder versuchen es zu vermeiden usw

Wenn man genau hinschaut, reden Soziologen, Ökonomen, oft auch Historiker, speziell marxistische, nicht von dieser Handlungs-Ebene. Natürlich werden sie NIE behaupten, denn das wäre widersinnig, dass es diese Ebene der Einzelnen und IHRES Verständnisses ihrer Handlungen (ihrer Gründe) und derjenigen anderer (un deren Gründe), der wechselseitigen Vorschläge, Forderungen und Erwartungen aneinander, nicht gäbe. Aber das Entscheidende – das Gesellschafts-Stabilisierende ebenso wie das dynamisch Gesellschafts-Verändernde – findet immer wieder auf einer anderen Ebene statt: Eben auf einer „gesellschaftlichen“. Und die… soll für alle Beteiligte, zumindest bisher, eigentlich unzugänglich sein; sie soll ein Eigenleben führen. Ein Eigenleben derart, dass es sich zwar DURCH die bewussten Handlungen und Interaktionen der Betroffenen „durchsetzt“; aber da ist immer dieses Mehr an Effekt, der Überschuss, die nicht bemerkten Nebenfolgen; und zugleich sind sie die entscheidenden.
Darum hat der Satz „Sie wissen es nicht, aber sie tun es“ eine ganz andere Pointe, als in der „harmlosen“ Auflösung, die ich ihm oben gegeben habe: es soll immer gerade das WESENTLICHE sein, sei es des Beharrenden in ihrer Vergesellschaftung, sei es des Sich-Wandelnden, das ihnen entgeht.
Es ist ein riesiger Unterschied, ob man sagt: Ihr könnt euch einbilden, was ihr wollt – die Krise holt euch ja doch ein, und zwingt euch zu dem oder jenem – ihr werdet schon sehen!
Oder… ob ich erst einmal für mich selbst zu klären versuche, wo Hindernisse liegen könnten, die andere davon abhalten, dasselbe wichtig und unwichtig zu finden wie ich (da, wo ich meine, dass es ihnen eben auch wichtig und unwichtig sein sollte).

Anm. Aufmerksamkeit-verdienende Unterschiede oder Gemeinsamkeiten, oder eben KEINE Aufmerksamkeit verdienende solche (gleichgültige, indifferente) – all die werden benannt in BEGRIFFEN. Begriffe bilden ein SYSTEM. Verständigung besteht im Kern in der Abgleichung unseres Begriffssystems mit dem anderer. „Verständigtheit“ bedeutet im Idealfall: Alle haben dasselbe Begriffssystem; finden dasselbe (dieselben Unterschiede bzw Gemeinsamkeiten) wichtig bzw unwichtig. ((Begriffe sind, nebenbei, Kernelemente von „Regeln“. Mehr zu diesem Thema hier .)

Anm. Benni hat nicht umsonst in seiner Definition eingeschlossen: dass, um „Elementarform“ zu sein, ein Regelsystem, das das Handeln vieler Leute in gleicher, relevanter Weise reguliert (von vielen befolgt wird), auch über längere Zeit, REPRODUKTIONS-NOTWENDIG oder -ermöglichend sein muss. Damrin ist etwas ganz wesentliches eingeschlossen: Es muss TRADIERBAR sein, denn die Einzelnen sterben weg, und es kommen andere nach. Tradierung ist ein Nadelöhr, durch das alle massgeblichen Kulturgebilde durchpassen müssen; Tradierung aber findet auf der Ebene der Individuen statt – wie sehr auch immer durch Hilfsmittel (Speichermedien, Texte, Abbildungen, Spuren, zweckbezogene materielle Gebilde wie Werkzeuge, Gebäude, Wege usw) erleichtert. Die Erschliessungsmittel für die Nutzung der Hilfsmittel (das Verständnis) muss mit-überliefert werden. – Schon darum, weil sie diejenige ist, auf der diachrone kulturelle Reproduktion, also Tradierung, gelingt oder eben nicht, ist die Ebene der (miteinander) handelnd(verknüpft)en Einzel-Individuen so wichtig.  

B.

Es gibt noch einen sehr wesentlichen zweiten Vorteil, den das Reden über Handlungen und ihre Gründe hat.
Es ist nämlich nach allen (kategorialen, begrifflichen) Seiten hin anschlussfähig:
Leute können so übereinstimmen, dass ihre Absichten denselben Inhalt haben wie Vorschläge oder gar Forderungen anderer an sie, und umgekehrt: Alle verfolgen dasselbe kollektive Projekt, können arbeitsteilige Erledigungen absprechen usw. – „konfliktfrei“.
Im Idealfall wissen alle alles Massgebliche wie alle andern, und wenden darauf dieselben Regeln zur Ableitung kollektiver Projekte an.
Sodass auch bei Erfahrungszuwächsen die Konfliktfreiheit nicht verlorengeht.
Aber damit wurden nur die Angriffspunkte (nämlich: Regeln, Wissen; daraus abgeleitete Vorschläge, Forderungen, Erwartungen) EINER Sorte Konflikt(freiheit) benannt, der inter-personalen nämlich.
Es gibt aber auch Konflikte zwischen Regel-Ebenen, die alle Entscheider in sich selber austragen müssen – wenn sie alle zusammen „äusserlich konfliktfrei“ in derselben Konfliktlage stecken würden, würde ihnen das nicht weiterhelfen:.
Idealerweise kann man DADURCH DASS man X tut, ZUGLEICH allen möglichen Anforderungen oder Zielen, Regel-Vorschriften Y1, Y2… genügen. Wie man dieses Zugleich realisiert, ist gleichgültig, solange es nur keinen Widerspruch oder (Ziel usw) Konflikt gibt, weil man NICHT ZUGLEICH X für Y1,Y2 usw tun kann, und damit obendrein auch noch Y1′, Y2′ verfolgen kann.
Aber genau das ist etwa der Fall, wenn man auf der technischen oder (re)produktiven Ebene etwas tun möchte, was aber leider Regeln und Anforderungen von Seiten des etablierten „Produktionsverhältnisses“ (oder der Aneignungs- und Kooperations-Elementarform) verletzt.
Oder auf der symbolischen, oder auf der identitären Ebene.
Man kann solchen VIELFÄLTIGEN „Widersprüchen“ dann in ganz anderer Weise Namen geben und sie beschreiben, wenn man sie als solche von Regel-Anwendungen derselben Entscheider beschreibt. (Vergleicht diese Beschreibung mit traditionell-marxistischen und dem „Anwachsen von Widersprüchen“. Fast immer sollte das sich irgendwie in inter-personalen Konflikten („Klassenkämpfen“) zeigen; intra-personale, synchron bei vielen, die das gleiche Regelsystem befolgten, auftretende Entscheidungs-Konflikte, waren nicht vorgesehen. Die Kategorie existierte eigentlich nicht.)

Anm. Widersprüche der intra-personalen Art treten vor allem auf, wenn Regelsysteme für unterschiedliche existenzielle Zeit-Horizonte der Einzelperson nicht mehr zueinander passen: Wenn die Ideale oder Regeln oder Gewohnheiten oder Erwartungen der Lebensführung und Alltagseinrichtung, auf die sie sich langfristig eingerichtet hat (Bedürfnisse, Organsiation von Handlungsspielräumen, Leistungsbereitschaften und Motive dafür), ich nenne das: ihre Identität,  nicht (mehr) passen zu dem, was diese Person sich in ihrem Leben zu erreichen vorgenommen hat oder neu vornimmt – als Aufgabe – gezwungenermassen, oder freiwillig; im Rahmen dessen, was sie sinnvollerweise sich alllenfalls bei Lebzeiten zu erreichen vornehmen oder wünschen kann (sinnvollerweise im Verbund mit Andern): ihr Lebensentwurf; und/oder wenn Lebensführung nd Lebensentwurf nicht passen zur Vorstellung einer Person davon, welche Projekte biographie-übergreifend, von unbestimmt vielen Leuten und grossen Gemeinschaften, denen sie sich dann eben durch das gemeinsame Projekt zugehörig oder verbunden fühlt, verfolgt werden sollten; ich nenne das: ihre Individualität (die sie somit auch mit unbestimmt vielen Angehörigen einer solchen Gruppe teilen kann, auch mit vor und nach ihr Lebenden); schliesslich: wenn alle solche Projekte auf Dauer nicht vereinbar sind mit den Vorstellungen einer Person, wie überhaupt begründet werden soll bei gegebnem Erfahrungsstand – sie diese Vorstellungen aber auch nicht einfach durch andre ersetzen kann (solche Begründungsweisen, Maximen, übrigens auch der Vergesellschaftung, zur Bildung all der bislang genannten Kategorien nenne ich. eine Mentalität); und ganz zuletzt: wenn solche Mentalitäten Fragen aufwerfen, ob sie noch vereinbar sind mit der Vorstellung einer Person von Rationalität – ob ihr nicht vielmehr irgendwie verrückt erscheinen – dann; in all diesen Fällen; sind heftige intra-personale Konflikte bei solchen Personen, als Entscheidern, am Werk. Dazu müssen sie freilich erst einmal für die betreffenden Zeithorizonte Regeln und Stellungnahmen ausgebildet haben – auf der Höhe der gesellschaftlich von ihnen ausgebildeten Kulturniveaus.

C.

Viel wichtiger aber ist, dass mit dieser neuen Beschreibungsweise ein noch ganz anderer Mangel in traditionellen speziell marxistischen Darstellungen historischen Wandels angegangen wird.
Der besteht darin zu glauben, dass Regelsysteme, die etwa ein Produktionsverhältnis, oder eine ganze Produktionsweise ausmachen, EINANDER FOLGEN; die späteren ERSETZEN die früheren.
Aber damit kann man eine entscheidende Qualität des Geschichtsprozesses nicht erfassen: dass es sich um einen Lern-, um einen DIFFERENZIERUNGSPROZESS handelt. Natürlih nicht bei allen Beteiligten; aber bei je massgeblich vielen.
Dass also ursprünglichere Regelsysteme nicht ersetzt, sondern modifiziert werden; und: dass sie abgestimmt werden müssen mit solchen, die hinzukommen, höhere Anforderungen an die Genauigkeit und kollektive Koordiniertheit des Handelns aller Gesellschaftsangehörigen stellen.
Einmal eingeführt, verschwindet „der Staat“ nicht; nicht so schnell, jedenfalls.
Ein „Kulturraum“ macht ab dann in vielen Hinsichten synchrone Entwicklungen durch. (Genau in dieser Synchronisierung besteht geradezu das Wesen eines „Kulturraums“. Die Kultur muss sich für solche geographische und soziale Weiträumigkeit eignen usw)
Das Verhältnis von „staatlicher“ und „kultureller“ Sphäre verschwindet nicht wieder; nicht so bald, jedenfalls.
Normen und ihre Begründung (Legitimation) verschwinden nicht, werden sie je verschwinden?

Anm. Das Phänomen des „vorübergehenda, ber immerhin viele Epochen lang Wichtigen“ existiert also schon, ist aber komplexer zu behandeln, als in der einfachen Stufenfolge des „historischen Materialismus“.
Umgekehrt: was bei Marx/Engels und denen, die ihnen darin gefolgt sind, „Überbau“ hiess, war nicht zu allen Zeiten in all seinen Dimensionen vorhanden.
Eine „Zivilgesellschaft“, die dem Staat vor- und übergeordnet ist – und wo eine Klassenkultur „hegemonial“ ist, so sehr, dass sie die Kultur einer andere Klasse formt und beherrscht – so etwas gibt es eigentlich erst in neueren Zeiten (in früheren Zeiten aber durchaus in wohlhabenden städtischen Ständen usw). Viel länger hingegen gab es „Nationalkulturen“ über alle Stände hinweg; erst recht „Hochreligionen“ – zu einer Zeit, in der solche Relgionen eben der massgebliche Inhalt ALLER (nicht-materiellen, nicht-politischen) Kultur war.

Das Neu-Hinzukommen, Neu-Ausbilden und Entdecken einer solchen massgeblich handlungsleitenden und reproduktions-notwendigen Regel- oder Handlungsableitungs- und -begründungsdimension, die ab dann nicht mehr verschwindet: Das könnte sogar für die Epochen-Umbrüche, die wir historisch beobachten, verantwortlich gemacht werden.
Und die Langwierigkeit der Neueinführung einer solchen Dimension könnte einmal damit zu tun haben, dass man natürlich das zugehörige Regelsystem (bei Ersteinführung) selbst erst einmal ausbilden und praktisch anwendenlernen muss  (das praktische Regelsystem der Wissenschaft; des Rechts; des Frommseins und Glaubens; der Verwaltung; der Herrschaftsausübung; der Öffentlichkeit der Zivilgesellschaft; des Marktes; der klassenspezifischen Massenkultur; und was Soziologen, auch die Historiker, die Soziologen vergangener Gesellschaften, nicht noch alles an je neu hinzukommenden, zu vergesellschaftenden Regelsystemen entdeckt haben, die ab dann nicht mehr verschwanden, und das Handeln grosser Massen von Leuten reproduktions (auf dem erreichten Niveau)-ermöglichend  bestimmten.)
Aber zum andern musste es in den Köpfen all der Leute auch mit den andern bereits vorhandenen Regelsystemen verträglich gemacht, INTEGRIERT werden.
Die Desintegration, das konflikthafte Nichtmehr-Zueinanderpassen von reproduktionsnotwendigen Regelsystemen (man kann nicht mehr, wie zuvor, allen Regeln zugleich gerecht werden), kann erst jetzt als wesentliche Krisenursache beschrieben werden.
So, wie man auch erst jetzt, mit diesen Kategorien, beschreiben kann, warum ein erreichtes Kultur- und Reproduktionsniveau an eine Grenze stösst (krisenhaft; Regelsystem-desitengrierend), und beginnt, Anforderungen zu stellen, die nur durch Einführung einer bis dahin nicht vorhandenen Regel-Dimension bewältigt werden können.
Was aber die betreffenden langwierigen Entwickluings- und Anpassungsschritte erfordert.

D.

Wir haben noch eine begriffliche Errungenschaft erschlossen mit diesem Kategorien-Apparat; nämlich: dass es ganz unterschiedliche Stellungen Einzelner und Gruppen zur Begründung und Begründbarkeit der von ihnen befolgten Regeln gibt. Regeln R werden ihrerseits durch Berufung auf oder Anwendung von (legitimierende(n), begründende(n)) Regeln R* befolgt. Die, die R kennen, anerkennen, und befolgen, müssen R* nicht, oder können R* nur unzulänglich kennen. Sie können R-Regeln aus anderen Gründen befolgen als R* (weil es für sie vorteilhaft ist; oder aus Berechnung). Oder, sie anerkennen R* nicht und würden massenhafte Befolgung von Regeln R‘ (begründet durch R*) befürworten, finden die Durchsetzung aber nicht lohnend,  oder sie sind zu schwach.
Eine solche Vielfalt der Stellung zu äusserlich von allen (wie widerwillig auch immer) befolgten Regeln R wurde unter Namen wie „Rollendistanz“ ua zwar beschrieben; aber als massenhaft in Bevölkerungen verteilte mögliche Einstellungen und wesentliches Moment historischer Umbrüche wurde sie nie wirklich analysiert – weil sie eben im äusserlichen Handeln (bis heute) sich nicht wirklich manifestiert. Aber natürlich sind damit auch Bruchlinien bezeichnet, entlang denen sich unter wachsendem Druck inter-personale Konflikte in Gruppen und Gesellschaften manifestieren können; die müssen nicht immer gewaltsam sein; nicht mehr zu gemeinsamem Handeln, nicht mehr konsensfähig sein, reicht uU völlig, um enorme „Komplexitäts- und Diversitäts-Kosten“ zu erzeugen, die irgendwann nicht mehr bewältigbar sind.


Intermezzo (Beiträge im keimform-thread „42 Thesen usw“ vom 17. und 18.02.2018; hier leicht abgewandelt):

Zum synchronen „Nebeneinander-Vorkommen“ von Elementarformen (mehrfach von keimform-Autor Christian Siefkes erwogen):
Etliche vermeintliche Fälle von Elementarform-„Pluralität“ könnten aufgelöst werden, wenn man (wie ich in Punkt C. des Textes oben) davon ausgeht, dass einmal entwickelte Elementarformen (in Bennis Sinn) über lange Zeit nicht verlorengehen, sondern weiterentwickelt weren, und mit nächst-hinzukommenden, in modifizierter Form, zusammenarbeiten.

Die Frage nach DER Elementarform des Kapitalismus wird darum nicht beantwortet durch Angabe der kapitalistisch entscheidend modifizierten Momente, die bereits in vorkapitalistischen Elementarformen vorkamen ((Fern)Handel und Märkte, Schuldverhältnisse usw bereits in frühantiken Gesellschaften, worauf dann Autoren wie Graeber rumreiten). Eher schon, aber kryptisch, ist die Bestimmung der kap. Elementarform im berühmten Anfangssatz des Kapital: (Tendenziell) kapitalistisch sind Gesellschaften, in denen (tendenziell) der GESAMTE (so interpretiere ich den Ausdruck: „DER“, also betont) REICHTUM dieser Gesellschaften die Form von Waren angenommen hat. (Dass nicht JEDER historische Reichtum diese Form annehmen kann, sondern dies enorme Produktivität von Landwirtschaft, Mechanisierung ua voraussetzt, ist in diesem Satz nicht erkennbar. Wird aber in der Fortsetzung allmählich entwickelt. Ich bin darum so unzufrieden gewesen mit den bisher hier bei keimform unternommenen einschlägigen Versuchen, DIE kapitalistische „Elementarform“ anzugeben, weil diese viel expliziteren Bestimmungen einfach weggelassen wurden, und dann solche Puzzle-Fragen auftauchten, „wieso es dann aber schon früher Ware, Tausch usw gab“; oder, dass es nun mal so sei, dass immer viele Elementarformen nebeneinander vorkommen (und die Vereinheitlichungs-Tendenz, die Tendenz (wenigstens in der jeweiligen Epoche) zur „Dominanz“ und Subsumtion/anpassend-modifizierenden Integration aller voraufgehenden Formen bestritten wird).

Auch in diesem Intermezzo-Text jetzt unterstelle ich Bennis Definition von „Elementarform“. Auch wenn man an ihr sicher noch arbeiten müsste. In bennis Definition von „Elementarform“ in ihrer derzeitigen Gestalt fehlt zB die „Dominanz“ 1) (Tendenz zur Subsumtion aller reproduktions-notwendigen Handlungsmuster unter die Form) und damit verbundene anpassend-modifizierende „Integration“ bereits ausgebildeter Formen als Kriterium der Zugehörigkeit zu „Elementarform“; ausserdem fehlen Hinweise darauf, dass die Elementarform sich (schon aus den genannten Gründen) über die Epoche hinweg in Entwicklung befindet und ausreifen muss; aber der grundsätzliche Ansatz von benni und der Begriff insgesamt, wenn die Mängel beseitigt werden, scheint mir aus meiner Warte produktiv zu sein.

1. in der bisherigen Definition muss etwas nur notwendig für Reproduktion sein, aber nicht notwendig UND hinreichend: also nicht: Reproduktion dieser Gesellschaft BESTIMMEND.

Überlegt euch vielleicht mal, was man alles „bürgerlich“ nennt; was die „Elementarform“ (im genannten benni-Sinn, mit meinen Erweiterungen) unserer Epoche ausmacht, ist nicht nur reife, globalisierte „kapitalistische Ökonomie“; sondern sie, zusammen mit allem, was (unter ihrem „Dominanz“-Einfluss) an schon früher entwickelten Vergesellschaftungs-Momenten eben die ihr angepasste „bürgerliche“ Form angenommen hat: bürgerliche Lebensführungs-Praktiken/Einrichtungen und Lebensentwürfe („Berufstätigkeiten“); Klassen; bürgerlicher Staat und Weltsystem solcher Staaten, kulturelle Hegemonie; bürgerliche Werte und Ideologien/Diskurse. – Angesichts all dessen, was schon „vor-bürgerlich“ dawar, und lange Reifezeiten hindurch mit der immer mehr kapitalistisch werdenden (Welt)Wirtschaft ko-existierte (sich dabei immer mehr ver-bürgerlich-end) – angesichts dessen kann man sich schon fragen, was denn nun eigentlich der KERN und das wirklich Neue ist (also genau die Frage, die sich auch die andern gestellt haben, die hier bei keimform seit einiger Zeit darüber gegrübelt haben). Mein Antwort-Vorschlag liegt ja auf dem Tisch: Produktivitätswachstum (Technik-Optionen-Entwicklung) als Selbstzweck 2). Das ist es, was dem vor-bürgerlichen (vor „unserer“ Epoche liegenden) Markt-Wirtschaften (Fernhandel, Weltsystem, Staaten, Werte usw) (wo eben gerade, mangels Produktivität, noch nicht „alles“ Ware sein konnte) seine spezifisch grenzenlos- abstrakte „Wachstums“-Orientierung verliehen hat. Die Epochen-Arbeit an der Ausreifung dieses (extrem umfangreichen) geordneten Inventars an Vergesellschaftungs- und weltbezogenen Praktiken, dieser Elementarform der bürgerlichen Epoche, dauert immer noch an. Krisen, in denen sich mörderische Mängel dieser Form abzeichnen, inclusive.
(Nebenbei: Welche?)

2. das ist, wie ich immer wieder betone, im Kern eine WELT-bezogene Praxisform; modifiziert soll sie ja auch noch in vielfältige kollektivistische commonalistische Vergesellschaftungs-Varianten als deren (dabei entscheidend modifizierter, aber nicht aufgegebener) „materielle Basis“ (welt- oder sachbezogener Praxis-Regelanteil, „Elementarform-Moment/Anteil“) übernommen werden. „Herrschaft“ (incl. Machtausübung, Hierarchien, Klassen), diese uralte und wie unendlich abgewandelt auch immer in alle bisherigen historischen Epochenformen mitgeschleppte Vergesellschaftungsweise, soll dann ja bekanntlich verschwinden. Auch das ist mit Elementarform-Anteilen möglich: dass sie verschwinden! Ok – denkbar zumindest ist es derzeit schon… (und es gilt sogar noch für einiges mehr als nur Herrschaft..)

(Antworten auf Anmerkungen von benni zum voraufgehenden Text):
– Mir ist nicht klar, benni: Hast du mir jetzt zugestimmt, dass „bürgerlich“ das Umfassendere ist? Also das, was „kapitalistisches Wirtschaften“ einschliesst, aber (genau darum) noch sehr viel mehr und absolut reproduktions-notwendige Kultur- und Vergesellschaftungs-Praktiken (Regelsysteme) mit umfasst (die man – spätestens in entwickelten bürgerlichen Gesellschaften – nicht (mehr) als blossen „Überbau“ abtun und ausser Betracht lassen kann: Immer mehr Praxis-Dimensionen wandern im Zuge der Reifungsprozesse der bürgerlichen Epoche in die „materielle Basis“, in die reproduktionsnotwendige, dominante Elementarform ein; sie existieren bereits in vor-bürgerlichen Formen und werden allmählich verbürgerlicht).

– Auf der materiellen, der Produktivkraft-Ebene ist es genau das, was resultiert: Produktivitätswachstum ; vor allem: es ist die wichtigste und letzt-verbliebene Legitimation für Profite und Konkurrenz, etwa so: der technische Fortschritt kann auf die Weise optimal, ja er kann sogar nur auf diese Weise, oder garnicht, organisiert werden.“ Technischer Fortschritt als Selbstzweck ist darin der höhere Zweck, dem „seine“ kapitalistische Form DIENT.
(Für „zurückgebliebene“, auf älteren Kultur-Niveaus stehende Bevölkerungsgruppen sind die älteren Kapitalismus-Legitimationen noch intakt: „Freiheit“ (aller Privateigentümer); Belohnug der Tüchtigen; meritokratische Auswahl der Eliten mit Berechtigung zur Verwaltung der unpersönlichen (in dieser Legitimationsweise fast schon als Commons angesehenen) Produktionsmittel und ihrer politischen Beaufsichtigung.
Anm. Solche „Ungleichzeitigkeiten“ und daraus resultierende inner-gesellschaftliche Heterogenität zu berücksichtigen, ist ein weiterer grosser Vorteil einer „Handlungs“-basierten „Elementarform-Definition“. Solche Ungleichzeitigkeit im Rahmen der dominanten (und hochkomplexen) Elementarform ist nicht dieselbe wie Christians Elementarform-Pluralismus. Für nachholende Gesellschaften (in gewissem Sinn: imperiale Peripherie; feudale; neuzeitlich-koloniale; spät-modernisierte und an den Weltmarkt angeschlossene) kann man Christians Formel erwägen. – Ich schreibe gerade eine Fortsetzung des oben verlinkten Textes über dieses Thema.)

– Die Landwirtschaft ist notwendig die erste Sphäre gewesen, deren Produktivität „selbstzweckhaft“ gesteigert werden musste, weil sie in der Anfangsphase des Prozesses den limitierenden Produktionsfaktor schlechthin „produzierte“: Mehr-Arbeit.
Die Landwirtschaft (Fisch-, Forst-…) ist komplett den Bedürfnissen der „bürgerlichen“ globalen Industrie-Metropole subsumiert – sie ist eine Ausfaltung mit Biosphären-Berührung der Gesamt-Inidustrie; der Vorgang schreitet immer noch fort; allerdings auch ins Krisenhafte.

Eine formelle Anmerkung noch.
Wenn ich hier sehr viel Platz einnehme, dann auch darum, weil angesichts von bennis Thesen-Rundumschlag (den ich als Versuch, Zusammenhänge auf den Begriff zu bringen, sehr begrüsse) die meisten Debatten-Themen der letzten Monate erneut aufgegriffen werden und implizit mit-behandelt werden. In der vermeintlich abseitigen Geschichtstheorie geht es uns um Kern-Kategorien von Gesellschaftstheorie (als Grundlage von Kritik) – und, praktisch bedeutsam, Transformationstheorie. In dem Zusammenhang fanden ja die diversen Rückgriffe auf „historische Vorbilder“ statt.


E. „Dominanz“ der Elementarform, und „Ungleichzeitiges“ in ihr
In den Texten des „Intermezzos“ kamen etliche Themen zur Sprache, deren gemeinsamer Nenner die „Dominanz“ der eine epochale Elementarform ausmachenden Regelsysteme ist.
Dominanz soll dabei die Tatsache heissen, dass ein weltbezogenes und/oder Vergesellschaftungs-bezogenes Regelsystem die auf je gegebnem Niveau massgeblichen Reproduktions-notwendigen Handlungen der Angehörigen einer Gesellschaft während einer historischen Epoche, und deren „Weiter-Entwicklung/Fortschritt“ massgeblich bestimmt, genauer gesagt: Die Einhaltung dieses alles-bestimmenden „Regelsystems ist für Aufrechterhaltung und Fortschritt der Reproduktion der Gesellschaft auf gegebnem Niveau notwendig und hinreichend – für die Dauer der Epoche.
„Alles (Reproduktions-bezogene) -bestimmend“ ist dies Regelsystem aber nicht von Anfang an; es WIRD das erst. Dafür ist eine Ausdrucksweise in den Texten: Das regelsystem subsumiet sich bereits vorhandene, es assimiliert sie sich oder sie werden ihm adaptiert. Das heisst normalerweise auch: das Dominanz-Regelsystem beginnt, mit in dieser Kultur auf dem erreichten Reproduktions-Niveau vorhandenen weiteren Regelsystemen immer besser zusammenzuarbeiten; der Ausdruck dafür war: Integration. (All diese Begriffe sollen nur erst einmal gesammelt werden, es fehlt viel, um sie zu verstehen und ihren Zusammenhang miteinander und anderen bekannten Phänomenen zu überschauen.)
Allein dieser Aspekt der Fortschritts- oder Reifungsdynamik einer Epochen-Kultur begründet das Phänomen der UNGLEICHZEITIGKEIT (bei Ernst Bloch, von dem dieser Ausdruck stammt, lautet er: Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen) . Ungleichzeitigkeit ist natürlich erst einmal eine Form der „Unpassendheit“, aber eine spezifische: Regelsysteme aus der vergangenen Epoche sind nicht zeitgemäss, müssen den neuen, dominant gewordenen Handlungsweisen angepasst werden. Normalerweise verkörpert das epochal Neue immer auch eine neue Kulturdimension, die vorher nicht dawar; da ist zu Beginn des Bestimmend- und Dominantwerdens des neuen Kultur-Entwicklungsstangs aber die Gesamtheit aller bisherigen dieser Stränge; in dieses Bündel muss der neue Strang, in der Form, die er bei seinem ersten Auftreten hat, integriert werden, bzw die Stränge des Bündels müssen ihm angepasst werden, und solange das nicht geschehen ist, sind die unangepassten Handlungsmuster noch nicht zeitgemäss, insofern ungleichzeitig. Ungleichzeitigkeit nimmt hier die Form von Inkohärenz, Reibungsverlust durch unangepasstheit an. Aber das ist nicht ihre einzige Erscheinungsform. Es kann bekanntlich Bevölkerungsgruppen, Klassen, Regional-gemeinschaften oder sonstwie definierte Gruppen geben, die vom Dominanz-Ausbreitungsprozess und seinen Auswirkungen auf die Restkultur-Regelsysteme (Praxis) noch garnicht erfasst wurden, oder sich dagegen wehren. Sie bilden eine historische Peripherie, aus der Zuwanderung in die Zentren der historischen Entwicklung stattfindet, oder in die hinein sich die Lebensweisen des Zentrums ausbreiten. Während im Zentrum der Fortschritt schon weitergeht, beginnt er im Leben der Zugewanderten oder Neu-Erfassten. Die Bildungsprozesse, die von „massgeblichen“ Gruppen im Zentrum der Dominanz-Ausbildung längst absolviert sind, wiederholen sich somit in der individuellen, szialen, geographischen Peripherie. Sieht man genauer hin, gibt und gab es auch schon in der Anfangsphase (so wie in jeder weiteren) der Dominanz-Ausbildung Ungleichzeitigkeit in den Gruppen, die Träger dieses Prozesses sind, damit er gelingt, dürfen ab einem gewissen Entwicklungsstadium nicht nur einfach tradierbare Errungenschaften sich aufhäufen, Kenntnisse, Techniken, religiöse Denk- und Vorstellungssysteme, militärische, Handels- oder Herrschaftspraktiken; vielmehr muss da unter deren Trägern ab einem geiwssen Reifestadium Gleichzeitigkeit, Synchronizität, eingetreten sein, damit sie untereinander auf gleichbleibend-fortgeschrittener Grundlage Arbeitsteilung im Ausbau und Weiterentwicklung des dominierenden Regelsystems zustandebringen (es ist ja höchst entwicklungsbedürftig, denn in der Form war es zuvor nicht da, es ist erste Ausprägung einer bis dahin nicht oder nur in marginalen Vorläufern präsenten Kulturdimension). Kulturpioniere können Einzelne sein, ihre Erfindungen können tradiert werden und sich zu denen anderer einfach nur dazu-addieren, aber eine real sich reproduzierende und entwickelnde Kultur ist auf viele gleichzeitig, arbeitsteilig Mitwirkende angewiesen, und die müssen dann zuverlässig auf dem je neuesten Stand sein und bleiben; ein hinreichend grosser, sozial, geographisch stabiler Kern an Metropolen-Kulturträgern und sie unterstützender Bevölkerung (die mehr oder weniger an den Entwicklung teilhat und sie eben auch mitträgt) muss „synchron“ sein und synchron bleiben, also sich gemeinsam weiterentwickeln. Auch, wenn Kulturzentren in einer Epoche (nach entsprechenden „Synchronisierungs-Phasen“) „springen“ können, andere soziale Gruppen als die ursprünglichen, oder solche in andern Regionen Träger der Fortschrittsentwicklung werden können: die massgebliche Gruppe muss die gesamte Epoche hindurch immer hinreichend gross bleiben, und den je erreichten Stand nachvollziehen. (Die dominante Kultur muss somit eine ganz entscheidende DIACHRONE Reproduktionsbedingung erfüllen: Sie muss in einer hinreichend grossen Gruppe von Trägern tradierbar sein. Die „synchrone“ Reproduktionsbedingung wurde schon angedeutet: Die Kultur muss an soviele geographisch, sozial zusammenhängende Menschen gelangt sein, dass sie die für Reproduktion auf diesem Niveau nötigen Arbeitsteilungen zustandebringen.)

Die Arbeit am Entwicklungsprogramm einer Epoche zehrt normalerweise die gesamten Ressourcen historischer Gesellschaften auf – das ist eine sehr materielle Kategorie, angefangen bei der (Re)Produktion von Material für Rüstung, Transportmittel, Speichermedien (Pergament) über Freistellung der Spezialisten aller Art, Unterhalt von Ausbildungsinstitutionen und Einrichtungen für „Entwicklungsaufgaben“ (oft erweist sich erst im Lauf der Zeit, wer und was dafür geeignet ist, Priester-Gemeinschaften in Tempeln, Netzwerke von Privatgelehrten und Kaufleuten, politische Parteien, militärische Ränge und Waffengattungen, reisende Handwerksgesellen: verschiedenstes kann sich, ganz unvorhergesehen, als (leider aufwendig) förderungswürdige, entwicklungs-trächtige Instanz erweisen).
Angesichts dieses Aufwands können ganze Kulturdimensionen, deren Entwicklung bis dahin im Zentrum der gesellschaftlichen Fortschrittsarbeit stand, aus dem Focus der Fortschrittsarbeit herausfallen: es sind meist gerade diejenigen, deren Entwicklung in der Vorepoche besonders stürmisch verlief – sie sind relativ fortgeschritten, setzen ihrer Anpassung an die neue Epochenaufgabe (Elementarform) wenig Widerstand entgegen und werden relativ unverändert übernommen. Das aber heisst: Ihre Weiterentwicklung im Rahmen der Kulturdimension, die sie eigentlich repräsentieren, findet nicht statt; nicht einmal dieser „Dimensionscharakter“ wird vor Ablauf von ein, zwei Folgeepochen deutlich, wenn es wieder weitergeht, und die jeweilige Kulturdimension überhaupt nur, im Licht der Reihe historischer Ausprägungen, die ihre Entwicklung durchlaufen hat, als solche erkennbar wird. Das geschieht erst, wenn im Rahmen fortgeschrittener Entwicklung auf die Arbeit an der Anpassung der betreffenden Kulturgebilde an die Anforderungen einer neuen Epoche (neuen Elementarform) wieder mehr Ressourcen verwendet werden müssen. Spätestens im Rückblick erscheint dann die mittlerweile eingetretene Stagnation als besonders dramatisches „Zuückbleiben“ hinter der allgemeinen Entwickung: eine zweite Form von Ungleichzeitigkeit. Aber abgemildert gilt sie natürlich für alle Assimilations- und Adapations-Arbeit im Rahmen einer Epoche; da kann lange Zeiten der Reifung hindurch mancherlei erst noch sehr unangemessen, rückständig, garnicht entwicklungsfähig erscheinen: der bürgerliche Staat wird da etwa einer Vielzahl von Aufgaben lange nicht gerecht, die bürgerlich-liberale Zivilgesellschaft braucht lange, bis sie auf der Höhe der weit fortgeschrittenen imperialistisch-globalisierten Weltgesellschaft angekommen ist.

Dass die Arbeit am Erhalt erreichter Niveaus der Reproduktion und des Fortschritts über sie hinaus ein Mindestmass an Ressourcen kostet, diese Niveaus sich ohne solchen Erhaltungsaufwand nicht einfach selbst erhalten,  heisst umgekehrt, dass bei Ressourcen-Mangel (Zerrüttung druch Kriege, Naturkatastrophen) das Niveau zusammenbrechen, die Region, soziale oder ethnische Gruppe usw ihre „Trägerschaft“ verlieren und hinter das erreichte Niveau mehr oder weniger weit zurückfallen kann, bevor sie sich stabilisiert und eventuell den Wiederanschluss an frühere Errungenschaften bzw den anderswo mittlerweile erarbeiteten Fortschrittshorizont suchen und versuchen kann. Ein spezieller Fall ist der Mangel an Robustheit im Reproduktionsregime: Die Ressourcen werden aufs äusserste angespannt, die Ansprüche etwa an die Fortschrittsgeschwindigkeit kurzfristig zu sehr gesteigert, aber die Bewältigungsfähigkeit der materuiellen Basis, angefangen bei den verfügbaren Handlungsspielräumen der Akteure, überfordert; vielleicht rein endogen, oder wegen mangelnder Bewältigungsfähigkeiten (oder eben Robustheit; Reserven, Abwehrmassnahmen, Prophylaxe) usw und aufgeschobenen „zweitrangigen“ Problemlösungen akkumuliert in ungünstigen Fällen auf einmal alles, Katastrophen, die für sich genommen hätten überwunden werden können, erweisen sich als verhängnisvoll, die Reproduktion des überdehnten Niveaus bricht zusammen, und dann geht es meist weit zurück hinter das, was bei vorsichtiger Entwicklung zu diesem Zeitpunkt hätte erreicht sein können.
Man könnte all das „sekundäre Ungleichzeitigkeit“ nennen – Unausgewogneheit in der Binnenentwicklung einer Epoche, Ungleichgewichte in den Entwicklungsständen von Handlungsystemen, die sich eigentlich nur zusammen und koordiniert weiterentwickeln können.

Die wichtigste Ursache für Überdehnung ist die Fortgeschrittenheit des „dominanten“ Kultur-Kerns, der „Elementarform“ mitsamt ihren mittlerweile integrierten und in dieser Form mit-gereiften Teil-Handlungssystemen. An diesem Fortschritt muss ja wirklich gearbeitet werden – mit jedem Entwicklungssprung tun sich da neue Ansprüche, neue Horizonte für Weiter-Entwicklungen auf, die man versäumen könnte – gerade die Weitest-Fortgeschrittenen, die Träger der Fortschrittsbewegung, sehen diese noch nicht wahrgenommenen und doch naheliegenden Möglichkeiten.
Der Fortschritt beschleunigt sich.
Aber eben nur der DIESER Entwicklungslinie, DIESES Handlungssystems. Es wird perfektioniert, und seine Weiterentwicklungen zehren immer mehr Ressourcen auf. Der Fortschritt ist einseitig.
Einseitig für EINE Entwicklungsdimension aufgebrauchte Ressourcen machen sich unspezifisch als Verarmung, Ausdünnung aller kulturellen Nebenstränge und Stützfunktionen schmerzlich bemerkbar.
Problemlösungen dort werden aufgeschoben; Reserven für Eventualfälle (mit denen zu rechnen ist) werden immer weniger angelegt, die Robustheit, die „Resilienz“ der Gesellschaft sinkt.
Aber das spielt sich ab in Kultur- und Reproduktionsabteilungen, die allesamt schon eingerichtet und der Epochen-Elementarform gemäss gemacht worden sind – die als unverzichtbar empfunden werden, und dabei schon „bessere Zeiten“ erlebt haben; ihre Vernachlässigung äussert sich in allgemeinem Problemdruck, Krise, Anfälligkeit, Teil-Verfall.
In diesen Phasen werden neu, also verspätet hinzukommende Gruppen massgeblich bei der Fortsetzung der bisherigen Fortschrittsbewegung; sie sind „unverbraucht“ und „naiv“, vielleicht auch kenntnislos, was den Zustand des Gesamtsystems angeht.
Die „reifen“ Bevölkerungsgruppen aber stehen vor einer Schranke; sie wissen nicht weiter.
Die neue Kulturdimension ist ja nicht einmal in einer ersten Ausprägung entwickelt; man muss ihre Ausprägung als den NÄCHST ANSTEHENDEN SCHRITT, die nächst-zu-lösende Epochenaufgabe, der alles andre unterzuordnen ist (im Sinne der subsumierenden Adaption, Assimilation, Integration) erst einmal erkannt werden.
Die „Keimformen“, die zu entwickeln und zur Reife zu bringen die nächste Epochenaufgabe darstellt, kommen in der Krise der Vorepoche oft nicht mal ansatzweise als Inhalt der Arbeit einer ganzen Epoche, als neue Epochenaufgabe in Betracht; fast immer bedeutet, sich ihnen zuzuwenden, auch garnicht die Lösung der finalen Probleme der Vorepoche. Von denen bleiben, wie oben behauptet wurde, sogar viele lange Zeit, womöglich die gesamte Epoche hindurch, liegen, sie werden vernachlässigt, weil etwas ganz andres und absolut Vordringliches sich ins Zentrum der Aufmerksamkeit geschoben hat. Aber die Aufgabenlösungen, die „Keimformen“, sind meist recht weit fortgeschritten, bis da im Rückblick sich plötzlich der Mangel dieser ganzen Praxis- und Kulturdimension offenbart – als gähnende Lücke, die die Frage aufwirft: Wie haben sie vorher ohne diese Dimension leben können – wie die Aufgabe vernachlässigen, den Mangel so garnicht bemerken können?
Aber wer hat ihn denn früher als andre bemerkt, wer hat die keimform-Entwicklung vorangetrieben? Woher kommt der eigentliche Antrieb für den Übergang in eine neue Lebensweise und eine neue Elementarform – oder woher kam er, bisher – was zeichnet die Pioniere aus, wie werden sie welche? Es ist die Frage nach den wesentlichen GRÜNDEN für eine Transformation, den Motiven für die Keimform-Entwicklung.